Jotunheimen: Wandern in der Heimat der Riesen
Von Klaus Heyne
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In der Tat versammeln sich hier auf relativ kleinem Raum die höchsten Berge Nordeuropas überhaupt, von denen der Glittertind der bekannteste sein dürfte. Jotunheimen ist der höchste Teil der Skanden und liegt zwischen dem Sognefjord im Westen und Valdres im Osten. Das Gebiet umfasst insgesamt eine Fläche von rund 3.500 km², wovon ca. 1.200 km² auf den darin befindlichen Nationalpark Jotunheimen entfallen.
In diesem Gebiet habe ich mit Dagi, Eva und Rolf eine Gebirgswanderung mit einer Wegstrecke von etwa 180 km unternommen. Der Rundkurs begann in Eidsbugarden am See Tyin, führte über Memurubu, Besseggen, Gjendesheim vorbei an Glittertind und Spiterstulen und schließlich durchs Fleskedalen zurück zum Ausgangspunkt.
Der harte letzte Winter und der spät einsetzende Sommer sorgten für reichlich Schnee und Eis im Juli 1987, was der 18 Tage währenden Trekking-Tour schon eine pikante Note gab. Die tagebuchartigen Aufzeichnungen aus der Sicht eines der Protagonisten sollen dem Leser ein vergnügliches Bild der Ereignisse vermitteln.
Klaus Heyne
Klaus Heyne ist 1959 in der Revierstadt Bottrop geboren und dort aufgewachsen. Während des Studiums an der Ruhr-Universität siedelte er nach Bochum und lebt seit Mitte der 80er Jahre dort. Im Herbst 1982 Jahre hatte er den ersten Kontakt zum nördlichen Europa in Form eines Hüttenurlaubs am Nordfjord in Mittelnorwegen. Trotz permanent regnerischer Witterung waren die Eindrücke dieser Reise prägend. Es folgten verschiedene Trekkingtouren in Jotunheimen und nördlich des Polarkreises in Lappland (Kungsleden, Padjelantaleden, Grenzpfad von Troms, Sarek) immer mit dem Ziel, sich frei in der Natur zu bewegen und die zivilisatorischen Zwänge zurückzulassen. "Back to the roots" - die Weite und Freiheit erleben und zu den Urbedürfnissen zurückzufinden ist ein wiederkehrender Aspekt auf seinen Wanderungen. Die Faszination, die von den Landschaften der nördlichen Hemisphäre ausgeht, lässt sich nicht wirklich allein mit Worten beschreiben. Genau wie das Phänomen der Mitternachtssonne muss man diese Faszination selbst erfahren haben.
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Buchvorschau
Jotunheimen - Klaus Heyne
Dienstag, 31.6.87
Erste Etappe: Eidsbugarden - Schneefeld
Vier Paar leuchtend rote Gamaschen bewegen sich voller Elan auf den letzten Metern eines Schotterweges dahin bis dieser plötzlich in weglosem Gelände endet. Die Wegmarkierungen führen uns stetig bergan. Der Boden ist arg feucht, an einigen Stellen bachähnlich. Der Regen lässt bald nach, kehrt nur in Form vereinzelter kurzer Nieselschauer zurück. Jetzt weiß ich definitiv, dass ich wieder „zu Hause" bin! Ich bin froh darüber, der Enge des Autos entronnen zu sein und mich nun aus eigener Kraft durch diese herrliche Landschaft bewegen zu können.
Linker Hand, etwas abseits der Route, nimmt ein jahrtausendealtes Bachbett bereitwillig kaltgraues Schmelzwasser auf und leitet es in den Bygdinsee. Weiter voraus beschreibt der Bach einen Bogen hin zu einem steilen Berghang und Rolf hat Schwierigkeiten, in den gischtenden und sprudelnden Wassermassen das kleine Rinnsal des Vorjahres wiederzuerkennen.
Die Markierungen und Rolfs und Dagis Erinnerungen führen uns am linken Ufer des Sturzbaches höher hinauf. Verzweifelt suchen wir eine Möglichkeit, das über alle Maßen angeschwollene Bächlein sicher zu überqueren. Die Suche führt uns immer höher hinauf bis wir, von Zweifeln geplagt, ob weiter flussaufwärts doch noch ein Übergang möglich sein wird, die Rucksäcke absetzen und Rolf und ich das überspülte steinerne Bachbett intensiver in Augenschein nehmen.
Gletscherbach
Einige verworfene Alternativen später scheint sich nur eine einzige, etwa 5-7 m breite Stelle als Furt anzubieten. Während die erste Hälfte relativ problemlos zu begehen wäre, warten in der zweiten Hälfte starke Strömung und verhältnismäßig tiefes Wasser.
Situationen wie diese sind es, die den Reiz einer derartigen Wanderung zum großen Teil ausmachen. Selbst wenn man im Nachhinein auf die widrigen Umstände schimpft, so möchte man sie doch nicht wirklich missen. Schließlich würde sich eine Wanderung in einer durch zahllose Stiegen und Steige gezähmten Naturlandschaft kaum noch von einem Spaziergang um den Kemnader Stausee in Bochum unterscheiden. Was mich betrifft, so wäre ich enttäuscht von einer Wanderung, die nicht wenigstens ab und zu Forderungen an den Wanderer stellt.
Wir stehen noch immer unschlüssig vor dem Bach, und Rolf und ich planen schon eine kunstvolle Überquerung mit einem Seil als Handlauf und allem Drum und Dran. Skepsis und Missfallen spricht aus den Gesichtern der Damen. Bei dem Versuch, Eva und insbesondere der bei solchen Gelegenheiten zögernden Dagi die abenteuerliche Bachüberquerung schmackhaft zu machen, schweift mein unsteter Blick durchs Tal. Plötzlich nehme ich bewusst einen schwarzen, länglichen Schatten wahr, der nicht so recht zu den natürlichen Formationen seiner Umgebung passen will. Dieses längliche Etwas befindet sich weit unten im Tal, wo der Bach seine Wildheit verliert und sich in mehrere Arme aufspaltet. Das Teleobjektiv der Kamera als Feldstecher missbrauchend, identifizieren wir den länglichen Schatten als eine Notbrücke. Da wir nicht ganz sicher sind, opfert sich Rolf zu einem Erkundungsgang, kehrt später mit positiver Nachricht zurück und so machen wir uns allesamt daran, den bisher so beschwerlich erklommenen Höhenunterschied wieder hinabzusteigen, nur um am jenseitigen Ufer das gleiche Stück erneut