Mein kleines Geheimnis #2
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Buchvorschau
Mein kleines Geheimnis #2 - Nike Maria Vassil
werden.
Kapitel 3
Neue SMS von Marie ‚Wo steckst du denn? Wir sitzen schon im Cafè.’ Ein Dilemma. Absagen will sie nicht, die Vier haben sich schon länger nicht gesehen und sie ist auf den letzten Tratsch neugierig.
In zweieinhalb Stunden bereits fängt auch ihr Stimmbildungsseminar an und das mulmige Gefühl, auf wackligen Brettern zu stehen, schleicht sich immer wieder ein.
‚Wie konnte ich heute Morgen soviel Zeit verplempern? Den genauen Ablauf werde ich nicht mehr eintippen können, sonst müsste ich das Mittagessen ausfallen lassen’‚ ärgert sie sich. Schnell legt sie ihre Unterlagen zusammen: Sprechtechniken von Coblenzer/Muhar, ein praktischer Kurs mit DVD von David und Rebecca Carey, Kristin Linklater 'Die persönliche Stimme entwickeln' und eine Stanislavski Einführung.
Sie hat letzte Woche die verschiedenen Ansätze nochmal gründlich bearbeitet und Übungen zusammengestellt. Fehlt nur noch der weiche Spielball und es kann losgehen. Für heute, den ersten Tag, wollte sie noch eine Liste drucken. An Material fehlt es ihr nicht. Zum Teufel mit der Liste. Sie will ihre Freundinnen nicht sitzen lassen. Als ob sie nicht genug Lockerungs- und Entspannungsübungen vorbereitet hätte. Wo bleibt Raum zum improvisieren? Von makelloser Planung hielt sie doch nie etwas.
Es sind nur ein paar Minuten bis zum Kunstcafé und dort angekommen sieht sie alle drei Frauen am hinteren Tisch sitzend. Brigitte hat sich in letzter Zeit etwas rar gemacht, da es im Kunstmuseum heftig zuging, und eine Ausstellung nach der anderen organisiert und aufgebaut werden musste.
„Hallo! Sorry, ich hab mich verspätet! Brigitte, schön, dass du gekommen bist". Elisabeth spürt manchmal eine Befangenheit, wenn sie Brigitte auf die Wange küsst. Die Kuratorin wirkt oft distanziert und leicht reserviert. Eine Entspannungskur könnte ihr nicht schaden, denkt sich Elisabeth.
Um ehrlich zu sein, hielt sie Brigitte immer für spießig. Dieser Eindruck verschwindet, je besser sie sich kennen lernen. Brigittes leicht spröde aber dezente Hilfsbereitschaft und ihre unkonventionelle Ader kommen stärker zum Vorschein. Ihre brüske Art wirkt nach einer gewissen Vorwärmphase immer harmloser und verleiht ihr eine attraktive Note.
‚Hey Cristina! Hab schon ein schlechtes Gewissen, dass ich mich nicht mehr gemeldet habe."
Könnte das vielleicht der Grund für ihr Schmollgesicht sein? Ihre Aufmerksamkeit wendet sich dann sofort Marie zu.
„Hallo Schatz! "
Zu Marie hat Elisabeth eine herzlich ungezwungene Beziehung, die manch einen verunsichert und die Intimität der beiden Frauen läßt manchen vermuten, dass sich die beiden hinter ihrem erotischen Wagnis verstecken.
Alle vier Freundinnen ergänzen sich auf eine Art, die ihre unterschiedlichen Charaktere und Herkunft unterstreicht und ein bunter Faden kulturellen Hintergrunds hält sie zusammen. Kleine Krisen bewältigen sie zu dritt oder oft zu zweit, wobei jede ihr individuelles Gewürz interkultureller Herkunft mitbringt, um das Rezept zu verfeinern. Viele feine Berührungspunkte prägen die Freundschaft.
Elisabeth zwinkert mit den Augen wenn sie von der 'Spanakopita' ihrer Großmutter schwärmt. Nur ein Gewürz sei relevant, der Safran aus den Olympostälern, der den feinen Unterschied ausmache. Dabei rühmt Cristina die kulinarischen Geheimnisse der althergebrachten Art, Spaghetti in ganz wenig Salzwasser zu kochen, nichts wegschütten und die Pasta bliebe bissfest und saftig. Der ultimative Geheimtipp für Pastaliebhaber. Während Brigitte auf die regionalen französischen Käsesorten schwört, und als Krönung darf die flambierte Crème brûlée mit Rosenblättern natürlich nicht fehlen.
Es herrscht zugleich eine heimliche Einigkeit darüber, dass das Schema 'traditionelle Familie' nicht würdig sei, fortgeführt zu werden.
Marie, Halbgriechin, ist die Tocher einer peniblen, sauberkeitsfanatischen deutschen Mutter und einem griechischen Vater, der sich dem Druck seiner Frau nach Karriere und Erfolg hat beugen müssen. Die Eltern lernten sich bei einem Urlaub auf Patmos kennen und zogen in den 60er Jahren nach Deutschland. Marie hatte in den ersten Jahren wechselnde Bezugspersonen und war, wie sie später erfuhr, kein Wunschkind gewesen. Ihre späteren Bindungsängste und ein fehlendes Urvertrauen hatten ihr als erwachsene Frau einige emotionale Verwirrungen beschert. Mit ihrer Herzlichkeit, ihrem altruistische Hang und ihrem unwiderstehlichen Charme verführt sie die Männer und fordert sie oft zu überschwänglichen Reaktionen und Interpretationen auf. Sie fühlen sich von ihrer Verletzbarkeit angezogen und überrollen sie oft mit ihrer Selbstsucht und ihren widersinnigen Angeboten.
Brigittes Eltern trafen sich in Frankreich. Während ihr französischer Vater für eine deutsche Firma arbeitete, besuchte ihre Mutter einige griechische Verwandte in Paris. Sie lernten sich dort kennen, heirateten bald, und als Brigitte grade acht Jahre alt wurde, zog die Familie aus beruflichen Gründen nach Baden Baden. Kaum hatte Brigitte ihr Abitur gemacht, fuhr sie wieder zurück nach Frankreich, um zu studieren. Aber auch dort war sie nicht mehr zu Hause und sie bekam sehr bald Heimweh. Heimweh wonach? Wohin sollte sie nur ziehen? In Baden Baden war sie nicht wirklich zu Hause und Paris empfand sie als anonym und versnobt. Die Heimat ihrer Mutter kannte sie nur aus den Sommerferien.
Es hieß für sie neue Weichen in ihrem Leben stellen, einen Pfahl finden, an dem sie sich anlehnen und über ihren weichen Kern, versteckt in einer verkrusteten Schale, wachen kann. Männer fühlen sich von ihrer unnahbaren und kritikfreudigen Erscheinung verunsichert und scheuen die Konfrontation mit ihr.
Cristina hat bis heute das Trennungstrauma ihrer Eltern nicht ganz überwunden. Ihr Vater betrog seine Frau jahrelang, noch bevor Cristina aus ihrer Pubertät herausschlüpfen konnte, hatte ihre depressive Mutter bereits zwei Selbstmordversuche hinter sich. Der Vater, ein erfolgreicher Diplomat, der schon mit einer um viele Jahre jüngeren Frau liiert war, beförderte seine Ehefrau eines Tages zurück in ihr Heimatland, nach Italien. Die beiden Töchter mussten aus rein existentiellen Gründen bei ihm bleiben. Die Mutter war weder psychisch noch finanziell in der Lage, ihre Töchter aufzunehmen.
Diese Trennung schürte Cristinas Hass gegenüber ihrem Vater, der sie für untauglich erklärte, sie als