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Wir sind nicht Papst!: Eine Predigt
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eBook139 Seiten1 Stunde

Wir sind nicht Papst!: Eine Predigt

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Über dieses E-Book

Wir sind nicht Papst! Nein, das sind wir nicht. Das muss, um Guido Westerwelle zu zitieren, auch einmal gesagt werden. Nein, wirklich: Nichts gegen Benedikt, den Deutschen, aber vor seiner Krönung wären wir schon gerne mal gefragt worden. Gerade die Evangelischen. Oder die Frauen. Oder die Domspatzen ... Achim Winter leistet Widerstand. Nicht nur in Sachen höchstes Kirchenamt, nein, er wehrt sich auch, dass Lena Meyer-Landrut als Vorbild aller deutschen Töchter gehandelt wird, dass Dieter Bohlen und die Läuseplage in Kindergärten und Schulen für normal gehalten werden, dass ästhetische Chirurgen sich jetzt auf den Genitalbereich stürzen ... Da muss doch einer den Mund aufmachen! Achim Winter erbarmt sich.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum14. Dez. 2011
ISBN9783863370459
Wir sind nicht Papst!: Eine Predigt

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    Buchvorschau

    Wir sind nicht Papst! - Achim Winter

    Papst!

    Papismus

    Dankbar bin ich für diese Anregung, mir mal das Maul über die Zumutung zu zerreißen, dass wir laut BILD nach der Wahl Benedettos alle auf einmal Pontifex gewesen sind. Wir haben damals auf diesen Spruch der Zeitung reagiert wie Heinrich Hoffmanns Suppen-Kaspar auf die Brühe. »Nein! Papst – das sind wir nicht, Herr Diekmann!«, brüllten wir am Tresen.

    Aber: Die Beschäftigung damit hat mir geholfen zu verstehen, warum die Irrsinnigkeiten um uns herum immer mehr zunehmen. Erst habe ich ja gedacht, wir hätten uns nur deshalb echauffiert, weil das normal ist für zwei alternde Herren, denen das Testosteron abhanden kommt. Aber: Viele andere, noch durchaus voll im Saft stehende Männer und auch Frauen sehen das genauso. Auch sie stellen eine Demenzkurve in unserer Gesellschaft fest, die steil nach oben geht.

    Mir wurde klar, warum wir uns so irrsinnig wehren gegen die Idee, Papst zu sein. Wir lehnen uns natürlich auf gegen das, wofür er steht. Zum Beispiel für eine Religion, der wir nicht mehr huldigen. Da aber Leerräume nur selten welche bleiben, haben wir sie gefüllt. Mit etwas Ähnlichem. Einer anderen Art von Religion. Und indem wir sie auch ausüben, verirren wir uns und produzieren Quatsch, den Quatsch, bei dem R. immer so schön die Luft durch seine Jacketkronen zieht. Das reicht von den Honoraren für eine Paris Hilton über die Berliner Maikrawalle bis hin zu den Outfits und Ansichten Karl Lagerfelds.

    Ich behaupte: Der ganze Irrsinn ist religiös bedingt. Der Eifer, mit dem so viele Menschen so ausdauernd an seiner Erzeugung mitwirken, hat etwas Missionarisches.

    Die neue Religion ist die Religion des SELBST. Insofern nichts wirklich Neues. Narzissmus eben. Nur jetzt in der kollektiven Form. Mit bemerkenswertem Schwung auf der ganzen Welt betrieben. Und ebenso weit verbreitet wie der Katholizismus im Spanien des 16. Jahrhunderts.

    Nicht nur mir, auch anderen ist das aufgefallen. Der Kollektiv-Narzissmus hat zahlreiche Gegner. Ein weiteres Indiz dafür, dass er tatsächlich existiert. Oder was sonst treibt die Islamisten um, wenn nicht die Brutal-Egozentrik, die sie als westlichen Lebensstil geißeln und bekämpfen? Und der gewissermaßen überall als quasireligiöse Bewegung, als Autoreligion, bei uns verbreitet ist.

    Deshalb auch die Heftigkeit, mit der wir auf »Wir sind Papst« reagiert haben. Steht doch der Pontifex – das alte Wort passt – für eine alte Religion, die unserer neuen widerspricht. Dabei müssten wir doch stolz auf Benedetto, vormals Joseph R., sein: Seit Jahrhunderten ist er der erste Deutsche, der es auf dem römischen Siegertreppchen bis ganz nach oben geschafft hat. Ein deutscher Weltmeister. Ein spiritueller Dirk Nowitzki.

    Aber nein, als moderne, aufgeklärte Menschen wollen wir diesen Mann nicht feiern. Diesen linkischen Vogel, der jede emanzipatorische Entwicklung der letzten fünf Jahrhunderte verschlafen zu haben scheint. Der für »konservativ« steht wie kein zweiter, mithin für eine Haltung, die von der Mehrheit unserer Landsleute – Angela Merkel übrigens eingeschlossen – prinzipiell abgelehnt wird. Schon das Wort will keiner mehr benutzen.

    Der Papst steht für Gehorsam. Eine Zumutung! Gerade für die Intellektuellen, die an der Kritischen Theorie Geschulten unter uns.

    Und er steht für bedingungslosen Glauben. Auch nicht mehr zeitgemäß. Wir glauben nicht mehr. Seit unsere Großväter das mit dem kleinen Braunauer so inbrünstig getan haben. Wir prüfen. Und halten bestenfalls für möglich.

    Der Papst steht auch für eine Religion der Liebe. Nicht zeitgemäß, wenn jedes Büro schon vollgestopft ist mit Leuten, die man gar nicht lieben könnte, selbst wenn man wollte. Wieso aber auch immer gleich lieben? Achten ist doch schon viel. Liebe akzeptieren wir bestenfalls für den eigenen Nachwuchs – und das auch nur bis zu einem Lebensalter von etwa dreizehn Jahren.

    Leider verwehren wir uns mit diesen Widerständen aber auch potentiell Positivem: dem Transzendenten. Instanzen, die außerhalb unseres Selbst liegen. Dem Trost durch Welterklärungen, die wir selber nicht liefern können. Auch: Dem Guten als Motivation an sich. Der Selbstlosigkeit. Der Nächstenliebe.

    Wir glauben nicht an das, was uns ein Papst oder sonst irgendein Schamane vorbetet. Wir glauben an uns selbst. An unsere Kraft. An unsere Gestaltungsmacht, unseren Erfolg. Wenn an Liebe, nur an die große – am Ende unserer Psychotherapie.

    Und so entsteht zwangsläufig der Kollektiv-Narzissmus: Wenn keiner mehr darüber steht – wenn kein wohlwollendes höheres Auge mehr auf uns ruht. Nur noch die eigenen. Dann wird eben das Selbst zum Höchsten.

    Gesellschaft ist dennoch möglich. Eine Gemeinschaft, jedoch eine der Selbstbezogenen, Selbstverliebten, die sich aber gegenseitig brauchen. Zur Selbstvergewisserung. Wer, wenn nicht der andere, soll mich und meine Handlungen denn bestätigen? Mich beruhigen in meiner selbstbezogenen prinzipiellen Einsamkeit? Narcissus schaut eben nicht nur in den Teich, nein, er blinzelt auch die schöne Psyche an. Und hofft zu hören: Du bist! Ich habe dich gesehen!

    Eine kollektive Selbstvergewisserungs-Symbiose: Ich nehme dich wahr, du dafür mich. Wenn man beide Augen zudrückt, ist das auch eine Art Nächstenliebe. Unter diesen Umständen muss Narziss Psyche bei der Stange halten. Er muss ja annehmen, dass sie ebenfalls nur um ihrer selbst willen mit ihm verkehrt und sich abwendet, wenn sie sich langweilt …

    Diese Verstrickung verdient für mich einen eigenen Namen. Ich nenne sie Notorismus, von notorisch, auffällig, bekannt, auch: berüchtigt, also mit einem negativen Touch, was für das, was wir hier beobachten, recht angemessen ist. Notorismus, so nenne ich den Kult des Auffallens. Ich falle auf, also bin ich.

    In einem Firmament voller Sterne, die alle gesehen werden wollen, kommt es eben darauf an, heller zu leuchten.

    Die Nächstenliebe aber bleibt. Als Travestie. Oberflächlich gesehen, kann es richtig nett aussehen, wenn Menschen, die auffallen wollen, aufeinandertreffen. Wer wird auch die Hand beißen, die einen füttert: Zum Auffallen oder – in seiner höheren Form – dem Bewundertwerden gehören andere. Und die darf man nicht verprellen.

    Kein Wunder also, dass wir nicht mehr Papst sein wollen! Er passt mit seiner Altphilosophie nicht mehr. Genausowenig wie andere Religionen: Der Zen zum Beispiel, mit seiner Demutsaufforderung: »Lebe wie ein Toter, dann gehst du den anderen nicht so auf die Nerven!« Eine Frechheit. Etwa wie Benedettos Ablehnung der Kondome. Ein Notorist will niemals unauffällig sein. Die anderen sollen ihn ja bemerken und ihm versichern, dass er am Leben ist. Und dass, wenn das feststeht, alles schon irgendwie einen Sinn haben muss: Sum intra altros, ergo sum.

    Nur deshalb grölt der Notorist nächtens im Hochsommer auf dem Balkon so gerne zur CD seiner Lieblings-Rockband mit! Oder übt am Sonntagmorgen, wenn die Hinterhöfe friedlich in der Morgensonne dösen, am offenen Fenster Didgeridooblasen. Der Notorist will auf die Nerven gehen.

    Verständnislosigkeit darüber herrscht nur bei denen vor, die selber gar nicht merken, dass auch sie eingefleischte Notoristen sind. Leute wie R.? Und ich? Deshalb auch R.s Angst vor meiner Bekehrung zum Zen. Er hatte einfach Angst, der Arme, ohne mich Mauler in der Kneipe nicht mehr genug aufzufallen. Diese Angst ist aber unbegründet. Denn der Notorismus ist – auch für uns – zu schön, als dass man ihn so einfach fahren lassen könnte. Da hat Gott (wer?) mindestens 15 Jahre Wandmeditation davor gestellt.

    Der Notorismus passt auch zu uns wie Piercings in der Schamlippe. Er ist eine Religion für alle, die lieber schreien statt nur brav zu applaudieren. Für alle, die Vuvuzelas blasen und gerne Autocorso fahren. Für alle, die bei Hochzeitsstadtrundfahrten am Steuer und an der Hupe sitzen.

    Notorismus

    Der Notorismus kennt nur vier Gebote:

    1) Du sollst keinen Gott über dir haben!

    2) Du sollst jede Lebenslage zum Auffallen nutzen!

    3) Du sollst deinen Nächsten stets achten – als möglichen Bewunderer!

    4) Du sollst nicht schüchtern sein!

    Wer diese Gebote einhält, wird erlöst. Wenn andere dich wahrnehmen und (vielleicht sogar) verehren – dann kann dein Dasein nicht ganz ohne Sinn gewesen sein. Ratlosigkeit und Einsamkeit werden ein Ende haben.

    In der alten schweren Zeit, der Zeit vor dem Notorismus,

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