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Der Offizier der Kaiserin: Historischer Roman
Der Offizier der Kaiserin: Historischer Roman
Der Offizier der Kaiserin: Historischer Roman
eBook317 Seiten4 Stunden

Der Offizier der Kaiserin: Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Ein historischer Schlosskrimi – süffig, spannend und mit einer Prise Romantik

Wir schreiben das Jahr 1898: Schloss Hof liegt alt und vergessen im österreichischen Marchfeld. Während in Wien das fünfzigjährige Regierungsjubiläum Franz Josephs I. gefeiert wird, obwohl im Umland die Rebellion rumort, ist das Leben hier noch ruhig und urtümlich. Als der Kaiser beschließt, das Jagdschloss ans Militär zu verpachten, wird das Leben von Dienstmädchen Irmi ordentlich aufgewirbelt. Denn außer einer Gruppe fescher Offiziere kündigt auch Kaiserin Sisi ihren Besuch an. Grund genug für ein rauschendes Fest. Doch am nächsten Morgen wird die Leiche eines der Offiziere gefunden. Der geheime Polizeiagent Johann Pospischil wird aus Wien entsandt, um zu ermitteln – und kommt einem Skandal auf die Spur, der bis in die vornehmsten Adelshäuser reicht.
SpracheDeutsch
HerausgeberGrafit Verlag
Erscheinungsdatum9. Apr. 2020
ISBN9783894256401
Der Offizier der Kaiserin: Historischer Roman

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    Buchvorschau

    Der Offizier der Kaiserin - Christine Neumeyer

    Christine Neumeyer

    Der Offizier der Kaiserin

    Historischer Roman

    Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

    in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

    Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © 2020 by GRAFIT in der Emons Verlag GmbH

    Cäcilienstraße 48, D-50667 Köln

    Internet: http://www.grafit.de

    E-Mail: info@grafit.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Frantisek Czanner (Schloss), Svetlana Ryazantseva (Reiterin), Andriy Solovyov (Pferdekopf)

    Lektorat: Nadine Buranaseda, Bonn

    eBook-Produktion: CPI books GmbH, Leck

    eISBN 978-3-89425-640-1

    Christine Neumeyer übersiedelte nach Abschluss einer kaufmännischen Ausbildung von Niederösterreich nach Wien und arbeitet nach zehn Jahren im Direktionssekretariat des Schlosses Belvedere in der Verwaltung der Universität Wien. Als Leiterin der Regionalgruppe Österreich der Mörderischen Schwestern realisiert sie verschiedene Literaturprojekte in Wien.

    Prolog

    Im August 1898

    »Auf in den Kampf!«, rief der Ungar Sándor Kiss. Hinter ihm stampften die Stiefel der Kameraden auf den Boden. »Nieder mit Habsburg! Nieder mit dem Kaiser! Freiheit für unsere Völker!«

    Unerschrocken rissen die Männer die Fäuste hoch. Erst als Hufschlag erklang, hielten sie inne. Der Geruch von warmen Tierkörpern hing in der Luft. Staub wirbelte auf. Das Gold der Knöpfe auf den Gendarmerieuniformen blitzte in der sich senkenden Nachmittagssonne.

    »Was sucht ihr hier an der Brücke?«, fragte der Uniformierte, während sein Schimmel schnaubte.

    »Unsere Freiheit!«, brüllte Sándor aus tiefster Kehle.

    »Verschwindet!« Die Augen des Reiters verengten sich, sein Blick richtete sich auf die Schlagstöcke, Äxte und Messer hinter den Rücken der Männer. »Rebellengesindel!«

    Eine Peitsche knallte, ein Schuss fiel, Pferdehufe trafen auf Stein. Jemand schrie: »Freiheit für unser Volk!«

    Mann für Mann sank nieder.

    Nachdem Sándor Kiss wieder zu sich gekommen war, brannte sein Schädel an jener Stelle, wo die Rute ihn getroffen hatte. Seinen jungen Freund hatte es schlimmer erwischt. Die Peitsche hatte sein Gesicht getroffen, ein roter Strich zog sich von der Stirn quer bis zum Hals. Der Junge wimmerte vor Schmerz.

    »Wo sind die anderen?«, fragte Sándor.

    Der Junge öffnete den Mund, Blut tropfte über seine Lippe. Ein Schneidezahn war ausgeschlagen. »Geflohen«, nuschelte er.

    »Das ist noch lange nicht das Ende«, raunte Sándor. »Das nächste Mal rücken wir wie die Soldaten des Kaisers hoch zu Ross an und peitschen die dreckigen Uniformen nieder.«

    Sein kroatischer Freund nickte mit verzerrter Miene. Humpelnd kehrten sie um und bewegten sich auf das im Schilf versteckte Boot zu.

    »Mein Sohn in Wien wird uns helfen«, sagte Sándor nach einer Weile.

    »Immer redest du von deinem Sohn«, erwiderte der Kroate. »Niemand von uns hat ihn je zu Gesicht bekommen. Vielleicht gibt es ihn gar nicht und alle warten auf ein Wunder, das nie geschieht.«

    »Ihr werdet ihn sehen, sobald er nach unserem Sieg zu seinem Vater zurückgekehrt ist.«

    »Und wenn er versagt, dein feiner Herr Sohn?«

    »Ihre Majestät, Kaiserin Elisabeth, vertraut ihm, du Dummkopf!« Sándor reckte wütend die Faust.

    Der Kroate duckte sich. »Um die Königin von Ungarn tut es mir leid«, gab er kleinlaut zurück.

    »Die schöne Wittelsbacherin hätte niemals einen Habsburger heiraten dürfen.« Sándor dachte an die letzte Nachricht aus Wien. Die angeblich brisanten militärischen Informationen waren veraltet und damit unbrauchbar. Irgendetwas stimmte nicht mit seinem Sohn, der auf der anderen Seite für die Freiheit kämpfte.

    1

    Der Außenanstrich bröckelte, Spinnweben hingen an den Fenstern, Unkraut und wildes Gras wucherten im Park und der heiße, trockene August des Jahres 1898 trieb zu allem Übel auch noch die Ratten in den ehemaligen Landsitz von Prinz Eugen und Kaiserin Maria Theresia.

    Brahm seufzte. Fünf Offiziere des niederösterreichischen Dragonerregiments würden für eine unbestimmte Zeit auf Schloss Hof Quartier beziehen. Die Stallungen sollten ebenso rasch instand gesetzt werden wie die Wohnräume des Ostflügels. Der Verwalter hasste es, mit Aufträgen bedrängt zu werden. Grimmig blickte er durch das Fenster zum Hügel in Richtung Osten, zur Grenzlinie nach Ungarn, die sich entlang der March in den Graben schnitt. Kaiserin Maria Theresia hatte in der Blütezeit der Schlösser eine Brücke über den Fluss errichten lassen. Heerscharen von Reitern und Kutschern passierten diese einst bedeutende Verbindung nach Pressburg und Budapest. Heute nutzten kaum mehr Gefährte den Steg.

    Brahm runzelte die Stirn. Der erste Nebel zog an diesem Vormittag über die Felder. Langsam verdichtete sich der leuchtende Sommer zu einer unergründlichen Düsternis. Kräftig würden bald die Nordstürme um die Gemäuer in ungeschützter Lage fegen und die dünnen Stämme der Föhren neigen. Beim Gedanken an die tote Zeit des Winters war der Niedergang der Marchfeldschlösser für Brahm ein Vorbote für das drohende Ende der Doppelmonarchie. Dem kleineren Schloss in Niederweiden, etwa sechs Kilometer südwärts im flachen Land, erging es ähnlich. Dass der Kaiser die Verwalterstelle bisher nicht gestrichten hatte, beruhigte Brahm keineswegs. Nach den verlorenen Kriegen wurde allerorts gespart und da im Marchfeld wohl nie wieder Hof gehalten werden würde, war es nur eine Frage der Zeit, dass er ebenfalls seiner ehrenvollen Aufgabe enthoben werden würde.

    Der Besuch des Dragonerregiments konnte allerdings das Zeichen für eine positive Wendung sein. Brahm dachte an seine Dienstwohnung im herabgewirtschafteten Meierhof, die er trotz der bescheidenen Ausstattung allzu gerne bis ans Ende seiner Tage behalten würde, als ihn ein kratzendes Geräusch herumfahren ließ.

    Mit dem spitzen Gesicht voran, den dünnen Schwanz nachziehend, huschte eine Ratte die bunte Wand empor. Kein Kronleuchter, kein Dachstuhl schien dem Vieh zu hoch. Das Tier fraß sich durchs Mobiliar, ob Damast, Seide, Papier oder Holz. Angewidert verzog der Verwalter das Gesicht. Die Rattenbisskrankheit konnte selbst einem kräftigen Mann wochenlanges Fieber bescheren, im schlimmsten Fall den Tod. Wenn er auch manchmal angesichts der Verwahrlosung in Trübsinn versank, sterben wollte er nicht. Rasch musste er etwas unternehmen gegen die Plagegeister. Er sah es als seine Pflicht, auf das Eigentum des Kaisers zu achten, selbst wenn es bei Seiner Gnaden längst in Vergessenheit geraten war. Brahm deutete eine französische Verbeugung an. Nur Arsen, Thallium- oder Kumarinpräparate vermochten die Nager zu bremsen – oder ein loderndes Feuer. Den Flammen erlag jedes Leben, sei es noch so zäh, bedauerlicherweise ebenso jedes Inventar, besonders jene scheußliche Chinesentapete im Ostflügel.

    Entschlossen schulterte er sein Gewehr, lud durch, zielte und drückte ab. Rot färbte sich das helle Fell. Dumpf glitt der tote Körper die Wand hinunter auf den staubigen Teppich. Das Knistern war verstummt. Rudolf Brahm hatte die Rattenplage im Griff. Sein Kinn reckte sich, die Wirbelsäule richtete sich auf im Angesicht des Kaisers von Österreich und Königs von Ungarn auf dem Ölgemälde vor ihm. Da mussten andere Kaliber heranrücken, um ihn von seiner Aufgabe abzuhalten. Es galt, Haltung zu bewahren, in jeder Situation. Brahm griff zum Flachmann in seiner Jacke, öffnete den Schraubverschluss und nahm einen kräftigen Schluck von dem gebrannten Wasser.

    Im Wirtshaus zur Suppenkuchl in Groißenbrunn hing dicke Luft. Weniger lag es an dem Qualm aus den offenen Töpfen oder an den billigen Zigaretten, denen sich die Männer hinter dem Windfang aus Weichholz hingaben, vielmehr lag es an der schlechten Laune des Gastwirts.

    »Geh, Weib«, schalt er, »bring dem Herrn Hofmarschall den guaten Wein aus dem Keller, weißt schon, den Roten, den uns der Herr Baron letztes Weihnachten gschenkt hat.«

    »Was, den guten Wein willst aufmachen?«

    »Ja, der Hofmarschall hat Geburtstag heut«, raunte er. »Wenn man ihr net alles anschafft, tut sie gar nichts, des Weibsbild, des ausgschamte.«

    »Na geh«, beschwichtigte Brahm, »sei nicht so streng mit der Eva und ein für alle Mal: Für den Titel eines Hofmarschalls bräuchte es eine bessere Adelsprobe. Haha. Leider keine Chance bei dem winzigen Tropfen böhmisch blauen Blutes in mir. Haha. Keine Chance, bedaure.« Wenn er es auch nicht zugeben wollte, so aalte er sich gerne im warmen Schein der herrschaftlichen Anrede. Deshalb kam er so gerne in die Suppenkuchl.

    Der Wirt wandte sich grunzend ab und widmete sich eine Weile dem Ausschank vorne an der Bierzapfsäule, bevor er zu seinem Gast im hinteren Teil der Stube zurückschlurfte.

    »Dauernd ist das Weib beim Kaplan putzen«, schimpfte er. »Ich würd des Geld net brauchen, aber sie und die Tochter, die haben so gerne was Schönes zum Dekorieren.«

    »Ja, die Weiberleut«, pflichtete der Verwalter bei. »Die machen aus uns Männern Bettler. Haha.«

    Der Wirt stieß einen zustimmenden Rülpser aus, als seine Frau mit dem Wein aus dem Keller zurückkehrte und Rudolf Brahm einschenkte. Gluckernd füllte sich das Glas. »Herzlichen Glückwunsch. Darf ich dem Herrn sonst noch etwas bringen?«

    »Ja gerne.« Er grinste. »Eure köstliche Rindsuppe mit den Schöberln bitte schön.« Seine Nasenflügel weiteten sich. »Der Duft eurer Suppen ist einfach unwiderstehlich.«

    »Die Kaiser-Schöberl-Suppe also«, wiederholte die Wirtin mit einem Lächeln. »Die ist guat, gell, Herr von Brahm?«

    »Die beste im ganzen Reich.«

    »Was gibt’s Neues im Schloss?«, fragte sie mit schmeichelnder Stimme. »Oder wissen S’ vor lauter Langeweile nichts anzufangen mit Ihrer Zeit, Herr Hofmarschall?« Sie lachte schallend.

    Die rauchenden Männer auf den Hockern vor dem Windfang reckten neugierig die Köpfe. Der Wirt hob die Brauen.

    »Langeweile? Pah! Von wegen«, erwiderte Brahm, von der Keckheit der Wirtin aufgestachelt. »Erst gestern habe ich ein Apostolat erhalten, vom Kaiser, jawohl, von Seiner Gnaden höchstpersönlich.«

    »Ein Apostolat? Vom Kaiser?« Die Wirtin zeigte sich beeindruckt.

    Das Fräulein Tochter stand mit geröteten Wangen in der offenen Tür. »Wirklich vom Kaiser? Besucht Seine Hoheit unser Marchfeld? So reden S’ doch, Herr von Brahm!«

    »Geh, deppert’s Mensch«, schimpfte die Mutter. »Der Kaiser kommt längst nicht mehr raus in die windige Einöde. Seine Gnaden mögen die Berge mehr, Seine Gnaden gehen lieber im Wienerwald jagen, dort sind die Rehlein feiner als bei uns, und die Kaiserin weilt eh meistens auf Korfu oder neuerdings in Budapest bei ihrem feschen Grafen Andrássy.« Sie senkte den Kopf. »Wer könnt es ihr verdenken, ein Rendezvous mit einem Aufständischen ist gewiss spannender, als beim alten Kaiser zu hocken, der außer der Pflicht nichts kennt.«

    »Na, der Kaiser kommt nicht. Aber seine Vorhut.« Brahm fixierte den dicken Busen am Fräulein Tochter. Das hellgelbe Korsett vermochte ihr junges Fleisch kaum zu bändigen. »Sehr bald, die nächsten Tage bereits. Aus Kostengründen und wegen der Zeitnot werd i wohl oder übel Personal aus Pressburg in Dienst nehmen müssen. Der Ostflügel soll gsäubert werden und das Gras vor dem Schloss ist mannshoch, das ghört gschnitten. In so einer Unordnung lässt man keinen vorfahren, schon gar keinen kaiserlichen Stoßtrupp. Wir haben viel zu wenig Leut in der Meierei dafür.«

    Die hellen Augen der Wirtstochter weiteten sich. »Die Vorhut des Kaisers? Für ein Fest auf dem Schloss? Zum Jubiläum Seiner Hoheit, ist es wahr?« Ihre Stimme überschlug sich, unruhig strichen ihre Hände über die entblößten Unterarme. »Ein richtiger Hofstaat auf Schloss Hof, wie seinerzeit bei der rühmlichen Kaiserin Maria Theresia?«

    »Richtig!« Er dehnte den Rücken im Glanz der Aufmerksamkeit, die ihm Rosi viel zu selten schenkte. »Ein Fest.« Er erinnerte sich an den Kern der Nachricht aus der Kasernenkanzlei. Fünf berittene Dragoner wurden angekündigt, ein Offizier, vier Unteroffiziere. Er solle sich um die Unterkunft und die Versorgung von Soldat und Pferd kümmern, den Grund für den Besuch hatte er jedoch, sosehr er sich anstrengte, tatsächlich vergessen. »Ja, ein Fest wird es geben«, wiederholte er bestimmter, weil sich die junge Rosi so zu freuen schien. Und wenn sich das Mädel wegen ihm freute, wurde ihm warm ums Herz. So hübsch sah es heute aus in dem gelben Stoff, das blonde Haar zu zwei Zöpfen geflochten, die dicken Waden in weißgezwirnten Strümpfen und die kleinen Füße mit den winzigen Zehen in den schwarzen Lederhalbschuhen versteckt.

    »Mein Gott!«, rief Rosi und faltete die Hände vor der Brust. »Das muss ich sofort der Irmi erzählen. Die wird schauen.« Lachend hätte sie ihn beinahe umarmt, wenn nicht die Mutter sie weggezerrt hätte.

    »Schamst dich net, Madl? Unsere Gäste zu belästigen mit deinem Überschwang.«

    »Aber, Gnädigste«, raunte Brahm, »lassen Sie das Mädel doch.« Seine Hand erwischte gerade noch die Hüfte, bevor die Wirtstochter am Windfang vorbei in den goldenen Glanz der Augustsonne entschwand.

    »So ein närrisches Ding.« Der Wirt schüttelte den Kopf. »Die alberne Schwärmerei für den Kaiser und seinen Hof hat sie nicht von mir. Auch nicht die seltsame Freude an Büchern. Dauernd hat sie den Kopf zwischen zwei verstaubten Buchdeckeln, anstatt sich um die Gäst zu kümmern.«

    Brahm lachte. »Sie ist halt ein kluges Dirndl, eure Rosi. Einer von euch beiden muss ihr das Hirnschmalz ja vererbt haben. Haha.«

    Über das Gesicht der Wirtin huschte ein verkniffener Ausdruck. Mit zitternder Hand schenkte sie ihm an seinem Ehrentag das zweite Glas voll mit dem teuren Wein von dem gnädigen Baron, während ihr Gatte die dampfende Kaiser-Schöberl-Suppe servierte.

    Schließlich kehrte wieder Ruhe ein in die Suppenkuchl von Groißenbrunn. Seit die beiden in der Nachbarschaft gelegenen Marchfeld-Schlösser Hof und Niederweiden nicht mehr vom Kaiser und von seinem Gefolge genutzt wurden, war es das einzige Wirtshaus weit und breit, das nicht mangels zahlungskräftiger Kundschaft hatte zusperren müssen. Vermutlich lag es an dem legendären Rindsuppenangebot. Das Fleisch bezog der Wirt billigst aus den angrenzenden Kronländern, angesichts der unverschämten Preise der Rinder in den österreichischen Alpentälern.

    Wenig später saß Rosi neben ihrer Freundin Irmi am Holztisch der schlicht ausgestatteten Stube im Haus des Gärtners. Am Fenster klapperte die Nähmaschine. Der Mutter pressierte der Auftrag einer feinen Dame aus dem Landadel. Die Gnädigste bräuchte für ein Souper morgen beim Grafen Hardegg im Weinviertel einen Hut, einen ganz besonderen mit Straußenfedern und Stoffblumen am Band. Die Frau Grünanger sei der Gnädigsten wärmstens empfohlen worden. Allerdings müsste der Hut bereits am Abend fertig sein, hatte der Bote die Dringlichkeit untermauert.

    »Ich hab’s gwusst, ich hab’s gspürt.« Irmis schmale Schultern hoben und senkten sich. Sie atmete schwer. »Nicht nur die Wiener kommen in den Genuss eines Fests zu Ehren der Kaiserlichen Hoheit, auch Schloss Hof wird sich an der Festlichkeit für unseren Monarchen beteiligen. Erst heute Nacht hat es mir geträumt. Unzählige Blumen, ein Meer an Farben, feine Roben, gepuderte Haare, Fächer aus chinesischem Papier sowie feinstes Porzellan, schwarze Schwäne und bunte Vögel aus Arabien, Springbrunnen mit riesigen Fontänen und, nicht zu vergessen, Perlen und Gold. Ich hab’s deutlich gsehn.«

    »Personal braucht der Herr Verwalter zum Putzen und zum Gärtnern. Wäre das nicht was für deinen Herrn Vater, Irmi?« Rosi ereiferte sich. »Ihr habts doch den Garten gepflegt damals in den besseren Zeiten.«

    »Hast ghört?« Irmi fuhr hoch und klopfte der nähenden Mutter am Fenster auf die Schulter. »Es gibt Arbeit für den Papa. Der Herr von Brahm weiß von einem Fest auf Schloss Hof so wie damals bei der Kaiserin Maria Theresia.«

    Elsa Grünanger nahm den Fuß vom Pedal und löste die Hand vom Schwungrad. Die dunkle Seide ergoss sich mit einem leisen Rauschen über ihre Knie. Sie hob den müden Blick und runzelte die Stirn. »Ich will euch nicht die Hoffnung nehmen, Mädchen, aber an ein Fest wie bei der seligen Maria Theresia glaube ich nie und nimmer. Der Herr Verwalter hat sicher wieder zu tief ins Weinglas gschaut.«

    »Doch, Frau Grünanger!«, protestierte Rosi. »Ich habe es eben mit meinen eigenen Ohren gehört. Die Vorhut ist auf dem Weg nach Schloss Hof.«

    Irmi warf die Hände hoch. »Wir werden die Kaiserin Sisi sehen. Oh, wie herrlich. Ihre Eleganz, ihre Schönheit von ganz nah!«

    »Unsere Landesmutter, liebe Irmi«, die Mutter spitzte die Lippen, »ist eine verhärmte Frau, die nur mehr Schwarz trägt und uns einfachen Leuten niemals ihr altes Gesicht zeigen wird. Meine Großmutter hat die glanzvolle Zeit von Schloss Hof erleben dürfen. Was uns bleibt, ist die Erinnerung an ihre Geschichten. Wir haben dem Herrgott dankbar zu sein für den Frieden. Maria Theresia hat andauernd Krieg geführt. Sehr ungewöhnlich für eine Frau. Wo das weibliche Naturell sonst so friedfertig ist. Andererseits …«

    Irmi schenkte den Ausschweifungen der Mutter wenig Beachtung. Lachend stellte sie sich die kostbaren Kleider und den noch kostbareren Schmuck der eleganten Damen vor, die hohen, mit Perlen und Kämmen verzierten Frisuren, die schwarzen Anzüge der Herren, ihre Gamaschen und weißen Krägen, die Zylinder im schimmernden Lack, die Stöcke, Bärte, Uniformen, Abzeichen, Säbel. Kurzum, alles Schöne und Wertvolle, das die Monarchie zu bieten wusste.

    Mit einem Seufzer dachte Irmi an ihre Ahnin, die legendäre Schneiderin Eleonore, die ihr Leben der Garderobe der Kaiserin gewidmet und dafür die Ehelosigkeit in Kauf genommen hatte. Dass ihr im recht reifen Alter dennoch ein Sohn geboren worden war, betrachtete die Familie heute mit etwas gutem Willen als göttliches Geschenk. Bis in die Gegenwart hielt sich die Legende der Beihilfe durch einen ungarischen Gesandten am österreichischen Hof. Das Geheimnis um den Vater ihres Kindes hatte die Urgroßmutter mit ins Grab genommen.

    »Komm mit, Irmi.« Rosis Wangen glühten. »Der Verwalter sitzt bestimmt bis spät in die Nacht in unserer Wirtsstubn und sauft, wo er heute seinen Geburtstag feiert.«

    »Mama, darf ich mit der Rosi in die Suppenkuchl?« Irmi zappelte mit den Beinen. »Ich hab das Geschirr abgewaschen und mit dem Staubwischen bin ich auch fertig.«

    Ihre Mutter unterbrach die Näharbeit und sah besorgt hoch. »Irmi, der Vater sieht es nicht gerne, wenn du dich bei den Männern herumtreibst.«

    »Meine Eltern passen auf.« Rosi verzog den Mund. »Uns geschieht nichts.«

    »Aber spätestens um sechs Uhr bist zurück, hörst du, Irmi?«, mahnte die Mutter. »Der Vater wird vom Holzsammeln rechtzeitig vor dem Abendbrot retour sein. Und du weißt ja, wie er reagiert, wenn …«

    Hand in Hand liefen die beiden Mädchen in den Nachmittag hinaus.

    »Warum sich deine Mama immer so viele Sorgen macht?« Rosi schüttelte den Kopf. »Wir sind beinah erwachsen.«

    »Wenn ich Geschwister hätte, wäre vieles einfacher. Seit vor einem Jahr mein Bruder kurz nach der Geburt gestorben ist«, Irmi holte tief Atem, »ist wohl nichts mehr zwischen Mama und Papa, du weißt schon, was ich meine.« Ihre Wangen röteten sich. »Wenn man das einzige Kind ist … na ja.«

    »Ich weiß, was du meinst. Daran ist der Marchfelder Fluch schuld.«

    »Was für ein Fluch?« Irmi spürte ein Frösteln.

    »Wenn ein männlicher Säugling zur Welt kommt, überlebt er nicht das erste Jahr. Sieh dich um, in anderen Dörfern gibt es viele Söhne, bei uns nur Töchter.«

    Irmi schüttelte den Kopf. »Groißenbrunn ist ein kleiner Ort mit wenigen Menschen, da kann es vorkommen, dass mehr Mädchen als …«

    »Die Ursache liegt in der Vergangenheit«, insistierte Rosi. »Rudolf von Habsburg hat im 13. Jahrhundert gegen Ottokar in der überaus grausamen Schlacht am Marchfeld gekämpft. Damals sind sechzigtausend Ritter aufeinander losgegangen. Viel Blut ist geflossen. Und seither gibt es kaum überlebende männliche Säuglinge in der Gegend. Das habe ich kürzlich in einer Chronik gelesen. Es ist wahr. Und, dass im Marchfeld die Hexen in den Föhren hausen. Die Kaiserin Maria Theresia hat viele solche Bäume als Windschutz pflanzen lassen und da tanzen in den dunklen Nächten die bösen Geister drauf herum. Allerdings nur in den Föhren, wegen der langen Nadeln, die aussehen wie Hexenhaare. Manchmal kann man sie singen hören. Grauslich, lauter krächzende Stimmen, sag ich dir.«

    Irmi riss die Augen auf. Die Rosi wird recht haben mit dem Fluch, dachte sie. Die Sache mit den Hexen in den Föhren hat der Maxi auch schon mal erwähnt. Sie nahm sich vor, der Sache auf den Grund zu gehen und während einer der nächsten Mondnächte draußen in die Baumkronen zu lauschen.

    Im Wirtshaus herrschte am Nachmittag reges Treiben. Der blonde Bäckerjunge Max aus Marchegg saß hinter dem Windfang und rauchte mit den Männern eine Zigarette. Mit sichtlichem Stolz schaute er auf die beiden Mädchen und grüßte wie ein nobler Herr mit einem koketten Nicken. Mit Irmi war er so gut wie verlobt, zumindest versprochen.

    Irmi schubste ihre Freundin. »Du, der kommt sich heute aber gut vor, weil ihm die Männer so einen Stinkestängel spendiert haben.«

    Rosi zuckte mit den Schultern und schob sie weiter bis zum Tisch des Stammgastes im rückwärtigen Teil der Stubn. »Grüß Gott, Herr Hofmarschall.« Sie baute sich vor Rudolf Brahm auf. »Die Irmi interessiert sich für die Vorhut und das bevorstehende Fest am Schloss Hof und fragt für ihre Mama und für ihren Papa, wann hätten der Herr Verwalter denn Arbeit für einen Gärtner und eine Schneiderin im Schloss?«

    Brahm glotzte und kratzte sich am Kopf. »Soso. Arbeit wollts ihr von mir?« Sein Blick glitt die schmalen Hüften hoch bis zu den Wölbungen der kleinen Brüste. »Da ließe sich was machen. Kommts halt morgen bei mir vorbei, du und deine Eltern. Nur recht früh, weil ich nachher mit der Kutschen nach Pressburg rübermuss.«

    Irmi, die seine gierigen Augen wie heißes Wasser über ihren Körper gleiten spürte, errötete. »Vergelt’s Gott, Herr Hofmarschall.«

    »Na, net so förmlich«, raunte Brahm und zog Irmi zu sich heran. Schon saß sie auf seinem Schoß. Als der scharfe Weinatem ihre Nase streifte, wandte sie sich ab. Just in dem Augenblick griff der Verwalter in Irmis Haarknoten, sodass ihr Nacken versteifte, und drückte einen feuchten Kuss auf ihre Wange. »Bis morgen, Schönheit.«

    Erschrocken sprang Irmi hoch und obwohl der Übergriff höchstens fünf Sekunden gedauert haben konnte, war er dem Max drüben am Windfang offenbar nicht entgangen.

    Mit wütendem Blick stemmte der dürre Bäckerjunge seine Fäuste in die Hüften. »Ich möchte den Herrn bitten, das zu unterlassen. Die Irmi ist mein Mädchen.«

    Ein Moment der Stille erfüllte den verrauchten Raum, alle Köpfe wandten sich dem Tisch des Verwalters zu, der Wirt stand ebenso erstarrt wie seine Gäste, bis Brahm mit beiden Händen auf seine Schenkel klopfend schallend loslachte.

    »Dein Mädchen? Hä? Depperter Bua, weißt nicht, wen’st vor dir hast, hä, depperter Bua?« Da niemand in sein Lachen einstimmte, verzog er das Gesicht und ein zorniges Glühen schoss in seine dunklen Augen.

    So schnell hatte Irmi ihren Maxi noch nie an der Hand gepackt und nach draußen gezerrt. »Geh jetzt bitte«, flehte sie. »Meine Eltern brauchen die Arbeit im Schloss. Verdirb es nicht.«

    »Aber der hat dich gepackt und abgschmust«, protestierte Maxi.

    »Gar nichts ist geschehen und jetzt geh nach Hause. Wenn du magst, kannst mich ja morgen im

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