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Der verschwundene Schatz
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eBook265 Seiten4 Stunden

Der verschwundene Schatz

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Über dieses E-Book

In für ihn finanziell schwieriger Zeit besucht Michael Kämpfer 1999 mit seiner jungen Frau ihre Familie in der Türkei. Auf dem Rückweg von den Einkäufen für das Neujahrsfest finden sie in der Provinzstadt Mu?la nahe der Ägäisküste in der Dämmerung in einem Abbruchhaus an einer Gasse einen Sterbenden. Es geht das Gerücht um, er hätte eine Schatzkarte versteckt. Hinter der ist eine Bande her, die von höheren Beamten innerhalb der Polizei gelenkt wird. Im Sommer darauf reisen die Kämpfers wieder aus Hamburg nach Mu?la. Michael hat seine Kletterausrüstung mitgebracht und trainiert an einigen Steilwänden. In einer in einer Grotte in einer schwierigen Wand findet er Goldstücke. Teile eines größeren Schatzes? Nach seinen Recherchen könnte es sich um Artefakte aus dem Schatz eines Diadochen Alexanders des Großen, den es nach wissenschaftlicher Bewertung gegeben habe, der jedoch aus der Bergfestung Kyinda in Anatolien als spurlos verschwunden galt. Mit seinem Bruder Jo, der eine kleine Werft an der Elbe besitzt und Ingenieur ist, stellen sie dem vermeintlichen Schatz nach. Mit einem weiteren männlichen Familienmitglied, der mehr aus Zufall einen der Bandengangster erschießt, als dieser Nachts um sein Haus schleicht, und jenen dann verschwinden lässt, wollen sie das Gold mittels eines höheren technischen Aufwands bergen und die Polizei und Bande ablenken. Ihr Startkapital schaffen sie sich aus dem Verkauf einiger der gefundenen Schmuckstücke. In Zypern soll ein Teil des Goldes in korrupten Kleinbanken eingetauscht und eingelagert werden. Die Kämpfers scheinen der Bande immer einen Schritt voraus. Unter deren Mitgliedern zu Streitereien und der Boss erschießt seine rechte Hand, der ebenfalls Polizist ist. Dieser nimmt sich jetzt der Sache persönlich an.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum27. Juli 2015
ISBN9783956767647
Der verschwundene Schatz
Autor

Mat ter Stienen

Matt ter Stienen, familiärer Hintergrund in Flandern, 1955 im Umland von Hamburg geboren. Studium der Geowissenschaften und Japanologie. In den 68-er Jahren exponiert und politisch aktiv bis in die Gründungsjahre der Partei Die Grünen. Aktivitäten für Nicaragua und Chile, als Vorstand eines Komitees zur Unterstützung politischer Gefangener in Lateinamerika, u.a. mit Isabel Allende und Heiner Geisler. Zahlreiche Fachartikel und freie Mitarbeit für verschiedene Medien sowie zwei Fachbücher und auch Gedichte, meist unter Pseudonymen veröffentlicht. Frühere Tätigkeit z.T. wissenschaftlich, multikulturell, lebte in Boston (USA), Monterrey (Mexiko) und Kyoto (Japan). Hat in der Westtürkei seine zweite Heimat.

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    Buchvorschau

    Der verschwundene Schatz - Mat ter Stienen

    DER VERSCHWUNDENE SCHATZ

    By 

    Matt ter Stienen

    Copyright 2015

    OUTSIDE THE BOX ebook publishing

    eISBN 978-3-956767-64-7

    info@otbebookpublishing.com

    DER VERSCHWUNDENE SCHATZ

    Thriller, Familienstory, Roadmovie

    Von Matt ter Stienen

    Die Gassen von Muḡla

    Es ist eine Geschichte, wie sie nur das Leben, wie sie nur sich selbst schreibt. Unglaublich, voller Unvorhersagbarem, geheimnisvoll, wild, und wie sie auch in der heutigen Zeit doch noch manchmal vorkommt. Nun liegt ihr Anfang schon viele Jahre zurück. Und alles begann mit einer Reise in die Türkei.

    Michael Kämpfer hatte von Hamburg nach Izmir gebucht, mit der Swiss, über Istanbul. Es war der 20. Dezember. Den ganzen Tag über wurde es nicht richtig hell in Mitteleuropa. Während des Fluges teilte der Chef-Stuart an Bord lapidar mit, dass man heute abweichend über Zürich- Kloten fliegen würde, eine Erklärung gab er nicht. Kämpfer war das egal, sogar dass man dann mit einer alten Douglas DC-8 der Turkish Airlines weiterreiste. Im Warteraum des Flughafens Kloten herrschte reges Treiben. Ihm blieben besonders die vielen Frauen mit Kopftüchern der vielfältigsten Muster, langen Röcken und Mänteln im Gedächtnis, die viele Männer mit Oberlippenbärten, gegerbten, braunen Gesichtern, meist schwarze Lederjacken tragend, die vielen Kinder auf den Armen ihrer Mütter, oder unter den Sitzbänken Verstecken spielend, die Mädchen adrett angezogen, die Jungen mit heraushängenden Hemdchen und einige mit Rotznasen. Es war Winter und nasskalt, und auch in der Türkei, sogar an der Westküste, reichten die Temperaturen in diesem Jahr bereits an den Gefrierpunkt heran. Diese Menschen reisten in den Weihnachtsferien zu ihren Verwandten in die Heimat, für manche die erste, für andere inzwischen nur noch die zweite. Aber Mitbringsel waren unbedingt wichtig. So stapelten sich als Handgepäck neben den Bänken Pakete und Päckchen, meist braun und liebevoll mit dicker Schnur doppelt umwickelt und verschnürt sowie große Tüten von Penny, Lidl, Woolworth oder Kika.

    Eigentlich beginnt diese Geschichte noch etwas früher, das Schicksal, das voller Zufälle wie im Würfelspiel daherkam. Der Grund für Kämpfers Reise war eine Frau, seine Zukünftige, Sezen. Sie war türkischer Herkunft, aber in Hannover geboren, wie zwei weitere ihrer sechs Geschwister. Ihre Eltern kamen ursprünglich aus Muḡla, einer Provinzhauptstadt zwischen Izmir und Antalya, nicht weit von der türkischen Ägäis entfernt. Michael Kämpfer hatte die junge Frau bei einem Philosophiekurs in der Volkshochschule kennengelernt, als er noch bei Hannover seine Firma hatte. Philosophie, zumal die stoische, ist Balsam für die geschundene Seele. Statt sich abends in Lokalen und Kneipen zu langweilen oder ständig fern zu sehen, ging er lieber ins Kino, ins Theater, machte Sport, Meditation oder belegte Kurse. Inzwischen hatte er auch etwas Türkisch gelernt, eine nicht ganz leichte Sprache, wie er fand. Er konnte das soweit beurteilen, als er schon mehrere Sprachen erlernt hatte und diese sehr gut sprach. Er war deutlich älter als seine Verlobte, niṣanli. Ohne Verlobung geht es bei den Türken nicht, wusste er jetzt, und dass die Hochzeit eine verdammt große und teure Angelegenheit werden würde. Er freute sich zwar schon aber etwas graute es ihm auch vor all den formalen und etwas steifen Zeremonien. Er hatte fast zwei Jahre gebraucht, um ihr Herz wirklich zu gewinnen. Sogar Gedichte geschrieben, die er mit einer brennenden Kerze und ein paar Trüffelpralinen auf der Motorhaube ihres Autos befestigte, wenn er wusste, dass sie bald aus dem Haus kommen und losfahren würde. Sezen hatte ihre Lehre hinter sich, eine Zeit gejobbt und dann noch ihr Abitur gemacht. Jetzt wollte sie noch studieren, Zahnmedizin oder Betriebswirtschaft. Sie war ein kluges, fleißiges, zuvorkommendes und dazu bildhübsches Mädchen. Er hatte sie gleich in sein Herz geschlossen. Als sie sich kennenlernten, war gerade zuvor ihr Vater gestorben und sie sehr deprimiert. Sie war abgemagert, der Gürtel auf das letzte Loch gezurrt, hing lang seitlich an ihrer Jeans herab. Ständig rauchte sie und hatte vor Trauer und innerlicher Unruhe rosa Fleckchen im Gesicht. Das war nach einigen Monaten zum Glück vorübergegangen und sie hatten sich Stück für Stück erholt. Er und sie hatten sich in dieser Phase an genährt und Vertrauen zueinander entwickelt, sie war auf andere Gedanken gekommen. Inzwischen hatte er auch zwei Schwestern und die Mutter kennengelernt. Diese war mit Sezen eine Woche früher in die Türkei nach Muḡla gereist und sie würden ihn in Izmir am Flughafen abholen, um ihm den Weg zum Busterminal und die Omnibusreise zu ersparen. Ihm hätte dies allerdings nichts ausgemacht, er war schon früher in der Türkei gewesen und konnte hier gut zurechtkommen. Aber die Frauen hatten es sich so in den Kopf gesetzt.

    Kämpfer dachte im Warteraum mit geschlossenen Augen und in den Nacken gelegten Kopf an seine erste Begegnung mit der Türkei. Mit etwa 10 Jahren war er mit seinen Eltern und beiden Geschwistern für drei Wochen nach Bulgarien an die Schwarzmeerküste nahe Burgas gereist. Ein abenteuerlicher Flug mit einer Russischen, Iljushin 18, die, mit ihren 4 Propellertriebwerken so niedrig vom Flughafen Hamburg startete, dass man noch nach 15 Kilometern über den Tennisclub seiner Eltern fliegend dort einzelne Personen erkennen konnte. Beim Rückflug stürmten die deutschen Touristen über das Rollfeld, um die besten Plätze im Flugzeug zu ergattern. Der Strand war schön, sie lernten interessante Menschen aus der ehemaligen DDR kennen, die alle nur von der Flucht träumten und sie freundeten sich mit einem bulgarischen Ehepaar mit Tochter an. Der Anlass hierfür war jedoch alles andere als gut zu nennen. Dr. Christo Georgieff war Chefarzt der Gynäkologie an einem großen Krankenhaus in Sofia. Er verbrachte seinen Sommerurlaub ebenfalls hier am Sonnenstrand und wurde zum Retter von Kämpfers Mutter. Diese hatte dort eine Fehlgeburt erlitten. Verzweifelt suchte die Hotelleitung nach einem kompetenten Arzt. Außer eine Ambulanz mit ein paar Schwestern gab es an der ganzen Küste keinen Arzt oder Krankenhaus. Schließlich fanden sie in einem nur von Bulgaren belegten Hotel Dr. Georgieff. Dieser sorgte für einen Krankenwagen und fuhr mit Kämpfers Vater, der Zahnarzt war, mit Blaulicht wild schlingernd über die schmale Asphaltstraße voller Schlaglöcher und ohne Seitenstreifen nach Burgas in eine Provinzklinik, wo der Doktor aus Sofia die Kürettage vornahm. Kämpfer hörte ihn heute noch sagen (er hatte in Wien promoviert): „Du liberr Gott, hat Frrau geblutet wie aus Wasserrleitung". Sein Vater ihm hatte assistiert. Und alles ging glücklicherweise gut. Seine Mutter erholte sich schnell, konnte jedoch einen gebuchten Trip auf einem kleinen Kreuzfahrtschiff nach Istanbul nicht wahrnehmen, so dass der kleine Michael mit seinem Vater die Reise antreten durfte. Er hatte nicht viele Erinnerungen, nur an die sternenklaren Nächte und die tiefgelbe Mondsichel über dem Schwarzen Meer und die Einfahrt in den Bosporus. Das Schiff legte im Hafen unterhalb von Beyoglu an. Manchmal blieb er alleine auf dem Schiff und durfte seine erste Cola trinken. Sein Vater hatte sich mit dem Trompeter eines berühmten Unterhaltungsorchesters angefreundet und machte nachts mit diesem die Stadt unsicher. Michael erinnerte sich nur an die riesigen Moscheen und die Galaterbrücke, auf der der Verkehr nur zentimeterweise vorankam, weil sie komplett mit verbeulten amerikanischen Straßenkreuzern der 40iger und 50iger Jahre verstopft waren, die damals, etliche Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, schon alt waren. In einer Nacht ging sein Vater mit einem Freund in eine Nachtbar, um beim Bauchtanz zuzusehen. Michael blieb im Taxi beim Fahrer. Er schlief schließlich ein. Großer Lärm, Geschrei und Glocken weckten ihn auf, mit schläfrigen Augen sah er zu den Dächern hinauf, roter Schein überstrahlte die historischen Holzhäuser und näherte sich rasch, erster Rauch stieg in seine Nase. Er öffnete instinktiv die Tür und wollte seinen Vater warnen. Der Taxifahrer lief ihm nach und hielt ihn fest. Er wollte sich losreißen. Da stürzte sein Vater und der Bekannte aus dem Lokal und sie flohen alle mit quietschenden Reifen von dem Ort des Geschehens, als gerade die Feuerwehr um die Ecke bog. Inzwischen hatten die Menschen eine Eimerkette gebildet und so hilflos die Flammen zu bekämpfen versucht, die Feuerwehr spritzte von weitem über die Häuser hinweg, da sie in die schmale Gasse nicht hineinfahren konnte.

    Später kamen seine Eltern zu ihrem zwanzigsten Hochzeitstag nach Istanbul und stiegen im durch einen James Bond- Film bekannten Hilton Hotel ab. Sie mochten die Stadt und seine Mutter handelte im Basar tagelang um einen kleinen, sehr alten Gebetsteppich, der heute in seiner Wohnung an der Wand hing. Sie erwarben auch eine alte hübsch verzierte Kupferkanne, die jetzt auf seiner Fensterbank stand. Er selbst reiste später noch zwei Mal nach Istanbul, aus geschäftlichen Gründen. Er genoss die Stadt sehr, den Flair, die Gassen in den alten Stadtteilen, das Essen, bewunderte die gewaltigen Brücken, die es bei seinem ersten Besuch noch nicht gab, die Gebäude alten Stils am asiatischen Ufer. Daneben machte er gute Erfahrungen mit seinen türkischen Geschäftspartnern, die auch technisch auf dem neuesten Stand waren und ihm gute Komponenten für Heizsysteme lieferten. Und jetzt war er wieder auf dem Weg in die Türkei. Seine Firma gab es nicht mehr. Ein deutscher Geschäftspartner hatte sie mit einem Betrug großen Stils in die Insolvenz getrieben. Kämpfer lebte derzeit nur von seinen Ersparnissen. Er würde sich etwas überlegen müssen.

    Die Georgieffs wurden im weiteren gute Freunde seiner Eltern, Christo, seine Frau Nelli, die ihr Mann immer zärtlich „Nella nannte, sowie die Tochter Simone, die besser französisch als deutsch sprach. Seine Eltern besuchten die Familie mehrfach und machten weite Ausflüge ins Land, die Berge der Rhodopen, ins Rila-Gebirge zum dortigen berühmten Kloster, wo sie auf dem Weg mit dem Auto von Sinti-Kindern mit Steinen beworfen wurden, die Reisende die nichts gaben, verfluchten, wie sie später erfuhren.. Sie sahen die Rosenfelder, die vor der Ernte standen, um Rosenwasser herzustellen. Und Christo schwärmte vom Gemüse und den Früchten Bulgariens und lachte, wenn er an die kleinen Tomaten in Österreich dachte, als er dort gelebt hatte. Er machte dabei eine Hand-Pose, als ob er einen Fußball festhielte, und gab zum besten: „Soo grosss Tomaten in Bulgarrien. Christo Georgieff hatte größere Freiheiten im sozialistischen Bulgarien. Er kam sogar mal nach Deutschland zu Besuch bei seinen Eltern und nahm an einem Gynäkologie-Kongress teil. Er kannte Einfluss reiche Regierungsmitglieder, deren Frauen er behandelt hatte. So konnte er auch mühelos Autoersatzteile für seinen alten Renault importieren, die Kämpfers Vater ihm in Deutschland besorgte. Ob er die Georgieffs je wiedersehen würde? Immerhin war dieses inzwischen mit der offenen Grenze leicht er möglich. Michael Kämpfer war am eindösen, riesige Tomaten zogen im ersten Anflug von Traum an ihm vorüber, als die Ansage zum Einstieg ihn unsanft in die Realität zurückrief: „Zuerst die Sitzreihen 17 bis 34….".

    Der Flug verlief ruhig, nur das Weinen und Wimmern von Kindern war fast ständig zu hören, sie flogen an der Küster Jugoslawiens entlang, das sich in Auflösung befand und quasi im Kriegszustand, erreichten die Dardanellen, und in der einsetzenden Dämmerung erkannte er noch Khos und andere griechische Inseln direkt vor der türkischen Küste. Noch bis nach dem ersten Weltkrieg lebten Millionen von Griechen auch auf dem türkischen Festland, bis sie das Land verließen und dazu auch gedrängt wurden. Kirchen wurden geschlossen, ihr Land neu verteilt. An der Küste reihte sich eine Stätte des griechischen Altertums an die andere, Troja, Ephesos, Kaunos und viele andere mehr. Nach dem Auschecken irrte er durch den Flughafen, bis er auf seine Freundin und deren Mutter stieß, die er beide lange umarmte. Seinem Schatz sah er in die grünen Augen, ohne etwas zu sagen. Er liebte dieses Person mit dem hübschen Gesicht, den betonten Wangenknochen, den festen dunklen Haaren mit Pagenschnitt, die feinen Ohren mit den kleinen Ohrringen gearbeitet als herabhängende, tränenförmige Goldperlen. Auf dem Parkplatz im Auto wartete auch die fast 80ig- jährige Oma, die unbedingt mitbekommen wollte, um Michael zu begutachten, da sie sich noch nicht kennengelernt hatten.

    Die Fahrt verlief zuerst sehr geruhsam, Kämpfers Schwiegermutter saß am Steuer, des Dogan, der türkischen Version eines älteren Fiat -Models. Sie war eine gute Autofahrerin. Sie kannte die Strecke so gut wie auswendig. Früher war sie über 20 Jahre lang jeden Sommer über den Balkan von Deutschland in die Türkei gefahren und saß alleine am Steuer des VW- Bullis, da ihr inzwischen verstorbener Mann nie einen Führerschein erworben hatte. Die warme Nachtluft die vom Meer herüberzog, roch leicht nach Pinienharz. Kämpfer sog sie auf und entspannte sich und war ganz und gar relaxt und dachte keine Sekunde mehr an den Stress der letzten Zeit. Vor Aydin gab es eine Straßensperre des Militärs. Diese waren, wie oft in der Zeit damals, auf Suche nach PKK- Mitgliedern, Waffen und Propagandamaterial im Kampf der Kurden um einen eigenen Staat im Südosten der Türkei. Nach dem Passieren der Sperre schnitt sie ein mit Steinen beladener Lastwagen an einer Abbiegung. Später fiel eine Lampe aus und sie mussten an einer Tankstelle eine Birne kaufen und diese einsetzen. Sie hatten Glück, denn kurz darauf gab es wieder eine Sperre, diesmal der Polizei, die die Verkehrstüchtigkeit der Fahrzeuge überprüfte. Der letzte Teil der Strecke verlief durch eine immer bergiger werdende Region, die Straße schlängelte sich immer wieder in Serpentinen hinauf, zuerst durch Geröllhalden mit gewaltigen Gesteinsbrocken, als ob Riesen sie dorthin geworfen hätte, dann durch ein Felsengebiet, diese waren aus aufeinandergeschichteten Platten pfeilerartig aufgebaut waren, wie man sie aus Cowboyfilmen kennt, die in Arizona spielen. Er sah diese Formationen schemenhaft im fahlen Mondlicht. Dann ging es über einen reißenden Fluss weiter bergauf in einen lockeren Wald aus Aleppokiefern, der angepflanzt worden sein musste, denn alle waren in etwa gleich dick und gleich groß. An einer unbefestigten Parkbucht hielten sie. Aus einer Holzröhre strömte klares, eiskaltes Wasser in ein aus Natursteinen gemauertes Becken. Sie stiegen aus und wuschen sich das verstaubte Gesicht und die Hände. Feiner Staub von den Feldern war irgendwie wohl durch die Heizungsanlage ins Wageninnere gelangt. Es war sternenklar und in der Schlucht tief unten rauschte der schmale Gebirgsfluss an den Felswänden entlang. Bald fuhren sie weiter, erreichten sie eine Art Pass, der Wald hörte auf, eine Ebene öffnete sich, Gehöfte wurden sichtbar, Hochspannungsleitungen, Häuser und kurz darauf an einem Kreisverkehr das Schild von Muḡla. Die Stadt hatte damals etwa 50.000 Einwohner und lag in der Ebene zwischen zwei parallel zur Küste verlaufenden Bergzügen auf 670 Metern über dem Meeresspiegel. Der östliche Bergzug, an dem sich die Altstadt hinaufzog, hatte eine Höhe von etwa 1200 Metern, die Berge dahinter waren über 2000 Meter hoch und tief verschneit, wie er am nächsten Tag sehen würde.

    Sezens Mutter hatte ihre beiden Häuser nebeneinanderliegend im oberen Teil der Altstadt. Die steil ansteigenden Gassen wurde dort immer enger und so mancher Taxifahrer traute sich nicht dorthin, wohl aber Kämpfers zukünftige Schwiegermutter, die zügig hinauffuhr und vor dem Haus mit der in Türkis gestrichenen Doppeltür anhielt. Alle Häuser waren dicht aneinander gebaut und hatten einen Innenhof und meist auch einen kleinen, rechteckigen Garten mit Obstbäumen wie Walnüsse, Orangen, Mispeln oder Weinreben. „Unser" Haus, wie auch Kämpfer es bald bezeichnen würde, hatte zwei Stockwerke, unten das quadratische Wohnzimmer mit dem Holzofen, dahinter die Küche, und dahinter an einem Flur Bad, Toilette und zwei Zimmer. Im zweiten Stock, den man über eine Marmortreppe vom Hof aus erreichte, dieselbe Anordnung. Er bekam das helle Zimmer über dem Wohnzimmer zugewiesen, mit einem breiten Doppelbett, einer Sitzgarnitur mit Couch und Sesseln und einer Schrankwand mit Glastüren, hinter denen unzählige kleine Kristallfiguren säuberlich aufgestellt waren, die bei Erdstößen, wie er sie später bisweilen erlebte, wie Glöckchen im Wind klimperten. Es war bitterkalt, um die Null Grad, hier für diese Jahreszeit dennoch zu kühl. Unten wurde der Ofen eingeheizt und bald stieg auch wohlige Wärme ins obere Zimmer. Alle hatten sich in Wolldecken gehüllt und tranken heißen Tee. Es war schon Mitternacht vorbei. Sie waren sehr müde. Der Oma ging es nicht sehr gut. Sie legte sich auf eine Couch im Wohnzimmer und schlief bald ein. Die drei redeten noch leise ein Weilchen und gingen dann zu Bett.

    Der Morgen war wunderschön, kein Wölkchen am Himmel, aber immer noch sehr kalt. Sezen kam zu ihm ins Bett und sie kuschelten sich warm. Der Boiler war schon eingeschaltet und so konnten sie sich warm waschen. Danach aßen sie auf dem Boden von einem großen, runden reich verzierten Tablett ein üppiges Frühstück mit Tee und türkischen Kaffee, dazu Rührei, frischen Ziegenkäse, loser Landbutter vom Bauernmarkt, Honig von Imkern vor der Stadt, kleine sosis (Rindswürstchen), Paprika und Tomaten mit Zwiebeln und selbstgemachte Erdbeer-Marmelade. Diese Art von Frühstück lernte Kämpfer schnell zu schätzen. Sie sprachen lebhaft über die kleinen Ereignisse der letzten Tage. Kämpfers wenig erfreuliche Gespräche bezüglich der Fortführung seiner Firma, die Frauen von ihren Einkäufen, günstiger Bekleidung zu guter Qualität, Goldarmreifen, in der Türkei nicht nur Schmuck sondern auch Reserve für schlechte Zeiten und dem Kilim, der in ihrer Wohnung in Deutschland Flurteppich werden sollte. Auch Oma schien sichtlich erholt und war mit der Wahl ihrer Enkelin offensichtlich zufrieden, wenn es auch an seinem Türkisch noch haperte.

    In den folgenden Tage zogen sie durch die Stadt, kauften ein, lernten fast alle Kneipen und Lokale kennen, probierten trotz der Kälte das hervorragende Eis, kauften dieses und jenes ein. Sie liefen den Weg in die Stadt durch die Gassen hinunter, an renovierten und verfallenden Häusern vorbei am eingefassten Bach entlang, durch das Viertel der Handwerker und dann weiter die die Tabakhane Straße hinab an den Läden der Goldhändler und Juweliere und Köfte-Stuben vorbei direkt auf die Kurṣunlu Moschee mit den schlanken weißen Säulen und der hellen, ganz verglasten Vorhalle und den symmetrisch davor angeordneten traditionell überdachten Brunnen. Kämpfer trank gerne Rotwein. Er hatte viel Erfahrung mit dem Rebsaft, zumal er in Weinregionen an Rhein, Main und Nahe und auch in Chile gelebt hatte und einige Winzer gut kannte. Schließlich fanden sie ein Büfe, etwa einem Kiosk vergleichbar, der ein wenigstens etwas geordnetes Weinsortiment aufwies. Supermärkte gab es noch nicht. Türken trinken, wenn überhaupt Alkohol, dann Raki, meist mit Wasser, was das Getränk milchig färbt. In einem hinteren Regal fanden sie eine 10 Jahre alte, verstaubte Flasche Yakult. Der Verkäufer gab sie ihnen zum Preis des letztjährigen, also sehr günstig. Der Wein erwies sich als großartig. Sie kauften am nächsten Tag den ganzen Vorrat auf. „Der Urlaub ist gerettet", scherzten sie. Sezen erzählte ihrem Michael, dass die Region der heutigen Türkei das älteste Gebiet ist, in dem systematisch Wein angebaut wird, also schon seit ca. 6000 Jahren, als die ersten Pflanzen aus dem Kaukasus nach Kleinasien kamen.

    Bekannt ist der Donnerstagsmarkt von Muḡla, der heute sogar in Tourismusführern Erwähnung finden. Bauern und Händler aus der weiteren Region bis Yataḡan und Ula kommen hier unter den Wellblechdächern, die vor Regen und Sonne schützen, zusammen und bieten schier alles Essbare und Handwerkliche an. Von Knoblauch, Paprika und Eiern, Ziegenfleisch und vielen Fischsorten vom nahen Meer, bis zu Gegenständen aus Schmiedeeisen und Holz. Dazu Bekleidung und Schuhe aller Art, gefälschte Labels, dicke handgewebte Stoffe, Holzlatschen und modernste Pums. Sezens Mutter musste jeden Donnerstag ein Taxi nehmen, um einen Kofferraum voller Einkäufe heil den Berg hinauf nach Hause zu bringen.

    Trotz der winterlichen Temperaturen und vieler geschlossener Hotels an der Küste machten sie auch Ausflüge mit dem Dogan in die Umgebung. Einer führte sie nach Denizli und Pamukkale. Die kurvenreiche Straße führt von Muḡla ins Landesinnere, wieder durch Kiefernwälder und Wildwestberggebiete. Jedoch werden die Berge immer höher und erreichen Höhen über 2500 Meter. Etwa ab der Hälfte der Strecke bei Kale war alles tief verschneit. Die Straße war von Schneefräsen freigeräumt worden. Beidseitig der Fahrspur standen bis zu drei Meter hohe Schneewände. Über die Bergipfel peitschte ein scharfer Wind, es hatten sich lang überhängende Schneenasen gebildet. Schneebretter waren abgegangen. Sie fürchteten, die Strasse würde wieder gesperrt, was in der Nacht auch der Fall war. Sie blieben in Denizli und kauften in einem der Outlets der vielen Kleiderfabriken einen Anzug, Sakko und Hemden sowie ein Kleid. In einem Buchladen erstanden sie eine Anthologie türkischer Dichterinnen und Dichter und ein Buch zur türkischen Geschichte. Am Abend gingen sie fein zum Essen aus. Erhan, der von Sezens Schwester Senayda, war als Führer mit ihnen gekommen. Unterwegs in einem Cafe am Wegesrand hatte er ihnen aus dem Kaffeesatz der Kaffeetässchen gelesen. Bei Michael war das Ergebnis eher durchwachsen, während seiner Liebsten eine großartige Zukunft prophezeit wurde. Das Abendessen im Garson Ṣükrü, dem besten Hause der Stadt, bestand aus kἀgatti levrek, Seebarsch in Päckchen, als Hauptgericht taṣ kebabi, Umgedrehtes Kebab aus Lammschuler auf Gemüsehirse und danach keṣkül, einem Mandeldessert. Dazu tranken sie einen jungen, leichten Rotwein aus Kavlakidere und danach Kaffee mit findikli ay Haselnussplätzchen in Mondsichelform. Sie waren restlos zufrieden und freuten sich auf den nächsten Tag in Pamukkale, das ganz in der Nähe lag.

    Am nächsten Morgen hatten sie die hell strahlenden Sinter-Terrassen in einer halben Stunde erreicht. Über mehrere Stufen und natürliche Bassins fällt das kalkhaltige Wasser über den steilen Berghang hinab. Oben gab es ein Restaurant, einen Kiosk und einen Andenken-Laden. Ein Bus mit einer Schulklasse war ebenfalls gerade angekommen. Ausländische Touristen wie im Sommer gab es nicht, nur einige türkische Besucher. Kämpfer wunderte sich, denn man konnte auf den Kalkdämmen zwischen den Becken einfach herumlaufen. Wo im Sommer die Menschen badeten, waren diese beschädigt und braun

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