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Davosmarathon: Ein etwas anderer Entführungsroman
Davosmarathon: Ein etwas anderer Entführungsroman
Davosmarathon: Ein etwas anderer Entführungsroman
eBook381 Seiten5 Stunden

Davosmarathon: Ein etwas anderer Entführungsroman

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Über dieses E-Book

Es gibt Ziele, die sollte man nicht aufgeben. Deshalb riskieren zwei ältere Männer alles, um einen Pharmariesen in die Knie zu zwingen. Sie lassen sich sogar zu einer überstürzten Entführung hinreißen. Doch ein neugieriger Junge und überraschender Familienbesuch drohen die Aktion zu gefährden.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum4. Dez. 2019
ISBN9783749720163
Davosmarathon: Ein etwas anderer Entführungsroman
Autor

Paul Allgäuer

Paul Allgäuer, geboren 1959, hat in Hamburg und Zürich Soziologie, Informatik und Sport studiert. Sein Weg zum Schreiben führte ihn durch Krankenhäuser, Marktforschungsinstitute, Medienunternehmen und Akademien. Er hat viele Reisen unternommen, um fremde Kulturen und seine eigene besser kennen zu lernen. Sein Interesse gilt dem Zusammenspiel aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft bis tief in das eigene Seelenleben.

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    Buchvorschau

    Davosmarathon - Paul Allgäuer

    Tag EINS

    Endlich Sonne und der Weihnachtstrubel war vorbei. Nun konnte man sich ein bisschen auszuruhen und mit der Familie in Urlaub fahren. Alle, die es sich leisten konnten, fuhren zum Skifahren und erholten sich auf gut präparierten Pisten beim Wedeln, Rodeln, Skaten. Leider lag nicht in jeder Region ausreichend Schnee. Vor allem die Region um Davos war vom Schneemangel betroffen. Der sonst übliche Schneefall war ausgeblieben und es war so warm, dass nicht einmal die örtliche Freiluft-Eisbahn gefroren war. Die Außenthermometer zeigten Pluswerte an. Für viele Skienthusiasten, die das Davoser Skigebiet liebten, war dieser Januar eine einzige Enttäuschung. Sie mussten in andere Gebiete ausweichen. Die Tatsache, dass im Zentrum des Luftkurortes Davos kein Schnee lag, war für das Vorhaben der beiden älteren Herren in einem VW der Oberklasse jedoch von großem Nutzen. Wenigstens mussten sie sich keine Gedanken machen, bei einer plötzlichen Lenkbewegung in einen Schneehaufen zu fahren. Ein noch so kleiner Unfall konnte ihr gesamtes Unternehmen gefährden. Abgesehen davon, dass sie sich dabei selbst verletzten oder der teure Leihwagen einen Schaden abbekommen konnte, durfte ein weiterer Zeitverlust unter keinen Umständen entstehen. Sie trugen tadellose, dunkelblau gestreifte Anzüge. Darunter weiße Hemden und nachtblaue Seidenkrawatten. Äußerlich glichen sie den meisten männlichen Besuchern, die in diesen Tagen auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos unterwegs waren.

    Der Fahrer war hochgewachsen, breitschultrig, braun gebrannt und hatte trotz seines fortgeschrittenen Alters noch jede Menge Haare, was ihn wesentlich jünger wirken ließ. Sein Aussehen und Gang erinnerten an Clint Eastwood. Manchmal kokettierte er mit dessen Art zu gehen und zu sprechen. Die Rolle des Lonesome Cowboy war für ihn im Laufe der Jahrzehnte zu einer zweiten Haut geworden. Frühes Aufstehen, regelmäßiges körperliches Training, gesunde Ernährung, viel Zeit in der Natur, übertriebener Stolz und altmodisches Ehrgefühl, nicht viele Worte zu machen und ein Hang zu eigensinnigen Entscheidungen machten ihn aus. Unter seinem durchtrainierten Körper verbarg sich jedoch ein angegriffenes Herz, dessen Zeit fast abgelaufen war. Wer ihn näher kannte, wusste, dass er sich in den letzten Jahren eine harte Schale zugelegt hatte. Nur zu zwei Personen pflegte er ein sehr inniges und vertrauensvolles Verhältnis, eine davon saß neben ihm. Der Mann auf dem Beifahrersitz war untersetzt und kahlköpfig und man sah ihm seine Liebe zu deftigem Essen und Wodka deutlich an. Er fühlte sich in seinem rundlichen Körper wohl und sicher. Hinter seiner Beleibtheit und seinem ständigen Verlangen nach Hochprozentigem verbarg sich eine tiefe Sehnsucht nach seiner russischen Heimat, die er Hals über Kopf hatte verlassen müssen. Seit seiner Flucht lebte er illegal bei seinem einzigen noch verbliebenen Freund in der Schweiz. Kinder liebten seine onkelhafte Art. Kenner der klassischen Musik schätzten sein Klavierspiel. Dem Fahrer war er ein guter Freund und Vertrauter geworden.

    Die beiden waren sehr früh aufgebrochen und hatten ihre Mitbewohnerin nicht über ihr Vorhaben informiert. Sie schlief ruhig und tief im 52 Kilometer entfernten Fontana, einem sehr kleinen Dorf im Engadin. Ihr Bett stand im ehemaligen Schlafgemach einer herrschaftlichen Burg. Diese Burg befand sich im Besitz des Freundes ihres Großvaters, den sie auf ihrem Weg von ihrem ehemaligen Arbeitsort Kiew zu ihrer neuen Anstellung in München besucht hatte. Sie war ein unersetzlicher Teil des Trios.

    Am Vorabend waren sich alle drei nach längerer und intensiver Diskussion einig über den Ablauf ihres Vorhabens in Davos geworden. Erst am Morgen danach entschieden sich die beiden Männer für eine Planänderung, was zu einer verhängnisvollen Verkettung von Ereignissen führte. In der Früh hatten sie sich wie Ausbrecher aus der Burg geschlichen und ihrer Gefährtin weder eine Nachricht noch einen Hinweis über ihren Entschluss und das weitere Vorgehen hinterlassen. Der gesunde Schlaf der Enkelin spielte ihnen ebenso in die Karten wie ihr altersbedingtes, geringes Bedürfnis morgens lange im Bett zu verweilen.

    Im Wageninneren herrschte dicke Luft. Keiner der beiden Männer hatte Lust auf ein klärendes Gespräch. Schweigend fuhren sie an den braungefärbten, abgefahrenen Skipisten vorbei, deren trostloser Anblick ihre Laune widerspiegelte.

    Seit ungefähr vier Jahren verfolgten sie nun schon ihr gemeinsames Ziel. Immer wieder hatten sie sich dazu durchgerungen, einen passenden Plan zu entwerfen, und einige Male auch versucht ihn umzusetzen. Jedes Mal vergrößerte sich jedoch das Risiko. Trotz ihrer gescheiterten Versuche hatten beide nie das gemeinsame Ziel aus den Augen verloren und sich immer wieder zu einem neuen Anlauf aufgerafft. In den letzten Wochen war ihre Hoffnung erneut aufgeflammt, weil sich ihr Ziel noch nie so lange und so nah in ihrer Umgebung befunden hatte. Beide hatten beim Besteigen des Fahrzeugs das Gefühl unerkannt an ihre Zielperson heranzukommen und, was noch viel wichtiger war, auch wieder unerkannt entkommen zu können. In Davos kannten sie sich aus und diesen Vorteil wollten sie unbedingt ausnutzen. Sie wollten ihm eine Lektion erteilen, die er so schnell nicht wieder vergessen sollte. Ohne es zu wissen, hatte die Enkelin des Beifahrers dank ihrer überragenden Informatikkenntnisse den Weg für die bevorstehende Tat geebnet. Mit Hilfe ihrer Programmiererfahrung, die sie sich bereits als Kind angeeignet und später zu ihrem Beruf gemacht hatte, hatte sie dafür gesorgt, dass jeder von ihnen eine Akkreditierung für die Teilnahme am Davoser Wirtschaftsforum erhalten hatte. Sie hatte drei überzeugende Biografien von zwei älteren Wirtschaftspsychologen und einer weiblichen Fachkraft erfunden und ins Internet gestellt. Zeugnisse, Blogeinträge, veröffentlichte Artikel und filmische Aufnahmen ihrer Tätigkeiten waren perfekt im World Wide Web in Szene gesetzt. Der Fahrer hatte demnach zahlreiche Fachbücher über die Zusammenhänge von Wirtschaft und Ethik veröffentlicht. Sein Beifahrer war ein Spezialist in differentieller Psychologie. Sie selbst war eine Expertin für das Thema Mensch, Computer, Interaktion mit dem Schwerpunkt Big Data. In sämtlichen Registern, die online abrufbar waren, fand man die drei Personen mit Namen und Bild. Alles wirkte echt: Geburtsurkunden, Schulbesuche etc. Die Schweizer Sicherheitsbehörden führten eine langwierige und gründliche Überprüfung der Teilnehmer des Wirtschaftsforums durch. Sämtliche Daten und Fakten mussten niet- und nagelfest sein. Dies war ihr aufs Beste gelungen.

    Zu früher Stunde hatten sich die beiden Herren in ihre noble Garderobe gezwängt, ihre Akkreditierung umgehängt und sich auf den Weg gemacht. Sie fürchteten, dass ihnen wegen ihres hohen Alters und ihrer körperlichen Gebrechen die Zeit davonlief. Vor allem der Beifahrer hatte die Agilität seiner früheren Jahre längst verloren. Zu sportlichen Leistungen war er nicht mehr fähig. Immer öfters waren ihm eine Flasche Wodka und die Nähe zu einer Toilette wichtiger als alles andere. Nur sein Klavierspiel klang immer noch genauso gefühlvoll und temperamentvoll wie vor fünfzig Jahren. Der neben ihm sitzende Fahrer war etwas älter und sein bevorstehender runder Geburtstag galt für ihn als das Datum, ab dem er sich nur noch um die Verbesserung seines Verhältnisses zu seinen Kindern kümmern wollte.

    Schweigend fuhren sie mit ihrem geliehenen Phaeton nun schon seit über dreißig Minuten durch die Höhle des Löwen. Mehr als tausend Polizisten und Soldaten sowie die Schweizer Luftwaffe kontrollierten alle Zu- und Abfahrten von Davos, den Luftraum und die gesamte Innenstadt. Hinzu kamen zahlreiche Zivilstreifen, Bodyguards und Security-Mitarbeiter. Ihre Gegner hatten einen lückenlosen Überwachungsapparat installiert. Alles war seit Jahren erprobt und perfektioniert worden. Das Weltwirtschaftsforum galt als eine der am besten überwachten Veranstaltungen der westlichen Hemisphäre. Ein gigantischer Sicherheitsapparat schirmte die besondere Klientel des Forums vor Terroristen, Spinnern, Demonstranten und jeder Art von Oppositionellen ab. All das hielt die beiden Herren jedoch nicht ab. Jetzt oder nie! Sie mussten losschlagen!

    „Bist du wieder ansprechbar?", unterbrach der Russe schließlich das Schweigen im Wagen, während er mit seinen Fingern nervös auf seinen Oberschenkeln trommelte. Am liebsten hätte er in die Innentasche seines Jacketts gegriffen und einen Schluck aus seinem heimlich mitgeführten Flachmann genommen. „Hast du heute Morgen etwas getrunken?", war die kurze Antwort zu seiner Linken. „Könntest du endlich mal damit aufhören? Ja, ich habe etwas getrunken. Und wenn du nicht endlich mit mir sprichst wie mit einem normalen Menschen, trinke ich gleich noch etwas. „Nüchtern wärst du mir lieber, brummte der Fahrer missmutig. „Wo fährst du eigentlich hin? „Zu seinem Hotel, so wie wir es vereinbart hatten. „Hatten wir nicht. Da wimmelt es von Personal und überall sind Kameras." Der Fahrer winkte ab: „In den Vortragsräumen des Forums sieht es nicht anders aus. Da sind sicherlich an jeder Ecke Sicherheitsbeamte postiert. „Dann fingieren wir einen Termin und überraschen ihn auf seinem Hotelzimmer. „Zu gefährlich! Er wird uns niemals so kurzfristig einen Termin gewähren und sicherlich empfängt er keine Gäste in seinem Hotelzimmer. Wir werden niemals zu ihm vorgelassen. Und selbst wenn, wissen wir nicht, ob sein Bodyguard im Hotelzimmer anwesend ist." Dem kurzen aber intensiv geführten Dialog folgte eisiges Schweigen.

    „Ich habe mir gestern Abend noch seinen Tagesplan ausgedruckt. Wir wissen also immer, wo er sich aufhält. Wir könnten ihn auf einer Toilette überraschen. „Wie kommst du zu seinem Tagesplan? „Ich habe meine Enkelin unter einem Vorwand gebeten, mir Zugang zu allen Tagesplänen bestimmter Personen zu beschaffen. „Und sie hat keinen Verdacht geschöpft? „Alina vertraut mir."

    Wegen der vielen Kontrollen im Ort fuhren sie nur noch Schritttempo und konnten deshalb die Überwachungsmaschinerie noch deutlicher erkennen. „Hast du alles dabei, was wir besprochen haben?", setzte der Fahrer das Gespräch fort. „Selbstverständlich oder hältst du mich für senil? „Nein, natürlich nicht. Ich will nur auf Nummer sicher gehen.

    „Gegenfrage: Hast du die Betäubungsspritze dabei? „Darauf kannst du dich verlassen. Zur Sicherheit habe ich zwei präpariert. Vielleicht hat er zugenommen und wir benötigen eine stärkere Dosis. „Du hörst dich an wie ein Anästhesist. „Ich wünschte, ich wäre einer. Du weißt, was passiert, wenn wir ihm die falsche Menge verabreichen. Dann wandern wir für den Rest unseres Lebens hinter Gitter. Die Stimmung wurde immer schlechter. „Willst du aufgeben?"

    Es war allein der Eitelkeit des Fahrers geschuldet, dass er nicht ja sagte. Er wollte vor seinem Freund nicht wie ein Feigling dastehen. Seinem langjährigen Wegbegleiter ging es nicht anders. Die Sache, um die es ging, hatte sich in den letzten Tagen hochgeschaukelt und ab einem bestimmten Zeitpunkt waren sie beide nicht mehr in der Lage gewesen, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Irgendwann hatten sie ein Datum festgelegt, dem sie nun angstvoll entgegengingen. Schweigend passierten sie das Hotel Seehof und den danebenliegenden See. Die Straßen füllten sich allmählich. Es war nicht mehr weit bis zur Talstation der Schatzalpbahn, dem Ort, an dem vor zwei Monaten ihr letzter Plan gescheitert war. Beide blickten starr geradeaus, als ob von dort die Lösung ihres Problems auf sie zukommen würde. Gab es wirklich keine Möglichkeit, an ihn heranzukommen?

    „Wie sieht sein Tagesplan aus? „Wollen mal sehen, er zog ein mehrfach gefaltetes Papier aus seiner Hosentasche und ging den Zeitplan ihrer Zielperson minutiös durch. Es war der letzte Tag des Forums, da standen zumeist Vier-Augen-Gespräche an. Die meisten Besucher mussten nun nicht mehr bei irgendwelchen Veranstaltungen auf dem Podium sitzen und sich dem Publikum oder der Presse präsentieren. Dieser Tag war für die Wirtschaftsbosse für wichtige Geschäftsanbahnungen vorgesehen. Es war zur Gewohnheit geworden, dass am letzten Tag des Forums die Staatenlenker aus der Politik sich einen festen Platz im Programm ergattert hatten und den Tag für öffentlich wirksame Auftritte nutzten.

    „In einer Stunde hat unsere Zielperson einen Termin mit dem Minister für Handel und Industrie von Venezuela. Das Treffen findet im Hotel Schweizerhof statt. Das liegt von hieraus gesehen vor uns, im Stadtzentrum, dem bestüberwachten Gebiet. „Undurchführbar. Zu gefährlich! So ein Minister wird noch besser abgeschirmt. Wir müssen ihn später erwischen, vielleicht irgendwo unterwegs. Was hat er noch auf dem Zettel? „Am Nachmittag trifft er sich in seinem Hotel mit einem afrikanischen Despoten. Das ist dann sein letzter offizieller Termin. „Und wo liegt dieses Hotel? „Am Stadtausgang, du musst dieser Straße weiter folgen, dann kommen wir direkt zum Turmhotel Viktoria. Einer der zahlreichen Luxushotels von Davos, sehr schön gelegen." Bei beiden nahm die Nervosität zu und sie fragten sich, ob ihr spontaner Entschluss, ohne Alina zu starten, richtig war.

    „Sag mal, sollten wir nicht langsam Alina Bescheid sagen, wo wir sind und warum wir ohne sie abgefahren sind?" Gregorys Enkelin war in der Ukraine zur Welt gekommen und hatte früh von ihrem in Russland lebenden Großvater einen PC geschenkt bekommen. Er hatte auf verschlungen Wegen den Hochleistungsrechner beschafft und ihn in die Ukraine geschmuggelt. Dabei hatte er vergessen, das dazu gehörende Handbuch mitzuliefern. Alina war von dem Geschenk so begeistert, dass sie sich auch ohne Anleitung und Programmierkenntnisse ans Werk machte, die Möglichkeiten des Computers auszuloten. Vergleichbar mit Jugendlichen, die ohne Noten Klavierspielen lernte, perfektionierte sie auf spielerische Art ihre Programmierkenntnisse. Ihr Talent wurde früh erkannt und ein Kiewer Unternehmen nahm sie bereits im Alter von 16 Jahren unter Vertrag. Sie mauserte sich zu einer der besten Informatikerinnen des Landes. Sogar der Auslandsgeheimdienst hatte ein Auge auf sie geworfen. Als sie für ihr Unternehmen die Datenbanksicherheit einer Großbank testete und die hochkomplexe Firewall überwand, wollte sie der Geheimdienst sofort abwerben. Vor ihrem Arbeitsplatzwechsel genehmigte sie sich einen kleinen Urlaub und war bei ihrem Opa in der Schweiz gestrandet. Ohne es zu wissen, geriet sie in die heiße Phase der Planung für ein Verbrechen, das ihren Großvater und seinen Freund seit Jahren beschäftigte. Unfreiwillig wurde sie von den beiden als Gehilfin für ein kriminelles Vergehen eingesetzt. Als ihr Großvater den Wunsch äußerte, mal beim Wirtschaftsforum vor Ort zu sein und all die vielen Experten und hochgestellten Politiker live zu erleben, hatte sie zu ihrem Laptop gegriffen und seinen Wunsch erfüllt. Was Gregory und sein Freund Adam wirklich planten, wusste sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Lange Zeit konnten sie ihren wirklichen Plan vor ihr verheimlichen. Alina galt ihnen als zu emotional. Ihre aufbrausende Art war ihnen suspekt und eine weitere Mitwisserin erhöhte die Gefahr entdeckt zu werden. Sie nutzen ihre Programmierkenntnisse, ihr strukturiertes Vorgehen und ihren Fleiß für ihr Unternehmen aus.

    „Sie schläft bestimmt noch. Du hast sie ja gestern ganz schön abgefüllt," antwortete sein Freund und setzte nach einer kurzen Pause fort: „War das deine Absicht?" Alinas Großvater schüttelte verneinend den Kopf, um dann doch zuzugeben: „Ich dachte, dann schläft sie länger und tiefer. „Du bist mir so ein Großvater, macht seine Enkelin betrunken. „Das habe ich auch für dich gemacht, stell dich mal nicht so an und sei jetzt endlich still."

    Gregory zog schulbewusst sein Handy heraus und versuchte Alina zu erreichen. Nachdem sich niemand meldete, brach Gregory seinen Anruf ab und blickte sorgenvoll durch die Windschutzscheibe. Er malte sich aus, was sie alles anstellen würde, nachdem sie mit schwerem Kopf aufgestanden war und feststellen musste, dass er und Adam bereits ohne sie losgefahren waren.

    „Alina rastet sicherlich aus," murmelte er auf dem Beifahrersitz. „Wo du recht hast, hast du recht. Ich bin mir sicher, dass sie Überraschungen sogar hasst. „Wem sagst du das. Man durfte ihr weder zu Weihnachten noch zu ihrem Geburtstag etwas schenken, das sie nicht kannte beziehungsweise nicht wollte. „Aber wenn wir uns nicht melden, ruft sie vor lauter Angst vielleicht die Polizei. „Stimmt, sie ist unberechenbar bei solchen Dingen. Aber ich mag sie, so wie sie ist. „Ruf noch mal an und lass es etwas länger klingeln, die jungen Leute schlafen gerne länger."

    Der Russe tippte mit seinen schlanken Fingern ihre Nummer. Auf seinem Schoß hatte er eine schriftliche Anweisung von Alina liegen, in der alle wichtigen Informationen zum Gebrauch der abhörsicheren Leitung aufgeführt waren.

    „Hallo Opa, du gemeiner Schurke. Adam kannst du gleich ausrichten, dass er genauso ein Schuft ist. Wieso seid ihr ohne mich losgefahren und wo seid ihr im Moment?", sie klang hektisch und übellaunig. „Beruhige dich. Wir fahren gerade die Promenade in Davos entlang. Du wirst es kaum glauben, aber wir haben alle Sicherheitskontrollen problemlos passiert. Unsere Akkreditierung funktioniert tadellos. Du bist wirklich eine Meisterin in deinem Fach," er ließ ihr keine Zeit zum Atem holen und fuhr fort: „Sag mal, was ist das für ein Rauschen im Hintergrund? „Ein Zug, kam es prompt und wütend zurück. Ihr Großvater versuchte es mit einem versöhnlicheren Ton: „Entschuldige, wir konnten nicht mehr schlafen. Alte Männer, du verstehst doch? Außerdem war Adam der Meinung, dass wir dich ausschlafen lassen sollten. Du hast gestern Abend ganz schön gezecht."

    Alina schnappte nach Luft. Die beiden waren wirklich das Letzte! Am liebsten hätte sie ihr Mobiltelefon auf die Gleise geschmettert, aber dies wäre dem mobilen Einsatzkommando, das gerade vorbeifuhr, aufgefallen. Sie musste sich beruhigen, holte tief Luft und versuchte ihren Ärger zu kontrollieren, aber es gelang ihr nicht. Allmählich spürte sie, wie ihr die Kälte der reifbedeckten Bahnhofsbank, auf die sie sich vor lauter Schreck gesetzt hatte, den Rücken hochkroch. Sie stand auf und wollte das Gespräch mit etwas Distanz wiederaufzunehmen. Dabei schluckte sie mehrfach heftig, um ihre Tränen zu unterdrücken. Sie benötigte drei Anläufe.

    „Ich habe für euch meinen Kopf riskiert und ihr lasst mich einfach so sitzen. Das ist nicht fair!" Ihre Stimme brach ab. Es herrschte eine angespannte Stille. „Macht, was ihr wollt. Ich werde jetzt zur Burg zurückfahren und packen. „Alina, rief der Großvater. „Sei nicht böse. Du darfst uns jetzt nicht verlassen. Nicht so. Bitte!"

    Gregory suchte fieberhaft nach Worten, um seine Enkelin umzustimmen. Adam bemerkte, dass er handeln musste. Er gab Gregory ein Zeichen, das Handy so einzustellen und zu halten, dass er mithören und mit ihr sprechen konnte.

    „Morgen Alina, hier spricht Adam. Dein Großvater hat recht. Du darfst uns jetzt nicht verlassen, wir brauchen dich. Ich kann verstehen, dass du sauer auf uns bist, aber nach dem gestrigen Abend hatten wir den Eindruck gewonnen, dass du lieber ausschlafen willst und vielleicht später nachkommst." Alina traute ihren Ohren nicht: „Ihr spinnt doch total," rief sie. „Nachdem ich tagelang alles mit euch geprobt und durchgesprochen habe, lasst ihr mich einfach so hängen? Ohne meine Programmierkenntnisse würdet ihr heute nicht mal in der Nähe von Davos unterwegs sein! Geschweige denn unerkannt durch den Ort fahren. „Du hast Recht. Aber wir wollten dich schützen. Vor allem dein Großvater hatte große Angst um dich. Kannst du uns verzeihen? „Nur wenn ich kommen kann," insistierte sie. „Ich stehe bereits am Bahnhof in Scuol und kann in Kürze in Davos sein."

    Adam und Gregory sahen sich fragend an. Sie hatten Alina viel zu verdanken und wussten, dass sie sich nicht richtig verhalten hatten. Sie hatten sie für ihre Zwecke ausgenutzt und standen nun vor einer weitreichenden Entscheidung. Gregory griff hilfesuchend zum Wodka, seine Hände zitterten. Adam wirkte ebenfalls verunsichert. Im Hintergrund hörte er Alina atmen und spürte, wie sie ungeduldig auf eine Antwort wartete.

    „Einverstanden, aber wir treffen uns erst am Nachmittag in Davos. Wir haben für den Vormittag unser Besuchsprogramm geändert. Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es am Nachmittag eine Veranstaltung, zu der wir alle drei unbedingt hinwollten. Einverstanden?"

    Er blickte zu seinem Freund und erhoffte sich ein zustimmendes Nicken. Doch es kam nichts. Adam sah, wie er stattdessen die Wodkaflasche noch einmal ansetzte und sich zum Trinken von ihm wegdrehte. Von ihm konnte er keine Hilfe erwarten.

    „Hallo Alina, hast du mich verstanden?" Sie gab ein langgezogenes: „Ja," von sich. „Die Sache ist und bleibt gefährlich, auch wenn wir bisher gut durchgekommen sind. Das heißt nicht, dass ich deinen Informatikkünsten nicht traue. Ich habe eh keine Ahnung davon. Aber es wimmelt hier nur so von Sicherheitsleuten, Kameras und waffentragenden Soldaten. „Bitte seid vorsichtig, erwiderte Alina. „Mädchen, wir sind erwachsen. Wenn wir auffliegen, werden wir die Nummer der verwirrten Greise spielen und Gregory wird sich besaufen. Es wird dann höchsten peinlich für uns."

    Er machte eine kurze Pause, weil ihn Gregory bösartig anblickte und ihn kräftig auf den Oberarm schlug. „Alles klar! Liebe Alina, lass uns Schluss machen, sonst nehmen sie uns noch ins Visier, weil ich während der Fahrt telefoniere. Wir sehen uns heute Nachmittag. Halt die Ohren steif, wir haben dich lieb." Adam gab Gregory ein deutliches Zeichen aufzulegen. Ihm war bewusst, dass er mit Alina gesprochen hatte wie mit einem Kleinkind. Sein Verhalten war ihm augenblicklich peinlich. Fragend blickte er zu Gregory, der endlich seine Sprache wieder-gefunden hatte: „Sie wird das Richtige tun. Sie ist ein gutes Mädchen. Emotional, aber gescheit, und sie hört auf dich. Verlass dich darauf."

    Alina stand sprachlos auf dem Bahnsteig von Scuol: Wie konnten die beiden es wagen, sie derart zu bevormunden? Eine Menge Schimpfwörter fielen ihr ein, die sie aber nicht aussprach, zu viele wartende Menschen standen um sie herum. Wütend ging sie zurück zu ihrem kleinen Fiat, mit dem sie auf den verschneiten Straßen zum Bahnhof gefahren war.

    An diesem schlossartigen Endbahnhof startete beziehungsweise endete die weltweit bekannte Rhätische Bahn, die das Unterengadin um Scuol mit dem Oberengadin mit St. Moritz als Hauptort verband. In der Gegend um Scuol, in der sie zurzeit bei ihrem Großvater und seinem Freund wohnte, war richtig Winter, mit ausreichend Schnee zum Skifahren und Langlaufen. Das ungefähr 80 Kilometer lange Tal war eines der höchstgelegenen bewohnten Täler Europas. Die Dörfer waren berühmt für ihre buntbemalten Steinhäuser und verzierten Holztüren. Hier floss der Inn über weite Strecken in einer regelrechten Schlucht und über eine der prachtvollen, tiefen Schluchten führte Alinas Weg zurück zur Burg, in die sie sich bis zum Nachmittag zu einem ausgiebigen Frühstück zurückzog.

    *

    „Puh, da haben wir aber noch einmal Glück gehabt. Wenn Alina hier aufgekreuzt wäre, wäre alles aus gewesen." Gregory nickte: „Da gebe ich dir ausnahmsweise einmal recht. Es war doch gut, dass ich angerufen habe und, ich sag es nicht gern, dass du sie beruhigen konntest. Jetzt haben wir zumindest bis zum Nachmittag Zeit. „In deinem Zustand bezweifle ich, ob du bis zum Nachmittag durchhältst. „Du nervst schon wieder," raunzte Gregory.

    „Gregory, heute ist vielleicht unsere letzte Chance. Lass uns irgendwo frühstücken, mit etwas im Magen können wir uns besser konzentrieren und dann fällt uns sicherlich eine passende Vorgehensweise ein. „Wieso habe ich mich nur auf dieses Himmelsfahrtkommando mit dir eingelassen? Aber du hast ja recht: Heute oder nie. Und mit etwas im Magen bist auch du genießbarer. „Dito."

    In Davos erwachte langsam das Alltagsleben und der Verkehr nahm allmählich zu. Adam und Gregory wussten, dass es äußerst wichtig war nicht aufzufallen, und dazu gehörte ein Verhalten, das Besuchern des Wirtschaftsforums entsprach. Ein gemeinsames Frühstück entsprach aus ihrer Sicht diesem Verhalten. Bisher hatte sich an ihrem Vorhaben nicht viel geändert. Im Grunde genommen nur die Uhrzeit, sie waren früher dran als geplant.

    Sie fanden einen passenden Parkplatz und begaben sich in eines der Luxushotels auf der Promenade und bestellten sich einen Schümlikaffee und Croissants mit Butter. Da im Hotelrestaurant noch wenig Gäste waren, konnten sie ihr Vorhaben ohne Mithörer noch einmal im Detail durchgehen. Sie waren sich schnell einig, dass ihre am Vorabend geplante Vorgehensweise definitiv nicht umsetzbar war. In der Theorie und der heimischen Umgebung hatte alles so einfach geklungen.

    „Es muss doch möglich sein, diesen Kerl festzusetzen und ihm eine Lektion zu erteilen," bemerkte Gregory und goss etwas Wodka in seine Kaffeetasse. „Wir waren ihm noch nie so dicht auf den Fersen. Dank Alina können wir uns frei zwischen all den wichtigen Managern, Geschäftsführern und der Politprominenz bewegen. Das müsste uns doch entgegenkommen. Aber ich will ehrlich sein: Ich habe das Gefühl, mir schwindet so langsam die Kraft für derartige Unternehmungen. „Du hast leicht reden, nickte Gregory zustimmend. „Was soll ich da sagen? Diese ganze Anspannung bringt mich noch um. „So eine perfekte Tarnung wie im Moment hatten wir noch nie. Denk nach! Die Zeit läuft uns davon, gab Adam in einem abgeschwächten Befehlston von sich.

    Sie gingen davon aus, dass die neuen Identitäten, mit denen Alina sie ausgestattet hatte, sie vor jeder Verfolgung über das Datennetz schützten. Aber das zu wissen, war nur eine Seite der Medaille.

    Mitten in Davos zu sitzen und den Sicherheitsapparat zu spüren, war eine ganz andere Sache. Vor allem für Gregory, der nicht nur vom russischen Militär, sondern auch vom Geheimdienst seines Landes gesucht wurde. Eine Akkreditierung als Wissenschaftler war nur ein schwacher Trost für ihn und ohne Wodka hätte er die innere Anspannung und Angst nicht ausgehalten.

    Nach dem gemeinsamen Frühstück entschlossen sie sich, eine der öffentlichen Veranstaltungen des Forums zu besuchen. Dies entsprach auch ihrem ursprünglichen Plan. Es war ihre Absicht, in Davos möglichst so aufzutreten, wie es die Personen getan hätten, für die sie sich ausgaben. Die Sicherheitskräfte sollten nicht den geringsten Verdacht schöpfen. Die Pausen nutzten sie, um sich in den Gängen der Vortragsräumlichkeiten unauffällig zurückzuziehen und über die weitere Vorgehensweise zu beraten. Schließlich war die Zeit zum Handeln gekommen.

    Sie fuhren zum Turmhotel Viktoria, dem Übernachtungsquartier ihrer Zielperson, waren sich aber noch immer nicht einig darüber, was sie nun tun sollten. Adam stand mehr auf Improvisation, während Gregory durch den Wodkakonsum eher hilflos und leicht abwesend wirkte. Bevor sie das Hotel betraten, kontrollierten sie gegenseitig den Sitz ihrer Krawatten, den Glanz ihrer Schuhe und ihre Frisuren. Sie wollten auf keinen Fall wegen Kleinlichkeiten auffallen. Beide waren sich im Klaren, dass jedes Detail wichtig war. Diese Lektion hatten sie bereits bei vorherigen Versuchen gelernt. Mehrfach waren sie gescheitert, weil ein Accessoire nicht passte, ein Akzent nicht funktionierte oder ihr Verhalten insgesamt aufgefallen war.

    Adam ging voraus, Gregory folgte ihm in einem exakten Abstand von vier Schrittlängen. Sie hatten vereinbart, so zu tun als würden sie sich nicht kennen. Schon nach den ersten Schritten innerhalb des Hotels stieg ihr Adrenalinspiegel derart an, dass beide für kurze Zeit um ihre Gesundheit fürchteten. Adam hatte bereits ein angeschlagenes Herz und Gregory wusste, dass seine mangelnde Fitness und seine Trinkgewohnheiten keine idealen Voraussetzungen für diese Aktion waren. Sollte etwas schiefgehen, mussten sie keinen Herzanfall simulieren, es war wahrscheinlicher, dass sie tatsächlich einen erleiden würden.

    Das exklusive Hotel nahm sie mit seinen zahlreichen Überwachungseinrichtungen in Empfang. In der Hotellobby herrschte ein reges Treiben, für viele Gäste bestand am letzten Tag des Forums nicht mehr die Notwendigkeit länger an diesem Ort zu verweilen. Ständig fuhren Taxis oder private Luxuslimousinen vor und luden Koffer und wichtige Persönlichkeiten ein. Adam und Gregory waren überrascht und mussten sich durch das entstandene Gedränge ihren Weg zur Rezeption bahnen. Dabei verringerte sich ihr geplanter Abstand. „Jetzt wird es ernst," flüsterte Adam Gregory zu, der inzwischen zu dicht herangelaufen war. Es war einfach zu wenig Platz in der Lobby.

    „Die Kameras haben uns sicherlich bereits erfasst. Ganz normal weitergehen, als hätten wir einen Termin. Ich frage nach unserem Mann und bitte ihn, uns in seinem Hotelzimmer zu empfangen. Ich hoffe, der Mann an der Rezeption spielt mit. „Wie willst du ihn überzeugen? „Wen? Den Rezeptionisten oder unseren Mann? „Blöde Frage, unseren Mann natürlich. „Schau mal auf den Tagesplan, gibt es dort einen Hinweis, in welcher Suite er abgestiegen ist? „Das fällt dir aber früh ein. Moment.

    Umständlich zog Gregory den Zettel mit dem Tagesplan ihrer Zielperson heraus und versuchte trotz seiner zittrigen und schweißigen Hände einen Hinweis darauf zu finden. „Mach schneller, ich steh gleich ganz vorne. „Immer mit der Ruhe. Gregory hatte die Antwort gefunden, wusste in diesem Moment jedoch nicht, wie er Adam unauffällig darüber in Kenntnis setzen sollte. Er drehte sich von Adam weg und sagte in den Raum hinein: „Schönes Hotel. Mal sehen, wie die Präsidentensuite ist." Adam war in diesem Moment der einzige, der ihn nicht verstand. Er sah sich hilfesuchend nach seinem Freund um, der ihm per Handzeichen zu verstehen gab, dass er ihm nicht weiter folgen würde.

    Adam verstand die Welt nicht mehr. Alle Vorsichtsmaßnahmen vergessend griff er hektisch nach Gregorys Arm und herrschte ihn leise an: „Du kannst mich doch jetzt nicht allein lassen. Bleib hier! „Nicht so laut, beherrsche dich doch. Gregory versuchte sich von Adam loszureißen. Beiden tropften die Schweißperlen von der Stirn. Als eine Kamera auf Adam umschwenkte und ein Sicherheitsbeamter sich aus dem Hintergrund in seine Richtung bewegte, zischte Adam mit aufgerissenen Augen und festem Griff Gregory ins Ohr: „Bleib hier!"

    *

    Alina hatte inzwischen ihren Auftritt auf dem Forum mehrfach durchgespielt. Sie war bis ins Detail vorbereitet. Sie hatte sich schon vor Tagen, passend zu ihrem neuen Ausweisbild, die Haare rot gefärbt. Mit langen roten Haaren sah sie der echten Alina überhaupt nicht ähnlich. Zu ihrer weiteren Verkleidung gehörten viel Make-up, dick aufgetragenes Rouge, kräftiger Lippenstift und das dazu passende Outfit. Sie trug einen graumelierten Hosenanzug, darunter ein T-Shirt mit einem Glitter-Logo von Raumschiff Enterprise, dazu wetterbedingt dunkelgrüne Lederstiefeletten und einen zweifarbigen Kaschmirschal. Gekrönt wurde das Ganze von einem weiten Cape mit großer Kapuze, ebenfalls in Dunkelgrün. Zu Hause trug sie so etwas nicht. Sie war eine Jeans- und Pulloverfrau. Turnschuhe reichten ihr für jeden Anlass.

    Später als geplant traf sie in Davos ein, sie hatte den Zeitaufwand fürs Schminken, Anziehen und die Fahrt völlig falsch eingeschätzt. Sie kam gerade noch rechtzeitig, um das letzte Symposium des Tages nicht zu verpassen. Sie mischte sich unter die Gäste und versuchte möglichst beiläufig nach Gregory und Adam Ausschau zu halten. Ihr Outfit und Auftritt zeigten Wirkung. Sie registrierte sofort die Aufmerksamkeit, die man ihr zuteilwerden ließ. Die Plätze neben ihr waren in Windeseile besetzt, obwohl sie weit vorne Platz genommen hatte. In den kurzen Pausen zwischen den Vorträgen wurde sie mehrfach angesprochen und es wurden ihr viele Visitenkarten gereicht. Die meisten Männer hielten sie für eine neue Ikone des Internet-Start-up-Zeitalters, die man kennen musste. Wenn auch die wahren Gründe der Männer, sie näher kennenzulernen zu wollen, stark differenzierten und in der Mehrzahl vermutlich nur auf eines hinausliefen.

    Während der Podiumsrunde, an der sich auch das Publikum beteiligen konnte, stellte sie eine Menge unbequemer Fragen zum Datenschutz, was nicht auf das Wohlwollen der Veranstalter stieß. In der Sicherheitszentrale gingen Anfragen verschiedener Unternehmensvertreter ein, so ungewöhnlich waren ihre Anmerkungen und ihre Erscheinung.

    Der Computer der Sicherheitspolizei spukte ihre Daten aus:

    Natalya Eniacsky, geboren in Kiew, 35 Jahre alt,

    1,75 m groß, rothaarig, schlank, Linsenträgerin.

    Beruf: Programmiererin, angestellt bei TatInvestLap

    St. Petersburg.

    Beleumundet: Aeroflot, Sberbank, Rostelekom,

    Metro, E.on.

    Wohnhaft in St. Petersburg, verheiratet, keine Kinder.

    Themeninteresse: virtuelle Welten. Akkreditiert: Gesamtforum. Sicherheitsstufe: blau.

    Keine Angaben über Kontaktpersonen.

    Anreise: Zug.

    Bewegungsmuster: unauffällig.

    Alina hatte sich mit Gregory und Adam auf den Smalltalk mit anderen Gästen und die mithörenden Zivilfahnder gut vorbereitet. Sie parierte alle Fragen über ihr Unternehmen mit Bravour, streute Programmierwitze ein und ließ, wenn sie nicht mehr weiterwusste, ihren weiblichen Charme spielen. Die Herren amüsierten sich mit dieser geheimnisvollen

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