Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Tod im Schatten der Burg - Eisiger Abgrund
Tod im Schatten der Burg - Eisiger Abgrund
Tod im Schatten der Burg - Eisiger Abgrund
eBook386 Seiten4 Stunden

Tod im Schatten der Burg - Eisiger Abgrund

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Bestattungsunternehmer Ehrenfried Plettenberg flieht 1958 mit seiner schwangeren Frau unter dramatischen Umständen aus der DDR in den Westen. Über Umwege gelangt er in das beschauliche Burgenstädtchen Münzenberg in der Wetterau. Hier macht er sich mit einem Unternehmen, das sich auf besondere Bestattungen spezialisiert, selbständig.
Sein geregeltes Leben gerät jedoch plötzlich aus den Fugen. Durch einen Presseartikel über einen Mehrfachmörder holt ihn die Erinnerung an seine Vergangenheit, die er ins Unterbewusstsein verdrängt hat, wieder ein. Mit allen Mitteln versucht er, die näheren Umstände der Flucht vor seiner Frau Annette und Tochter Solveig geheim zu halten.
Gleichzeitig verschwindet in Steinfurth, einem Stadtteil von Bad Nauheim, eine ältere Frau. Die Bemühungen der Ermittler Alexander Henneberg und Cosima von Mittelstedt vom K 10 in Friedberg, die Person zu finden, scheitern zunächst. Zudem sorgt Rauhaardackel Erdmann für einige Verwirrungen. Auch das Leben der Ermittler gerät durcheinander. Plötzlich sehen sie sich einigen unerwarteten Situationen ausgesetzt. Gelingt es einer Kommissarsanwärterin, wieder Ordnung in das Durcheinander zu bringen?

In ihrem siebten Kriminalroman, der hauptsächlich in dem historischen Münzenberg und der landschaftlich wunderschönen Wetterau spielt, erzählt Jule Heck, wie aus falsch verstandener Liebe und einer Lüge, die viele weitere nach sich zieht, das Leben mehrerer Menschen zerstört werden kann. Einmal mehr versteht es Jule Heck, einen Spannungsbogen aufzubauen, der den Leser von Anfang an fesselt und eine verblüffende Auflösung findet.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Okt. 2019
ISBN9783960146599
Tod im Schatten der Burg - Eisiger Abgrund

Mehr von Jule Heck lesen

Ähnlich wie Tod im Schatten der Burg - Eisiger Abgrund

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Tod im Schatten der Burg - Eisiger Abgrund

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Tod im Schatten der Burg - Eisiger Abgrund - Jule Heck

    Prolog 

    Bleierne Müdigkeit lag auf ihr. Ihr Kopf dröhnte. Sie wollte aufwachen, die Augen öffnen. Doch es gelang ihr nicht. Der Schlaf hielt sie gefangen, holte sie immer wieder in die Dunkelheit zurück.  

    Sobald ihr Bewusstsein für wenige Sekunden an die Oberfläche gelangte, fühlte sie sich eingeengt. Sie spürte einen Druck auf ihrer Brust. Das Atmen fiel ihr schwer.  

    Wo war sie? Warum war alles um sie herum schwarz? Nur ein Gedanke, der an die Oberfläche drang, bevor sie wieder einnickte. Sie vernahm ein gleichmäßiges Prasseln. Regentropfen, die schwer auf eine Oberfläche klatschten. Dennoch kam sie nicht wirklich zu sich. Sie nahm alles wie durch eine Wand wahr. Eine Wand, die sie vom wirklichen Leben trennte. 

    Schläge ließen sie erneut aufwachen. Wieder Stille, wieder Schläge. Was war das? Sie versuchte sich zu bewegen, sich umzudrehen. Etwas blockierte sie. Wieder die Schläge, immer mehr, immer schneller. 

    Nein, es waren keine Schläge. Es war mehr ein Poltern, so als ob Erde auf Holz fällt. Wann fällt Erde auf Holz?  

    Angst erfüllte sie plötzlich. Sie hatte ein Bild vor Augen, wollte aber nicht, dass es sich in ihrer Vorstellung festsetzte.  

    Sie versuchte zu ertasten, wo sie war. Aber die Enge, in der sie sich befand, ließ ihr kaum Spielraum für Bewegungen.  

    Sie spürte, wie Adrenalin in ihre Adern schoss und sie aus der Müdigkeit befreite. Plötzlich waren alle ihre Sinne wieder da. Das Erste was sie richtig wahrnahm, war der sonderbare Geruch. Wo kam der her? 

    Ihr Gesicht berührte zwei Füße. Ihre Beine lagen auf einem Körper. Ihre Zehen ertasteten Haut, einen Mund, eine Nase. Ihre Arme hingen neben Beinen. Sie fühlte Knochen, Kniescheiben. Nackte Haut. 

    „Hallo, wer bist du?", fragte sie in die Stille. Doch sie erhielt keine Antwort von dem Körper, auf dem sie lag, der sich kalt anfühlte. Eine tote Masse, auf der sie ruhte.  

    Ihre tastenden Finger stießen auf blankes Holz.  

    Das Poltern hatte zugenommen, doch es war nur noch dumpf zu vernehmen. Das Holz ächzte. Panik ergriff sie. Sie trommelte mit den Fäusten gegen die Seitenwände, begann um Hilfe zu rufen. Hielt inne, lauschte, wartete auf ein Zeichen, dass man sie gehört hätte. Doch nichts geschah. Nur dieses dumpfe Geräusch. 

    Wie war sie in diese Situation gekommen? Was hatte sie verbrochen, dass sie so enden musste? 

    In einem letzten verzweifelten Akt, versuchte sie, sich aufzurichten. Stieß mit dem Rücken gegen einen Widerstand. Sie kratzte am Holz. Doch das Einzige, was sie durch ihre Befreiungsversuche erreichte, waren schmerzende Handgelenke und Holzsplitter unter den Fingernägeln. 

    Ihre Hilferufe zwischen Schreiattacken blieben ungehört. Niemand hörte ihr Flehen.

    Juni 2014 

    Der junge Mann trat aus der Toilette, wusch sich die Hände und eilte zum Parkplatz. Seine Freunde warteten schon. Eigentlich hätte er seinen Blutzuckerspiegel noch messen müssen, doch seine Begleiter drängten ihn, endlich weiterzufahren. Sein VW Golf war voll beladen mit Angelutensilien. Es sollte der erste gemeinsame Urlaub werden, nachdem alle ihre Gesellenprüfung bestanden hatten und bevor sie ihre Stellen antreten würden. Die Stimmung war gut, alle waren hellwach, nachdem sie sich mit frisch aufgebrühtem Kaffee und belegten Brötchen gestärkt hatten. Nur er musste ohne Frühstück weiterfahren. Jetzt ärgerte er sich. Er musste unbedingt etwas gegen seine Besessenheit unternehmen. Sein ständiges Verlangen nach sexueller Befriedigung lenkte ihn von anderen, wichtigen Dingen ab. Mehrmals am Tag musste er Hand an sich selbst legen, um sich zu erleichtern. Er wusste, dass dies nicht dem normalen körperlichen Verlangen eines jungen Mannes entsprach. Deshalb würde er sich nach dem Urlaub einer Sexualtherapie unterziehen.  

    Während die anderen scherzten und Anglerlatein zum Besten gaben, versuchte er, sich auf die Fahrbahn zu konzentrieren. Der volle Mond stand groß am Himmel. Nur wenige Menschen waren um diese Zeit unterwegs. Die Beschilderung zeigte ihm an, dass sie in Kürze am Gambacher Kreuz von der A 45 auf die A 5 wechseln würden. Im Rückspiegel sah er Lichter eines weiteren Autos. 

    Auf dem nächsten Rastplatz musste er noch einmal anhalten, um sich sein Medikament zu verabreichen. Ein flaues Gefühl machte sich in ihm breit. Seine Augenlider begannen zu flackern, seine Hände zitterten. Sein Kopf war schwer und er hatte Mühe, sich zu konzentrieren, die Augen offen zu halten. Die Stimmen seiner Kumpels vernahm er wie durch einen Nebel. Der plötzlich einsetzende hohe Pfeifton machte ihm endgültig klar, dass er vollkommen unterzuckert war. Die langgezogene Kurve, die die A 45 mit der A 5 verband, wurde zur echten Herausforderung für ihn.  

    Kapitel 1 

    „Guten Morgen, meine Liebe", Ehrenfried Plettenberg beugte sich zu seiner Frau herab und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Der Bestatter, der sein Institut in Münzenberg unter der Burg betrieb, sah müde aus. Sein ohnehin schmales Gesicht erschien eingefallen und grau.  

    „Guten Morgen, Schatz, erwiderte Annette Plettenberg die zärtliche Begrüßung ihres Mannes und streichelte ihm über die Wange. „Was war denn heute Nacht los? 

    „Unfall auf der A 5 am Gambacher Kreuz. Vier junge Leute sind dort schwer verunglückt. Die Feuerwehr musste die Personen aus dem Wrack schneiden", seine Stimme klang mitleidsvoll.  

    „Wie viele Tote?", Annette Plettenberg sah ihren Mann traurig an. 

    „Gott sei Dank gab es nur einen. Aber das war schon schlimm genug." 

    „Weiß man, wo die jungen Leute her sind und wer der Tote ist?" 

    Ehrenfried Plettenberg seufzte. „Anhand des Nummernschildes konnte man nur den Halter des Fahrzeuges ermitteln. Es handelt sich um einen 18-Jährigen aus Dortmund. Annette Plettenberg nickte. „Ein Führerscheinneuling also. Was war das für ein Wagen? 

    „Ein Golf älteren Baujahres. Ein Wunder, dass drei Personen den Unfall überlebt haben. Aber an der Unfallstelle sah es aus, wie auf einem Schlachtfeld", berichtete der Bestatter. 

    „Die Schwerverletzten wurden in die Uniklinik nach Gießen gebracht. Aber ich habe Zweifel, ob das alle überleben." 

    „Weiß man schon, wie es passiert ist?", hakte die Frau des Bestatters nach. 

    „Wahrscheinlich ein Fahrfehler. Überhöhte Geschwindigkeit", kam die Antwort knapp zurück. 

    „War Alkohol im Spiel?", fragte sie erneut. 

    „Eher nicht. Sah so aus, als wären die vier jungen Männer auf dem Weg in den Urlaub gewesen." 

    „Was ist mit Solveig? War sie auch am Unfallort?", fragte Annette nun ihren Mann. 

    „Man hat sie um Hilfe gebeten. Sie hat sich um die Ersthelfer gekümmert und sie psychologisch betreut. Die waren ja vollkommen durch den Wind. Ein Ehepaar aus Butzbach. Sie waren auf dem Heimweg von einer Hochzeitsfeier in Linden. Das Erlebnis wird sie ihr Leben lang verfolgen."  

    Solveig Plettenberg, die Tochter der beiden, war Psychologin und arbeitete neben ihrer Tätigkeit in ihrer Praxis als Seelsorgerin. Sie wurde nicht nur bei Unfällen hier im Wetteraukreis herangezogen, sondern auch zu Tatorten und Stellen, an denen ein Selbstmord stattgefunden hatte. Sie betreute die Menschen nicht nur vor Ort, sondern auch oft, wenn gewünscht, darüber hinaus in ihrer Praxis. 

    „Da gebe ich dir recht. Das werden sie ein Leben lang mit sich herumtragen. Wie schrecklich und wie sinnlos, dass so junge Menschen sterben müssen", stimmte Annette ihrem Mann zu.  

    Obwohl der Tod zu ihrem täglichen Geschäft gehörte, empfand Annette Plettenberg bei jedem neuen Todesfall eine tiefe Traurigkeit. Auch nach über dreißig Jahren hatte sie sich nicht an den Tod gewöhnt. Vermutlich lag das an ihrer Vergangenheit, die sie immer wieder in ihren Träumen einholte. 

    „Wo ist der Tote?" 

    „Liegt hier in der Kühlung. Die Polizei oder die Angehörigen selbst werden sich im Laufe des Tages melden", erklärte der Bestatter. 

    „Nun frühstücke erst mal etwas und dann legst du dich noch etwas hin. Ich bleibe am Telefon." 

    „Gehst du heute nicht in die Kirche?", verwundert sah Plettenberg seine Frau an. 

    „Nein, ich möchte nicht, dass du vom Telefon geweckt wirst. Sie legte ihm ein mit Wurst belegtes Brötchen auf den Teller und goss ihm Kaffee ein. „In der Sonntagszeitung der FAZ ist ein interessanter Bericht, sie tippte mit dem Zeigefinger auf die Titelseite der Ausgabe. „Das Monster von Detmold gesteht weitere Morde", lautete die Schlagzeile. 

    Plettenberg starrte auf die Zeitung. Sein Gesicht nahm eine unnatürliche Blässe an. „Du kannst ruhig in die Kirche gehen. Ich habe noch zu tun", sagte er zu seiner Frau, ohne den Blick zu heben. 

    „Ist dir nicht gut, mein Lieber? Du bist so blass", Frau Plettenberg sah ihren Mann besorgt an. 

    „Nein, nein, alles gut. Bitte lass dich nicht aufhalten." Mit zittriger Hand führte er die Tasse an seine Lippen. 

    Nachdem seine Frau den Raum verlassen hatte, nahm er die Zeitung zur Hand und begann den Artikel zu lesen. Er war so aufgeregt, dass er sich gar nicht auf den Inhalt konzentrieren konnte. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Plötzlich spürte er, wie sein Herz raste und fasste sich an den Hals.

    Kapitel 2 

    Erdmann hatte sein Leckerli bei dem Pförtner des Polizeipräsidiums im Grünen Weg von Friedberg abgeholt, sauste in großen Sprüngen die Treppe in den ersten Stock und rannte den langen Flur bis zu Kommissar Hennebergs Büro entlang.  

    Die Türen zu den Büros standen offen. Diese waren jedoch nicht besetzt. Sonntags hielten sich nur selten Ermittler hier auf. Es sei denn, ein aktueller Fall führte sie in ihre Diensträume. Doch in den letzten Wochen war nur wenig Aufsehenerregendes passiert, abgesehen von den üblichen Wohnungseinbrüchen, den Schmierereien an Autobahnschildern oder ominösen Anrufen von Trickbetrügern. Alles Straftatbestände, die man unter der Woche bearbeiten konnte. Ein Mord hatte es in der Wetterau schon länger nicht mehr gegeben. 

    Kriminaloberkommissarin Cosima von Mittelstedt saß an ihrem Schreibtisch. Sie hatte eine Akte vor sich liegen, studierte aufmerksam den Inhalt. Sie hörte Erdmanns Pfoten auf dem Linoleumboden, die sich dem Büro näherten. Als sie den Kopf hob, sah sie ihn schon um die Ecke flitzen. Er kam direkt auf sie zu, sprang an ihr hoch und bellte sie zur Begrüßung an. 

    „He, Erdmann, was machst du denn hier? Heute ist doch Sonntag", sie streichelte dem Rauhaardackel über den Kopf. 

    Seinem bettelnden Blick konnte sie nicht widerstehen, kramte einen kleinen Hundeknochen aus ihrem Schreibtisch hervor und hielt ihn Erdmann vor die Nase. Gierig schnappte der Vierbeiner zu und ließ sich kauend zu ihren Füßen nieder. Anfangs hatte sie wegen einer Tierhaarallergie den Dackel abgelehnt. Doch nachdem sie sich erfolgreich hatte desensibilisieren lassen, waren die beiden ein Herz und eine Seele geworden. Erdmann war der Liebling aller Kollegen im K 10. Selbst der Erste Kriminalhauptkommissar Wortmann akzeptierte den Krimidackel mittlerweile stillschweigend. 

    „Das könnte ich dich auch fragen, Kollegin. Was machst du hier? Du hast doch heute gar keinen Dienst. Wo steckt Eberstädter?" Kriminalhauptkommissar Alexander Henneberg, ihr Kollege vom K 10, kam zur Tür herein. 

    „Dir auch einen schönen guten Morgen, lieber Henne", antwortete Cosima.  

    „Guten Morgen, liebe Co, erwiderte Alexander süffisant. „Also, wo steckt dieser Kerl? 

    „Eberstädter hat mich gebeten, seinen Dienst heute zu übernehmen. Er wollte seiner Frau die Gegend zeigen." 

    „Das kann er doch immer noch", maulte Henneberg. 

    „Ach, lass ihn doch. Seine Frau ist doch erst seit kurzem hier. Die muss doch erstmal alles kennenlernen. Das braucht seine Zeit", winkte Cosima ab. 

    „Und was ist mit Jüngling?", wollte Alexander wissen. 

    „Der hat doch schon wieder eine neue Flamme", klärte Cosima den Kollegen auf. 

    „Mann, Mann, Mann, alle paar Wochen `ne Neue. Das ist ja nicht zum aushalten", Alexander schüttelte den Kopf. 

    „Nur kein Neid, mein Lieber. Du könntest dich ja auch mal wieder nach einer Frau umsehen. Dein Zustand ist nicht gerade normal. Seit der Sache mit Regina hast du, so viel ich weiss, keine Frau mehr angerührt." 

    „Danke, kein Bedarf, kam es genervt von Alexander. Seine Kollegin zog ihn deshalb in der letzten Zeit häufig auf. Doch nach der unglücklichen Affäre vor vier Jahren mit seiner Nachbarin, einer Anwältin, die aus enttäuschter Liebe reihenweise Männer getötet hatte und der er beinahe selbst zum Opfer gefallen war, hatte er kein Interesse mehr am weiblichen Geschlecht gehabt. Hier und da ein One Night Stand zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse hatte ihm vollkommen genügt. „Ich möchte aber nicht, dass du in deinem Zustand so viel arbeitest, er drohte ihr mit dem erhobenen rechten Zeigefinger. 

    „Lieber Henne, Cosima nannte ihn immer, wenn sie alleine waren, bei seinem Spitznamen, den ihm ein Kollege vor vielen Jahren verpasst hatte, „ich bin schwanger und nicht krank. Und ich werde so lange arbeiten, wie es mir der Gesetzgeber und meine Gesundheit erlauben. Wenn es mir zu viel wird, ziehe ich schon die Konsequenzen. Ist das klar? Cosima funkelte ihren Kollegen belustigt an. 

    „Was sagt denn dein Göttergatte dazu, dass du heute Dienst schiebst?" Alexander gab nicht auf. 

    „Der ist beruflich in Shanghai. Wie so oft in der letzten Zeit. Warum soll ich dann alleine zu Hause sitzen", seufzte die Kommissarin. 

    „Ok, akzeptiert. Aber versprich mir, dass du es nicht übertreibst", Alexander fühlte sich für seine Kollegin, mit der er seit 10 Jahren erfolgreich zusammenarbeitete, verantwortlich. 

    „Ich verspreche es dir, sie rollte mit den Augen, „verrätst du mir nun, was du hier machst? 

    „Ich suche meine Geldbörse. Die muss mir irgendwo aus der Hose gerutscht sein. Diese blöden Gesäßtaschen sind zu kurz geschnitten. Ständig verliere ich das Ding und merke es nicht. Gestern auf dem Wochenmarkt am Elvis-Presley-Platz musste ich überall anschreiben lassen, weil ich sie nicht finden konnte." 

    „Naja, das dürfte dir ja bei deinem Charme nicht schwergefallen sein." Cosima lachte. 

    „Sehr witzig." Alexander ging auf seinen Tisch zu. Zog den Schreibtischstuhl hervor, suchte auf dem Boden. 

    „Das gibt es doch nicht. Wo steckt nur dieses blöde Ding?" 

    „Hast du schon im Auto nachgesehen?" 

    „Ja, ich habe jeden Winkel durchsucht. Das Büro war meine letzte Hoffnung." 

    „Wo hast du es denn zuletzt benutzt? Gehe doch mal rückwärts in deinen Gedanken. Vielleicht fällt es dir dann wieder ein." 

    Alexander dachte angestrengt nach. Cosima sagte kein Wort mehr. Nur Erdmanns Schmatzen war zu hören. 

    Plötzlich schlug sich Alexander vor die Stirn. „Ich hab´s. Ich war am Freitag im Fressnapf, um Hundefutter für Erdmann zu holen. Bevor ich den schweren Sack mit dem Hundefutter ins Auto hob, habe ich mein Portemonaie in den Kofferraum gelegt, weil ich Angst hatte, dass es mir wieder aus der Gesäßtasche rutscht. Da muss es noch liegen. Alexander rannte auf Cosima zu, nahm ihr Gesicht in die Hand und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Du bist ein Schatz. 

    Angesichts dieser ungewohnt emotionalen Regung ihres Kollegen, sagte Cosima: „Du musst es ja nicht gleich übertreiben." 

    „Erdmann komm, wir machen jetzt einen Ausflug. Tschüss Co. Bis morgen." Alexander drehte sich um und verschwand durch die Tür. Erdmann folgte ihm sofort. 

    Cosima schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Akte.  

    Kapitel 3 

    Mathis Brühl wurde vom Klingeln des Telefons geweckt. Er schaute auf seinen Chronometer. Es war bereits zehn Uhr. Sonntags schlief er gerne aus. „Verdammt, wer ruft denn jetzt an?" Normalerweise hätte er nicht vor Mittag das Bett verlassen. Heute hatte er weiter nichts vor. Der Sonntag gehörte ihm. Er war weder verheiratet noch hatte er eine feste Beziehung. Es war niemand da, um den er sich hätte kümmern müssen. Seine Mutter, die im Erdgeschoss des Drei-Familien-Hauses wohnte, erwartete ihn erst zum Kaffeetrinken.  

    Brühl meldete sich mit rauer Stimme. „Wer stört?" 

    „Guten Morgen Mathis, vernahm er die Stimme seines Seniorpartners, „entschuldige bitte, wenn ich dich störe. Hast du heute schon in die Zeitung geschaut? 

    „Nein, ich habe noch geschlafen. Die Zeitung lese ich erst heute Mittag bei meiner Mutter. Wieso, was ist denn los?" 

    Mathis war beunruhigt. Ehrenfried hätte ihn nicht angerufen, wenn nicht irgendetwas Dringendes vorgelegen hätte.  

    „Kannst du hierherkommen? Ich möchte das nicht mit dir am Telefon besprechen. Annette geht gleich in die Kirche. Dann sind wir ungestört."  

    „Ok, ich geh` nur schnell unter die Dusche und frühstücke. Dann komme ich vorbei." 

    „Frühstücken kannst du hier. Annette hat Brötchen aufgebacken. Der Tisch ist noch gedeckt. Bitte beeile dich. Es ist wirklich wichtig."  

    Mathis sprang aus dem Bett. „Bin in 15 Minuten da." 

    Kapitel 4 

    Mathis zog die Tür hinter sich ins Schloss und rannte die Treppe hinunter. Als er gerade an der Wohnungstür seiner Schwester Ulla vorbeieilte, trat sie heraus. Mathis wäre beinahe mit ihr zusammengestoßen. Er hielt inne. 

    „Hallo Bruderherz, warum so eilig?" 

    „Ich muss zu Ehrenfried. Er braucht meine Hilfe." 

    „Hat das was mit dem Unfall heute Nacht am Gambacher Kreuz zu tun?", fragte seine Schwester neugierig. 

    „Keine Ahnung. Er hat nicht gesagt, um was es geht. Und von dem Unfall habe ich noch nichts gehört", erwiderte Mathis hektisch. 

    „Kam eben in den Nachrichten. Drei Schwerverletzte und ein Toter. Alles junge Leute auf dem Weg in den Urlaub. Schrecklich." 

    „Was hast du vor?", fragte Mathis ungeduldig. 

    „Ich will nur Mutter die Sonntagszeitung auf den Küchentisch legen, damit sie die lesen kann, wenn sie aus der Kirche kommt." 

    „Steht was Interessantes drin?" 

    „Dieser Mehrfachmörder aus Detmold hat weitere Morde zugegeben. Das muss man sich mal vorstellen. Spritzt der einfach die Patienten tot. Die könnten vielleicht alle noch leben." 

    „Lass mal sehen", Mathis nahm Ulla die Zeitung aus der Hand und überflog den reißerisch aufgemachten Artikel auf der ersten Seite. 

    Ulla zog sich in ihre Wohnung zurück. „Du kannst Mutter ja dann die Zeitung hinlegen. Wir sehen uns später beim Kaffeetrinken. 

    Als er den Artikel zu Ende gelesen hatte, lies er das Exemplar fallen und eilte in die Garage, nahm sein Rennrad und fuhr so schnell er konnte vom Eiloh ans Ende der Eichergasse, wo sich das Anwesen seines Seniorpartners befand. Sein Herz schlug schnell. Seine Nerven flatterten.  

    Kapitel 5 

    Die Straßen des historisch geprägten Stadtteils von Münzenberg lagen verlassen in der Sonne. Mathis nutzte die Umgehung, vorbei am Sportplatz, zur L 3135 in Richtung Rockenberg. Fünf Minuten später erreichte er die große Hofreite am Ortsausgang von Münzenberg, unweit des Friedhofs, in der sich seit 34 Jahren das Bestattungsinstitut von Ehrenfried Plettenberg, seinem Seniorpartner, befand.  

    Plettenberg hatte 1980 das heruntergekommene Anwesen erworben. Entscheidend für den Kauf in Münzenberg war vor allem die hochaufragende Stauferburg gewesen. Seine Frau und seine Tochter hatten sich bei dem Anblick der als Wetterauer Tintenfass bezeichneten Burg sofort verliebt und alle anderen, zuvor besichtigten Objekte in den umliegenden Dörfern abgelehnt. Das schöne Fachwerk hatte er freigelegt und das komplette Gebäude kernsaniert. In der großen Scheune hatte er eine Schreinerei eingerichtet und sich auf die Herstellung von außergewöhnlichen Särgen spezialisiert. Er fertigte nicht nur diese speziellen Särge, sondern bot auch besondere Bestattungsformen an. Die Seebestattung war nur eine der ungewöhnlichen Angebote. Auch die Organisation von Trauerfeiern, die Überführung von Leichen und die Betreuung der Hinterbliebenen gehörten zu seinem ungewöhnlichen Konzept, das zunächst nur belächelt wurde.  

    Er wollte den hiesigen Bestattern keine Konkurrenz machen, im Gegenteil, er suchte durchaus die Zusammenarbeit mit den Kollegen und den Schreinereien. Dennoch blieb er auf Grund seines außergewöhnlichen Angebotes eher ein Außenseiter. Doch das hatte ihn nie gestört. Ihm war es wichtig, dass man einen Toten nicht einfach so in die Erde legt, sondern seine letzten Wünsche akzeptiert und umgesetzt wurden. Vor allem wollte er den Hinterbliebenen helfen, leichter über den schmerzlichen Verlust ihrer Lieben hinwegzukommen, insbesondere wenn es um Selbstmörder oder junge Menschen ging, die durch einen Unfall oder eine schlimme Krankheit viel zu früh verstorben waren.  

    Sein Motto lautete: „Die Verstorbenen merken nichts mehr, aber um die, die zurückbleiben, muss man sich kümmern." Für die meisten Bestatter endete die Arbeit mit der Beisetzung und der Zustellung der Rechnung, Ehrenfried sah das anders.  

    Mathis, ein gelernter Schreiner hatte im gleichen Jahr, als Ehrenfried sein Institut eröffnete, bei ihm angefangen. Eigentlich war er gelernter Möbelschreiner. Da die ortsansässigen Schreinerbetriebe zu dieser Zeit aber keine Arbeitsplätze frei hatten, unterschrieb er den Vertrag bei dem neugegründeten Bestattungsinstitut. Zudem verband die beiden Männer die gemeinsame Herkunft aus der ehemaligen DDR.  

    Mathis gefiel es, wie Ehrenfried mit den Angehörigen sprach, sie tröstete, alles möglichst unkompliziert in die Wege leitete und nicht nur dem letzten Wunsch des Toten, sondern auch den Vorstellungen der nahen Anverwandten gerecht wurde. 

    Normalerweise gingen die Leute aus dem Dorf zum Schreiner und bestellten einen Sarg. Man kannte sich halt, als Nachbar, Verwandter, Kegelbruder oder Vereinsmitglied.  

    Anfangs nahm niemand aus der Stadt die Hilfe von Ehrenfried in Anspruch. Seine Kundschaft kam aus ganz Deutschland. Bei ihm wurden Särge bestellt, die anders aussahen, die Hauptsache war, dass sie den Maßen eines normalen Grabes entsprachen und nicht die guten Sitten und die Moral verletzten. Je nach Neigung des Toten, seiner Leidenschaft oder seines Hobbies wurden von den Verwandten Särge bestellt, die z.B. aussahen wie ein Baumstamm oder eine Telefonzelle, wie ein Turnschuh oder ein Rennwagen. Die Wünsche waren nicht nur außergewöhnlich, sondern auch vielfältig. Manchmal wünschten die Kunden auch, dass ein herkömmlicher Sarg eine besondere Farbe oder eine schöne Bemalung bekam. 

    Mathis kümmerte sich um die Umsetzung der Wünsche und konstruierte bzw. baute die Särge. 

    Ehrenfrieds Tochter Solveig hatte sich schon in jungen Jahren damit befasst, ebenfalls Särge zu gestalten, sie mit Malereien zu versehen. Sie half ihrem Vater auch bei der Ausschmückung der Totenschreine oder bei der Herrichtung der Leichen, bei der Aufbahrung eines Toten oder der Organisation der Trauerfeierlichkeiten.  

    Ehrenfrieds Frau Annette war für die Buchführung und die Abwicklung der Beisetzungen zuständig, half den Hinterbliebenen im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch noch danach bei der Abwicklung des Erbes. 

    Sie kam auch auf die Idee, schon frühzeitig für eine Sterbeversicherung zu werben und Menschen zu beraten, die ihre eigene Beisetzung planten.  

    Ehrenfried, der sich immer wieder an den üblichen Beerdigungsritualen der Pfarrer, die wenig über den Verstorbenen, aber viel über die Bibel sprachen, störte, bot sich als Trauerredner an, wurde zunächst aber nur gebucht, wenn der Tote keiner Kirche angehörte oder Selbstmord begangen hatte. Die Kirche hatte es lange Zeit abgelehnt, Menschen zu bestatten, die ihr Leben durch den Freitod beendet hatten. 

    Auch Solveig hatte ihre Profession im Sterben und dem Tod gefunden. Nachdem sie ihr Studium der Psychologie nach elf Semestern mit Summa cum laude abgeschlossen hatte, begleitete sie Sterbende und ihre Angehörigen bis zum Tod, betreute die trauernden Hinterbliebenen auch noch danach. 

    In den letzten fünfzehn Jahren waren die Erdbestattungen immer mehr von Feuerbestattungen verdrängt worden. Auch hier hatten die Unternehmer schnell reagiert und stellten eine große Auswahl an Urnen zur Verfügung.  

    Solveig war auch die erste, die die Idee hatte, Urnen von Kindern bemalen zulassen.  

    So war aus dem zunächst normalen Bestattungsinstitut ein Unternehmen geworden, das ein rundum Sorglospaket in Sachen Sterben anbot, ein Unternehmen, das seinesgleichen suchte. 

    Im Jahr 2005 hatte Ehrenfried Mathis zu seinem Partner gemacht. Mittlerweile beschäftigten sie noch zwei weitere Schreiner und eine Bürokraft. 

    Mathis stieg von seinem Rennrad ab. Bevor er den Hof betrat, schaute er zu den Türmen der mächtigen Stauferburg. Der Anblick der Burg hatte ihn immer, wenn es ihm schlecht ging, beruhigt oder getröstet. Manchmal war er auch auf die Burg gegangen, hatte vom Ostturm die Landschaft betrachtet, so lange, bis er sich besser fühlte. Doch heute half der Blick zu dem gewaltigen Bauwerk leider nicht. Total verängstigt und aufgewühlt, betrat er den mit Kopfsteinen gepflasterten Hof, der still in der Vormittagssonne lag und ging durch die Tür des Nebengebäudes auf der

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1