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und plötzlich wurde es still
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eBook361 Seiten4 Stunden

und plötzlich wurde es still

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Über dieses E-Book

Memeo wird dreißig - der richtige Zeitpunkt, um erwachsen zu sein. Als er den Kopf in den Wolken hat, gibt es einen sprichwörtlichen Knall mit ungeahnten Folgen. Gleich danach ist alles durcheinander. Erinnerungen verschwinden und sein Körper gehorcht ihm nicht mehr. Die Ärzte sind ratlos.
Zur selben Zeit beginnt eine Sonnenfinsternis, die Memeo vor eine metaphorische Entscheidung stellt: lässt er es dunkel werden oder soll er darauf bauen, dass sein Lebenslicht zurückkehrt?
Was er braucht, sind Glück und vor allem die Hilfe seiner Freunde.
Nach einer wahren Geschichte.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum14. Okt. 2015
ISBN9783739255910
und plötzlich wurde es still
Autor

Thorolf Gorski

Thorolf Gorski (*1979), gebürtiger Schleswig-Holsteiner und Wahlberliner seit 2011, studierte literarisches Schreiben an der Cornelia-Goethe-Akademie in Frankfurt am Main. Neben seinem Dasein als junger Autor ist Thorolf Gorski Trainer für Kommunikation und ausgebildeter Studiosprecher. In einem Interview sagte er: "Beim Schreiben ist es wie in der U-Bahn. Es kann jeden Moment jemand neues Einsteigen." Dadurch möchte er sich bisher in keinem Genre festlegen. Sein Debütroman "Milva Lotti" fand auf Anhieb Anklang. So melden Leserinnen zurück: "Ich fühlte mich ertappt, aber ebenso auf positive Art erkannt und verstanden." "Milva entwickelte sich dank der Leserinnen spontan aus sich selbst heraus, nachdem der Anfang gemacht war", so der Autor. Mittlerweile gilt die Milva Lotti Serie mit dem dritten Teil "HerzSchmelze" als abgeschlossen. Leser munkeln jedoch, es könne ein Spin-off geplant sein. 2015 trat er mit einem Fantasy-Roman "Adept" beim kindl storytelleraward an. Hier zeigt sich, wie vielfältig Thorolf Gorski sein kann. Auch seine Leser melden zurück, dass sie beim Ausprobieren eines anderen Genres nicht enttäuscht worden sind. "Das Buch sprüht vor kreativen Ideen und besticht durch seine Durchdachtheit", so die Bretano Literaturgesellschaft/FFM. In diesem Jahr tritt er erneut an mit einer magischen Verwechslungskomödie. "Die Sache mit dem Sorgenpüppchen" fand schnell viele neue Leser. Außerdem empfehlensich Thorolf Gorskis Ratgeberbücher und therapeutischen Malbücher: Ein Erzählband zum Mitmachen. Leser dürfen einen Stift zücken und aktiv in diesem neuen Buch mitarbeiten. Kurzgeschichten, Märchen und Fabeln führen zu essentiellen Fragen über die persönliche Einstellung. Unterm Strich erhält man ein sehr individuelles "Seelentagebuch". Ein vielversprechendes Konzept und eine wirklich schöne Lesereise. Die therapeutischen Malbücher Bücher bringen den Leser nah an seine gefühlswelt heran. Ein Erlebnis, dass es wert ist auszuprobieren, denn manchmal kommen versteckte Dinge zu Tage, die die Ursache für täglich ablaufende Störprogramme in unserem Verhalten sind. Wer sie aufdeckt, ist keineswegs spontan geheilt, aber er kann mit ihnen arbeiten, statt ihnen ausgeliefert zu sein. Ausprobieren lohnt sich!

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    Buchvorschau

    und plötzlich wurde es still - Thorolf Gorski

    Für all jene, die waren und sind und sein werden.

    Und für alle, die gehen mussten.

    nach einer wahren Geschichte

    Inhaltsverzeichnis

    Epilog

    1-Die Enddiagnose

    2-Das mit der Amsel

    3-Das mit dem Gold

    4-Das mit dem unmöglichen Herzinfarkt

    5-Das mit der besorgten Bambusprinzessin

    6-Das mit dem Netz

    7-Das mit den müden Wachen

    8-Das mit dem Biss

    9-In welchem ich sprachlos werde

    10-In dem alles verschwindet

    11¹-07. Juli / Tag null: An dem ich unfreiwillig eingemummt bin.

    11²--- Memeo --

    11³-09. Juli / Tag zwei: An dem mein Gedächtnis heiß läuft.

    114-10. Juli / Tag drei: An dem wir uns von der ersten Diagnose verabschieden.

    12-In dem mein Verstand auf Stand-by geht

    13-In dem ich unsanft auf eine Grenze stoße

    14-In dem Gesichter bedeutungslos werden

    15-In dem ich mich auf die Schöpfung besinne

    16-In dem sich die Sonne verdunkelt

    17-In dem die Zeit an Bedeutung gewinnt

    18-In dem ich Angst vorm Niesen habe

    19-In dem ich bedenklich viel denke

    20-In dem Sille rumdruckst

    21-In dem ich erstochen werde

    22-Prolog - In dem das Leben blüht

    Norddeutsch und frech

    Die Milva Lotti Reihe

    LESERSTIMMEN ZU MILVA LOTTI

    ROMAN / FANTASTISCHE LITERATUR-Märchenhaft

    ERZÄHLBAND / RATGEBER-Dein Seelentagebuch

    Schmück dich

    Epilog

    Ich beginne mit dem Ende. Den Schluss betreffend sei gesagt: Ich bin gestorben.

    Sterben ist friedlich, aber erst, wenn es soweit ist, denn bis dahin herrscht das Leben. Und nur das bringt uns durcheinander.

    Trotzdem soll niemand glauben, es gäbe kein Leben nach dem Tod.

    1

    Die Enddiagnose

    Jemand betritt das Krankenzimmer.

    Ich prüfe meine Hand. Fidel hält sie noch immer. Weich, fürsorglich und ein wenig klamm, genau so wie vorhin, bevor ich erschöpft eingeschlafen war. Jemand anderes muss es also sein, der dazu kommt.

    Meine Schlaftrunkenheit lässt noch nicht zu, diese Person an ihren Schritten zu identifizieren, vielleicht an typischen Geräuschen, wie denen eines Schlüsselanhängers oder Ähnlichem. Mit geschlossenen Augen überlege ich, ob ich zu erkennen geben will, dass ich das Hinzukommen registriert habe.

    Der ganze Tag war von gut gemeinten Besuchen gefüllt gewesen. Damit meine ich seit 9:00 Uhr. Es muss mittlerweile etwas nach 19:00 Uhr sein. Jeder Besucher hätte sich auf ein Zeichen von mir sicher verständnisvoll zurückgezogen, aber zwanzig Menschen in Reihe einen Korb zu geben, war in meiner Vorstellung anstrengender gewesen, als irgendwann zu demonstrieren, dass ich abbaue und einfach die Augen zu schließen.

    Ich wage nun also einen Blick durch ein Augenlid. Durch das linke, abgewandte, halb im Kissen versteckte. Sobald mein Auge einen Spaltbreit geöffnet ist, schärfen sich auch meine Sinne. Ich rieche etwas Haarspray und Weichspüler, dann drücke ich vorsichtig Fidels Hand.

    Der Kolumbianer erwidert die Bewegung und flüstert: »He´s sleeping.«

    Ein nachfragender Laut gibt meine Freundin Sille zu erkennen: sie ist neunundzwanzig, Erzieherin, Mutter meines Patenkindes. Sie ist gutherzig, was sie nicht gerne zeigt und sie ist ungeduldig, dafür sehr aufrichtig. Sie spricht kein Englisch, wehrt sich auch dagegen anzuerkennen, dass es diese Sprache gibt, glaube ich. Genau das muss sie ihm ohne Worte zu verstehen geben, denn Fidel wiederholt das Gesagte in gebrochenem Deutsch: »Macht er Schlaffen?« Sein kurzer Satz klingt wie eine unsichere Frage.

    Sille antwortet ihm mit einem sauber formulierten: »Aha« und bleibt ansonsten still.

    Fidel, seines Zeichens höflich und niemals fremdelnd, berichtet ihr unter Mühen, dass ich seit etwa einer Stunde schlafe und dass die anderen »sind gegehen«, wie er sagt.

    Sille scheint zu überlegen, denn sie reagiert nicht prompt. Stattdessen macht sie einen kurzen missbilligenden, nicht jedoch unhöflichen Laut mit der Zunge, bevor sie zu ihm sagt: »Ich versteh‘ nur bla, Bahnhof, irgendwas. Du musst schon Deutsch mit mir sprechen oder schneller lernen. Nützt ja nichts.«

    Bisher bin ich immer das vermittelnde Übersetzungsglied zwischen den beiden gewesen, obwohl mein Englisch sich wie eine streunende Katze verhält. Es kommt und geht. Fidel zu verstehen ist überhaupt nicht schwierig, wenn man nur hinhört.

    Nun überlege ich auf Fidels Laut des Nichtverstehens hin, dass ich besser aufwachen sollte, bevor die Beiden weiter von zwei verschiedenen Kontinenten aus miteinander sprechen müssen. So öffne ich schließlich beide Augen und bin bemüht, mich möglichst vorsichtig zu bewegen. Zum einen, um nicht zu riskieren, dass irgendeine externe Versorgungsstation, wie Venenverweilkanüle und Herzkatheter, sich aus dem Pflaster mogelt - man weiß ja nie. Zum anderen, weil ich ja offiziell noch »Schläfft er« gemacht hatte.

    Durch die eingenommenen Medikamente ist mein Gesicht aufgedunsen, und durch das ewige Liegen bin ich ohnehin recht langsam. Müde zu wirken bedarf somit keiner besonders großen Anstrengung.

    Von der Seite strahlen mich Fidels freundliche Augen an, und er begrüßt mich mit einem Kosenamen in seiner Muttersprache. »Cariño!«

    Sille verdreht die Augen. »Geht das schon wieder los?«

    Ich schiebe ein Lachen durch die Nase und sehe zu ihr hinüber. Dann sage ich auf Spanisch: »neuen Haarschnitt«.

    Fidel erwidert fast entschuldigend mit einem Ja, und fasst sich verlegen auf den Kopf. Ich deute mit der Nasenspitze in die Richtung der vehementen Nichtversteherin.

    »Wisst ihr was?« Sille wird ungnädig – im Allgemeinen heikel, sofern ihre Stimme noch eine Nuance giftiger wird. Aber es geht gerade eben. »Also, das hab ich zumindest mitbekommen. Ich kann das nicht ab! Jetzt redet ihr auch noch über mich.«

    »Ja, das hast du also verstanden. Lern Englisch oder Spanisch. Beide Sprachen sind nicht wirklich schwierig«, gebe ich lau zurück und grinse herausfordernd. Die Wahrheit ist, ich spreche bloß ein paar Fetzen Spanisch, obwohl ich nahezu alles verstehe.

    »Sprecht Deutsch!« wirft sie unnachgiebig in unsere Richtung wie einen Kriegshammer.

    Ich gebe nach. Fidel lacht unsicher.

    »Gibt es etwas Neues?«, fragt sie mit einem Anflug von Entschuldigung und legt ihre Handtasche auf einem der zwei Stühle ab.

    »Nein, hier tut sich nichts. Genau wie bei deinem Friseur. Was sind das für Fransen?«, stänkere ich schwach.

    Sie wirft mir einen gekonnten Todesblick zu und ermahnt mich mit ihrer Augenbraue, ihr schleunigst zu antworten.

    Kopfschüttelnd löse ich meine rechte Hand aus der des Kolumbianers und greife nach dem Glas Wasser, das auf dem wenig liebsam aussehenden Nachttisch steht. Mein Mund ist trocken. »Noch nichts Neues. Die Visite war heute Morgen schon, aber sie haben gesagt, dass die Ergebnisse erst heute Nachmittag eintreffen werden.«

    Besorgnis huscht über Silles Gesicht, wie der Lichtkegel eines vorüberfahrenden Scheinwerfers, gleich danach verstummt ihre Mimik wieder. »Steht also noch aus? Wird aber langsam Zeit, oder?« Sie sieht geschäftig auf ihre schlanke Armbanduhr. »Der Nachmittag ist längst vorüber.«

    »Ja, aber wer weiß, ob die überhaupt schon da sind.«

    Dann scharrt sie mit einem Fuß, zieht einen Mundwinkel von Bedenken beschwert nach unten und sieht aus dem Fenster. Draußen herrscht eitler Sonnenschein, so wie es sich für den anstehenden August gehört. »Das Warten ist ja unerträglich.«

    Ich stimme ihr mit einem unsicheren Laut zu und es legt sich drückende Stille über mein Krankenbett. Wie immer in solchen Momenten ist man allseits bemüht, die Stille wieder aufzuheben. Ein paar Fülllaute erklingen: ein Rascheln von Schokoladenpapier, ein Räuspern, ...

    Sille seufzt und als sie sich herumdreht, fällt ihr Blick zielsicher auf die goldene Kette, an der ein kleiner, runder Anhänger neben meinem Herzkatheter im Sonnenlicht aufblitzt. Vielleicht ist es das Gold, das ihr Interesse weckt, vielleicht auch der Diamant, der in der Mitte des Anhängers sitzt wie ein funkelnder Tautropfen. Sie kommt mit neugierigem, beinahe studierendem Blick näher. »Woher kommt die Kette?« will sie wissen.

    Für einen kurzen Moment zucke ich zusammen und wäge ab, ob ich es ihr sagen sollte oder nicht. Sie anzulügen ist zwecklos und gefährlich. Sie würde es auf der Stelle bemerken. Von ihr erwischt zu werden ist wahrlich kein Vergnügen. Da lässt man sich lieber von einer Möwe auf den Kopf kacken. Ihr die wahre Herkunft mitzuteilen würde sie allerdings treffen oder aufregen oder sogar beides. Und das wiederum mag ich nicht besonders. Nicht in diesem Fall, denn sonst lassen wir kaum eine Gelegenheit aus, uns gegenseitig in die Pfanne zu hauen und zu ärgern.

    Sie schiebt Fidel zur Seite. Ich tausche einen ernsten Blick mit der Wand gegenüber. Sille hat bemerkt, dass ich über das Lügen nachgedacht habe und ich suche nach einem Ausweg, während sie die Gravur in dem runden Metallanhänger liest.

    »Ich hab die Kette schon einmal irgendwo gesehen«, sagt sie. Dann rückt sie in mein Blickfeld und will wissen, ob das Juwel in der Mitte teuer und echt ist.

    Ich setze mich auf, um mich ihrem wachsamen Blick zu entziehen und antworte knapp: »Ja, Diamant, schätze ich.«

    Sie scheint jedoch zu bemerken, dass mir die Antwort auf ihre erste Frage nur schwer über die Lippen gehen will, und dass ich sie daher umschiffe.

    Sie lässt von der Kette ab und auch von ihrer aufkeimenden Beweisführung, wahrscheinlich aus Rücksicht, und dreht mir den Rücken zu. Dann greift sie nach ihrer Tasche und zieht ihr Handy daraus hervor. Sie sieht friedlich aus, als sie aufsteht und den Raum durchmisst, trotzdem bin ich misstrauisch. Es ist eindeutig ein lauernder Rücken, den sie mir zudreht.

    Normalerweise braucht sie keine drei Sekunden, um noch einen draufzusetzen, wenn sie nicht bekommt, was sie will. Ich zähle: eins, zwei – da dreht sie sich herum: »Kommt Tarik noch einmal her? Hast du noch einmal etwas von ihm gehört?«

    Ein kurzer Stich trifft mich. Ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen.

    Sille und ich funkeln uns an, während ich gehalten antworte: »Wenn, dann, sobald er aus Berlin zurück ist, nehme ich an.« Ich versuche es unbedeutend klingen zu lassen, aber Fidel riecht den Braten: er meldet sich zurück ins Geschehen und möchte wissen, wer Tarik ist.

    »The guy from …«

    Aus Silles Funkeln wird ein strafender Blick, der quer durch den Raum zu mir schießt. Um den Frieden zu wahren, schwenke ich auf unsere Amtssprache: »... mein Ex-Freund.«

    »Na bitte«, sagt Sille mit einem Hauch von Triumph in der Stimme. »Geht doch.«

    Fidel zieht seine Hand von der Bettkante und sieht betrübt auf einen Stapel Zeitschriften »Ah, comprendo.« Sein Lächeln wird dünn wie Schlaggold.

    Nun wurde doch einer im Raum getroffen, denke ich und sehe mit Nachdruck in das Gesicht meiner Freundin.

    Sie macht eine entschuldigende Geste, geht rückwärts an die Fensterbank und fragt Fidel versöhnlich, ob ihm seine neue Arbeitsstelle gefällt. Eine Weile höre ich ihnen zu, übersetze hier und da, um ihre Unterhaltung glatt zu bügeln. Beinahe vergesse ich darüber, dass ich auf die Enddiagnose warte.

    Als die Tür zum Krankenzimmer jedoch unvermittelt aufgeht und drei Männer in weißen Kitteln eintreten, fällt sie mir wieder ein und damit auch, weshalb ich hier und nicht beim Kaffeekränzchen bin. Mein Herz setzt einmal aus.

    Sie kommen an das Fußende meines Bettes und warten, bis ich mich vollständig aufgesetzt habe. Dann begrüßen sie mich, klären in zwei kurzen Sätzen ab, ob es in Ordnung geht, wenn mein Besuch im Zimmer verweilt.

    Mein Herz holt den ausgelassenen Schlag nach. Ich frage mich, ob ich es bewerten muss, dass diese Frage gestellt wird. Das wird sie sonst auch jedes Mal. Heute allerdings fühlt es sich anders an.

    »Sie dürfen bleiben«, sage ich und schlucke, während sich Fidel von meinem Bett zurücksetzt, um den Ärzten freie Bahn zu geben. Er und Sille sehen angespannt zu den Göttern in Weiß. Ihre Nachricht könnte mein Leben verändern und damit auch das meiner Freunde.

    Seit ich in der Klinik bin, rotieren unser aller Gefühle, und nach der Operation habe ich versucht, nicht daran zu denken, dass es böse ausgehen könnte. Ich glaube, auch dies ist etwas, das ich und meine Freunde uns teilen.

    Einer der Ärzte sieht zu Boden.

    Ich bin unsicher, ob er mit eigenen Dingen beschäftigt ist. Ohnehin frage ich mich, warum sie zu dritt sind. Das sind sie sonst zwar ebenso, aber diesmal fühlt auch dies sich anders an.

    Der leitende Stationsarzt eröffnet den ergebnisbezogenen Dialog: »Herr Ferm, wir haben noch keine Nachricht aus dem Referenzzentrum. Das kann an sich als gutes Zeichen gedeutet werden.«

    »Nun«, steige ich gefasst darauf ein, »aber auf Zeichen werden Sie sich als Schulmediziner nicht verlassen, nehme ich an?«

    Meine Freunde sind aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich fühle mich, als wäre ich allein im Zimmer mit dem einen, sprechenden Arzt.

    »Richtig«, stimmt dieser zu. »Deshalb haben wir den Schnellschnitt hier in der Pathologie noch einmal genauer untersucht.« Er steht da, mit beiden Händen in den Taschen seines Kittels und scheint auf eine Reaktion von mir zu warten. Tut er allerdings doch nicht, glaube ich. Oder doch?

    Trotzdem kommt mir die Sprechpause endlos vor. Ich höre mein Blut rauschen und spüre, wie die Aufregung von innen gegen meine Schädeldecke pocht. Mein Herzkatheter wird enger. Vielleicht, weil mein Puls steigt. Selbst wenn ich niemandem wünsche, jetzt an meiner Stelle zu sein, würde ich jetzt lieber zwischen Sille und Fidel sitzen, als Gast, als Besucher. Niemand anderes soll statt meiner hier im Bett sitzen, aber ich möchte es auch nicht mehr. Ich versuche, meinen Geist zu verschließen und einen dichten Vorhang vor meine Seele zu schieben. Das gelingt mir in letzter Zeit besonders gut. Er soll alles vor mir verborgen halten, außer einer guten Nachricht. Allein für sie lasse ich den Vorhang einen Millimeter weit geöffnet.

    Dass die Schlechte viel gewichtiger ist, spielt in diesem Moment keine Rolle. Ich habe mittlerweile Übung darin, zu filtern, aber heute kommt es mir schwieriger vor als sonst. Also atme ich unhörbar ein und erwarte die Kernaussage des Arztes.

    »Wissen Sie«, spricht er endlich weiter, »es gibt über fünfzig verschiedene Arten dieses Gewebes. Die gängigsten Arten werden natürlich zuerst getestet. Je mehr Zeit man im Referenzzentrum benötigt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es sich hier um eine der am häufigsten auftretenden Arten handelt.«

    Ich nicke stumm. Ist das nun gut oder schlecht? Wenn es kein gängiges Gewebe ist, ist es dann ein eher seltenes? Und wenn dies der Fall ist, wird die Folgebehandlung dadurch gleichermaßen schwieriger? Giftiger? Tödlicher?

    Ich wünschte, Annika wäre jetzt hier. Sie würde den Ärzten die richtigen Fragen stellen, um die Sache auf den Punkt zu bringen. Ich traue mich das nicht.

    »Das Ungewöhnliche in Ihrem Fall«, nimmt der Oberarzt den Rest seiner Einleitung auf, »ist, dass wir diese Art für gewöhnlich nur bei Kindern finden.«

    »Was meinen Sie damit?«

    »Nun, an sich bei Kindern bis zu zwölf Jahren. Manchmal bildet es sich im Kindesalter heraus, und einige Menschen leben sogar damit, ohne dass es sich bemerkbar macht. Sie sterben also eines Tages eines natürlichen Todes.«

    Die Worte »sterben« und »eines natürlichen Todes« klingen aus dem Mund des Arztes so belanglos wie »letzten Mittwoch«.

    Ich habe keine Lust über das Sterben zu sprechen, denn möglicherweise erzählt er mir gleich, dass ich keines natürlichen Todes sterben werde und noch dazu in absehbarer Zeit. Das hat Google gesagt.

    »Es ist also ungewöhnlich, dass sich ein so spezielles Gewebe im Erwachsenenalter noch einmal regt. Vor allem mit der von Ihnen geschilderten Symptomatik.«

    Mein Mund wird wieder trocken.

    Ich will Kaffee und Schokolade.

    Ich will in den Urlaub fahren.

    Ich will nicht dreißig geworden sein.

    Mein Geburtstag ist erst knapp sechs Wochen her. Unfassbar, wie schnell sich alles wandeln kann. Eben habe ich mich noch unberührbar und unsterblich gefühlt. Und nun stülpen sich meine Sinne nach innen, weil mir Gefahr droht. Sie schwirrt seit sechs Wochen um mich und alle meine Freunde herum wie eine dicke, bedrohliche Todesbiene. Am liebsten möchte ich sie Hornisse nennen, aber sie kann nur ein Mal stechen. Ihr Stachel ist seit einiger Zeit schon ausgefahren und blitzt scharf in der Sommersonne.

    Alle wissen, dass sie es darauf abgesehen hat, mich zu stechen. Und alle warten auf den Moment, da sie angreift.

    Meine Freunde sind wie ein zusätzlicher Schutzschild. Sie haben sich um mich herum versammelt, auch wenn sie wissen, dass die Gefahr bereits innerhalb ihres Schutzwalls ist, weil sie von mir ausgeht.

    Jetzt, da die Ärzte eine Enddiagnose aussprechen könnten, es nur leider nicht tun, greift die Biene im Sturzflug an, mit spitzem Stachel voraus. Wenn sie mich trifft, werde ich sterben und mit mir auch ein Teil meiner Freunde.

    Mein Vorhang wird noch ein Stückchen dichter zusammengezogen. Ich schiele, auf der Unterlippe kauend, auf den Spalt darin und denke: Komm schon! Kleine, gute Nachricht, trau dich. Niemand tut dir etwas. Ich glaube an dich, auch wenn du nur ganz klein bist.

    Ich nehme einen Schatten wahr, ein Huschen. Ist das die gute Nachricht? Wie ein Kind vor einem Mauseloch hocke ich da und harre aus.

    Vertraue mir. Komm her zu mir. Es ist nicht schwierig. Ich habe Kuchen für dich oder ein Stückchen Käse, was immer du willst, aber: Komm! Und wenn du kommst, bleib. Doch sie kommt nicht. Innerlich sacke ich vor dem Mauseloch zusammen.

    Ich überlege: Wenn ich sterben muss, dann bitte zügig! Das hier halte ich nicht mehr aus!

    2

    Das mit der Amsel

    Wenn man erwachsen ist und am Morgen seines Geburtstages erwacht, dann hat man nicht mehr das kribbelnde Gefühl im Bauch wie früher. Es werden keine Fragen mehr über Geschenke in Gedanken hin und her gewälzt wie Pralinen im Kakaostaub. Dies bleibt im Allgemeinen den Kindertagen vorbehalten. Mag daran liegen, dass niemand Geschenke im Wohnzimmer bereitgelegt oder Kerzen aufgestellt hat, wenn man Single ist.

    Trotzdem ist das Gefühl an seinem Geburtstag zu erwachen von einem kleinen Lächeln begleitet, sofern man seinen Geburtstag als solchen mag. Ich mag ihn. Und deshalb hatte ich vorgesorgt und nach einem aufregenden, ungewöhnlichen Duft gesucht, um ihn hübsch verpackt auf meinen Küchentisch zu stellen.

    An meinem dreißigsten Geburtstag zu erwachen zeichnete sich mit herzerfüllenden Resten meiner Kindheit und mit der Vorfreude in meinem Gesicht ab, das Geschenk auf dem Tisch zu entdecken. Ich habe eine Schwäche für Geschenke. Der Clou: Ich muss nicht warten, bis Mama kommt und die Kerzen anzündet. Geduld zählt nicht unbedingt zu meinen Stärken. Manchmal jedenfalls.

    Ich schlug also die Augen auf, sah an die Decke und gratulierte mir selbst mit einem Lächeln. Gleich darauf kam mir das Morgenlicht ein wenig feierlich vor und die Bettwärme lud mich ein, mich noch einmal umzudrehen. In der Gewissheit, selbst bestimmen zu können, wann ich zu meinem Geschenk ging, ließ ich in aller Ruhe den Sommer in mein Herz einziehen.

    21. Juni, Mittsommernacht und Sommeranfang!

    Ich ließ den Tag erst auf mich wirken, statt mich wie gewöhnlich wirkungsvoll darin zu platzieren. Dazu hielt ich meine Hände hoch, um die Sonnenstrahlen einzufangen, die morgens durch mein Fenster kommen und einen schönen Bogen über mein Bett ziehen.

    Nachdem das Sommergefühl mich durchfloss, hob ich bedacht meine Bettdecke zur Seite, stand kreislauffreundlich auf und ging mit bereits wachen Beinen in die Küche. Wenn man unvermittelt aus dem Bett springt, schlafen sie meist noch, während man selbst vielleicht schon auf dem Weg zum Auto ist.

    Dem hübsch verpackten Geschenk auf dem Küchentisch begegnete ich mit einem Schmunzeln. Ich riss jedoch die Verpackung nicht gleich auf. Stattdessen machte ich mir zunächst einen Kaffee und ging damit auf den Balkon.

    Im Innenhof streunte der liebestolle Kater, der seit einiger Zeit Tag und Nacht mit herzerweichendem Geschrei um die Gunst einer rolligen Katze zu werben schien. Er flennte noch immer, störte mich an diesem Morgen jedoch nicht. Im Gegenteil, ich erhob meinen Kaffeebecher und wünschte ihm viel Erfolg, statt etwas nach ihm zu werfen.

    Der Schreihals von Papagei in einem der Nachbarfenster erhielt heute eine pfeifende Antwort von mir. Und auch die Dacharbeiter, die seit Tagen in aller Herrgottsfrühe auf den Nachbardächern herumhämmerten, als würden sie darauf übernachten, erhielten einen freundlichen Gruß von mir, als sie mich auf den Pfiff hin bemerkten.

    Es gibt nicht viele Morgende, an denen ich so viel Anteil an allem um mich herum nehme, wie ich es an jenem tat. Doch hatte ich einen bestimmten Grund dafür: Immerhin war ich soeben auf die 30 geschoben worden und damit automatisch in den »Vollerwachsenen-Modus« geraten.

    Ich finde, unter dreißig ist man irgendwie noch halbstark. Aber es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, das an jenem Tag auch für mich zum Tragen kam. Manche machen sich Sorgen, wenn sie auf die Dreißigermarke zusteuern. Im Dingeschön-reden bin ich allerdings sehr gut und daher hatte ich zu diesem Anlass beschlossen: Ich darf mich jetzt als Mann fühlen.

    »Männer sind mit dreißig erst fertig!«, lautet das Gesetz.

    Der Ernst des Lebens nimmt mit der Einschulung vielleicht seinen Beginn und setzt sich mit dem ersten Kuss fort, nimmt seinen Höhepunkt für einen Mann jedoch an seinem dreißigsten Geburtstag, weil er erst dann körperlich voll entwickelt ist und weil sich dann entscheidet, wie er für die nächsten zehn Jahre aussieht.

    Und es gibt Begleiterscheinung, die verschiedene Wertigkeiten haben: Erste Fältchen erfreuen zunächst, ein nicht mehr ganz so leicht zu trainierender Waschbrettbauch gibt einem zu denken; dass man aber traditionell die Rathaustreppe fegen muss, ist meiner Ansicht nach beschämend. Nur weil man nicht verheiratet ist einen solchen Aufriss zu machen, ist tatsächlich sogar peinlich. Schließlich konnte ich nichts dafür, dass ich bisher noch keinen ernst zu nehmenden Heiratskandidaten gefunden hatte oder besser: dass mein Erwählter unvermittelt seine Sachen gepackt hatte und verschwunden war, bevor ich ihn hatte heiraten können.

    Solche Dinge sollten als Argument reichen, dass einem seine Freunde die gesamte Aktion ersparen. Und ich hatte meine Freunde dermaßen gründlich geimpft und mit spontaner Auflösung der Verbindungen gedroht, dass ich mich darauf verlassen konnte, von der Treppe verschont zu bleiben. Anderenfalls wäre ich ins Ausland geflüchtet. Das war Plan B.

    Sicherheitshalber hatte ich vorgesorgt und eine Reise nach Barcelona gebucht. Mein bester Freund Kjell und ich allein in der Sonne, gleich nach Übertreten der Schwelle zum Erwachsenenleben, besser konnte ich es mir nicht denken.

    Eine schwere Arbeitswoche vor und hinter der Kamera und nächtliche Schnittarbeiten lagen hinter mir. Ein freier Tag hatte soeben begonnen, und eine ganze Woche Sonne und Urlaub standen vor der Tür. Angereichert mit den Worten meiner Wahrsagerin - einer Dame, die in einer Spökenhotline für viel Geld die Zukunft voraussah - durfte ich mich auf eine Menge freuen. Sie hatte gesagt, dass sie unglaublich viel Liebe um mich herum sehen würde, und war ganz überwältigt gewesen.

    Während ich schmunzelnd beschlossen hatte, dieses Ego-Push-Up rechtfertigte den Preis von 1,49€ pro Minute, hatte sie davon gesprochen, wie sehr mir das besagte Maß an Liebe helfen würde bei einer Mission, deren Ausgang noch ausstand. Sie hatte Ertrag und Verlust gesehen, Gold und einen Diamanten und eine starke, jedoch gefährdete Verbindung, die sich schleichend im Begriff war zu lösen. Und sie hatte gesehen, dass ich höhere Sphären betreten würde. Ich sollte mich darauf gefasst machen, viel mehr zu sehen, als ein normaler Verstand ohne Vorwarnung zu sehen vermochte.

    Zufrieden hatte ich aufgelegt, die erwähnten Sphären den 9000 Metern Höhe auf dem Weg in die Sonne zugeschrieben und die wildesten Vorstellungen von spanischen Männern in mir aufgerollt, die mir Gold und Diamanten schenken würden.

    Mein Handy riss mich aus den Träumen vom Fliegen, als es klingelte. Ich verließ den Balkon, schloss die Tür und setzte mich mit dem Telefon am Ohr vor mein Geschenk an den Küchentisch.

    Es war meine Freundin Annika, enge Vertraute seit über fünfzehn Jahren, die mir als Erste gratulieren wollte.

    »Guten Morgen, mein Herz«, sagte sie überrascht darüber, dass ich bereits vor 9:00 Uhr ans Telefon ging. »Alles Gute zum Geburtstag. Bin ich die Erste?«

    »Ja, bist du«, schob ich die Halbwahrheit durch das Mobiltelefon.

    »Du lügst, das kann ich hören.«

    »Nein, du bist die erste Frau. Heute Nacht hatte ich Besuch, allerdings von jemandem, dessen Namen ich nicht mehr weiß. Aber er hat mir gratuliert, denn er hat das Geschenk auf meinem Küchentisch liegen sehen und korrekt geschlussfolgert.«

    »Hat er dir auch etwas geschenkt?«

    »Ja, sich«, lachte ich.

    »Igitt! Wenigstens mit Schleife?«

    »Auch das, ...«

    Ich legte mein Kinn auf dem Küchentisch ab

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