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eBook147 Seiten2 Stunden

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Über dieses E-Book

Ein Mann von 68 Jahren in einer für Männer dieses Alters nicht untypischen Situation: Er ist pensioniert, ihm fehlt die Herausforderung durch den Beruf, und dann stirbt auch noch seine Frau Rahel innerhalb weniger Monate an Krebs. Verzweiflung und Schmerz machen sich breit, aber auch Langeweile und Lebensüberdruss. In einem Schweizer Bergdorf lässt er sein gesamtes Leben Revue passieren.
Bruno Amberg stellt sich viele existentielle Fragen: Was hat er getan und geleistet? Welche Höhepunkte hat er erlebt? Hat er noch Pläne, die sich zu verwirklichen lohnen, oder befindet er sich bereits auf einer Bahn, die stetig bergab führt und deren unspektakuläres Ende absehbar ist? Diese Fragen sind einschüchternd, brutal, entmutigend, beschämend.
An einer Stelle des Romans heißt es: »Meine Bilanz, zusammengefasst zwischen dämmrig-kühlen Sandsteinmauern, ist kurz und knapp: Einsamkeit. Nichts bedeutet wirklich etwas. Mir passieren Dinge, aber ich handle nicht. Ich existiere, aber ich lebe nicht. Mir ist, dies sei mir aus einer Lektüre hängengeblieben. Rahel ist tot, und ich bin am Leben. Muss etwas tun gegen die Lebensmüdigkeit, selbst wenn's ein letzter Anlauf wäre.«
In dieser tristen Lebenssituation lernt Bruno Amberg in einer Bibliothek die rund 25 Jahre jüngere Luisa kennen, die anscheinend ein Faible für ältere Männer hat. Eine Liebesgeschichte mit ungewissem Ausgang beginnt.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum17. Dez. 2014
ISBN9783738665956
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Autor

Konrad Pauli

Konrad Pauli, geboren 1944 in Aarberg (Schweiz), Lehrerausbildung, wiederholte Arbeit bei Zeitungsredaktionen, lebt heute in Bern. Er veröffentlichte zahlreiche Prosabände, zuletzt »Ein Heldenleben«, »Seit jeher un­terwegs«, »Marcos Blicke ins Seeland«, »Weitergehen«, »Ein Romantiker in nüchterner Zeit« und »Atempause«.

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    Buchvorschau

    Weitergehen - Konrad Pauli

    Ich gab mir Mühe,

    damit ich nicht

    an Unlust früh verglühe.

    Robert Walser

    Noch diesen letzten Ast des Apfelbaums gilt es zu stutzen, zu formen, bereitzumachen für den Winter und vorzubereiten für das Aufblühen im Frühling. Gleich wird es zu regnen, wenn nicht gar zu schneien anfangen auf solcher Höhe, während unten im Tal der Winter gewiss auf sich warten lässt. Der Versuchung, sich zu beeilen und dabei die falschen Triebe und Zweige zu opfern, ist zu widerstehen. Ein Werk, mit grösster Sorgfalt begonnen, geht kaputt, wenn die Geduld, es zu vollenden, verlorengeht. Der Regen tropft in den Nacken, man könnte sich erkälten, aber dieser Teil muss noch beschnitten werden, morgen bin ich darüber froh. Werde nachher ein paar Scheite in den Ofen legen, den dicken Pullover anziehen und mich auf die Ofenbank setzen. Aufheizen. Mich selbst zum Glühen bringen.

    Eine weitere Nacht hier oben auf der Neuegg. Aufs beste vertraut. In vielen Jahren zur Gewohnheit geworden. Seit zwei Jahren bin ich, Bruno Amberg, ohne Rahel, meine Frau. Meine einzige Frau. Meine Ohren, mein Gehör machte mir Sorgen, klirrte hier und knackte dort – Schäden und Abnützung waren nachweisbar durch den Arzt. Die Behandlung brachte Erklärungen ohne Verbesserung. Und Rahel, zu Recht ein wenig ungeduldig, sagte, es wäre wünschenswert, wenn meine Ohren einer Besserung entgegengingen. Ja, sagte ich, ein wenig hoffend, ja. Rahel hatte bald darauf zwar keine Ohrenprobleme, dafür aber eine versteckte Krankheit, eine Wucherung in Lungennähe, die zu dauerhaftem Husten führte, den kein Arzt, kein Medikament zu lindern wusste. Rahels Krankheit stellte meine Ohrenkrankheit bald in den Schatten – sie war es nun, die zu ernsthafter Sorge Anlass gab. Wie bald sich doch Hoffen und Bangen erschöpften und umschlugen in Ausweglosigkeit. Rahels Weg führte schnurstracks ins Sterben, in den Tod. Was sollen jetzt meine Ohrenprobleme. Sie bleiben mir erhalten, doch niemand spricht mehr darüber.

    Sehe ich all die Dinge rings ums Haus und füge noch hinzu, was drinnen ist, so schrumpft alle Bereitschaft, ja aller Mut, ans Aufräumen zu gehen. Aber auf Dauer geht es so nicht, ganz besonders nicht ohne Rahel. Ihre Abwesenheit füllt jeden Raum, jede Ritze. So zügig hatte sie sich davongemacht; es schien, als sei sie in Eile. Unfähig, mit ihr Schritt zu halten, klammerte ich mich ans Verstehenwollen, ans Trösten, das sich jedoch als wirkungslose Anstrengung entpuppte. Es durfte doch nicht sein, dass die Krankheit Rahel solcherart in Besitz genommen hatte und bloss die Hoffnungslosigkeit als Fratze übrigblieb. Rahel wusste es besser. »Lass mich gehen«, sagte sie lächelnd. Ausserstande, sie eines Besseren zu belehren, musste ich ihr Lächeln gelten lassen. Alles ging so schnell, dass nun Ungesagtes durch die Räume dröhnt und sich Gehör verschaffen will. Zuweilen schäme ich mich, dass die letzte Zeit mit Rahel, ohne zu ahnen, wie bald sie vorbei sein würde, besetzt war vom Ohrenproblem – ich hatte zu klagen, Rahel versuchte zu verstehen, zu beschwichtigen. Trotz all ihrem Bemühen half dies kaum. Das Pfeifen, Ticken, Rauschen und Rumoren in den Ohren übertönte alles, was um Einlass bat in das Denken. So ausdauernd hatte ich mit mir selbst zu tun, dass ich ausserstande war, mitzubekommen, was in Kürze mit Rahel geschehen würde. Als der Augenblick kam, in dem ihre Krankheit offen ausbrach, war es für vieles zu spät. Ungesagtes blieb auf der Strecke. Ungefragt nahm Rahel diesen ganz andern Weg.

    Nun stehe ich da, neben dem aufflackernden Ofenfeuer, verspüre die Wärme, blicke durchs Fenster in den Dämmer und betrachte den beschnittenen Baum. Ein Spatz sucht seinen verlorengegangenen Ast. Er wird sich an die Veränderung anpassen müssen.

    Und alles blieb liegen im Haus – ich sollte doch … heute Abend nicht mehr – morgen ist auch noch ein Tag. Mit Sicherheit kam der andere Tag – und alles war wie zuvor. Niemand hatte mit nachtstiller Hand die Materialien in Ordnung gebracht.

    Jetzt müsste man weggehen, bald wäre es zu spät. Ob es mit Achtundsechzig nicht ohnehin zu spät war? Wie verjüngte man sich andernorts? Wo fände man die Frau dazu? Ein unerhörter, unzulässiger Gedanke. Eine unerlaubte Verlockung. Als hinge das Fortkommen davon ab.

    Doch da war das Angebot des Freundes. Er, der Maler, ginge demnächst für ein halbes Jahr nach New York. In Bern bewohnte er eine Mansarde. In ihr dürfte ich wohnen und leben, wenn ich denn wollte. Veränderung, Abstand von der Neuegg, von den Verhältnissen, sagte der Freund, würden dir guttun. Du musst ausbrechen aus deiner Abgeschiedenheit, musst zurückkehren in die Welt, in das Gewimmel der Menschen – so, als wäre hier oben keine Welt.

    Was wäre zu erwarten von Bern – gerechtfertigt wäre der Aufenthalt bloss durch eine Aufgabe, eine Arbeit. Auffrischung? Was um Gotteswillen soll denn aufgefrischt werden? Welcherart wäre der Gewinn, was brächte ich zurück, wenn ich wieder, was vorauszusehen war, nach oben ginge?

    Muss Holz nachlegen, darf aber nicht jetzt schon zuviel verbrennen. Der Winter steht vor der Tür. In der warmen Stube hat man zuweilen gleichwohl kalt. Dieses Frieren muss eine innere Kälte sein. Wie ihr entgehen …

    Sollte Kuno anrufen, bin aber für eine Antwort noch nicht bereit. Bin unschlüssig – bin ich zu faul? Bin ich ein Opfer der Gewohnheit, ein Gefangener der Verhältnisse, unfähig zu jeglicher Veränderung, zum Aufbruch? In welche Richtung sollten denn Aufbruch und Veränderung gehen? Werde ich unter einem andern Dach ein Anderer? Will ich das? Manches an mir ist mir doch auch lieb. Ist die Liebenswürdigkeit sich selbst gegenüber verdächtig? Auch ein langes Leben ist zu kurz, um auf alles eine Antwort zu geben. Selbst Antworten werden alt und verdorren. Für Vieles ist es ohnehin zu spät. Das Wenige gilt es zu betreuen, zu hegen und zu pflegen.

    Die Stille von draussen gleicht beinah einem Lärm. Es ist, als sei in ihr eine Mahnung, als erwarte sie von mir den nächsten Schritt. Nun gut, ich hole Holz aus dem Schuppen und schnappe nach ein paar Windstössen. Aber da ist keine Bewegung in der Luft, zaghaft winkt das Türlicht in die Dunkelheit. Es leuchtet Jenen, die mich ohnehin nicht besuchen werden. Mir scheint, die Stube, die Küche und jeder Raum seien zu Wartesälen geworden, vollgestopft mit Unabgeholtem – darin nehme ich Aufenthalt und bewege mich wie in einem Provisorium. Früher, in den Jahren mit Rahel, war das nicht so. Mal war ich, mal war sie zuerst daheim. Jeder wusste, kurzum käme der Andere. Man war seine Wege gegangen durch den Tag, hatte Pflichten und Bedürfnisse erfüllt, Abmachungen eingehalten. Nun gab’s ein Abendessen – von ihr, von mir zubereitet, manchmal von beiden. Man teilte sich mit, tauschte Erlebtes aus, wunderte sich und stellte Fragen. Antworten blieben zuweilen Stückwerk, aber das Aufgeworfene hallte nach. Der Rotwein entspannte und beflügelte. Später Lektüre, eine Sendung im Radio oder Fernseher. Die Turbulenzen der Welt purzelten in die Stille und Abgeschiedenheit. Im Bett, vor dem Einschlafen, hielt man sich an der Hand und spürte die Nähe und Wärme des andern Körpers, selbst wenn man sich nicht ineinander verschlungen hatte. Ein wenig knisterte darin das Bedauern, dass es nicht mehr war wie ehedem – aber man war sich nah und vertraute auf die nächste Umarmung.

    Sollte es morgen früh eine Menge Schnee haben, müsste ich mich ins Freie schaufeln. Die zehn Meter bis zum Strässchen. Wie habe ich doch den Schnee geliebt, wie habe ich mit Kraft und Schwung uns beiden den Weg gebahnt. Keine Schneehöhe war mir zu hoch. Es galt, meine Energie und Ausdauer an ihr zu messen. Allemal gelang mir dies; wir hatten Zeit und Laune, bewarfen uns mit Schneebällen, bekamen rote Gesichter, bauten auch mal einen Schneemann oder eine Schneefrau. Jetzt will ich hoffen, dass mir die Arbeit erspart bleibt. Was vormals ein Vergnügen war, ist zur blossen Notwendigkeit geschrumpft. Tief im Wald ruft ein Käuzchen. Was will es von mir? Will es, dass ich bleibe? Es kommt doch ohne mich aus, setzt seinen Gesang oder Lockruf fort, auch wenn ich es nicht mehr höre. Aber womöglich wird es mir fehlen. Wie lange ginge es wohl, bis ich zu benennen vermöchte, was mir fehlt? Was fehlt einem mit achtundsechzig Jahren?

    Fehlendes aufzuzählen geriete allzu rasch zum Klagelied. Auch handelte man sich den Vorwurf ein, versagt und den Mangel nicht rechtzeitig korrigiert zu haben. Ich bin also dankbar für alles, zumindest für Vieles. Für neue Freiheiten, in die mich Rahel ungewollt entlassen hat? Doch wohl kaum. Es schneit, der Holzkorb ist gefüllt, der Ofen wartet. Die Rotweinflasche auch. Und das Buch.

    Die Nacht ist da. Sie hat nichts Erschreckendes, gar Bedrohliches – sie gleicht jeder andern. Im Ofen brutzelt das Feuer; man weiss nicht, wird es Trost bringen oder bloss sich selbst genügen? Mit Rahel hatte man an kühlen Tagen so ein Feuer entfacht, es gut unterhalten und zeitlich in die Länge gezogen – so als wäre es eine Notwendigkeit zum geglückten Tagesende. Nirgendwo anecken, über nichts mehr stolpern am Tagesausklang.

    Ich weiss nicht, ist es der Rotwein oder die Wärme auf dem Ofen oder beides, die mir zu schaffen machen, die die Müdigkeit nähren und mich in solche Gedanken verstricken. Dabei sind sie mir auch mal leicht und lieb gewesen. Nicht alle Gedanken zielen am Leben vorbei. Aber zuweilen laufen sie sich tot; ihrer sind es zu viele.

    Ich muss vom Ofen weg, er verbrennt mir den Hintern. Es ist bald Zeit, schlafen zu gehen. Zwar gelingt das Einschlafen reibungslos, aber nach zwei Stunden bin ich oft mit einem Ruck wach, schrecke hoch, nicht einmal aus einem Traum – einfach so, als wäre der Morgen schon da und zwei Stunden Schlaf seien genug gewesen. Ich weiss, ich werde wieder einschlafen und wieder erwachen. Darauf bin ich gefasst. Im Wachsein horche ich auf die fernen leisen Geräusche der Nacht – ihrer sind hier nicht viele. Eher schon herrscht Totenstille. Welche Geräusche wären denn wünschenswert? Es genügt, den Wind zu hören, die feinsten Ausläufer an der Nase zu spüren, das Käuzchen zu vernehmen und gelegentlich das Knistern und Knacken in den Balken, im Fussboden, in einem Holzschrank. Was geht hier entzwei? denke ich. Vielleicht hält das Knacken ja alles zusammen?

    Mir scheint, der Ofen sei gefrässig und verschlinge mehr Holz als je zuvor. Ein Scheit lege ich noch nach, eines muss für heute genügen. Es gibt welche, die sagen, ein Kaminfeuer tröste. Gerne will ich das glauben, wenngleich mir das schwerfällt. Es klingt wie befohlenes Getröstetsein – wehe, man packt die Botschaft nicht; leicht wird man eingereiht in die dicht besetzte Galerie der Ahnungslosen und Versager. Man kann mich mal. Das Versagen habe ich einzig mir selbst gegenüber zu verantworten. Kein Gericht, keine Instanz wird mich jemals dafür zur Rechenschaft ziehen. Menschsein hat naturgemäss das Misslingen zum Inhalt. Gut, wenn man nicht pausenlos daran erinnert wird. Als Versager hätte man sonst keine Überlebenschance.

    Das Kaminfeuer also genügt sich selbst und tröstet. Zufrieden bin ich, wenn es mich wärmt. Wohligkeit wäre übertrieben, sie wird verhindert durch meine Unruhe. Behaglichkeit scheint ein Fremdwort geworden zu sein. Ein älterer Kerl in Strickjacke und Filzpantoffeln, mit auf dem Schemel ausgestreckten Beinen – vertieft in einen gemäss Zeitschriftenversprechen gescheiten Artikel, daneben ein Glas Wein, ein Traubensaft, vielleicht ein Whisky: Ich fliehe solche Vorstellung.

    Dafür streift der Blick die Bilder, die rundum die Wände füllen; selbst über der Treppe in das Obergeschoss hängen sie dicht an dicht. Jedes Bild hat seine Geschichte – manchmal will die Galerie ins Erzählen kommen, alle Bilder auf einmal. Habe ich Laune, lasse ich mich darauf ein, höre, woran sie mich erinnern, was sie mir erzählen wollen. Vergangenes Leben holt einen ein, sitzt hartnäckig oder

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