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Mephisto: Die Lüge des Garten Eden
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eBook364 Seiten4 Stunden

Mephisto: Die Lüge des Garten Eden

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Über dieses E-Book

Dass der Glaube etwas ganz anderes sei als Aberglaube, ist unter allen Aberglauben der größte.
Die 7 Todsünden, die 4 Reiter der Apokalypse, die Höllenwächter und Mephisto?
Nach dem Tod muss jeder Mensch die 7 Prüfungen absolvieren. Nur so kann eine Seele wiedergeboren werden, doch laufen diese Prüfungen wirklich fair ab?

Warum berichtet kein Mensch von diesem spektakulären Ereignis der Wiedergeburt?
Warum hat niemand von ihnen nach seinem Tod mit Gott gesprochen?
Möglicherweise hat ja Gott selbst es verboten? Oder hatte es bis jetzt noch keiner der Teilnehmer durch die Prüfungen geschafft? Vielleicht gibt es auch einfach keinen Gott?
Diejenigen, die es durch die Prüfungen versuchen, werden von den Schülern in Enmas Palast “Survivor” genannt.
Der Verdammte, Shawn, Leonard, Sam, Emelia und Aiko, sie sind die letzte Hoffnung auf ein morgen im so falsch dargestellten Garten Eden.
Die Survivor, sie sind es, die die letzte Hoffnung der Menschheit sind, die letzte Hoffnung im Kampf um den größten Schachzug Mephistos.
Wird es ihnen gelingen? Oder haben die Survivor wirklich einen höheren Wert, als jede Durchschnittsseele da draußen?
Denn der größte Trick des Teufels war es, die Menschen glauben zu lassen, er existiere gar nicht, oder war es am Ende doch Gott selbst, der sich verstecken wollte?
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum23. Juni 2021
ISBN9783966071567
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    Buchvorschau

    Mephisto - Samer El Badawi

    Kapitel 1: Ein ganz normales Leben

    Ein ziemlich normales Leben. Zumindest ziemlich durchschnittlich. Mein Einkommen, meine Freundschaften, meine Freundin, meine Hobbys, alles ziemlich normal.

    Ich machte mich wie immer für meinen Feierabend im Büro bereit. Der Feierabend war für mich der Zeus unter den Bürobegrifflichkeiten, und dass obwohl ich meinen Job gar nicht mal so sehr hasste.

    Ein Großraumbüro, ergonomische Stühle, ein paar Pflanzen. Natürlich unechte dekorative. Ich meine, wer hat schon in einem Großraumbüro die Zeit, jeden Tag alle Pflanzen zu gießen?

    Überall Stellwände mit irgendwelchen ach so tollen Prozessen.

    Die Aussagen „Teambuilding und „Zusammen vorankommen schmücken die sonst so kahlen Stellwände, die mich daran erinnern sollten, dass ich Montag wieder in die Hektik des Büroalltags geraten würde.

    Mein erster Gedanke beim Packen meiner kleinen schwarzen Stofftasche, die mir meine Freundin zum Geburtstag schenkte, ob ich heute noch zum Sport gehe, verflog sofort wieder. „Ich gehe am Sonntag laufen", flüsterte ich abgemüht vor mich hin. Ob ich dieses Selbstversprechen halten würde?

    Mein Blick schweifte durch den Raum.

    An dieser Stelle sah ich die Uhr: Schon wieder Überstunden geleistet. „Sollte ich mir das Geld auszahlen lassen?", dachte ich, als ich mich auf dem Weg zum leeren Treppenhaus meines mittelständischen Unternehmens machte. Überstunden sind für mich wie eine eiskalte Sonne, die mich mit ihrem Zeitausgleich und dem Geld dazu lockt, meine Lebenszeit zu verschwenden.

    Ich war der Inbegriff der Mittelschicht. Auch wenn ich nicht immer so ein anständiger Bürger war, war ich doch ein funktionierendes Glied dieser Gesellschaft. Ein Job, eine Freundin mittleren Alters und eine kleine Wohnung. Ich hatte nicht unglaublich viel vom Leben zu erwarten, aber mir ging es ja auch nicht schlecht, oder?

    Zuerst streifte ich durch die Büros des Erdgeschoßes und kontrollierte, ob alle Lichter ausgeschaltet waren. Dann machte ich mich auf dem Weg zum Innenhof. Nachhaltigkeit ist immerhin ein wichtiges Thema unserer Gesellschaft. Wir könnten es auch „Es ist zu spät, lasst uns doch jetzt damit anfangen und so tun, als wären wir ökologisch angehaucht, um unser Unternehmensbild besser zu verkaufen" nennen. Aber was man nicht alles tut, um sich beim Chef beliebt zu machen.

    Ich führte meinen Gedanken nicht mehr weiter, als ich dieses schon auffällig große, mit falschen Diamanten verzierte Kreuz auf dem Schreibtisch einer Kollegin sah. Ich meine, ich hätte so etwas Auffälliges nicht einfach auf einem leeren Bürotisch liegengelassen, niemand hätte das.

    „Religion, pfiff ich abwertend vor mich hin. Ab wann sprechen wir von Religion? Ich meine, auf der Erde gibt es ja auch das Konzept der Religionsgemeinschaft „Pastafari. Die beten als Parodie zu den Weltreligionen ein fliegendes Spagetti-Monster an.

    „Religion", pfiff ich erneut.

    Ein Konzept, das uns durch Erziehung seit Jahrtausenden mitgegeben wird oder der tatsächliche Beginn der Existenz? Möglicherweise auch Humbug der Naiven und Leichtgläubigen?

    Ich meine, selbst der deutsch-ägyptischer Politologe Hamed Abdel-Samad sagte einst: „Moscheen, Kirchen und Synagogen sind keine Häuser Gottes, sondern Denkmäler seiner Abwesenheit. Sie sind ein Schrei des Bedauerns, dass er mit der Menschheit nicht kommuniziert und eine Hoffnung, dass er irgendwann wiederkehren könnte. Wie eine Frau, die ihre Katze verloren hatte und trotzdem jeden Tag für sie Essen und Wasser an die gleiche Ecke im Hause stellt, auch Jahre nach ihrem Verschwinden."

    Ich war also bei weitem nicht alleine mit meiner Frage über die Existenz Gottes.

    Aber abgesehen von diesem weißen Kreuz war der ebenfalls weiße, standardisierte Schreibtisch ziemlich leergeräumt. Fast schon, als wollte man mir dieses, ich nenne es jetzt einfach mal, „Kunststück" vorführen.

    Darüber hinaus wurde ich selber christlich erzogen, praktizierte aber keine Religion. Ich glaubte durchaus an das Konzept von Gut und Böse, vielleicht sogar an ein Nachleben. Doch Feuer und Flamme war ich nie für das Themengebiet Religion.

    Doch wer konnte sich in unserem fortgeschrittenen Jahrhundert mit dem Thema Nachleben noch so sicher sein? Wissenschaft arbeitete hart gegen jedes Argument der „heiligen Schriften. Außerdem war mir persönlich schon immer zu viel Interpretationsfreiraum in diesen vollkommenen Schriften „Gottes.

    Hieß es nicht gerade „Glaube", weil es keine Beweise für Gottes Existenz gab? Oder musste ich Religion als Bestandteil dieser Welt akzeptieren, da es keine Beweise dafür gab, dass er nicht existierte?

    Er, der Große Allmächtige Gott, der Herr über alles, der Schöpfer von allem, ausgestattet mit der absoluten Allmacht, die über jedes logische Denken des Menschen hinausgeht und sich nicht erklären und nicht hinterfragen lässt. Das hörte sich für mich manchmal nach einem Videospiel an, in dem man alle Cheats gleichzeitig aktiviert hätte.

    Ein relativ kompliziertes Thema, durchaus eine Diskussion wert, doch nicht nach meinem Feierabend mit mir selber.

    Ich schaute noch kurz bei dem Getränkeautomaten im Treppenhaus vorbei. Ich verspürte den Durst nach der kühlen Erlösung, die sich Limo schimpfte.

    Ich war müde; verständlich, immerhin schob ich ja wieder als Einziger hier Überstunden, um meine Chance bei der nächsten Gehaltsverhandlung zu erhöhen, eine Gehaltserhöhung zu erhalten.

    Aber beklagen dürfte ich mich ja auch nicht, immerhin gab es ja Menschen auf dieser Welt, die für mein Leben töten würden, und ja, das meine ich wortwörtlich.

    Doch der Gedanke zur Religion lässt mich genauso wenig locker, wie das Glitzern dieser gefälschten Diamanten auf dem Kreuz meiner Kollegin.

    Ich meine, was machte dieses Kreuz da, nach Feierabend, als einziges Objekt auf diesem Schreibtisch?

    Ich merkte, wie ich trotz des Vorsatzes, nicht mit mir selber zu diskutieren, trotzdem mit mir selbst diskutierte. Eigengedankenkonfrontation, so nannte ich diese Momente des Aufeinanderprallens meiner Meinungen.

    Im Grundsatz war nichts Falsches an der Gemeinschaft einer oder mehrerer Religionen, oder nicht?

    Sie kümmerten sich umeinander, und in den meisten Fällen gaben sie sogar Regeln, um ein friedliches Miteinander zu garantieren, wenn auch zumeist überholt und nicht mehr auf unsere Zeit zugeschnitten, waren die Weltreligionen, um ein Beispiel zu nennen, doch erst diejenigen, die den Weg in ein halbwegs zivilisiertes Leben ebneten.

    Oder waren meine Gedankengänge nur absoluter Blödsinn und Religion war der Grund für faktisch belegte Morde, für Raub, Vergewaltigung und Totschlag? Die Historie zeigte ja viele dieser Fälle in der Menschheitsgeschichte.

    Ich mit meiner persönlichen Meinung hatte nichts gegen das Konzept der Religion im Allgemeinen. Nur ich glaubte halt nicht wirklich an eine genaue Reglementierung.

    Immerhin half die Religion einigen Menschen, ein zufriedenes Leben zu führen, und sie taten der Gesellschaft etwas Gutes, um ihrem Gott als guter Mensch vorgeführt zu werden.

    Man könnte meinen, Gott sei das einzige Wesen, das herrschen kann, ohne wirklich zu existieren.

    Anderseits haben Gebete den Terror auf der Welt, egal, hinter welcher Religion sich die Terroristen gerade versteckten, leider auch nicht aufgehalten. Da würde doch jeder rationale Mensch auf den Gedanken kommen: „Welcher Gott würde denn das ganze Leid der Welt einfach so geschehen lassen?"

    „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Das hat er nun davon!"

    Religiöse würden wahrscheinlich argumentieren, dass das Leben nur eine Prüfung für das Nachleben sei; dass jeder, der in seinem Leben Leid und Schmerz erfahren hat, seinen Ausgleich im Nachleben erhält. Ein schöner Grundgedanke.

    Andererseits schrieb schon der Schriftsteller Peter Fürer: „Die Bibel berichtet mehr als hundertmal von durch Gott befohlenem Mord und Völkermord sowie von 600 weiteren Morden und Massenmorden und rund 1.000 Zorn- und Strafaktionen eines blindwütigen Gottes."

    Auch bis zu meiner Zeit war der religiöse Terror von allen Seiten ein präsentes Thema. Nur weil dieser noch nicht direkt an meiner Haustür klopfte, hieß das nicht, dass ich mir keine Sorgen machen dürfte.

    Ich lachte etwas närrisch vor mich hin, als ich dieses nicht wirklich ernstzunehmende Selbstgespräch fortführte: „Hoffentlich nicht wie mein Gleitzeitsystem. Mit meinen Überstunden hätte ich mir das Paradies auf jeden Fall verdient"; zumindest war das im ersten Moment der Überlegung so.

    Ich dachte es im Humor zu mir selbst, ohne wirklich zu beachten, welchen Blödsinn ich da von mir gab, dann verstummte meine Gedankenstimme. Ich würde nie in den Himmel kommen, würde er denn existieren.

    Denn wirklich gläubig war ich ja auch nicht. „Heide oder „Ungläubiger würden sie mich mit größter Sicherheit nennen. Ich pflegte ja trotz meiner nichtreligiösen Haltung immer mal wieder in religiösen Diskussionen (die in meiner Generation nun wirklich keine Besonderheit darstellten) zu sagen: „Wenn sich der Mensch wegen seiner Religion bekriegt und sich wegen seinem Glauben gegenseitig das Leben nimmt, dann sitzt der Teufel in irgendeiner Ecke dieser Welt und lacht in reinster Ironie."

    Diese Aussage brachte mir schon einige Male Unmut bei Bekannten ein, doch so war es nun mal für mich. Ich war kein Mann, dem man seine Meinung verbieten konnte. Ein charismatischer junger Mann mit einer ach so durchschnittlichen Lebensweise.

    Ich wusste, um ehrlich zu sein auch gar nicht mehr genau, von wem ich diese Aussage hatte, doch sie gefiel mir sehr gut.

    Ich glaubte nicht, und ich zweifelte viel, auch diese Eigenschaften gehörten zu meiner Persönlichkeit. Ich wäre ja nicht so durchschnittlich wie ich bin, wenn ich nicht auch meine Fehler hätte, oder?

    Außerdem war ich noch nie ein guter Vorzeigemensch. Ich war nicht die eine Person, über die die Freunde sprachen, wenn sie über „Erfolg oder eben einen „guten Menschen philosophierten.

    Gut genug, um ein Nachleben zu führen, das dem Paradies gleicht? Ich meine „Das Paradies" war doch viel zu gut für den Durchschnitt, oder nicht?

    Musste nicht jeder von uns ein besonders guter Mensch für das Paradies sein, und war in diesem Konstrukt nicht die schmerzhafte Hölle der einzige Gegenspieler zum Himmel?

    Der schmerzhafte Gegenspieler würde das sein, was auch mich erwarten würde, sollte dieser ganze Blödsinn sich doch als wahr herausstellen. Oder hätte der doch so barmherzige allmächtige Gott auch einen Platz für Zweifler, wie ich es einer war und bin, in seiner perfekten Welt, dem Paradies?

    Ich meine, klar ich war nie wirklich böse, aber war ich denn auch gut?

    Ich streifte noch einige Zeit über den Innenhof meiner Firma, in die übrigens tatsächlich eine kleine Akademie inbegriffen war. Ein Duales System, um die Führungsebene von morgen auszubilden.

    Eigentlich nur ein Knast, der dich dein Leben lang an einem und demselben Ort halten würde, doch was beschwerte ich mich überhaupt? Ich war doch selber schon halbwegs freiwillig ein halbes Jahrzehnt hier. Eine kleine Entscheidung, eine Unterschrift und die Verpflichtungen des Lebens klopften an meine Tür. Von heute auf morgen war mein Leben nicht mehr als montags bis freitags für jemand anderes arbeiten. Durchschnittlich halt.

    Ich beobachtete die Sterne, bis ich mich auf den Weg zum Ausgang machte. Ein ruhiger Moment meiner selbst. Manchmal, aber nur manchmal, war es so, als würde die Welt einen kurzen Stopp einlegen. Ein komisches Gefühl von Liebe durchfloss meine Brust in diesen leider nie langanhaltenden Momenten des Glücks.

    Es war ein schöner Campus. Mit Bäumen an den Seiten errichtet und einer parkähnlichen Struktur. Die Errichtungen hier ließen einen die langen Bürotage durchaus ertragen. Die Büsche, die Pflanzen und die Grünflächen, ja es war durchaus schön hier im weiten Innenhof.

    Außerdem waren ja alle hier im Büro unglaublich nett und freundlich, zumindest, solange du vor ihnen ständest. Fakt war jedoch, dass diese Art des Lästerns scheinbar zum Leben eines Verwaltungs- oder Büroangestellten dazugehörte.

    Ich checkte mich bei dem automatischen Zeiterfassungssystem mit meinem Mitarbeiterausweis aus und ging durch die Schranke, die grün aufleuchtete, um mir zu signalisieren, dass ich passieren dürfte.

    Ein wenig hasste ich diese mich kontrollierende Plastikkarte, die mich als Mitarbeiter auswies. Ein Mitarbeiter „Sieh mich an Welt, ich arbeite für den Traum eines anderen", so zumindest meine gedankliche Vorstellung zur Einführung dieser verfluchten Karten.

    Naja, ich war nun mal auch nicht gewillt, etwas gegen dieses Denken zu verrichten – ein schlafender Kritiker meiner eigenen Gedanken.

    Ich stand nun an der weiten Straße, die mich zu meinem Bus führen sollte und entschloss mich, erst einmal inne zu halten.

    Ich beobachtete einige Sekunden den Himmel. „Schon fast theatralisch, wie der Mond heute scheint", flüsterte ich vor mich hin.

    Der Mond: Er war für einige einst auch ein Gott. Genauso wie die Sonne oder die Sterne. Der Gedanke der Erfindung von Religion ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Doch ich priorisierte den Bus über diesen Gedanken, so verschwand er im Dunkeln meines Unterbewusstseins.

    Dann machte ich mich auf den Weg zum Bus, immerhin wollte ich diesen nach meinen Überstunden keineswegs verpassen. Tag für Tag, immer der gleiche Bus, die gleiche Route.

    Man sollte meinen, ich hätte diese monotonen Fahrten satt. Doch die Ruhe des Moments, wenn ich am Abend genau 36 Minuten, ohne gestört zu sein Musik hörte, und durch die immer gleiche Nachbarschaft dieses vergessenen Stadtteils fuhr – ja, ich schätzte diesen Moment, jeden Tag aufs Neue.

    Heute jedoch war etwas anders. Eine Person hatte sich wohl vorgenommen, meine innere Ruhe ins Wanken zu bringen. Ich konnte nicht einmal beurteilen, ob diese Person mit der Absicht dort saß, um mir Unbehagen zu bereiten, oder ob es Zufall war.

    Auf dem Weg sah ich diesen einen Bettler dort sitzen.

    „Wenn er wollte, könnte er staatliche Leistungen beantragen, ich bin nicht verpflichtet ihm zu helfen." Das war mein erster Gedanke, als ich diesen ausgehungerten Mann in seinen Lumpen am Straßenrand sitzen sah.

    Das Witzige daran war für mich, dass ich im ersten Moment eine Verantwortung für mich sah, diesem Mann zu helfen, und direkt im Anschluss eine Rechtfertigung suchte, um dies nicht tun zu müssen. War der Mensch so aufgebaut? Oder lag es an mir selbst, diesen Gedanken so zu denken?

    Ich unterbrach mich selbst, um diesen Gedanken zu reflektieren. War ich gut oder böse? Würde ich mit so einem Gedanken näher an den Himmel oder an die Hölle rücken? Sofern sie existieren würden natürlich.

    Doch meine Objektivität stand mir im Wege. Ich kannte die Umstände nicht, doch jeder, der wirklich wollte, hätte eine Chance, von der Straße zu kommen, oder nicht? Obdachlosigkeit müsste man an der Wurzel packen und was würde es ihm helfen, wenn ich ihm jetzt zwei Euro geben würde?

    Ich sah meinen Bus an der T-Kreuzung einfahren. Ich hatte keine Zeit, um diesen Gedanken fortzuführen und rannte an dem vom Leben gezeichneten Bettler vorbei. Dann, für einen Moment, schien alles wie in Zeitlupe zu verlaufen. Es schien fast, als würde dieser lächeln, als ich an ihm vorbeizog.

    Nachdem ich in den Bus gestiegen und mich nach ganz hinten links in die Ecke gesetzt hatte, warf ich einen Blick durch die Heckscheibe des Busses, um mich zu vergewissern.

    Ja, er lächelte. Er sah mich nicht direkt an, aber er lächelte. „Ein komischer Kerl", sagte ich zu mir selbst und versuchte sofort, ihn auszublenden.

    War es ein missgünstiges Lächeln oder war er so verbittert und traurig, dass er seine Emotionen hinter diesem Lächeln versteckte? Was wäre denn, wenn ihm die zwei Euro noch gefehlt hätten, um sich was Ordentliches zu essen zu kaufen?

    Es würde mir in zehn Minuten doch noch egaler sein als diese verdammten falschen Diamanten auf diesem Kreuz. So war ich halt, so war der Mensch. Es war doch nichts anderes als diese ganzen Werbungen von Hilfsorganisationen. Wir heucheln zehn Minuten Interesse, Trauer oder ähnliche Emotionen vor und kümmern uns dann wieder um unseren regulären Tagesablauf. Das Leid anderer hat für das Tier „Mensch" keine relevante Priorität.

    „Ein kurzer Moment Mitleid würde sein Leben auch nicht retten."

    Stopp.

    Hatte ich das wirklich gerade vor mich hin geflüstert? War ich vielleicht doch nicht so ein guter Mensch wie ich dachte? Oder war das nun mal der Standard, in dem wir uns bewegten?

    Ich hörte Musik und versuchte, mich und meinen Atem nach dem Sprint zum Bus zu beruhigen. An meiner Bushaltestelle stieg ich aus und ging in Richtung meiner Zwei-Zimmer-Wohnung. In dieser lebte ich mit meiner Freundin zusammen. Ausgerechnet seit letzter Woche interessiert sie sich selbst für Religion, obwohl sie doch in einer atheistischen Familie aufwuchs.

    Sie redete immer so viel über ihre religiöse Gemeinschaft und den Spaß, den sie alle dort hätten. Fast schon sektenartig. Doch sollte sie doch tun, was sie glücklich machen würde. Leben und leben lassen wäre hier die Devise. So lange sie niemanden belästigen oder verletzen würde, wäre es doch egal, ob sie glaubt oder nicht.

    Ich sah sie durch mein Wohnzimmerfenster. Sie bereitete unser Abendessen vor, eine so liebevolle Frau. „War ich emotional stabil genug, um eine Beziehung über mein ganzes Leben aufrecht zu erhalten?", fragte ich mich im nächsten Moment. Sie hatte ein sehr weiches Herz. Zumindest hatte ich sie mit diesem kennengelernt. Ganz im Gegensatz zu mir. Denn der Durchschnittsmensch, der hat kein weiches Herz.

    Ich hinterfragte mich oft sofort selber.

    Unsicherheit? Nein meine „Freunde" würden mich in gewissen Maßen als arrogant bezeichnen. Möglicherweise war ich das auch einfach. Ich akzeptierte ohne Diskussion, sollte jemand mir den Vorwurf machen.

    Als ich meine Wohnung betrat, begrüßte meine Freundin mich aufmerksam. Sie hatte, wie vorhin erwähnt, schon Essen für uns vorbereitet. Ein Fleischgericht mit Kartoffelpüree. Daneben ein wenig Gemüse und ein Glas klares Wasser.

    Ich setzte mich ruhig zu ihr und beantwortete alle ihre Standartfragen zu meinem Tag. Diese erwiderte ich, um einen gesunden Gesprächseindruck zu hinterlassen. Doch eigentlich hasste ich den alltäglichen Smalltalk. Tiefsinnige Gespräche führten wir schon lange nicht mehr. Gleiche Interessen? Fehlanzeige. Aber Filme, Filme sahen wir uns gerne an.

    Wir sahen uns am Abend einen Film an. Ich sah ihr tief in die Augen und küsste sie, während ich gleichzeitig daran zweifelte, dass es das Richtige war, mir eine Wohnung mit ihr zu teilen, obwohl ich ihre dunkelsten Emotionen noch gar nicht kannte. Geschweige denn, dass ich nicht viel dabei spürte, wenn ich meine Zeit mit ihr verbrachte. War ich denn überhaupt wirklich verliebt?

    Sie fing an, mit mir über ihre Sitzung mit ihrer religiösen Gruppe zu sprechen. „Mein Desinteresse könnte nicht größer sein", dachte ich mir, während sie schon anfing, mir von dem ach so großem Vertrauen in ihrer Gemeinschaft zu erzählen.

    Dann erzählte sie mir von ihren ach so spannenden mythologischen Geschichten über den Leviathan und seinen größten Widersacher, den Behemoth, und viele weitere dieser absurd unrealistischen Geschichten, die man kleinen Kindern erzählen würde, um ihnen Angst zu machen.

    Sie sprach mit einer Begeisterung darüber, als wäre Religion ihr neuer Lieblingsanime.

    Völlig unverständlich für mich. Ich drehte mich zu ihr, so dass sie mein Desinteresse wahrnehmen konnte.

    War ich ein Pessimist, wenn ich ihr ins Gesicht sagte, sie würden sie bei der ersten großen Gelegenheit zum Eigennutz verraten werden? „Der Mensch handelt immer nur aus Eigennutz, das ist ja nichts Abnormales." Ich sprach meine Gedanken offen aus. Doch sie war sichtlich enttäuscht von meinem Denken. Nun war es wieder soweit, ich würde aus Schuldgefühlen meine eigene Meinung ändern.

    Ich hatte Mitleid und erklärte ihr, dass ich diese Gemeinschaft ja doch nicht so gut kennen würde, um mir so eine negative Meinung über ihre religiöse Gemeinschaft zu bilden, und ich es außerdem nicht so ernst meinte. Auch wenn das gelogen war, so war sie doch für den Moment emotional befreit.

    Die alte These, dass Religion an sich eine Gefahr für den Frieden war, nicht nur für Angehörige der konkurrierenden Religionen, sondern für alle Menschen, auch für solche, die an gar nichts glauben, machte sich in mir breit.

    Immerhin ein Argument, das jeder nutzte, der Angst vor dem Terrorismus hatte. Wir alle wissen ja, dass immer das Argument gewinnt, dass die meisten Anhänger hat und nicht das, was richtig ist.

    Denn nehmen wir es genau, hat Terrorismus nichts mit der Grundform der meisten Religionen zu tun. Viele doch so Gläubige reagieren sehr ungläubig, wenn ihr Gott oder ihre Heilige Schrift kritisiert oder in Frage gestellt wird.

    Dabei muss doch auch einmal gesagt sein, dass die Wissenschaft in fast zweihundert Jahren mehr für ein zivilisiertes Leben getan hat als das Christentum, der Islam, das Judentum, sprich also, die monotheistischen Religionen in achtzehnhundert Jahren. Egal, ob sie an Jesus als Sohn Gottes, an Allah, Krishna, Buddha oder sonst einen Religionsführer oder eine spirituelle Übermacht glauben. Es scheint, als ergebe für Strenggläubige ein Leben ohne Religion einfach keinen Sinn.

    Galileo Galilei sagte, Zitat: „Ich fühle mich nicht zu dem Glauben verpflichtet, dass derselbe Gott, der uns mit Sinnen, Vernunft und Verstand ausgestattet hat, von uns verlangt, dieselben nicht zu benutzen. Ich meine, ich selbst glaubte ja auch irgendwie an eine übermenschliche Macht bzw. war mir nicht hundertprozentig sicher, dass sie nicht existierte. Nur konnte ich mich schwer mit dem Gedanken abfinden, dass es die eine" Religion geben würde. Es gab doch auch Gutes an jeder Religion. Nur waren auch viele Dinge, die in den Heiligen Schriften standen, nach Interpretation von Extremen die Rechtfertigung für eben diese zu morden.

    Doch auch dieser Gedanke verflog schnell, denn wie ich merkte, hatte ich mal wieder laut gedacht. Sie war erschüttert von meinem Selbstgespräch. Ich konnte mich nur noch auf ein Donnerwetter meiner Lebensgefährtin ausrichten.

    Nun war meine Freundin sauer und diskutierte wild mit mir: Ich sei respektlos und anmaßend, ich hätte keine Ahnung und wäre nur ein Dümmling. In gewisser Weise gab sie mir und meinen Argumenten mit diesen Aussagen ja Recht, doch es wäre zu viel gewesen, darauf in solch einer angespannten Situation, in der die Luft nicht hätte dicker sein können, weiter einzugehen.

    Jedoch wollte sie streiten. Doch sie sollte ihren Willen nicht bekommen, denn ich war zu müde für eine Beziehungsdiskussion und verließ die Wohnung, um eine Zigarette zu rauchen.

    Ich rauchte immer in solchen Situationen. Ich meine, wie jedem Raucher war mir klar, wie absolut schädlich es doch für meinen Körper war. Doch heute ließen mich meine eigenen Gedanken nicht in Ruhe, und ich konnte nur noch daran denken, mich ein wenig zu betrinken und eine Zigarette nach der anderen zu rauchen.

    „Ein Bier, nicht mehr. Ich muss morgen früh wieder ins Büro."

    „Ich war ja so ein guter Mensch, dachte ich vor mich hin; in sarkastischster Weise, versteht sich. Kaum einer Konfrontation entgangen, so wollte ich mich betäuben. Irgendein schlauer Mann sagte einst: „So näher wir dem Frieden kommen, umso näher sind wir dem wahren Kern des Lebens. War vor einer Konfrontation zu flüchten aber auch wirklich Frieden?

    Es hätte auch fast geklappt, ich hätte fast das Lächeln des armen Bettlers vergessen. Doch ich konnte es irgendwie nicht wirklich, ich konnte sein wehleidiges Lächeln nicht vergessen. Ein gebrochenes Lächeln. Es beschäftigte mich so sehr. Gott, ich brauchte wirklich Alkohol, um dieses wehleidige Lächeln zu vergessen.

    Ich war doch ein schlechter Mensch oder war ich nur rational? Konnte der rationale Mensch denn Menschlichkeit mit Rationalität verbinden?

    Egal, auch der Gedanke, ein schlechter Mensch zu sein, kann durch Narzissmus vernichtet werden. Außerdem gab es doch so viele, die viel schlimmer waren als ich. Oder waren sie gar nicht schlimmer als ich, und ich merkte es durch meine Geringfügigkeit selbst nicht. Würde Dummheit vor Strafe schützen am Tag des Jüngsten Gerichts?

    „Toll." Ich hatte meine Wohnung wegen einer religiösen Diskussion verlassen, um mir nun auf dem Weg zur Bar Gedanken über Religion zu machen. Dieser Tag könnte nicht besser laufen. Erneut Sarkasmus versteht sich.

    Warum ließen die Gedanken heute nicht locker? Hätte ich doch nur dieses verdammte Kreuz nicht gesehen, diesen Fluch in Form eines religiösen Symbols.

    Noch zehn Minuten Fußweg zur nächsten Bar. Eine relativ futuristisch angehauchte Bar, mit allen möglichen Verzierungen erbaut. Zumindest wollte sie es sein. „The Silent Angel" war der Name der Bar, die aber meist mit irgendwelchem Gesocks meiner Stadt gefüllt war. Eine Großstadt mit allen Fassetten, die eine Stadt wie diese nun Mal zu bieten hatte. Gutes so wie Böses und auch eine Grauzone, in der ich und die meisten Menschen hier lebten.

    Ich hatte auch wirklich an allem irgendetwas auszusetzen. Ich meine ich, war auch nicht perfekt. Aber wer kritisiert sich schon bei jedem Makel selber? Das würde ja bedeuten, ich würde über gesunde Selbstreflexion verfügen und welcher Durchschnittstyp lernt das so einfach? Nein, starke Selbstreflexion war eine Eigenschaft der Starken und Guten. Nicht so meine eigene.

    In der Bar angekommen bestellte ich sofort das erste Bier. „Ein großes Weizen bitte, sagte ich, und sah den Barkeeper mit einem vorgetäuschten netten Kundenlächeln an. „Wenn schon nur ein Bier, dann wenigsten ein großes, dachte ich und ließ mein Blick durch den Innenraum des „Silent Angel" schweifen.

    Ich sah mich um während ich mir die nächste Zigarette anzündete. „Nicht wirklich was los hier", dachte ich mir und zog weiter an der Zigarette, die mich doch auch nur vergiftete.

    Ein älterer Herr zwei Plätze von mir entfernt, sagte zu mir: „Es ist nicht erlaubt, seinem eigenen Körper zu schaden."

    Doch so wie dieser Typ aussah, blass und fast schon schrumpelig, hatte er zwei Schachtel am Tag über 20 Jahre geraucht.

    „Es ist nicht erlaubt? Wer bist du, mein Vater?", brachte ich in purem Sarkasmus abwertend zum Ausdruck.

    „Nein, nur ein guter

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