Schattenspiele: Talkshow: Von der Entbehrlichkeit der Religionen
Von Lo Ony
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Begleitet wird diese Thematik von gesellschaftspolitischen Prozessen, in denen sich die fundamentalistischen Lager der großen Monotheismen, insbesondere das christliche und das islamische, heftige, nicht nur Wortgefechte liefern und als unbelehrbare Brandstifter erweisen. In den USA glaubt immer noch der überwiegende Teil der Bevölkerung an die direkte Einflussnahme eines Gottes auf die Geschicke der Menschen, in Fernsehsendungen setzen sich Glaubensspezialisten mit der unumstößlichen Wahrheit der Bibelaussagen auseinander, in öffentlichen Veranstaltungen, auch in der Bundesrepublik, verbreiten christliche Marktschreier ihre Heilsbotschaften, in Fernsehdiskussionen erhalten fundamentalistische Christen oder Muslime ein Forum, unsägliche Lügen zu verbreiten und zu einem Ethikrat, der den Ausstieg aus der Atomenergie beraten soll, werden religiöse Vertreter in Funktion einer moralische Instanz gebeten, deren Moral am seidenen Faden aus Unwahrheiten, Lügen und vergangener Folter hängt.
Die Darstellung einer fiktiven Fernsehdiskussion, in dem sich vergangene Philosophen zu diesem Thema äußern (Johann Marx, Friedrich Nietzsche, Arthur Schopenhauer, Thomas Paine, Ludwig Feuerbach), greift die Argumentationslinien der Gegner und Befürworter der Religionen auf, um die Entbehrlichkeit und den Unsinn religiösen Denkens und Handelns zu zeigen.
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Buchvorschau
Schattenspiele - Lo Ony
Entbehrlichkeit der Religionen
Imagine there's no countries
It isn't hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion, too
(John Lennon)
Nur die Götter gehn zugrunde,
wenn wir endlich gottlos sind
(Konstantin Wecker)
Dramatis Personae oder Die Gewesenen
Johann Marx (*1846 – +1906)
Friedrich Nietzsche (*1844 – +1900)
Arthur Schopenhauer (*1788 – +1860)
Thomas Paine (*1737 - +1809)
Ludwig Feuerbach (*1804 - +1872)
Vorspiel vor noch nicht laufenden Kameras
In dem tragischen, autobiographischen Roman Eine Geschichte von Liebe und Finsternis von Amos Oz erinnert sich der Autor an seinen Vater, der, vor der Entscheidung stehend, seinen Sohn auf eine religiös-strenge oder eine sozialistische Arbeiterschule zu schicken, meinte, das Ende der Religion sei nah, der Fortschritt dränge sie schnell beiseite, und selbst wenn es ihnen dort gelingen würde, für eine Weile einen kleinen Klerikalen aus mir zu machen, so würde ich doch bald ins Leben hinausgehen und all diesen archaischen Staub abschütteln, auch die religiöse Gesetzestreue würde bestimmt keine bleibenden Spuren bei mir hinterlassen, ebenso wie in wenigen Jahren die religiösen Juden überhaupt, mit all ihren Synagogen, aus der Welt verschwinden würden, so dass alsbald nur noch eine verschwommene folkloristische Erinnerung an sie bliebe. Das haben sich viele für sämtliche Religionen erhofft, gewünscht. Doch sie wurden enttäuscht. Das so genannte Religiöse ist nicht nur nicht verschwunden, es ist lebendiger denn je, es haust in verzückten Sinn suchenden Köpfen und in denen von zerplatzenden Selbstmordattentätern. Es ist keine folkloristische Erinnerung, sondern paranoide, zuweilen immer noch blutige Realität.
Ja. Ich weiß. Und das soll jetzt diese Diskussion zum x-ten Male wiederkäuen?
Die soll endlich einmal Klarheit schaffen!
Lächerlich! Es ist doch wohl schon alles gesagt worden zu diesem Thema.
Das glaub ich nicht. Es gibt doch viel Neues.
Ja, das Altes aufwärmt. Im Grunde kann es nie etwas Neues zu diesem Thema geben, weil gerade bei ihm die Wahrheit nur durch private und öffentliche Verführung und Wahnsinn bestimmt ist. Und damit ist diese Wahrheit keine Wahrheit, sondern von vorneherein Unwahrheit.
Wer kommt denn außer uns sonst noch, weißt du das?
Ludwig kommt. Es wird also so eine richtige Männertruppe, eine alte Männertruppe.
Nicht nur: Eine Frau moderiert. Ist ja so Mode heute, dass eine Frau moderiert.
Kommt Immanuel?
Nein, hat schon abgesagt.
Warum?
Nun, er meinte, er könne zu dem Thema nichts mehr beitragen. Über zweihundert Jahre seien nun seine kritischen Schriften alt. Und was habe sich geändert? – Nichts. Geschichte sei nur ein großer Austausch der Abhängigkeiten und Götter, Mündigkeit eine Illusion, im Grund liefe – das tat mir gut – alles nur auf Macht und deren Erhalt zurück. Und das Volk habe immer noch nicht gelernt, selbst zu denken, ließe sich immer noch verführen; er klang ziemlich verbittert, hatte ich den Eindruck. Er fühlt sich auch missverstanden, glaub ich, kann ich auch verstehen; zuerst entwickelt er ein großes System, in dem er mögliche Erkenntnis auf den Erfahrungsraum beschränkt, die Moral auf den Menschen zurückwirft, seine Verantwortlichkeit herausfordert, und immer noch spekuliert man über seine Gottesgläubigkeit – nur um sich nicht ernsthaft mit dem Kern seiner Arbeit zu befassen.
Er ist selbst schuld, warum hat er sich nicht klarer ausgedrückt, sich nicht klarer abgegrenzt. Na, vielleicht gibt es einen Überraschungsgast. Das ist doch jetzt auch so üblich. Einen Philosophen aus dem Karton. Surprise: hier ist der, der es weiß.
Ja, vielleicht der ....
… der dich so schön biographiert hat?
– oder sein Gesprächspartner oder der Hübsche, mit den langen Haaren. Die haben Erfahrung. Im Fernsehen. Und mit schlauen Feuilletons.
Du scherzt. Das sind doch nur philosophische Talk-Touristen. Das Thema ist zu ernst. Schau dir an, was heute im Namen der Religion wieder alles möglich ist. Und wie sie verteidigt wird: Sie sei es ja nicht, sondern das, was die Menschen daraus machen.
So etwas Lächerliches.
Da kommen die anderen.
„Darf ich vorstellen"
Guten Abend meine sehr verehrten Damen und Herren an den Bildschirmen zu unserer Themensendung Rückkehr der Religionen – wer hat sich diesen banalen Titel denn einfallen lassen? Da gab es doch vor nicht langer Zeit einen Kongress mit gleichem Titel. Rückkehr, Wiederkehr, Renaissance. Waren sie jemals weg? Sollte es nicht besser: Der wiederkehrende Unsinn der Religionen heißen. Postsäkularität? Der Unsinn war auch nie weg. Wir sollten uns über die Entbehrlichkeit der Religionen unterhalten!
Guten Abend, meine Herren. Herren, nur Männer, als seien nur die prädestiniert, dem Thema die notwendige Tiefe zu geben. Na, die Wahl des Chefredakteurs eben.
Wir sind hier zusammengekommen, um, ja, um über was zu diskutieren?
Schlechter Start.
Über Religion? Über Religionen? Über Gott? Ich hätte mich nicht darauf einlassen sollen. Über die neue Religiosität? Auch die „Macht der Religionen", wie ein Wochenmagazin kürzlich titelte, wird Gegenstand unseres Gesprächs sein. Um uns diesen Themen zu nähern, haben wir kompetente Gesprächspartner eingeladen, die sich in ihrer Vergangenheit kritisch mit den Religionen auseinandergesetzt haben. Warum, werden Sie sich vielleicht fragen, besteht diese Runde nur aus Religionskritikern – frag ich mich auch. Wo bleibt die Ausgewogenheit? Einseitigkeit werden uns die Gazetten vorwerfen. In jede Diskussion um Religionen gehören doch auch Vertreter dieser Religionen, nur sie können die Hintergründe und Tiefen ihrer Religion aus erster Hand erhellen und erläutern, werden Sie sagen. Diese werden mit Recht behaupten, dass alle vorgebrachten Argumente von Laien vorgebracht wurden, zwar von Kennern der Religionsgeschichte, aber nicht des Glaubens. Nun, meine Damen und Herren, gerade das war das Ziel unserer Redaktion, nicht, dass angeblich Laien sich mit Religion beschäftigen, sondern Personen, die mit einem objektiven Auge die Religionen betrachten ...
Und nicht nur die, die sich in den Glauben flüchten, wenn man sich den Unwahrheiten nähert.
… und diese Runde nicht zu einer Werbeshow für ihre religiösen Anliegen umfunktionieren. Ich darf Ihnen zunächst meine Gesprächspartner für den heutigen Abend vorstellen, die das Thema mit mir diskutieren – mal sehen, ob wir diskutieren, sind ja doch alle einer Meinung - werden. Zu meiner Rechten ein Mann - ich kann mich nicht genug darüber aufregen, dass die Redaktion nur Männer ausgewählt hat -, auf dessen Schriften sich alle demokratischen Staaten berufen und beziehen können. Die Inhalte eines seiner Hauptwerke: The Rights of Man finden sich in Grundzügen in fast allen demokratischen Verfassungen seit der Französischen Revolution wieder. Mit seinem Spätwerk: The Age of Reason zog er sich, obwohl er wirklich nicht als Atheist bezeichnet werden kann, gänzlich den Zorn der Machthaber und Kleriker auf sich. Wie würden Sie eine der Kernaussagen dieses Buches umreißen?
Nun, meine Meinung wird ganz gut in einem Satz des ersten Kapitels zu Age of Reason dargelegt: „All national institutions of churches, whether Jewish, Christian, or Turkish, appear to me no other than human inventions set up to terrify and enslave mankind, and monopolize power and profit".
[Untertitel]
„Alle nationalen kirchlichen Einrichtungen, ob jüdisch, christlich oder türkisch (islamisch), erscheinen mir als nichts anderes als menschliche Erfindungen, um die Menschen zu beherrschen und zu versklaven und Macht und Reichtum der Herrschenden zu vermehren."
Das Werk meines Gesprächpartners zu meiner Linken wird meistens mit Schlagwörtern und aus dem Zusammenhang gerissenen Aussagen und Bemerkungen paraphrasiert: „Umwerthung aller Werthe, „Nihilismus
, „Alles ist falsch, „Welt als Wille zur Macht
, „Übermensch als Überwinder Gottes und des Nichts; die wohl bekannteste Phrase, wenn ihr Name fällt, ist aber „Gott ist tot
. Wird diese Aussage nicht durch die jüngsten Entwicklungen, das Erstarken der Religiosität – ich werde dazu später noch Beispiele anführen – und die Wiederbelebung des Gottesglaubens widerlegt?
Nein, nicht im Mindesten. Sie erinnern sich: einer der Aphorismen, in dem dieser Passus steht, ist überschrieben mit der „tolle Mensch, es ist also ein vom Wahn Ergriffener, der diese Aussage trifft – und sie ist Ausdruck seines Glaubens. Für mich bedeutet „Gott ist tot
: Gott ist nicht, nicht, er ist nicht mehr. Das er sterben könnte, ermordet durch das morallose Volk ist nur Ansicht des „tollen Menschen, der glaubt, es war einmal ein Gott. Er ist aber auch der „tolle Mensch
, der Gott als den Initiator seiner Moral sieht, die ja nur seine Erfindung ist. Und die vermeintlichen Mörder Gottes führen ihre eigene Moral ad absurdum. Es ist die Moral der Religionen, die er ad absurdum führt, als Beispiel habe ich das Christentum angeführt, aber es betrifft jede Religion. Denn Religionen entwickeln immer eine Moral - um ihre Anhänger zu knechten, die Sklavenmoral aufrecht zu erhalten -, die durch ihren Gott geheiligt ist, und Moral ist, das ist der Gegenstand meiner Thesen in der Genealogie der Moral, Erfindung bestimmter Menschen in bestimmten Zeiten, deren Wahrheit, die es nicht gibt, die nicht ist, Gott ist, der tot ist, nicht ist, nicht war.
Er ist immer noch ziemlich verwirrt.
Ja, wir werden das in der weiteren Diskussion noch vertiefen.
Interessant. Sie hat nichts verstanden.
Neben Ihnen sitzt ein Mann, der, ähnlich einem heutigen Zeitgenossen, Karlheinz Deschner – dessen kritischer Detailreichtum allerdings unübertroffen ist -, das Christentum bis zu seinen Wurzeln kritisiert, dabei mit einer bis heute unübertroffenen Bissigkeit – wenngleich auch äußerst polemisch und einseitig, aber dennoch übertragbar auf alle Monotheismen. Die Entwicklung des Christentums unterliegt Ihrer spöttischen Kritik und erschüttert das gesamte religiöse Fundament und entlarvt es als baren Unsinn.
Leider ohne nennenswerten Erfolg, wer kennt heute noch den Namen Most – und heute: wer kennt denn Deschner?
Den Tenor Ihrer Kritik umschreibt die Eingangspassage zu dem Buch Die Gottespest: „Wie Alles eine Geschichte hat, so ist auch diese Seuche nicht ohne Historie, nur schade, dass es mit der Entwickelung vom Unsinn zum Verstand, wie sie im Allgemeinen aus dem Historismus oft gefolgert wird, bei dieser Art Geschichte ganz gewaltig hapert. Der alte Zeus und sein Doppelgänger, der Jupiter – das waren noch ganz anständige, fidele, wir möchten sagen, gewissermassen aufgeklärte Kerle, verglichen mit den jüngsten Drillingssprossen am Stammbaume der Götterei, welche sich, bei Licht besehen, an Brutalität und Grausamkeit getrost mit Fitzliputzli messen könnten." Glauben Sie, dass die Menschen heute aufgeklärter sind, dass die Religionskritik der vergangenen Jahrhunderte Früchte trägt?
Nein! Jedenfalls nicht viele. Religionskritik ist die eine Seite, Kritik am Gottesglauben die andere, die nicht so stringent verfolgt wird. Viele kritisieren zu Recht das Religionsgebäude, in das sie geboren wurden, die Kirchenhierarchie, lehnen es vielleicht sogar ab, binden sich dann aber an ein anderes Hirngespinst. Religionskritik, Herrschaftskritik sind unverbrüchlich mit Aufklärung und Mündigkeit verbunden, und Mündigkeit im Sinne Immanuels, als selbstverschuldete, kann nur durch eine Aufklärung befördert werden, die das Subjekt selbst will, selbst leistet, dazu gehört auch Auseinandersetzung. Auseinandersetzung mit dem Glauben, mit der Religion, ...
Nicht von ungefähr ist Religionskritik und Aufklärung in der westlichen Welt aus den eigenen Reihen des Christentums erwachsen.
… da reicht eine einfache Ablehnung, Religions- und Glaubensverdrossenheit nicht aus, das führt nur zu anderen Abhängigkeiten.
Grundsätzlich hat sich am wahnwitzigen Glauben an