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Täter, Opfer, schwarze Roben: Spektakuläre Mordprozesse in der Residenz des Rechts
Täter, Opfer, schwarze Roben: Spektakuläre Mordprozesse in der Residenz des Rechts
Täter, Opfer, schwarze Roben: Spektakuläre Mordprozesse in der Residenz des Rechts
eBook242 Seiten3 Stunden

Täter, Opfer, schwarze Roben: Spektakuläre Mordprozesse in der Residenz des Rechts

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Über dieses E-Book

Mord in der „Residenz des Rechts!
„Karlsruhe hat entschieden“.
Oft fällt dieser Satz, wenn die obersten Gerichte Deutschlands ein umstrittenes Urteil gefällt haben. Doch auch in Karlsruhe, der beschaulichen Stadt im Südwesten, wird profan gemordet! In diesem Buch sind vierzehn spektakuläre Fälle aus 150 Jahren vereint, die vor einem Karlsruher Schwurgericht verhandelt wurden. Dabei reicht die Bandbreite vom Mord aus verletzter Ehre, über eine Amokfahrt und ein Sexualverbrechen bis zu einem Mordprozess ohne Leiche.
SpracheDeutsch
Herausgeberhansanord Verlag
Erscheinungsdatum14. Juli 2021
ISBN9783947145515
Täter, Opfer, schwarze Roben: Spektakuläre Mordprozesse in der Residenz des Rechts
Autor

Eva Klingler

Eva Klingler, gebürtige Oberhessin aus Gießen, ist in Mannheim aufgewachsen und hat dort auch studiert. Es schloss sich das Referendariat an, dann absolvierte sie in Baden-Baden beim SWF (heute SWR) ein Volontariat. Von Zeitungsjournalistin über Sprachlehrerin an der eigenenS prachschule, von Bibliotheksleiterin über Ladeninhaberin – Eva Klingler hat viel gemacht. Eines hat sie nie aus den Augen verloren – das Schreiben. Über 40 Bücher: Satiren, Krimis, Romane und Sachbücher. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Karlsruhe.

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    Buchvorschau

    Täter, Opfer, schwarze Roben - Eva Klingler

    Eva Klingler, Wolfgang Wegner

    Täter, Opfer, schwarze Roben

    Spektakuläre Mordprozesse in der Residenz des Rechts

    über die Autoren

    Eva Klingler, gebürtige Oberhessin aus Gießen, ist in Mannheim aufgewachsen und hat dort auch studiert. Es schloss sich das Referendariat an, dann absolvierte sie in Baden- Baden beim SWF (heute SWR) ein Volontariat. Von Zeitungsjournalistin über Sprachlehrerin an der eigenen Sprachschule, von Bibliotheksleiterin über Ladeninhaberin – Eva Klingler hat viel gemacht. Eines hat sie nie aus den Augen verloren – das Schreiben. Über 40 Bücher: Satiren, Krimis, Romane und Sachbücher. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Karlsruhe.

    Dr. Wolfgang Wegner, Jahrgang 1965, studierte Germanistik und Politische Wissenschaft und ist seit über zwanzig Jahren als Germanist und Dozent für Deutsch als Fremdsprache tätig. Bücher und Geschichten waren schon immer seine Leidenschaft, bereits als Jugendlicher verschlang er einen Wälzer nach dem anderen. Im Laufe der Zeit veröffentlichte Wolfgang Wegner Bücher unterschiedlicher Genres von wissenschaftlichen Arbeiten bis zum Kinderbuch und Kriminalroman. Darüber hinaus ist Wolfgang Wegner als Kultur- und Medienschaffender aktiv, u.a. mit einem YouTube-Kanal zum Mittelalter und unterschiedlichen Kultur-Events.

    Mehr zu Wolfgang Wegner finden Sie unter: www.wolfgang-wegner.com

    Impressum

    1. Auflage 2021

    © 2021 by hansanord Verlag

    Alle Rechte vorbehalten

    Alle Rechte für diese Ausgabe vorbehalten

    Das gilt vor allem für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikrofilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen - nur nach Absprache und Freigabe durch den Herausgeber.

    ISBN E-Book: 978-3-947145-51-5

    ISBN Buch: 978-3-947145-50-8

    Cover/Umschlag: Marc-Torben Fischer

    Lektorat: Ines Eifler

    Für Fragen und Anregungen: 

    info@hansanord-verlag.de

    Fordern Sie unser Verlagsprogramm an:

    vp@hansanord-verlag.de

    hansanord Verlag

    Johann-Biersack-Str. 9

    D 82340 Feldafing

    Tel.:  +49 (0) 8157 9266 280

    FAX: +49 (0) 8157 9266 282

    info@hansanord-verlag.de

    www.hansanord-verlag.de

    Logo_hansanord_pos_120

    Inhalt

    Vorwort

    Tödliches Ehrgefühl

    Zwischenruf: Das Richtschwert

    Das Geld der Schwiegermutter

    Zwischenakt: Indizienprozesse

    Ein falscher Heldentod

    Tödliche Liebschaften

    Residenz des Rechts

    Tod in Uniform

    Zwischenakt: Polizistenmord

    Das Scheusal

    Ende einer Amokfahrt

    Keiner hörte ihre Schreie

    Papa lässt töten

    Der Ehemann muss weg!

    Urteil ohne Leiche

    Im Zweifel für die Angeklagte

    Eine Wohnung wird zur Todesfalle

    Es gibt keine angenehme Art, jemanden zu töten. - Im Gespräch mit dem Mordermittler Wolfgang Metzger

    Nachwort

    Quellen

    Vorwort

    Recht gesprochen wurde und wird überall in Deutschland. „Im Namen des Volkes" ergehen täglich Urteile in der Republik, überall setzen Richter ihr Barett auf und lassen Milde walten oder ahnden mit der ganzen Härte der Paragrafen.

    Warum also haben wir Fälle aus Karlsruhe ausgewählt? Nun, keine Stadt in Deutschland verbindet man so sehr mit dem Recht wie die sogenannte Fächerstadt im Südwesten. Die höchsten Gerichte, gegen deren Urteil kein Widerspruch möglich ist, regeln hier unser Zusammenleben und bilden die letzte Instanz.

    Spektakulär sind die Entscheidungen, die heute regelmäßig von Reportern kommentiert werden – und unbequem für die Politik oft die Urteile, die von den Männern und Frauen in schwarzen oder roten Roben gefällt werden.

    Bevor Karlsruhe die „Residenz des Rechts und somit zu einer Art „Gerichtshauptstadt Deutschlands wurde, war es eine mittelgroße und mittelmächtige badische Residenzstadt, die sich einer gewissen Toleranz und französischer Atmosphäre erfreute. Allerdings galt sie auch als langweilig und friedlich. Ein Irrtum, wie wir im Verlauf unserer Recherchen erfuhren.

    Denn auch in Karlsruhe lauerten über die Jahrhunderte hinweg Verbrecher ihren Opfern auf. Hier unterschied sich die heutige Stadt der höchsten Gerichte in keiner Weise von anderen Städten. Auch nicht von Ihrer, verehrter Leser.

    Die Motive, die Leidenschaft und die Verirrungen, die zum schlimmsten Verbrechen der Menschheit führten, dem Mord, existierten hier genau wie überall und wurden geahn-det wie überall.

    Keineswegs immer waren es Asoziale, die in der Beamtenstadt zur Waffe griffen. Erstaunlich oft trafen wir auch den gutsituierten Mörder an, dessen Motive vielleicht noch mehr erschauern lassen, weil sie so unverständlich erscheinen in ihrer egozentrischen Gemeinheit sind.

    Tödliches Ehrgefühl

    Der Fall Brüsewitz ist unser „ältester Fall. Er geht zurück in die Zeiten, in denen es noch das berühmte „Oben und Unten gab: als Justitias Augen noch nicht verbunden waren und bestimmte Kreise mit arroganten Verbrechen davonkommen konnten.

    Auch heute noch wirken die Kasernengebäude aus dunkelrotem Backstein imposant und einschüchternd, auch wenn sie schon lange nur noch zivilen Zwecken dienen. Wir spazieren über die große rechteckige Freifläche, die von den Gebäuden umrahmt wird. Immer wieder betrachten wir die alten Fotos, die wir uns besorgt haben. Sie zeigen den militärischen Alltag im Deutschen Kaiserreich. Man braucht nur ein wenig Fantasie, um sich ins letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zurückzuversetzen: Die Kaserne des Badischen Leibgrenadier-Regiments Nr. 109 ist nun erfüllt von gebrüllten Befehlen, dem festen Tritt Hunderter marschierender Stiefel und dem Trampeln beschlagener Hufe auf staubigem Boden. Inmitten dieses Treibens steht er: Premierleutnant Henning von Brüsewitz. Stolzer Offizier in einem Rang, der dem eines heutigen Oberleutnants entspricht.

    Er entstammte einem alten mecklenburgischen Adelsgeschlecht, das sich nach Pommern, Schlesien und Preußen ausgebreitet hatte und auf das er durchaus stolz sein konnte. Wie in diesen Familien üblich, waren bereits etliche hochdekorierte Militärs aus ihr hervorgegangen, so wie Karl Friedrich von Brüsewitz, der bis zum Generalleutnant der Preußischen Armee aufgestiegen war. Der Hauptakteur dieser Geschichte, Henning von Brüsewitz, repräsentierte den pommerschen Zweig. Er erblickte am 1. August 1862 in Bandesow (heute der polnische Ort Będzieszewo) in Hinterpommern nahe der Ostsee das Licht einer Welt, die von gesellschaftlichen Hierarchien und der Macht des adligen Junkertums geprägt war. Schon von Kind an wird ihm jener Standesdünkel eingetrichtert worden sein, der später zu einem Sargnagel der ersten deutschen Demokratie wurde.

    Henning von Brüsewitz trat 1883 als Freiwilliger in das 1. Badische Leib-Grenadier-Regiment Nr. 109 ein, wurde ein Jahr später Leutnant und 1893 zum Premierleutnant befördert. Man mag sich fragen, warum ein Preuße in einer badischen Einheit diente. 1870 hatte das Großherzogtum Baden per Vertrag zugestimmt, dass seine Armee als Kontingent in der Preußischen Armee aufging. Durch diese Eingliederung erhielt das Regiment die Nummer 109 und war nunmehr eine preußische Einheit, in der auch der acht Jahre ältere Bruder unseres Premierleutnants seine militärische Laufbahn begonnen hatte. Stationiert war das Regiment in der gerade neu errichteten imposanten Kaserne in der Karlsruher Moltkestraße.

    Wichtig für die Beurteilung der folgenden Ereignisse ist das hervorgehobene Ansehen des Leib-Grenadier-Regiments, dessen Kommandeur nach wie vor der Großherzog höchstpersönlich war und das als besondere Auszeichnung die Schlosswache stellen durfte. Die Offiziersränge waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts – anders als in der Anfangszeit der Einheit – fast ausschließlich mit Adligen besetzt.

    Henning von Brüsewitz verkörperte mit seiner Herkunft und seiner Uniform die beiden wichtigsten gesellschaftlichen Schichten des Kaiserreichs: Adeliger und Berufsoffizier. Diesem doppelten Standesdünkel entsprechend, zeigt ihn eine Fotografie mit harten Gesichtszügen, akkuratem Mittelscheitel und gezwirbeltem Kaiser-Wilhelm-Bart. Der 34-jährige Offizier gleicht darin vielen seiner Standes- und Berufsgenossen.

    Am späten Abend des 11. Oktober 1896, es war ein Sonntag, saß Premierleutnant von Brüsewitz zusammen mit einem Bekannten in einem Lokal im Erdgeschoss des Hotels „Tannhäuser, eines wuchtig-großen quadratischen Baus mit drei Stockwerken, der die südwestliche Ecke von Karl-und Kaiserstraße dominierte. Zu beiden Straßen hin gab es Eingänge in das „Wiener Café-Restaurant 1. Ranges, wie sich das Lokal im Erdgeschoss auf Werbepostkarten selbst bezeichnete, das über mehrere Gasträume verfügte.

    Auch zu vorgerückter Stunde war das Lokal noch immer gut besucht. Man wollte das Wochenende verlängern, so gut es ging. Der nächste Morgen würde alle Gäste wieder mit ihrem oftmals tristen Alltag konfrontieren. 

    Wir können uns gut vorstellen, wie Henning von Brüsewitz an einem der Tische in angeregter Unterhaltung mit seinem Bekannten sitzt und mit kräftiger, das Befehlen gewohnter Stimme den hohen Geräuschpegel durchdringt. Sein Begleiter hat es da schwerer, denn er ist kein Angehöriger der Preußischen Armee. Der 24-jährige Roderich von Jung-Stilling studierte Jura, ohne diesen Beruf später jemals auszuüben. Vielmehr trat er unter dem Namen Richard Starnburg als Schauspieler in mehreren Stummfilmen auf. Doch er kam ebenfalls aus einer angesehenen Familie: Sein Urgroßvater war der Augenarzt und Schriftsteller Johann Heinrich Jung, der sich selbst den Beinamen „Stilling" gab und so die Familie Jung-Stilling begründete. Roderichs Vater war Friedrich von Jung-Stilling, Leiter des Statistischen Büros der Livländischen Ritterschaft in Riga. Dort wurde Roderich geboren und auch er trug wohl eine althergebrachte Vorstellung von Standesgrenzen und gesellschaftlicher Hierarchie in sich. Woher sich die beiden ungleichen Männer kannten, weiß man heute nicht mehr. Es ist für unsere Geschichte nicht weiter von Bedeutung.

    Das Unheil nahm gegen 23.30 Uhr seinen Lauf, als sich eine der Türen öffnete und Theodor Siepmann zusammen mit einem Freund und zwei Damen den größten Gastraum betrat. Auch dem am 27. August 1865 in Altendorf bei Essen geborenen Siepmann war das Wesen des Militärs nicht fremd, ein Umstand, der für die Beurteilung des Folgenden nicht unwesentlich ist. Der Sohn eines Gastwirtsehepaars war nach seinem Militärdienst als Reservist zum Unteroffizier befördert worden. Um das Jahr 1891 herum wird er nach Karlsruhe gekommen sein. Zunächst hatte er bei der Deutschen Metallpatronenfabrik gearbeitet, dann als Mechaniker bei der Nähmaschinenfabrik „Junker & Ruh", die gerade ihren großen Aufschwung erlebte.

    Die Freunde steuerten voller Vorfreude auf ein Glas Wein oder ein kühles Bier einen freien Tisch an. Sie beachteten die beiden Herren am Nachbartisch, den Offizier und den Studenten, nicht weiter. Warum sollten sie auch?

    Theodor Siepmann stieß beim Hinsetzen mit seinem Stuhl gegen den des Premierleutnants. Die Zeitungen der Badischen Hauptstadt berichteten später ausführlich über das auf den ersten Blick unbedeutende Ereignis. In der Beurteilung lagen sie dabei jedoch weit auseinander. Hierzu muss man wissen, dass es in Karlsruhe, wie in den anderen größeren Städten im Deutschen Reich, zu jener Zeit mehr als nur eine Tageszeitung gab. Die Leser konnten zwischen sieben Blättern wählen, vom linksliberalen „Badischen Landesboten über die konservative „Badische Landpost bis zur „Badischen Presse" als Generalanzeiger für Residenz und Großherzogtum Baden. Je nach politischer Ausrichtung war das kleine Anrempeln für die Redakteure ein Versehen, das Siepmann gar nicht bemerkte, oder eine bewusste Provokation des Arbeiters gegenüber einem adligen Offizier.

    Statt die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen, verlangte der Offizier nach dem Wirt des Lokals, Josef Kritsch, um sich bei ihm über das flegelhafte Benehmen des Gastes am Nebentisch zu beschweren. Siepmann jedoch verbat sich dieses herablassende Verhalten des Offiziers und ging mit dem Wirt kurz in ein anderes Gastzimmer, um den Vorfall aus seiner Sicht zu schildern. Im sicheren Gefühl, die Sache geklärt zu haben, kehrte er zu seinen Bekannten zurück.

    Etwa 20 Minuten herrschte Frieden, dann forderte von Brüsewitz erneut lautstark eine Entschuldigung von Siepmann, da er habe seine soldatische Ehre gekränkt habe. Ein solches Verhalten lässt auf ein gerüttelt Maß Alkohol im Blut des Premierleutnants schließen. Siepmann konterte: „Keine Antwort ist auch eine Antwort. Und mit diesem Satz eskalierte die Situation. Von Brüsewitz wollte den Säbel ziehen, doch der Wirt und ein aufmerksamer Kellner konnten das verhindern. „Ich bin in meiner Ehre tödlich verletzt, nun kann ich den Dienst quittieren! Mit diesen Worten zitiert die „Berliner Illustrierte Zeitung" den Premierleutnant.

    Wer nun glaubt, der aufgebrachte Offizier und sein Begleiter seien daraufhin gebeten worden, das Lokal zu verlassen, liegt falsch. Josef Kritsch bat Theodor Siepmann, sich mit seinen Bekannten in einen anderen Raum zu setzen. Der zog es jedoch vor, unverzüglich aufzubrechen, und stürmte ohne Mantel und Hut aus dem Lokal in den Innenhof. Sein Freund sollte ihm beides nachbringen. Auch von Brüsewitz sprang auf und wollte dem Kontrahenten folgen, wurde aber vom Wirt daran gehindert. Der gekränkte und nach Satisfaktion dürstende Premierleutnant verließ die Gaststätte nun ebenfalls durch den Ausgang zur Karlstraße. Hier könnte die Geschichte enden, doch von Brüsewitz gab nicht auf, suchte nach seinem Gegner. Um die Ecke, Eingang Kaiserstraße, traf er Siepmann, der den Innenhof verlassen hatte und ebenfalls auf die nächtliche Straße getreten war. Von Brüsewitz zog seinen Säbel, Siepmann rannte zurück ins Lokal und erneut in den Innenhof, aus dem es kein Entkommen gab. Der unbewaffnete Mechaniker hoffte vielleicht, sein Gegenüber würde es bei einer verbalen Attacke belassen. Laut der „Berliner Illustrierten Zeitung" sagte er noch, er wolle sich entschuldigen, doch von Brüsewitz stieß mit enormer Wucht zu. Er traf sein Opfer in die rechte Brust, der Säbel durchbohrte die Leber, den Magen, das Zwerchfell und durchdrang die linke Brustwand. Diese enormen Verletzungen führten zum Tod Siepmanns wenige Minuten nach dem Angriff, laut Eintrag beim Standesamt um 0.45 Uhr am Montag, 12. Oktober. Seit Beginn der Auseinandersetzung um das Zusammenstoßen zweier Stühle war ungefähr eine Stunde vergangen.

    Von Brüsewitz ging in die Gaststätte zurück und berichtete Roderich von Jung-Stilling, Siepmann sei „zur Strecke gebracht, was geschehen war. Er fühlte sich keines Verbrechens schuldig. Am folgenden Tag nahm er wie gewohnt seinen Dienst auf und saß am Abend, als sei nichts geschehen, wieder in einem Wirtshaus – immerhin vermied er es, erneut ins „Tannhäuser zu gehen. Seine Tat bezeichnete er als „Antwort auf die Provokation einer Zivilkanaille". Viele sahen es in den folgenden Monaten genauso, andere jedoch stellten das hierarchische Ständesystem infrage. 

    Zunächst aber geriet die badische Residenzstadt in Aufruhr. Der Karlsruher Abgeordnete Markus Pflüger äußerte in einer Sitzung des Reichstages am 17. November 1896, dass „der traurige Fall, die bedauerliche That des Herrn Lieutenants von Brüsewitz die heitere, sonnige Residenz unseres verehrten Fürsten […] in große Aufregung versetzte".

    Diese Aufregung könnte ihre Ursache in dem unguten Gefühl vieler Menschen gehabt haben, dass ihnen diese Sache selbst hätte passieren können. Auch eine, vorsichtig ausgedrückt, eher geringe Sympathie für die preußischen Truppen in der badischen Bevölkerung mag dazu beigetragen haben.

    Als am 15. Oktober der Sarg mit dem Leichnam Theodor Siepmanns zum Bahnhof gefahren wurde, um nach Altendorf überführt zu werden, standen Hunderte, laut „Badischer Presse gar Tausende Menschen an der Strecke. Am Bahnsteig hatten sich die Arbeiter von „Junker & Ruh versammelt, denen die Firmenleitung für diesen Abschied freigegeben hatte. Auch Firmengründer Karl Junker erwies seinem Mechaniker die letzte Ehre. Für die große Anteilnahme der Bevölkerung bedankte sich die Familie in einer Zeitungsanzeige. 

    Da es sich bei dem Täter um einen Offizier handelte, wurde der Fall nicht vor einer zivilen Strafkammer, sondern vor dem Militärgericht verhandelt. In Preußen wurde der besondere Gerichtsstand des Militärs als Privileg betrachtet. Nach der Reichsgründung legte Artikel 61 der Reichsverfassung eine einheitliche Militärgerichtsbarkeit fest, aber erst 1898 wurde eine allgemein gültige Militärstrafgerichtsordnung erlassen. Dort legte Paragraf drei fest: „Der bürgerlichen Strafgerichtsbarkeit unterliegen die Militärpersonen des aktiven Heeres und der aktiven Marine, sofern sie nicht dem Offizierstand angehören […]."

    Ein Gericht, dessen Richter dem gleichen privilegierten gesellschaftlichen Stand wie der Täter angehörte, musste natürlich das Misstrauen in der Bevölkerung zusätzlich stärken. Hinzu kam, dass das Gericht nicht öffentlich verhandelte. Kein Geringerer als der damalige Vorsitzende der SPD, August Bebel, brachte die Stimmung am 17. November 1896 in einer Sitzung des Reichstages auf den Punkt: „Wir stehen hier einem geheimen Vehmverfahren [sic!] gegenüber, das für das große Publikum ein Buch mit sieben Siegeln ist, in das niemand hineinblicken kann."

    Die Bluttat und der folgende Prozess schlugen in der Presse des Deutschen Reiches hohe Wellen. Die linksliberalen und sozialdemokratischen Blätter schlugen sich auf die Seite des Opfers. Das „Berliner Tageblatt" initiierte gar eine Unterschriftenaktion für eine Petition an den Reichstag. Man forderte ein Verbot des Duellwesens und eine Abschaffung der Militärgerichtsbarkeit. 100.000 Unterschriften kamen zusammen. Aus dem vermeintlichen Einzelfall wurde eine grundsätzliche Debatte über die überbetonte Rolle des Militärs und den besonderen Ehrenkodex seiner Angehörigen, vor allem im Offiziersstand.

    Die konservativen Zeitungen nahmen dagegen von Brüsewitz in Schutz, teilweise mit abstrusen Behauptungen. Die „Badische Landpost" immerhin gab die Schuld des Premierleutnants zu, relativierte sie jedoch im gleichen Atemzug, indem sie von Brüsewitz Alkoholismus und ungezügelte Triebe unterstellte. 

    Am 17. und 19. November 1896 debattierte der Reichstag in Berlin über den Fall Brüsewitz. Vorangegangen waren zwei Anfragen der Freisinnigen Volkspartei an die Regierung. Gefragt wurde, was Reichskanzler Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst zur Eindämmung der Duelle unternommen habe und welche Schlüsse die Regierung aus dem Karlsruher Fall zu ziehen beabsichtige. Während der zweitägigen Debatte wurden 20 Reden gehalten, in denen vor

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