Ein amerikanischer Arzt in der Türkei
Von Heinrich Pesch
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Über dieses E-Book
Deutsche Übersetzung von An American Physician in Turkey by Clarence D. Ussher (1917). Deutsch von Heinrich Pesch. Augenzeugenbericht über die Ereignisse in Van, Ost-Anatolien, im Jahr 1915.
Heinrich Pesch
Geb. 1948
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Buchvorschau
Ein amerikanischer Arzt in der Türkei - Heinrich Pesch
Das Buch von Clarence D. Ussher (1870-1955), An American Physician in Turkey: A Narrative of Adventures in Peace and War (1917), ist, soweit mir bekannt, nie in andere Sprachen übersetzt worden. Das Buch verfügt über 26 Kapitel und einen Anhang. Diese Übersetzung enthält die Kapitel 6, 8, 10 und 11 sowie 16 bis 24 des Originals und beruht auf der Ausgabe von 2002 bei Sterndale Classics. Diese Kapitel wurden von mir ohne Abstriche verdeutscht. Es ist möglich, dass ich fehlende Kapitel später hinzu fügen werde. In den von mir ausgelassenen Kapiteln beschreibt Ussher seine aufopfernde Tätigkeit als Missionsarzt in Ost-Anatolien und seine vielfältigen Schwierigkeiten mit den türkischen Behörden. Aus ihnen geht auch deutlich sein tief empfundenes Christentum hervor. Wie er in seinem Vorwort schreibt, hatte er ursprünglich nur über die Belagerung von Van und die anschließende Flucht schreiben wollen.
Usshers Augenzeugenbericht über die Belagerung von Van, Ost-Anatolien, und die anschließende Flucht der Armenier in den Kaukasus 1915 wird oft zitiert. Möge dieses wichtige Dokument mit dieser Übersetzung neue Leser finden.
Ohne auf die ewige Diskussion über den Völkermord an den Armeniern einzugehen, möchte ich betonen, dass der wichtigste Verbündete der Türkei vor und während des Weltkrieges, das Deutsche Reich, an den Geschehnissen mitschuldig war, indem es nicht intervenierte, sondern dem Morden interessiert zuschaute. Der Kaiser träumte wohl von einer Herrschaft über den Nahen Osten im Bündnis mit den von ihm bewunderten Türken.
Beim Übersetzen habe ich bei Ortsnamen und Personennahmen in den meisten Fällen die englische Schreibweise beibehalten. Spezielle türkische Bezeichnungen wie Vali, Viljajet und Zabtieh habe ich durch allgemeinsprachliche Bezeichnungen ersetzt.
Usshers Kapitelüberschriften habe ich versucht, wörtlich zu verdeutschen, auch auf die Gefahr hin, dass manchmal die Bedeutung dem Leser unklar bleiben sollte.
Die Fotografien in Usshers Buch hätte ich gerne hier reproduziert, aber die Qualität in der mir zur Verfügung stehenden Ausgabe war schon sehr schlecht. Leider konnte ich bisher keine bessere Ausgabe auftreiben.
Usshers Buch ist eine der Quellen für den Film „Ararat" von Atom Egoyan (Kanada 2003)
Heinrich Pesch 2012
Wichtige Personen
Dr. Clarence D. Ussher – von 1998 bis 1915 Arzt bei amerikanischen Missionen in Ost-Anatolien, Autor des Buches
Dr. George C. Reynolds – Leiter der amerikanischen Missionsstation in Van
Elizabeth Barrows – Lehrerin der Missionsstation in Van, heiratet Ussher im Jahr 1900.
E. A. Yarrow – Priester und Leiter der Jungenschule in Van
Zusammenfassung der ausgelassenen Kapitel
In den ersten fünf Kapiteln beschreibt Ussher seinen Werdegang (geboren 1870 in Montreal, Arzt in Kansas City) und wie er von der amerikanischen Mission in die Türkei geschickt wurde. Zuerst war er in Harput tätig, nach einem Jahr wurde er 1899 nach Van gebeten. Dort musste er einige Reisen unternehmen, darunter eine nach Erzerum, wo er seine spätere Gattin abholen und nach Van geleiten musste. Er beschreibt seine enge Kameradschaft mit dem treuen Reitpferd Nedjib und die aufreibenden Ritte durch das primitive Wegenetz Anatoliens. Kapitel 7 beinhaltet eine Schilderung seiner Tätigkeit als Arzt beim Besuch entfernt wohnender Kranker. Kapitel 9 beschreibt das Urlaubsjahr 1909, welches die Familie in den USA verbrachte. Kapitel 12 ist über Jahrestreffen der Missionare in Anatolien, Kapitel 13 trägt den Titel „Typhus in der Garnison. Kapitel 14, „Der Palast des Deutschen Kaisers in Jerusalem
spekuliert über die engen Beziehungen zwischen dem kaiserlichen Deutschland und dem Regime von Abdul Hamid. Kapitel 15, „1914", berichtet über die Kriegsvorbereitungen der Türkei, wie sie vom Autor erlebt wurden.
Kapitel 25 und 26 berichten über die Vorkommnisse nach dem Eintreffen der Flüchtlinge in Russisch-Armenien und während der Heimreise des Autors über Petrograd.
Kapitel 6: Mein Krankenhaus
Bald nach meiner Rückkehr von dieser bedeutsamen Reise nach Erzurum, über die ich im vierten Kapitel berichtet habe, mietete ich ein privates Haus nicht weit von der Missionsstation an und nahm daran einige Änderungen vor, um es für den Einsatz als Krankenhaus geeignet zu machen. Der einzige Ort, der sich als OP eignete, war ein langer Schrank, etwa 1,65 Meter breit und 3,60 Meter lang. Da er in der zweiten Etage war, konnten wir im Lehmdach ein Dachfenster anlegen und ein Fenster am Ende des Schranks vergrößern. Der Raum war so eng, dass wir den Patienten nicht umdrehen konnten, ohne Patient und Tisch in den Flur zu tragen, der breiter war. Auch unsere Geräte waren zu dieser Zeit recht primitiv.
Unser erster Krankenhauspatient kam zu uns, bevor wir fertig waren. Ich war dabei, jemand in meinem Sprechzimmer zu untersuchen, als von der Tür ein heftiges Klopfen kam, und der Ruf: „Kommen Sie schnell heraus, Herr Doktor. Es liegt ein toter Mann auf dem Boden des Wartezimmers." Hinauseilend fand ich einen Dorfbewohner von vielleicht 22 Jahren, der auf der linken Seite seines stark ausgeweiteten Brustkorbes weder Herzschlag noch Atmung aufwies. Die Pupillen zeigten, dass er noch nicht tot war, und eine weitere Untersuchung ergab, dass Herz und Lunge durch einen enormen Lungenfellabszess in den rechten oberen Quadranten der Brust gedrängt worden waren. So schnell wie möglich legten wir ihn auf eine Bahre und trugen ihn ins Krankenhaus, und schickten einen Jungen, von meiner eigenen Couch eine Decke für sein Bett zu holen. In aller Eile rissen wir ihm die Kleider ab, sterilisierten seine Seite mit Alkohol, öffneten den Brustkorb, und unter enormem Druck spritzte ein Strom von Eiter an die Zimmerdecke. Er begann wieder zu atmen und erholte sich schließlich. Während seiner Genesung erfuhr er eine Umwandlung. Er nahm sich eine Bibel mit in sein Haus in Hundistan, das womöglich das fanatischste gregorianische Dorf in unserem Bereich war. Wiederholt hatten seine Bewohner erklärt, dass, wenn jemals irgendein Missionar oder Protestant ihr Dorf betreten sollte, sie ihn steinigen würden, und sie meinten es ernst. Als Ergebnis der Umwandlung dieses jungen Mannes jedoch baten sie uns später, ihnen dabei zu helfen, eine eigene Schule zu gründen und ihnen eine Lehrerin zu schicken.
Die Genesung des junge Mannes wurde als Wunder betrachtet. Es wurde gesagt, dass ein Mann gestorben war und der Arzt ihn wiederbelebt hatte. Unser Ruhm verbreitete sich somit weit durch die Dörfer, doch von den Menschen in der Stadt wagte es keiner, in unsere Klinik zu kommen, die für sie eine neue und unerprobte Sache war; fanatische Gregorianer, den „Protestanten" feindlich, sagten den Menschen, wenn sie zu uns kämen, würden wir sie zerschneiden, um ihre Augen, Leber und Gehirn zu bekommen, um daraus Medizin herzustellen.
Schließlich wurde ein schmutziger und mittelloser Bettler auf der Straße liegend gefunden, an einer Lungenentzündung sterbend. Die Türken haben keine Wohlfahrtseinrichtungen, noch hatten solche die Armenier in dieser Region. In der Türkei ist Gastfreundschaft eine religiöse Pflicht, und es wird erwartet, dass Fremde Betreuung finden, aber dieser Mann war so widerlich, dass alle „an ihm vorbeigingen Die Stadtväter traten zusammen und beschlossen, dass es eine Schande für die Stadt war, dass jemand unbeachtet auf der Straße stirbt, und doch war niemand bereit, ihn bei sich zu Hause aufzunehmen. Dann schlug jemand vor, ihn in das neue amerikanische Krankenhaus zu schicken. Da er ja sowieso „tot
war, und sein Tod sicher war, würde ihm kein Unrecht geschehen, wenn man ihn in das amerikanische Krankenhaus schickte. Dies würde die Stadt auch von der Erniedrigung befreien, einen Mann auf ihren Straßen sterben zu sehen.
Durch Gottes Gnade erholte sich der Patient. Er war wohl bekannt, und aller Augen wurden auf unser Krankenhaus gerichtet. In der folgenden Woche wurde das Schauspiel im Fall einer Bettlerin wiederholt, alt und gebrechlich, die ebenfalls mit Lungenentzündung im Sterben lag. Die Leute sagten, dass der Arzt auch sie von den Toten zurück geholt hätte, und jetzt, nachdem drei Tote auferstanden waren und einige Steinoperationen bereits erfolgreich in privaten Häusern durchgeführt worden waren, war der ärztliche Ruf begründet, und unser Krankenhaus begann sich zu füllen .
Unser Mietvertrag belief sich auf drei Jahre, aber es zeigte sich bald, dass wir einen größeren Bau benötigten. Zwölf Patienten und die Schwestern waren alles, was wir in dem gemieteten Haus unterbringen konnten. Dr. Raynolds bot einen Teil seiner Entschädigung an, um die Errichtung eines Gebäudes zu ermöglichen, ohne einen Zuschuss vom Missionsvorstand, der noch nicht an Arztmissionare glaubte.
Aber die türkische Regierung war ein Meister in der Blockierung von wohlgemeinten Bemühungen der amerikanischen Missionare. Man hatte uns von unserer Botschaft zu verstehen gegeben, dass es nicht möglich sein würde, die Erlaubnis für die Errichtung eines Krankenhauses zu bekommen. Der Gouverneur von Van war jedoch ein großzügiger und freundlicher Mann.
Gerade zu dieser Zeit kam es zu Reibereien zwischen der französischen und der osmanischen Regierung über das Versagen der letzteren, für die Errichtung der von französischen Kapitalisten gebauten Kais in Konstantinopel zu zahlen. Frankreich besetzte die Insel Mytilene und hielt sie, bis die Ausstände bezahlt und ein zufrieden stellendes Abkommen ausgehandelt worden war. Eine der Bestimmungen dieses Vertrags war, dass im Falle, dass religiöse Orden den Wunsch hätten, wohlgemeinte Institutionen zu bauen oder zu reparieren, beim Fehlen gültiger Einwände seitens der osmanischen Regierung innerhalb von sechs Monaten nach Antragstellung die gewünschte Zustimmung ohne weitere Formalitäten als erteilt betrachtet werden sollte. Amerikas Vertrag mit der Türkei enthielt