Der Zeuge Karl Valentin: und andere Geschichten eines Münchner Anwalts
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Über dieses E-Book
Waldemar Kiessling
Dr. Waldemar Kiessling (1904-1977) absolvierte das Studium der Rechtswissenschaften in Würzburg, das er mit der Promotion abschloß. Im Rahmen seiner Referendarzeit verbrachte er ein Studienjahr in New York. 1932 eröffnete er seine Kanzlei in der Residenzstraße 18, gegenüber der Staatsoper. Schon bald gelang es dem jungen Anwalt, durch sein Einfühlungsvermögen und seine tief verwurzelte Menschlichkeit das Vertrauen seiner Klienten, darunter vieler Unternehmer aus der Nachbarschaft, zu gewinnen. Er war ein musischer Mann, der in seiner Freizeit gerne Klavier spielte, mit Tusche und Feder zeichnete und sich auch literarisch betätigte (Münchner Quiz, Lüftlmalerei...). Die in diesem Buch zusammengefaßten Erlebnisse aus den beruflichen Anfangsjahren bezeugen seine warmherzige Lebensart.
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Buchvorschau
Der Zeuge Karl Valentin - Waldemar Kiessling
Herausgegeben von Waldemar und Nicolette Kiessling
Mit einem Vorwort von Dr. Georg Wirsing, dem die Herausgeber dafür ganz besonders herzlich danken.
Redaktion und Anmerkungen: Nicolette Kiessling, Peter Schwarz-Mantey
Illustrationen: Christine Ruf, München
Inhalt
Vorwort
Die Zukunft hat doch begonnen
Amtsgerichtsrat Dr. Alois Armbruster
Pflasterermeister A.D. Franz Xaver Huber und die Lebedame
Philipp und Philomena
Die „Wahrschlagerin"
Der Zeuge Karl Valentin
Frau Mehlsackerl
Der Kröpfei
Wiedersehen mit einer Jugendgeliebten
Brief an ein altes Haus
Anmerkungen
Vorwort
Dr. Waldemar Kiessling, geboren 1904, war Sohn des Arztes und passionierten Jägers Dr. Karl Kiessling, genannt der „Alte Kies", seinerseits Sohn eines königlich bayerischen Forstmeisters in Mainfranken, woher die Familie stammt. Von diesen Vorfahren hatte er seine Jagdleidenschaft geerbt, die ihn bis an sein Lebensende begleiten sollte.
An normal verlaufene Schuljahre in München, abgesehen von den Beeinträchtigungen des Ersten Weltkriegs, schloss sich ein Jura-Studium an, einschließlich einer fröhlichen Aktivenzeit beim Corps Moenania in Würzburg, aus der viele lebenslange Freundschaften stammten.
Der frisch promovierte Referendar schnupperte sodann den Duft der großen weiten Welt, als er 1927/28 „mit Genehmigung des Bayerischen Justizministeriums ein Jahr als Praktikant in einer Anwaltskanzlei in New York verbrachte. Es war dies die Zeit, in der Prohibition einerseits, rasanter wirtschaftlicher Aufschwung und aufregende kulturelle Ereignisse der „Roaring Twenties
andererseits dem US-amerikanischen Way of Life den Takt vorgaben. Speak-Easies
, nach außen bieder wirkende Kaffeehäuser, deren Kaffeetassen jedoch in Wirklichkeit mit Whisky und anderen Spirituosen gefüllt waren, begegneten ihm dabei nach seinen Erzählungen ebenso wie aufregende Opern-,Theater- und Konzertbesuche, aber auch feucht-fröhliche Besuche in Coney Island mit guten Freunden. Nach New York und zurück fuhr man damals, romantischer als heute, mit dem Schiff, jeweils etwa zwei Wochen, mit allem, was solche Reisen so zu bieten hatten. Auch wenn der Dampfer der Hinfahrt kurz nach seiner Ankunft im Hafen von New York gänzlich ausbrannte und auf der Rückfahrt Eisberge in Erinnerung an den damals noch gar nicht weit zurückliegenden Untergang der Titanic Besorgnisse aufkommen ließen.
Nach dem sich anschließenden Assessorexamen gelang es dem jungen Juristen, trotz des damals zunehmend problematischen wirtschaftlichen Umfelds, das 1932 in die erste Weltwirtschaftskrise mündete, als erstes Mandat einen Beratungsvertrag mit dem Reichsverband einer Händlervereinigung als dessen Justitiar abzuschließen. Das Honorar von 130 Reichsmark monatlich reichte aus, um daraus sowohl die Miete für ein Büro in guter Lage wie das Gehalt einer Sekretärin zu bezahlen. So wurde Anfang April 1932 in dem von ihm sehr geliebten Haus Nr. 18 der damals noch verträumten Residenzstraße in München, einem Haus mit klassizistischer Fassade und Blick auf die Oper, die Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. Waldemar Kiessling eröffnet und seitdem betrieben. Vor dem Haus parkte der schwarze Ford Roadster des Kanzleiinhabers, ein rasanter Sportflitzer mit zumeist heruntergeklappter Frontscheibe, oft noch als einziges Auto.
Die Jagd brachte neue Bekanntschaften, die sich auch mandatsmäßig auswirkten. So war Dr. Kiessling bald auch Justitiar des Bayerischen Bergbaus, der sich damals überwiegend in der Hand großer Bergbau-Gesellschaften von Rhein und Ruhr befand, deren Vorstände wohl zwingend auch Jagdscheininhaber sein mussten.
Aus den Dreißiger Jahren stammen solche Kontakte wie der zu Karl Valentin, der sich zu der Frage Rat holte, was es an Strafe koste, wenn er eine Wahrsagerin und Kartenlegerin, von ihm „Wahrschlagerin betitelt, wegen Nichteintreffen ihrer düsteren Voraussage über seine baldige Erkrankung eine „ganz greißliche grüne Gottsackerfliagn
nenne oder wenigstens „abgefieselte Suppenhenna und „zammazupfte Salatstaudn
. Die Auskunft, dass das eine wie das andere so 40 bis 50 Mark kosten dürfte, ließ ihn jedoch von seinem Vorhaben als „z’teuer" Abstand nehmen.
Über solche und andere erheiternde Begebenheiten aus seiner Referendar- und Anwaltstätigkeit erzählt Dr. Kiessling, der gerne in seinen Mußezeiten schrieb und malte, die in diesem Büchlein zusammengestellten Geschichten. Mit feinsinnigem Humor werden hier nach außen oft raue, in ihrem Herzen aber sehr empfindsame und im Ausdruck oft urkomische bayrische Originale und ihre Schicksale vorgestellt.
Den Schwerpunkt seiner anwaltlichen Tätigkeit legte Dr. Kiessling auf die Beratung von zumeist mittelständischen Unternehmern, oft sowohl in ihren geschäftlichen wie in ihren privaten Angelegenheiten. Vielfach wurden dabei Mandate begründet, die Jahrzehnte überdauern sollten.
Diesen Schwerpunkt hat die Kanzlei auch nach seinem Ableben im Jahre 1977 beibehalten. Ich hatte das Glück, zuvor vier Jahre als Referendar und Assessor und sodann zehn Jahre als Juniorpartner für und mit Dr. Kiessling in der Kanzlei tätig zu sein. Diese Zusammenarbeit war geprägt von ungetrübter Partnerschaft und väterlicher Freundschaft und der Vermittlung an den jüngeren Partner von all dem, was nicht nur fachlich, sondern auch charakterlich und menschlich verantwortungsbewusste Anwaltstätigkeit ausmacht. Auch diesen Geist des berufsbezogenen Miteinanders haben wir aufrechterhalten und wollen wir in Zukunft weitergeben.
München, im Juni 2007
Dr. Georg Wirsing
Diese Erzählungen haben sich alle so zugetragen, wie ich sie erlebt und geschildert habe.
Alle Namen, auch Ortsnamen, sind verändert. Sollten sich trotzdem Namensgleichheiten oder Ähnlichkeiten ergeben, dann sind diese rein zufälliger Natur.
Nur ein Name ist unverändert geblieben. Es ist der unseres unvergesslichen, geliebten Karl Valentin, der Hauptfigur in den beiden Erzählungen „Die Wahrschlagerin und „Der Zeuge Karl Valentin
.
Dr. Waldemar Kiessling
Die Zukunft hat doch begonnen
I
Als junger Mensch mit etwa vierzehn, fünfzehn Jahren hatte ich einmal Grippe. Mein Vater, der gerade in die Stadt ging, fragte mich, was er mir mitbringen könne.
Ich wünschte mir ein Buch über ein interessantes, aufregendes, modernes Thema. Mein Vater kam wieder mit der Neuerscheinung „Der Tunnel" von Bernhard Kellermann, und er hatte damit ins Schwarze getroffen. Nie wieder habe ich eine so schöne Grippe erlebt! Das Buch faszinierte mich von der ersten Seite an so, daß die Unannehmlichkeiten meiner Erkrankung mich überhaupt nicht mehr berühren konnten. Ich war entrückt in die Welt des Romans – den Bau eines Tunnels zwischen den USA und Europa und das Leben in New York. Diese Stadt hatte so sehr mein Interesse gepackt, daß ich mir fest vornahm – ganz gleich, welchen Beruf ich einmal ergreifen würde – , bei der ersten sich bietenden Gelegenheit dort ein Jahr zu verbringen.
Nach zehn Jahren war es dann soweit. Ich hatte mein juristisches Referendarexamen gemacht und die Doktorprüfung bestanden. Das Bayerische Justizministerium hatte seine Genehmigung zu einem einjährigen Studienaufenthalt erteilt. Ich mußte jedoch nach meiner Rückkehr Art und Weise meiner weiteren Ausbildung in den Vereinigten Staaten durch entsprechende Bestätigungen und Zeugnisse nachweisen.
II
Die vom „Tunnel erzeugten Vorstellungen meiner Phantasie wurden nun zur Wirklichkeit eines ständig vorwärts drängenden Erlebens, das oft genug die Bilder meiner Träume übertraf. Es war so einfach gewesen, ein Ticket für die Überfahrt zu kaufen. Aber jetzt, als ich auf einmal vor dem Dampfer „München
mit seinen 14.000 Tonnen am Pier von Bremerhaven stand und mich anschickte, die Gangway hinaufzugehen, sah alles gar nicht mehr so papieren aus. Meine innere Anspannung war vielmehr so groß, daß ich das Geländer der Gangway im Hinaufgehen ein paarmal mit der Hand umfassen und ganz fest drücken mußte, um zu fühlen, daß das alles materielle Realität war. Zu den Klängen von „Muss i denn, muss i denn... wurde die „München
dann langsam von den Schleppern vom Pier gezogen. Ich stand noch