Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Tod im Schatten der Burg: Im Kalten Loch
Tod im Schatten der Burg: Im Kalten Loch
Tod im Schatten der Burg: Im Kalten Loch
eBook355 Seiten4 Stunden

Tod im Schatten der Burg: Im Kalten Loch

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Nach seiner Rückkehr von einem USA-Aufenthalt wird Alexander Henneberg vom Kommissariat 10 in Friedberg am Frankfurter Flughafen entführt. Es gibt keine Lösegeldforderung. Das LKA aus Wiesbaden schaltet sich ein. Die groß angelegte Fahndung nach dem smarten Kommissar, die auf den Frankfurter Raum und die gesamte Wetterau ausgedehnt wird, bleibt zunächst erfolglos. Die Kollegen vom K 10, die Kommissare Cosima von Mittelstedt, Eberstädter und Jüngling, beginnen auf eigene Faust zu ermitteln. Mit von der Partie ist Rauhaardackel Erdmann, der sein Herrchen vermisst.
Durch Zufall stößt eine Spaziergängerin auf den entführten Henneberg. Bei dem Versuch, den Kommissar zu befreien, verschwinden sie und ihr Labrador spurlos. Wird es den Kommissaren gelingen, Henneberg aus seiner verzweifelten Lage zu befreien? Und welche Rolle spielt dabei der Obsthof im Altstädter Feld von Gambach?

Jule Heck wurde 1957 in Gambach, heute ein Stadtteil von Münzenberg, geboren. Dort lebt sie mit ihrem Mann und ihrem Dackel Amy. Ihre Vorliebe für Krimis und ihre Leidenschaft fürs Schreiben haben sie veranlasst, mehrere Kriminalromane zu verfassen, die in ihrem Heimatort und der schönen Wetterau spielen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum9. Nov. 2016
ISBN9783960142232
Tod im Schatten der Burg: Im Kalten Loch

Mehr von Jule Heck lesen

Ähnlich wie Tod im Schatten der Burg

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Tod im Schatten der Burg

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Tod im Schatten der Burg - Jule Heck

    Cover_front.pdf

    Nachdruck oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Verlages gestattet. Verwendung oder Verbreitung durch unautorisierte Dritte in allen gedruckten, audiovisuellen und akustischen Medien ist untersagt. Die Textrechte verbleiben beim Autor, dessen Einverständnis zur Veröffentlichung hier vorliegt. Für Satz- und Druckfehler keine Haftung. 

    Impressum 

    Jule Heck 

    »Tod im Schatten der Burg – Im Kalten Loch« 

    www.edition-winterwork.de 

    © 2016 edition winterwork 

    Alle Rechte vorbehalten. 

    Satz: edition winterwork 

    Umschlag: Patrick Kempf/Punchbyte 

    www.punchbyte.de 

    Lektorat: Birgit Rentz 

    Druck/E-BOOK: winterwork Borsdorf 

    ISBN Print 978-3-96014-209-6 

    ISBN E-BOOK 978-3-96014-223-2

    Tod im Schatten der Burg 

    Im Kalten Loch

    Jule Heck 

    edition winterwork

    Die Handlung des Romans ist frei erfunden. Die darin vorkommenden Personen gibt es in der Realität nicht. Davon ausgenommen sind wenige Protagonisten, deren Einverständnis zur Nennung ausdrücklich vorliegt. Ähnlichkeiten mit anderen lebenden Personen wären rein zufällig.  

    Bei der Auswahl der Handlungsorte des Geschehens wurde ich durch die Höfe im Altstädter Feld von Gambach inspiriert. Ich bedanke mich bei allen, die mir bei der Erstellung des Romans behilflich waren und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben, insbesondere bei meiner Familie und meinem lieben Mann Gernot. Für die fachliche Beratung zu landwirtschaftlichen Themen bedanke ich mich bei den Familien des Erdbeerhofes in Gambach. 

    Prolog 

    Ende September 2010 

    Mit quietschenden Reifen schoss das weiße Audi-Cabriolet über die Kreuzung. Die Ampel zeigte Rot. Ich muss mich beruhigen, dachte die Frau am Steuer. Ab sofort sollte ich alles tun, um nicht aufzufallen. In jetzt angemessenem Tempo folgte sie der Kaiserstraße, bog nach fünfhundert Metern am Servicezentrum des Wetteraukreises rechts ab und folgte dem Straßenverlauf bis zur Einfahrt in die Tiefgarage des Verwaltungsgebäudes, die hauptsächlich von den Angestellten und Besuchern der Kreisverwaltung genutzt wurde. Um diese Zeit würde sie dort kaum noch jemanden antreffen. Die Verwaltung und das Bürgerzentrum am Europaplatz, in dem sich auch die Zulassungsstelle für Fahrzeuge befand, waren bereits geschlossen. Die Anzeigetafel an der Einfahrt zeigte ihr, dass freie Parkplätze vorhanden waren. Behutsam ließ sie den schweren Wagen die Zufahrtsrampe hinabgleiten, bediente den elektrischen Fensterheber auf der Fahrerseite ihres Wagens und hielt vor der geschlossenen Schranke. An dem gelben Kasten zu ihrer Linken drückte sie einen grünen Knopf. Ein gelber Chip rollte aus dem darunter angebrachten Schlitz. Sie entnahm ihn. Die Schranke öffnete sich träge. Langsam lenkte sie den großen Wagen bis in das unterste Geschoss des Parkhauses. Gleich neben der Abfahrt fand sie einen freien Parkplatz und manövrierte das Cabriolet zwischen Wand und Pfosten in die Parklücke. Hier würde das Fahrzeug am wenigsten auffallen.  

    Kurz vor zwanzig Uhr verließ sie in leicht gebeugter Haltung das Parkhaus über die Zufahrtsrampe. Ihr Kopf war von einem großen Hut bedeckt. Ein schwarzes Cape verhüllte ihren Körper und reichte ihr bis zu den Waden, die von schwarzen, flachen Lederstiefeln umschlossen waren. Hinter sich hörte sie das Quietschen des herabfahrenden schweren Rolltores. Das Parkhaus schloss pünktlich.  

    Wolken hatten sich vor den Mond geschoben. Die sommerlichen Temperaturen waren einer angenehmen Kühle gewichen. Sie setzte ihren Weg durch die engen Altstadtgassen fort. Dabei zog sie das linke Bein leicht nach. Über einem dicken Bauch wölbte sich der schwere Stoff des Capes. Sie mied das Licht der Straßenlaternen, hielt sich dicht an den Häuserwänden.  

    In der Stadt war es unruhig. Mehrfach waren Polizeiautos die Mainzer-Tor-Anlage hinauf- und hinuntergefahren. Ihr Sondersignal war weithin hörbar und fing sich zwischen den Häuserwänden. Ein Hubschrauber kreiste am Nachthimmel über Friedberg.  

    Als sich die automatische Tür des kleinen Hotels am Bahnhof öffnete, erfüllte kalte Nachtluft den Vorraum. Kim liebte den Geruch des Herbstes, der für Sekunden seine Sinnesorgane erreichte. Vor dem Hotel standen alte Eichen, die das Gebäude optisch von einer breiten, stark befahrenen Straße trennten und die Abgase einigermaßen fernhielten. Dennoch war es für den zierlichen Vietnamesen ein Genuss, dieses Geruchsgemisch aus Benzin und Herbstlaub einzuatmen. Für ihn bedeutete es Freiheit und Unendlichkeit. Die Luft hier im Westen war besser als in Leipzig, wo er viele Jahre zusammen mit seinen Landsleuten in einer Plattenbausiedlung verbracht hatte. Dort hatte es nach Braunkohle gerochen. Auch nach der Wende war dieser unangenehme Geruch nie ganz verschwunden. Er haftete an den Wänden, saß in den Mauern fest und hatte ihn immer wieder an die Enge und Ausweglosigkeit seiner Jugend erinnert, in der er wegen seiner Herkunft stets auf Ablehnung, Hass und menschliche Mauern gestoßen war.  

    Kim blickte auf. Vor dem Tresen stand eine schwarz gekleidete Frau. Aus einem blassen Gesicht starrten ihn zwei dunkelblaue Augen an. Der schwarze Hut und das Cape unterstützen die Blässe ihrer Haut. 

    „Guten Abend, ich suche ein Zimmer. Haben Sie noch etwas für mich?" Obwohl sie in reinem Deutsch zu ihm sprach, ließ ein leichter Akzent ihre Herkunft aus einem fremden Land erkennen. Er war nicht sicher, ob dieser polnisch oder russisch klang, die hohen Wangenknochen der Frau vor ihm ließen jedoch eine Abstammung aus den östlichen Regionen Europas vermuten. 

    „Da haben Sie Glück, ein Gast ist nicht erschienen. In Frankfurt ist Messe, wir sind eigentlich ausgebucht. Er schob der Frau einen Anmeldebogen über den Tresen. „Wie lange wollen Sie bleiben? Neugierig sah Kim den neuen Hotelgast an. 

    „Ich weiß noch nicht. Ich suche Arbeit bei einer Familie." 

    Kim blätterte die Seiten um, fuhr mit dem Zeigefinger die Zeilen entlang. Hier wurde noch alles handschriftlich in einem großen Terminkalender festgehalten. Von einem modernen Computersystem hielt die Chefin des Hauses nichts, obwohl Kim, der seit drei Jahren in dem Hotel als Nachtportier arbeitete, mehrfach angeboten hatte, eines zu installieren. 

    „Sie können dieses Zimmer, er schob einen Schlüssel über den Tresen, „für eine Woche haben. Wenn Sie länger bleiben wollen, müssten Sie in ein anderes Zimmer im hinteren Teil des Hotels umziehen. Dieses hier, er deutete freundlich auf den Schlüssel, „ist ab nächste Woche reserviert." 

    „Das geht in Ordnung. Vielleicht bin ich bis dahin wieder weg." Der Ton der Frau war hart, aber nicht unfreundlich. 

    „Gut, wie möchten Sie zahlen?" Nicht alle Gäste, die hier wohnten, gaben ihm eine Kreditkarte. Es war durchaus üblich, die Hotelrechnung mit Bargeld zu begleichen. Der Grund war wohl in den meisten Fällen, die eigene Identität nicht preiszugeben. Nach einem Ausweis wurde nicht gefragt. Die Frau kramte einen Fünfhundert-Euro-Schein aus den Tiefen ihres Capes hervor. Obwohl dieses Zahlungsmittel nicht ungewöhnlich war, ertastete Kim mit den Fingerspitzen das raue Papier, hielt den Schein gegen das Licht.  

    „In Ordnung." Er legte das Geld in eine Kassette, nahm das Wechselgeld heraus und schob ihr die Scheine über den Tresen.  

    „Danke, der Rest ist für Sie." Die Frau hatte nicht einmal nach dem Preis für eine Übernachtung gefragt, weshalb das Trinkgeld unangemessen hoch war. Kim wusste, was das zu bedeuten hatte. Die Frau wollte anonym bleiben. 

    Ihr Zimmer lag im sechsten Stock am Ende eines schmalen Ganges. Sie sah sich in dem kleinen hohen Raum um. Die Deckenlampe lieferte nur spärliches Licht, der Bodenbelag war heruntergetreten. Die groß gemusterte Tapete schien ein Überbleibsel aus den siebziger Jahren zu sein. An der Wand stand ein Einzelbett. Außer einem wackeligen Schrank, einem kleinen Tischchen und einem durchgesessenen Sessel befand sich nichts weiter in dem Zimmer.  

    In dem angrenzenden Bad hing ein blinder Spiegel über einem grauen Porzellanbecken. Vor der Dusche war ein schmuddeliger Plastikvorhang angebracht. Sehr ungemütlich, dachte sie, aber für ein paar Tage muss es reichen. 

    Das Fenster ermöglichte ihr den Blick auf die Straße und den gegenüberliegenden Bahnhof. Vor dem Gebäude standen mehrere Streifenwagen. Es herrschte hektisches Treiben. Polizeibeamte kontrollierten Personen. Sie löschte das Licht und betrachtete die Szenerie mit großem Interesse. 

    Kapitel 1  

    In der Abflughalle des Memphis International Airport wimmelte es von Menschen. Es war laut und stickig. Die wunderschöne Weihnachtsbeleuchtung, die von den hohen Decken hing, konnte über das hektische Treiben nicht hinwegtäuschen.  

    Die Menschenschlange bewegte sich nur langsam vorwärts. Geduld war angesagt. Wenn die Amerikaner etwas machten, dann machten sie es richtig. Von seinem augenblicklichen Standort aus konnte Alexander sehen, dass die Passagiere gründlich durchsucht wurden. Den Beamten am Abfertigungsschalter reichte es nicht, die Taschen zu durchleuchten; jeder Reisende musste Schuhe und Jacke ausziehen, den Gürtel abnehmen und sich abtasten lassen.  

    Seinen Rollkoffer hatte er frühzeitig am Check-in-Schalter abgegeben und sich auf den Weg zum Gate gemacht. Obwohl es in den weiten Gängen des Flughafens ziemlich warm war, hatte er seinen Kaschmirmantel anbehalten. Über seiner Schulter hing eine schwarze Ledertasche von Goldpfeil. Sie enthielt die Reiseunterlagen, seine persönlichen Papiere und sein Handy, das er bereits ausgeschaltet hatte. Zur Zerstreuung während des langen Fluges hatte er sich eine Elvis-Biografie mitgenommen. 

    Er sah gut aus, fühlte sich nach dem zweiwöchigen Aufenthalt in Elvis Presleys Geburtsland erholt und gelassen. Die Frauen in seiner Nähe sahen ihn interessiert an, was ihm ein breites Grinsen entlockte und ihn noch attraktiver erscheinen ließ. Seine Haare waren im Nacken etwas zu lang und drehten sich nach außen. Die Zahl der Silberfäden inmitten der schwarzen Wellen hatte zugenommen. Dank des vorwiegend verzehrten Fast Food und der zahlreichen Gläser Whisky hatte er wieder etwas zugenommen. Seine Wangen waren glatt, die tiefen Falten verschwunden. Der Kummer war ihm nicht mehr anzusehen, dennoch hatte er die Geschichte, die im September letzten Jahres geschehen war, nicht vergessen. Mit einigem zeitlichen Abstand fiel es ihm inzwischen leichter, daran zurückzudenken; der Schmerz der Enttäuschung saß jedoch immer noch tief wie ein giftiger Stachel.  

    Seine Kollegen im Präsidium hatten es ihm leicht gemacht. Keiner von ihnen hatte dumme Witze über seine kurze, heftige Liebesaffäre mit der attraktiven Anwältin aus Friedberg gerissen, die sich als psychopathische Mörderin entpuppt hatte.  

    Stückchen, die Sekretärin vom K 10, und seine Kollegin Cosima hatten ihn getröstet, hatten alles getan, damit er seinen seelischen Schmerz überwand.  

    Nur knapp war er einem vorzeitigen Ableben entgangen. In letzter Sekunde hatte Cosima ihn aus dem Raum, in dem ihn seine ehemalige Geliebte gefangen genommen hatte, befreit. Der Sauerstoff war verbraucht gewesen. Er wäre fast erstickt. Unwillkürlich griff er sich an den Hals.  

    Cosima hatte bei allem, was ihr heilig war, geschworen, dass Erdmann, sein Rauhaardackel, sie herbeigerufen hätte. Sie hätte sein Heulen vernommen. Wie sie das über eine Entfernung von über zwanzig Kilometer gehört haben wollte, war ihm noch immer unklar, doch sie bestand darauf, dass es so gewesen war. Sie nannte es Gedankenübertragung. 

    Jetzt freute er sich darauf, die beiden wiederzusehen. Zwölf Flugstunden trennten ihn von der Heimat. Cosima und Erdmann wollten ihn vom Flughafen abholen. 

    Cosima war es auch gewesen, die ihn zu der Reise in die USA überredet hatte, um auf den Spuren von Elvis Presley zu wandeln. Vor Weihnachten war er nach Nashville/Tennessee, dem Traditionsort von Rock ’n’ Roll, Blues und Country Musik, geflogen, hatte sich ein Auto gemietet und war quer durch den Staat bis nach Memphis gefahren.  

    Den Abend des 24. Dezember hatte er bei mehreren Gläsern Jack Daniel’s in einem kleinen, gemütlichen Hotel verbracht. In dessen Bar hatte eine Band die Gäste unterhalten. Für Alexander war es das erste Weihnachtsfest gewesen, das er nicht in Deutschland verbrachte. 

    Nachdem die Einheimischen am 24. Dezember noch ihrer täglichen Arbeit nachgegangen waren, begann für sie am Morgen des 25. Dezember das Weihnachtsfest. Alexander hatte sogar eine Kirche besucht, nur um die Zeit zu überbrücken, bis er abends durch die Bluesklubs und Restaurants in der Beale Street, einem historischen Straßenzug in Memphis, flanieren konnte. Die Gospelsongs der Schwarzen, ihre rhythmischen Bewegungen und die Hingabe in ihren Gesichtern hatten ihn begeistert. Das war eine neue Erfahrung für ihn gewesen. 

    Nach Weihnachten hatte er Graceland, Elvis’ ehemaligen Wohnsitz, besucht. Mittels einer Audioguide-Tour war er durch dessen Geburtshaus gelaufen und hatte die Informationen regelrecht in sich aufgesogen.  

    Ein weiterer Besuch hatte dem Sun Studio in Memphis, einem historisch bedeutenden Aufnahmestudio, gegolten. Neben Größen wie Elvis Presley hatten hier einstmals auch Johnny Cash, Roy Orbison und Jerry Lee Lewis ihre Platten aufgenommen. Obwohl das Studio immer noch betriebsbereit war, war es Alexander möglich gewesen, die Räumlichkeiten, die heute als Museum genutzt wurden, zu besichtigen.  

    Nach dem Besuch weiterer Museen und Gedenkstätten hatte er Abend für Abend die Pubs in der Beale Street besucht. Als Highlight seiner Reise war ihm eine Musikshow mit einem Elvis-Imitator am Silvesterabend in Erinnerung geblieben.  

    Nach dem Tod seines Vaters war in ihm ein leidenschaftliches Interesse für die Musik von Elvis Presley erwacht, als er beim Aufräumen in der Villa seiner Eltern auf alte Schallplatten des amerikanischen Sängers gestoßen war. Seitdem hatte ihn das ständig wachsende Interesse nicht losgelassen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit hörte er Elvis-Songs.  

    Manchmal ging er Cosima damit auf die Nerven, zumal er vor jeder Fahrt zu einem Tatort in der Wetterau als Erstes eine seiner Lieblings-CDs einlegte. Nichts konnte ihn so sehr beruhigen und entspannen wie diese Musik. Mit der Reise nach Tennessee hatte er sich einen großen Wunsch erfüllt. Weil er Cosima dafür dankbar war, dass sie ihn dazu gedrängt hatte, war es ihm wichtig gewesen, ihr mehrere Souvenirs mitzubringen.  

    Alexander und seine Kollegin waren erfolgreiche Ermittler des Morddezernats, K 10 genannt, im Wetteraukreis und hatten erst im September einen zehn Jahre zurückliegenden Mord aufgeklärt. Dummerweise war ihnen die Mörderin entwischt. Dem Kommissar ließ das bis heute keine Ruhe. Er würde alles daransetzen, die Täterin zu finden, und wenn es das Letzte war, was er tun konnte. Das war er nicht nur sich selbst schuldig, sondern auch seinem ehemaligen Kollegen, dem zuliebe er den Fall neu aufgerollt hatte.  

    Seit Ende September 2010 war die Frau spurlos verschwunden. Obwohl man sofort alle Bahnhöfe in der Umgebung sowie den Frankfurter Flughafen kontrolliert und die Kreisstadt Friedberg regelrecht auf den Kopf gestellt hatte, war die mörderische Anwältin entkommen. Es gab keinerlei Hinweise auf ihren Aufenthaltsort. Kurz darauf waren die Kommissare zu einem neuen Tatort gerufen worden. 

    Unwillkürlich dachte Alexander an den Toten aus der Wäscherei Pauli, einem Traditionsbetrieb in Annerod bei Gießen. Ein junger Vietnamese war in einem Behälter mit Schmutzwäsche aus einem Hotel in Friedberg tot aufgefunden worden. Sein Mörder musste ihn rücklings in den Wäschebehälter gestopft haben. Aufgrund der gebeugten Lage war es dem jungen Mann unmöglich gewesen, sich aus seiner unglücklichen Situation zu befreien. Jeder Versuch, sich aufzurichten und herauszuklettern, hatte den zierlichen Mann noch tiefer in den Wäscheberg rutschen lassen. Sein Kopf war dabei immer fester gegen die Brust gedrückt worden, weshalb er qualvoll erstickt war. Sein Todeskampf hatte vermutlich Stunden gedauert. 

    Mehrere Tage hatte der Leichnam unter der schmutzigen Wäsche gelegen, bevor man ihn entdeckte. An einem Freitagmorgen hatte die Wäscherei wie üblich den Wäschebehälter von dem Hotel abgeholt und ihn vor Beginn des Wochenendes in der großen Halle zu den übrigen Wäschewagen gestellt. Erst am Mittwoch sollten das Bettzeug und die Tischwäsche gewaschen, gebügelt und gefaltet werden, um sie dann, wie vereinbart, zum Auftraggeber zurückzubringen.  

    Als der Wäscher den Sack mit der Schmutzwäsche öffnete, um diese auf die Waage zu legen, und die ersten Laken hervorholte, hatte er die Leiche entdeckt. Vor Schreck war er rückwärts auf die Waage gefallen, die im Boden eingelassen war. Ein Kollege, der seinen Schrei gehört hatte, war ihm zu Hilfe geeilt.  

    „Wir haben ja schon einige ungewöhnliche Gegenstände zwischen der Wäsche gefunden, hatte der Besitzer der Wäscherei erklärt, „aber einen Toten, nein, den hätte hier niemand vermutet. 

    Nachdem die Gießener Polizei die Herkunft des toten Vietnamesen geklärt hatte, waren die Kommissare des K 10 aus Friedberg, Kriminalhauptkommissar Alexander Henneberg und Kriminaloberkommissarin Cosima von Mittelstedt, beauftragt worden, gemeinsam mit ihren Kollegen die Ermittlungen aufzunehmen.  

    Der Vietnamese hatte mehrere Jahre als Nachtportier in einem Hotel am Friedberger Bahnhof gearbeitet, um sich sein Studium der Elektrotechnik an der Technischen Fachhochschule in Friedberg zu finanzieren. Seine in Leipzig wohnenden Eltern waren nicht dazu in der Lage gewesen, ihn mit Geldmitteln zu unterstützen. 

    Auf die Frage, weshalb sie den Studenten bei der Polizei nicht als vermisst gemeldet hätte, hatte die betagte Hotelbesitzerin, und das, obwohl nach Aussage der anderen Mitarbeiter der junge Mann zuvor nicht eine einzige Nacht ferngeblieben war, nur lapidar geantwortet: „Man weiß doch, wie diese Ausländer sind, unzuverlässig und faul."  

    Alexander verspürte noch heute Wut, wenn er an diese dumme Aussage dachte. Sie war nicht nur gedankenlos, sondern auch menschenverachtend gewesen. 

    Bislang war der Fall nicht aufgeklärt worden.  

    Die Vermutung lag nahe, dass der Student einem Raubmord zum Opfer gefallen war, denn auch die Geldkassette mit den Tageseinnahmen war verschwunden. Die Hotelgäste waren befragt worden, doch ihre Aussagen hatten nicht zur Aufklärung des Falles beitragen können.  

    Ein weiblicher Hotelgast namens Olga Soltisiak, eine Polin, die tagsüber abgereist war, hatte nicht ermittelt werden können. Die Arbeitgeber, bei denen die Frau am gleichen Tag als Betreuerin der an Demenz erkrankten Mutter anfangen sollte, hatten die Polin weggeschickt. Die Mutter war in der Nacht überraschend verstorben. Nachdem man die Frau mit einem Monatsgehalt vertröstet hatte, war sie umgehend abgereist. An der Heimatadresse in Warschau war die Polin seitdem nicht wieder aufgetaucht. Vermutlich hielt sie sich noch irgendwo in Deutschland auf, um Geld zu verdienen, und hatte von alldem nichts mitbekommen. Eine weitere weibliche Person hatte anonym eingecheckt und war ebenfalls unauffindbar. In dem Hotel nahm man es nicht so genau mit den Angaben der Gäste.  

    Alexander war so tief in Gedanken versunken, dass er die Bewegung in der Warteschlange vor sich nicht mitbekam. „Excuse me, Sir, would you please go on", hörte er plötzlich eine freundliche Frauenstimme hinter sich sagen. Er drehte sich um, entschuldigte sich höflich und beeilte sich, seinen Vordermann einzuholen.  

    Bei der Sicherheitskontrolle angelangt, zog er seinen Kaschmirmantel aus und legte ihn sorgfältig zusammen. Als er den Stoff glatt strich, bemerkte er einen Gegenstand am Saum des Mantels. Er erschrak. Das konnte nur sein Schweizer Taschenmesser sein, das er immer bei sich trug. Es musste durch das Loch im Futter der Manteltasche gerutscht sein, welches ihn seit Beginn der Reise ärgerte. Das war ihm völlig entfallen. Eilig legte er seine Geldbörse, das Handy und den Gürtel obenauf in der Hoffnung, dass das Messer nicht entdeckt würde. Womöglich hielt man ihn für einen Attentäter. Auf alle Fälle würde man ihm die vermeintliche Waffe abnehmen. Wie sollte er dann jemals wieder an das Messer gelangen, das ein Erinnerungsstück an seinen Vater war? Dieser hatte es ihm zur Konfirmation geschenkt – damals noch eine teure Seltenheit. Seitdem hütete er es wie seinen Augapfel und nahm es überall mit hin.  

    Achtlos warf der Sicherheitsbeamte Alexanders Schuhe auf den teuren Mantelstoff und forderte ihn auf, weiterzugehen. Alexander schritt durch die elektronische Schranke, immer den Blick auf das Transportband gerichtet. Während er von einem weiteren Beamten mit einem Körperscanner abgetastet wurde, sah er, dass die Box mit seinen Wertsachen bereits am Ende des Bandes angelangt war. Nervös wartete er auf die Aufforderung, seinen Mantel vorzuzeigen. Doch nichts geschah. Unbehelligt nahm er sein Eigentum entgegen, band sich den Gürtel wieder um und verstaute sein Handy und die Geldbörse in seiner Hosentasche. Erleichtert legte er sich den Mantel über den Arm und entfernte sich schnellen Schrittes in Richtung Gate.  

    Ohne noch einmal aufgehalten zu werden, bestieg er die Maschine nach Frankfurt und belegte den gebuchten Fensterplatz. Jetzt endlich konnte er aufatmen. 

    Der Flug verlief ruhig. Aber in Alexanders Kopf drehte sich unaufhörlich ein Gedankenkarussell. Immer wieder musste er an Regina denken, die ihn um den kleinen Finger gewickelt, bezaubert und dann so mies hintergangen hatte. Noch nie hatte er sich so sehr in einem Menschen getäuscht. Dabei sagte man ihm eine gute Menschenkenntnis nach. Doch in diesem Fall hatte diese ihn kläglich im Stich gelassen. Hier hatte sich der Spruch „Liebe macht blind" auf unangenehme Weise bestätigt.  

    Es war nicht nur sein verletzter Stolz, der ihn immer wieder an den peinlichen Vorfall im September erinnerte; Kummer bereiteten ihm auch seine betrogenen Gefühle für die schöne Anwältin. Er hatte sich in sie verliebt, hätte gern eine richtige Beziehung zu ihr aufgebaut. Dass sie etwas älter war als er, hatte ihn nicht gestört. Sie sah nicht nur gut aus, sondern war klug und gebildet, eine temperamentvolle Geliebte, die zudem seine Leidenschaft für die Musik der fünfziger und sechziger Jahre teilte. Er hätte sich alles mit ihr vorstellen können – ein gemeinsames Leben, schöne Reisen, Konzertbesuche, Frühstück im Bett, ja sogar das gemeinsame Älterwerden.  

    Für Kinder war es zu spät, aber das hatte ihn nicht gestört. Kinder waren in seiner Lebensplanung nie vorgesehen gewesen. Genau das war der Grund, weshalb alle seine vorherigen Beziehungen gescheitert waren. Doch sein Beruf als Ermittler bei der Kripo hatte ihn gelehrt, dass es besser war, auf Kinder zu verzichten. Bisher hatte er in seinem Leben nichts vermisst, die Affäre mit Regina jedoch hatte ihm deutlich gemacht, dass das Leben an der Seite eines gleichgesinnten Partners viele Vorteile bot. Das Ende ihrer Beziehung war so schrecklich verlaufen, hatte ihn derart tief gekränkt, dass er sich eine Beziehung zu einer anderen Frau nicht einmal mehr vorstellen konnte.  

    Alexander musste über seine Grübeleien eingenickt sein. Er wachte erst wieder auf, als die große Maschine am Rhein-Main-Airport in Frankfurt die Rollbahn berührte. Im nächsten Moment setzte der Gegenschub der Triebwerke ein und bremste die Geschwindigkeit des Flugzeugs ab. Die Elvis-Biografie hatte er nicht einmal aufgeschlagen. Das Frühstück hatte er abgelehnt, weshalb er sich jetzt auf ein ordentliches, deutsches Frühstück mit Cosima freute. Der Blick aus dem Fenster bereitete ihm weniger Freude. Es schneite stark. Dicke Flocken wirbelten vor dem Fenster durch die Winterluft. 

    In der Erwartung, seine Kollegin und vor allem seinen treuen Vierbeiner bald wiederzusehen, holte er seine schwarze Ledertasche aus dem Overhead-Departement und folgte den drängelnden Fluggästen durch den schmalen Gang nach draußen. Die meisten Passagiere hatten ihre Handys eingeschaltet, überall piepte und klingelte es, einige telefonierten bereits. Er ließ sein Mobiltelefon in der Tasche. Mit wem hätte er auch morgens um sieben Uhr telefonieren sollen? 

    Kapitel 2 

    Der Rauhaardackel stemmte alle vier Pfoten in ihren Rücken. Das bedeutete so viel wie: Steh endlich auf, ich will raus! Mittlerweile kannte sie die Gewohnheiten des quirligen Vierbeiners recht gut, den sie für vierzehn Tage in ihre Obhut genommen hatte. Ihr

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1