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Wer ich bin
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eBook258 Seiten3 Stunden

Wer ich bin

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Über dieses E-Book

Sommer, große Ferien, Meer: Die Zwillinge Teresa und Sus freuen sich seit Monaten auf die Wochen in Griechenland, ohne Eltern. Doch dann wird der Urlaub in letzter Minute abgesagt - und eine gemeinsame Alternative finden sie nicht. Denn plötzlich gibt es Finn, den beide Schwestern mögen. Und Finn entscheidet sich ... Für Teresa und Sus beginnt eine schmerzliche Zeit der Trennung, die sie beide verändern wird.

Sigrid Zeevaert, selbst ein Zwilling, lässt - ganz behutsam und mit einem großen Gespür für die Altersgruppe und die ganze Bandbreite der Gefühle von vor Freude jauchzend bis zutiefst betrübt - beide Schwestern abwechselnd zu Wort kommen.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum13. Aug. 2014
ISBN9783941725317
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    Buchvorschau

    Wer ich bin - Sigrid Zeevaert

    Sigrid Zeevaert

    Wer ich bin

    Sigrid Zeevaert

    Wer ich bin

    Razamba

    Seit Finn da ist, ist alles anders. Teresa und Sus reden nicht mehr wie früher, obwohl sie doch Zwillinge sind und immer auch beste Freundinnen waren. Finn mag Teresa, nicht Sus.

    Und als auch noch der gemeinsame Griechenlandurlaub platzt, kommt es darauf schon nicht mehr an. Im Gegenteil. Beide sind froh, endlich mal ohne die andere zu sein. Teresa freut sich auf die Zeit zu Hause mit Finn, auch wenn da noch die Mutter ist. Und Sus? Die fährt mit ihrem Vater nach Elba. Doch was schon lange zwischen allen schwebt, bricht nun hervor und die Ereignisse überschlagen sich ...

    Sigrid Zeevaert wurde 1960 in Aachen geboren und wuchs mit vier Geschwistern auf. Während ihrer Grund­schulzeit in einer Montessori-Schule begann sie bereits, das Schreiben als Ausdrucksform für sich zu entdecken, auch wenn sie nicht daran dach­te, dass dies einmal zu ih­rem Beruf werden könnte.

    Sigrid Zeevaerts Bücher, die in viele Sprachen über­setzt und mehrfach ausgezeichnet wurden, gehören fast aus­nahmslos dem Genre des realistischen Kin­derbuchs an. Immer wieder ist faszinierend für sie, wie einmalig jede Geschichte für sich ist. Immer wieder mit einem besonde­ren Blick auf die Welt, ins Innere des Menschen, in dem es lebendig und wi­dersprüchlich zugeht, zärtlich und ab­gründig, und alles vorkommen kann.

    Sigrid Zeevaert im Internet: www.sigridzeevaert.de

    © Verlag Razamba Martin Ebbertz

    Boppard 2014

    Alle Rechte vorbehalten.

    Umschlaggestaltung: Stephanie Ubert

    ISBN 978-3-941725-31-7

    www.razamba.de

    E-Book Distribution: XinXii

    www.xinxii.com

    Für meine Kinder

    Johanna, Christoph und Silja

    und meine Schwester Ute

    Sus

    Wer ich bin, möchte ich wissen. Na ja, manchmal stehe ich vor dem Spiegel und denke, da ist doch noch was. Hinter der Stirn und dem Gesicht, unter der Brust, irgendwo in mir drin, wo es vielleicht so eine Art Mittelpunkt gibt. Früher habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht und es nicht mal gemerkt. Früher war ich einfach nur Sus. Auch wenn ich, sobald ich meinen eigenen Namen gehört habe, immer gleich an Teresa gedacht habe. Teresa und Sus.

    Wir sind Zwillinge, zweieiige, und wir sind zusammen, seit es uns gibt. Zum Glück sehen wir uns nicht ähnlich und man verwechselt uns nicht.

    Teresa hatte immer schon dunklere Haare als ich. Meine sind blond. Nicht hellblond. Eher mittel. Ich bin auch ein bisschen größer als Teresa und sportlicher. Teresa ist hübsch. Dafür bin ich neun Minuten älter als sie.

    Manchmal, wenn ich Mama so dastehen sehe, denke ich, wie eng alles gewesen sein muss. Zwei Babys gleichzeitig in einem Bauch. Und dass man überhaupt reingepasst hat.

    Auf den ersten Fotos sind wir noch so klein, zwei Bündel, eins rechts, das andere links von Mama, so liegen wir da. Teresa erkennt man an ihrem dunklen Flaum auf dem Kopf. Ich finde, dass sie schon als Baby die hübschere war. Nicht nur wegen der Haare, die inzwischen ganz dunkel und dicht bei ihr sind, was sie immer stört. Teresa hat eben auch das schönere Gesicht, in dem alles stimmt. Mit Augen, die irgendwie geheimnisvoll sind. Als wäre etwas darin verborgen, was man noch nicht kennt, auch wenn man sie so gut kennt wie ich. Ich gucke oft hin. Und auf ihren Mund. Natürlich ist auch ihre Nase kein bisschen zu krumm. Ich habe mich an meine gewöhnt.

    Zwillinge, sagt man, sind sich besonders nah. Und ich glaube auch, dass das stimmt. Trotzdem gibt es Momente, in denen ich mir wünschte, ich wäre allein. Ohne Teresa. Weil ich schon beim Frühstück nervös bin und nicht will, dass sie es merkt. Ich muss die ganze Zeit daran denken. Dass heute der letzte Schultag vor den Ferien ist und auf dem Schulhof hoffentlich einer steht, mit dem ich gern reden würde, einfach nur so.

    Wir laufen die ganze Strecke bis zur Schule zu Fuß. Schon jetzt ist es warm, beinahe heiß, es ist eben Sommer. Und als wir beim Schultor sind, sehe ich ihn gleich. Wie er dasteht, in seinen rot-schwarzen Vans.

    Wir gehen rüber zu Jenny, Mo und den anderen Mädchen aus unserer Klasse. Bald sind wir die Schule für ein paar Wochen los. Und ich freu mich ja auch. Wie verrückt. Immerhin fliegen wir nach Karpathos, nur Teresa und ich. Wir haben ganz schön gekämpft, bis Mama und Papa überzeugt waren, dass wir alt genug dafür sind. Und außerdem ja zu zweit. Davon abgesehen gibt es da ja noch Tante Elena, die uns vom Flughafen abholen will. Bei ihr werden wir wohnen. Sie ist eine Halbschwester von Papa und lebt schon länger auf Karpathos. Vorher war sie in Paris, wo sie fürs Fernsehen gearbeitet hat. Jetzt schreibt sie an einem Roman. Eines Tages mache ich es vielleicht auch so wie sie und lebe ganz frei. Eines Tages. Nicht jetzt.

    Weil nicht weit entfernt von mir einer steht und ich kurz davor bin, einfach mal zu ihm zu gehen. Letzte Nacht habe ich schon davon geträumt. Ich muss mich nur trauen.

    Ich werfe meine fisseligen Haare zurück.

    In zwei Tagen liege ich mit Teresa an einem Strand, über dreitausend Kilometer weit weg, irgendwo, wo es nur Esel und Ziegen gibt. Und so viele Sterne wie nirgendwo sonst auf der Welt. Die will ich auch sehen. Klar.

    Jetzt hole ich Luft. Drehe mich nicht zu ihm um. Nicke nur und spiele an einer Strähne von meinem Haar, während Jenny gerade von ihrem Vater erzählt, der mit seiner neuen Freundin nach Süddeutschland gezogen ist und sich um gar nichts mehr kümmert. Über Jennys Vater kann man sich aufregen, aber jetzt habe ich anderes zu tun und höre auch nur mit halbem Ohr hin, weil ich mit der anderen Hälfte anderswo bin.

    Gern wäre ich noch näher dran. Zum Beispiel direkt neben ihm. Dann könnte ich wenigstens verstehen, was er sagt. Und ihn auch mal fragen, was er in den Ferien vorhat und ob er außer Leichtathletik auch noch was anderes mag. Beim Sportfest kam er ja an und hat gesagt, dass er mich laufen gesehen hat und glaubt, dass ich, wenn ich ernsthaft trainiere, noch groß rauskommen kann. „Überleg´s dir doch mal!"

    Klar. Ernsthaft trainieren würde ich vielleicht ja sogar. Wenn ich es nicht allein machen muss und er auch Lust dazu hat.

    Immerhin weiß ich, wie er heißt. Ich weiß es von Mo, deren frühere Freundin mal mit ihm Fußball gespielt hat. Mo hat mir davon erzählt, obwohl sie nicht gewusst hat, wie sehr es mich interessiert. Damals hat es das ja auch nicht. Er ist jedenfalls nett. Zumindest glaube ich das. Schon allein, wie er immer guckt. Als wäre er da und gleichzeitig weg. Schon woanders. Ich bin auch gern irgendwo, lasse die Gedanken laufen und gucke, was kommt. Seine rot-schwarzen Vans stehen ihm gut. Und die Jeans und wie er die Haare hat. Und sein Gesicht ist so, dass man es nicht gleich vergisst.

    Teresa habe ich noch nichts von ihm erzählt, weil sie sonst wieder diesen Mitwisserblick aufsetzt. Außerdem will ich es einfach für mich, weil ich ziemlich oft an ihn denken muss, seit er bei den Aushängen plötzlich wieder neben mir stand und gesagt hat: „Und? Hast du noch mal darüber nachgedacht?" So nett hat er mich dabei angeguckt, dass mir die Knie weich geworden sind und ich nur blöd rumgestammelt habe, was mir noch nie passiert ist.

    Sobald wir in der Luft sind, erfährt Teresa es ja.

    Als die Schulglocke schrillt, drehe ich mich zu ihm um. Jetzt wäre ein guter Moment. Ich muss nur auf ihn warten und sagen: „Ich dachte, vielleicht läufst du mal mit mir?"

    Aber meine Knie machen nicht mit und außerdem ist mir schon ganz schwindelig. Obwohl er noch immer nicht guckt. Klar, wenn er die ganze Zeit in ein Gespräch mit seinem Freund vertieft ist. Vielleicht reden sie über Fußball. Vielleicht über Waldläufe, die, wenn man sie allein macht, todlangweilig sind.

    Mein Herz hämmert und ich kann es irgendwie nicht. Bleibe nicht stehen. Sage auch nichts, weil ich plötzlich Angst habe, er könnte denken, dass ich etwas von ihm will. Dabei möchte ich nur gern was sagen, bevor ich vier lange Wochen nach Griechenland verschwinde, ohne dass er weiß, dass ich noch mal darüber nachgedacht habe und es mir vorstellen kann.

    „Zwei Tage noch, höre ich Mo plötzlich neben mir, „dann hebt ihr ab. Sie schiebt ihren Arm unter meinen und drängt mit mir Richtung Tür. „Ihr seid zu beneiden. Ich darf gar nicht daran denken, dass ich bald allein mit meinen Eltern durch halb Amerika muss."

    „Tja, sage ich und spüre, dass er nicht weit hinter uns ist und jetzt vielleicht auch mal guckt. „Nimm dir auf alle Fälle genug Musik und ein paar Ohrstöpsel mit, dann schaffst du es schon. Immerhin kommst du nach Hollywood und San Francisco, da will doch jeder gern hin.

    „Klar. Denkst du ich nicht? Trotzdem hätte ich gern jemanden dabei, mit dem ich auch mal reden kann. Ehrlich, sagt Mo. „Seid froh, dass ihr beiden euch habt.

    „Na ja. Aber dafür wirst du vielleicht entdeckt. Was so schwer daran sein soll, einfach stehen zu bleiben und wenigstens „Hallo! zu sagen, frage ich mich.

    „In Amerika reden sie doch alle nur englisch", seufzt Mo.

    „Und in Griechenland griechisch." Im Gedränge, sage ich mir, während ich neben Mo die Treppe hochgehe, kann man nicht stehenbleiben und mit einem Jungen reden, mit dem man schon die ganze Zeit reden will. So was macht man in Ruhe. Und ohne, dass ein anderer dabei ist und guckt. Mo zum Beispiel. Auch wenn ich natürlich weiß, wovon sie spricht und ja auch froh bin, eine Schwester wie Teresa zu haben.

    Bis in den dritten Stock laufe ich neben Mo her und gucke gar nicht erst zu, wie er um die Ecke verschwindet. Typisch ich. Wenn es darauf ankommt, bekomme ich es nicht hin. Dabei könnte er doch auch zu mir kommen, wenn es ihn interessiert, ob aus mir noch was wird.

    Die Luft in unserer Klasse ist stickig. Wir reißen die Fenster weit auf.

    „Ich glaube, ich weiß, wo ich heute Nachmittag bin", stöhnt Mo, als wir an unseren Plätzen sind. Sie fächert sich mit der flachen Hand warmen Wind zu.

    „Ich glaube, ich weiß es auch", sage ich.

    „Bei dieser Hitze ist doch garantiert die halbe Schule am See", grinst Mo. Und ich horche auf. Mo hat ja recht. Dass ich nicht längst darauf gekommen bin. Bei dieser Hitze hält man es doch sonst nirgendwo aus.

    Ich drehe mich zu Teresa um, die ein paar Reihen hinter mir sitzt und gerade in ein Gespräch mit Jenny vertieft ist. „Verabreden wir uns?"

    „Wann?, fragt Teresa und pustet sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Und wo? Und mit wem?

    Ein paar Zeichen genügen, dann weiß sie Bescheid, nickt und ich drehe mich wieder um, weil die Seebach schon in der Tür steht und guckt.

    Ich suche nach meinem Heft und den Stiften. Dieser Tag fängt an, mir zu gefallen, und er ist noch längst nicht vorbei. Nicht umsonst habe ich letzte Nacht einen Traum gehabt, in dem einer zu mir gekommen ist und mich nach meinem Namen gefragt hat. Sus heiße ich. Wie er heißt, weiß ich ja schon. Und dass er gut Fußball spielt und einen Blick dafür hat, wer im Sprint und auf der Mittelstrecke talentiert ist. Karpathos, die Esel und Ziegen und Tante Elena sind noch über dreitausend Kilometer weit weg. Mit dem Flugzeug sind wir in vier Stunden da. Vorher sind wir noch hier. Zwei ganze Tage, an denen viel passieren kann. Manchmal genügt ein Moment. Am See gibt es viele davon, die anders als diese hier sind, bestimmt. Am See ist viel los und man kann auch mal reden. Und überlegen, wann es am besten passt, dass man sich trifft.

    Teresa

    Es ist heiß und alles klebt schon an mir, dabei habe ich gar nicht viel an. Nur ein Kleid. Dazu die Ballerinas, die ich mir für Karpathos neu gekauft habe. Hellbraune. Mit weißer Kappe. Besser laufe ich sie hier schon mal ein. Auch wenn ich jetzt sitze und die Zeit nicht vergehen will. Klar, sobald man darauf wartet, dass sie es tut, bleibt sie fast stehen und jede Minute kommt einem endlos vor. So kurz vor dem Ziel.

    „Wie spät ist es?", seufzt Jenny neben mir und fasst nach meinem Arm mit der Uhr.

    Sie guckt und stöhnt leise und ich weiß genug.

    „Ich sterbe", murmelt sie.

    „Warte lieber noch ein bisschen damit", sage ich und schiebe ihr einen Kaugummi zu.

    Jenny ist meine Freundin. Genau so wie Mo. Wir sind oft zu viert, in der Schule eigentlich meistens, dabei war ich mit Sus früher immer allein. Es gab einfach niemanden, der zu uns gepasst hat. Früher glaubten Sus und ich, wir beide genügten uns doch, und früher genügten wir uns ja auch. Wir haben immer zusammengesteckt. Sogar in der Nacht. Und es hat lange gedauert, bis jede ein Zimmer für sich allein haben wollte. „Brauchen wir nicht, haben wir immer gesagt und uns auch geweigert, in verschiedene Klassen zu gehen. Wir haben so einen Aufstand gemacht, bis Mama und Papa eingelenkt haben. „Eines Tages, hat Mama gesagt, „werdet ihr schon begreifen, dass ihr in eurem Leben nicht immer nur zusammen sein könnt."

    Ehrlich gesagt, glaube ich, dass sie vielleicht neidisch auf uns ist und eigentlich wissen wir das schon selbst. Wir sind ja nicht blind. Trotzdem verstehen wir uns immer noch gut, und da wäre es doch Quatsch, sich aus dem Weg zu gehen, nur weil alle meinen, dass man es muss.

    Ich glaube, wenn, passiert es von selbst. Es fängt ja schon an. Ich merke es daran, wie Sus manchmal guckt. Es ist anders. Und es gibt etwas, das sie mir nicht sagt. Aber vielleicht irre ich mich. Sus ist nicht wie ich. Ich kann nur schwer etwas für mich behalten, das meiste weiß Sus sofort. Auch wenn man nicht immer gleich merkt, was mit einem ist. Dann wundert man sich, wenn ein anderer einen fragt oder was sagt. Manchmal verträgt man die Wahrheit auch nicht. Dabei will ich mir nichts vorlügen. Und Sus. Oder Jenny, die es gerade noch geschafft hat und auch im nächsten Schuljahr wieder neben mir sitzt. Als sie es erfahren hat, hat sie richtig geheult. Ich fast noch mit.

    Jetzt sitze ich da und es ist ganz verrückt. Ich schwitze, alles klebt schon an mir und trotzdem schleicht dieses Gefühl in mich rein: Dass etwas vorbei ist und man sich verabschieden muss. Dabei wünsche ich mir das letzte Schuljahr bestimmt nicht zurück. Aber alles ist so anders am Ende und feierlich, und plötzlich tut einem manches auch leid. Zum Beispiel Selma, die nach den Ferien nicht mehr in unsere Klasse zurückkommt. Frau Seebach lächelt jetzt, was sie bei Selma nur selten gemacht hat, und sie wünscht ihr viel Glück.

    Selma sitzt da und sagt nichts. Hat einen ganz schmalen Mund. Beißt wahrscheinlich die Zähne zusammen, weil sie nicht losheulen will. Sie war immer so, eher still. Ich glaube, eine richtige Freundin hatte sie bei uns nie. Ich weiß auch nicht, warum. Manches kann man nicht erklären. Und manches fragt man sich auch erst, wenn es zu spät dafür ist.

    „Ich habe Hunger, seufzt Jenny leise, „und Durst und außerdem will ich ein Eis mit ungefähr hundert Kugeln. Sie zieht wieder an meinem Arm, wirft einen Blick auf meine Uhr. „Geht doch!", murmelt sie und fängt schon mal an, ihre Tasche zu packen.

    Ich warte noch einen Augenblick. Höre mir sogar an, was Frau Seebach uns noch zu sagen hat. Obwohl die Zeugnisse verteilt sind und eigentlich nichts mehr schiefgehen kann.

    Sus hat natürlich wieder das bessere Zeugnis, aber das kenne ich ja und es ist mir fast egal. Schließlich gibt es Wichtigeres als das. Zum Beispiel, was man aus seinem Leben noch macht. Da nützen einem gute Noten nicht immer etwas, das weiß auch Sus und bildet sich ja auch weiter nichts darauf ein. Alles, was Schule angeht, fliegt ihr eben zu. Wahrscheinlich hat sie das von Mama geerbt, die immerhin Lehrerin ist. Zum Glück nicht bei uns.

    Die Zeit läuft. Diesmal für uns. Man merkt es daran, dass kaum noch einer sitzt und sich daran stört, dass Frau Seebach noch immer nicht fertig ist. Sie redet und tut so, als ob sie nichts sieht und nichts hört. Als Lehrerin muss sie das wohl, das hat sie gelernt.

    Ich ordne meine Stifte. Ziehe sämtliche Blätter hervor, die sich unter meinem Pult angesammelt haben, während Frau Seebach kurz vor Schluss doch noch mal leicht säuerlich wird und sagt: „Wenn es euch nichts ausmacht, beende ich eben noch meinen Satz."

    Soll sie. Auch wenn der Satz ein langer Satz ist und von Dingen handelt, die uns nicht ganz unbekannt sind. Zum Beispiel was der Sommer für eine Jahreszeit ist und dass mit ihm die Zeit der Reife beginnt und so fort. „Schaut euch schöne Dinge an, sagt sie, „genießt, denkt nach und kommt alle gesund wieder zurück. Wie sie ihren Blick dabei über unsere Köpfe hinwegschweifen lässt.

    Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück und frage mich, warum sie das macht. Doch wohl hoffentlich nicht, weil sie so etwas wie eine Vorahnung hat.

    In den Berghängen von Karpathos gibt es Schlangen. Und Tante Elena hatte schon Besuch von Skorpionen in ihrem Haus. Die kommen überall hin, in die Schränke, aufs Klo, wenn man Pech hat, verstecken sie sich auch in einem Schuh oder im Bett. Sus hat es gestern erst wieder gesagt. Nur aus Spaß. Trotzdem weiß sie, wie sie mir Angst einjagen kann. Ich mag Krabbelzeug nun mal nicht und renne davor sogar weg. Dafür hat Sus vor ganz anderem Angst. Zum Beispiel vor Hunden, die machen mir wieder nichts aus.

    Trotzdem ertappe ich mich manchmal dabei, dass ich mir fast wünsche, irgendwas käme uns noch dazwischen und wir könnten gar nicht erst los. Ich weiß, dass es blöd ist und ich schäme mich ja auch. Sus würde es nie verstehen. Obwohl sie mich kennt.

    Aber es könnte doch sein, dass ich mir ein Bein breche und uns das vor einer echten Katastrophe bewahrt. Zufällig weiß ich von einem, der nur deswegen noch lebt, weil er zu spät am Flughafen ankam und sein Flugzeug verpasst hat, das kurz darauf über dem Atlantik abgestürzt ist.

    Ich ziehe am Saum von meinem Kleid, weil es ein Stück hochgerutscht ist. Es ist mein Lieblingskleid und natürlich nehme ich es mit. Wenn Mama es morgen noch wäscht, reicht das, denn es trocknet ja schnell.

    Die Schulglocke schrillt. Sie schrillt hässlich und tut eigentlich weh in den Ohren. Jetzt schrillt sie schön und die meisten stehen schon. Das Schuljahr ist rum. Endlich haben wir es geschafft.

    Frau Seebach ruft noch: „Bis in sechs Wochen." Dann seufzt sie und packt ihre Sachen wie wir.

    Stühle werden polternd auf die Pulte geklemmt. Ein paar fallen hin und die große Verabschiederei geht auch schon los. Küsschen links, Küsschen rechts und „Machs mal gut! und „Melde dich bloß!

    Sus hat es eilig. „Ich muss aufs Klo, ruft sie mir zu. „Ich warte unten auf dich. Sie winkt, schwenkt ihre Tasche, schon ist sie weg. Und ich werde wieder von irgendjemandem gedrückt.

    Alles ist schön und auch ein bisschen traurig. Obwohl die meisten wahrscheinlich heute Nachmittag schon wieder am See auftauchen, aber das ist etwas anderes. Und Selma zum Beispiel ist heute Nachmittag bestimmt nicht dabei. Sie zieht an den Schlaufen von ihrer

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