Reisebriefe vom Kriegsschauplatz
Von Theodor Fontane
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Über dieses E-Book
Fontane gilt als der herausragende Vertreter des poetischen Realismus in Deutschland.
In seinen Romanen, die großenteils erst nach seinem 60. Lebensjahr entstanden, charakterisiert er die Figuren, indem er ihre Erscheinung, ihre Umgebung und vor allem ihre Redeweise aus einer kritisch-liebevollen Distanz genau beschreibt. Typisch ist die Darstellung einer gepflegten Konversation in einem abgeschlossenen Zirkel, etwa bei einem Festessen – die Personen folgen gesellschaftlichen Konventionen und enthüllen doch ihre wahren Interessen, häufig gegen ihren Willen. Dabei kommt Fontane von einer Kritik an Einzelpersonen oft zu einer impliziten Gesellschaftskritik.
(aus wikipedia.de)
Theodor Fontane
Der weltbekannte Autor Theodor Fontane (1819-1898) ist bis heute einer der wichtigsten deutschsprachigen Autoren und wird immer noch gern gelesen. Effi Briest ist das bekannteste Werk von ihm.
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Buchvorschau
Reisebriefe vom Kriegsschauplatz - Theodor Fontane
Inhaltsverzeichnis
Reisebriefe vom Kriegsschauplatz
Dresden
Nach Prag
Ankunft in Prag. Im »Alten Ungeld«
Prag
Fahrt durchs Land
Land und Leute
Podoll
Münchengrätz
Nach Gitschin
Gitschin
Sadowa-Chlum
Impressum
Reisebriefe vom Kriegsschauplatz
Dresden
Also nach dem Kriegsschauplatz! Die Wege waren geebnet und entgegenkommendes Vertrauen hatte mir sogar die »weiße Binde mit dem roten Kreuz« eingehändigt. Sie war ein Freipass, aber vielfach doch auch die Quelle von Beschämung und Verlegenheiten. »Wir wünschen Ihnen Glück zu Ihrem schönen Beruf«, mit diesen Worten nahm man im Coupé mehr denn einmal Abschied von mir, und dieser »schöne Beruf« bestand doch nur darin, gelegentlich über Kranke zu schreiben, nicht Kranke zu pflegen. Die weiße Binde führte auch zu diskreten Mitteilungen, die meine Situation fast noch peinlicher machten. Man appellierte, so zu sagen, an eine höhere Instanz. »Denken Sie sich, mein Neffe stürzt bei Königgrätz vom Pferde. Er fällt sich den Arm aus, schlimm genug, aber der Doktor nimmt es für Knochenbruch. Also Gipsverband. Ach, diese ewigen Gipsverbände! Nun liegt der arme Junge in Magdeburg und verbringt seine Tage zwischen Chloroform und Flaschenzug.« Gegen Mittag lag Dresden im Sonnenscheine vor uns. Es scheint mein Schicksal, immer nur im Gefolge preußischer Regimenter in die sächsische Hauptstadt einzuziehen. Zuletzt 1849. Die Maitage waren damals eben vorüber, die Granitstein-Barrikaden Sempers eben weggeräumt und die an Eisenstangen hängenden Gewerks- und Wirtshausschilder in der Scheffelgasse waren von preußischen Kugeln noch wie durchsiebt.
Das war vor siebzehn Jahren. Heute fehlten die Kugelspuren, und doch eine eroberte Stadt! Die Neustädter Wache war von 24er Landwehr besetzt und eine mächtige schwarzweiße Fahne hing vom Dach bis zu den Treppenstufen nieder. Ein leiser Wind bauschte sie auf, wie ein Segel. Nun, Glück auf und gute Fahrt!
Wir nahmen Quartier im Hotel Bellevue. Oberst v. Mertens (der Befestiger Düppel-Alsens) war mit zu Tisch; an der Wand uns gegenüber befanden sich drei Konsolen und die Büsten König Johann's und seiner beiden Prinzen sahen auf die bunte Reihe preußischer Uniformen nieder.
Erster Ausflug natürlich auf die Brühl'sche Terrasse. Ich fand hier Alles schwärzer, rußiger geworden, nichts von der Heiterkeit und Eleganz, die sonst hier wohl ihre Stätte hatten. Aber die Aussicht war schöner denn je. Nach beiden Seiten hin hat sie gewonnen, nach rechts hin durch die drei großen weißschimmernden Schlossbauten, die den Namen der Albrechts-Burgen führen, nach links hin durch die schöne Eisenbahnbrücke, die – ähnlich wie die Glienicker Brücke bei Potsdam – eine überaus malerische Linie durch den Strom zieht.
Das Dresdener Leben scheint sich seit den vierziger Jahren immer mehr an das Elbufer gezogen zu haben. Das Hotel Bellevue ist entstanden, das bescheidene »italienische Dörfchen« ist zu einer großen Anlage geworden, die Bildergallerie – und das ist die Hauptsache – hat ihren Platz auf dem Neumarkt aufgegeben und sich in einem neu und prächtig errichteten »Museum«, das die beiden alten Zwinger-Flügel verbindet, niedergelassen. Die preußische Herrschaft ist inzwischen noch einen Schritt weiter gegangen und hat den weiten unregelmäßigen Platz, der zwischen Schloss, Theater und Zwinger liegt, zu einem Parade- und Exerzierplatz umgeschaffen. Erst ein Märkisches (Ruppin), dann ein Thüringisches (Erfurt) Landwehr-Bataillon schwenkte in Zügen und Halbzügen auf und ab, wobei die preußischen Trommeln von einem neu-kreierten Musik-Corps notdürftige Unterstützung empfingen. Von Publikum hatte sich wenig eingefunden. Vielleicht war der Sonnenbrand Schuld. Andere sagen, die Dresdener grollten, dass man ihnen nicht einmal eine volle Regiments-Kapelle zurückgelassen habe.
Wir nahmen einen Wagen und fuhren in den großen Garten, dann rechts hinüber in den Plauenschen Grund. Die Befestigungen, die den großen Garten dicht umzirken, mögen dem sächsischen Auge eine Pein sein, aber nirgends hat der Garten selbst unter diesen Anlagen gelitten. An einzelnen Punkten stiegen wir aus und gesellten uns zu den kaffeetrinkenden Gruppen. Ein Gespräch vermieden wir. Was uns immer wieder und wieder auffiel, war eine gewisse Kärglichkeit der äußeren Erscheinung. Ich wählte absichtlich diesen mildesten Ausdruck, weil ich ein tiefes Mitgefühl mit den Sachsen habe und weil ich die ohnehin Schwergekränkten nicht auch noch durch Bemerkungen über ihr Äußerliches (worin die Menschen immer am empfindlichsten sind) kränken möchte. Aber es lässt sich die Sache nicht ganz verschweigen. Man begegnet – nicht in einzelnen Exemplaren, sondern gruppenweise – völlig aztekenhaften Erscheinungen und es drängt sich Einem mehr und mehr auf, dass diese stagnierenden Verhältnisse durchaus eines starken Luftstroms von außen her, einer Regeneration bedürfen. Es ist wahr, dass diese Dinge, wie richtig die unmittelbare Beobachtung sein mag, dennoch oft täuschen. In einzelnen Schweizer-Kantonen hat man der kleinen, hageren, blutlosen Bevölkerung gegenüber, auch den Eindruck des Degenerierten und trotz alledem sind es – Schweizer. Auch die Sachsen, in so vielen Kämpfen bewährt, dürfen eben jetzt wieder auf die Tage von Gitschin und Königgrätz hinweisen, wo sie musterhaft alle soldatischen Tugenden geübt, aber es ist eine alte Wahrnehmung aus Römertagen her, dass das, was sich bis zuletzt hält, bis zuletzt die Kraft vergangener Zeiten repräsentiert, das Heer ist. Eine Armee kann noch Nerv haben, wenn das Volk als Ganzes längst um diesen Nerv gekommen ist.
Wir kehrten in die Stadt zurück. Die sonst so entgegenkommende Bevölkerung – die übrigens auch jetzt an ihrer traditionellen Höflichkeit festhält – bewährte überall eine sehr reservierte Haltung. Ich muss das loben und ich begreife meine Landsleute nicht, die beständig über Abwehr, kalte Glätte oder gar über Tücke klagen. Es will mir durchaus erscheinen, dass die Beklagten in dieser Kontroverse mehr Recht haben, als die Kläger, und dass es