Der Affenkönig: Erzählungen aus meiner Kindheit in Altenwerder
Von Michael Duwe
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Über dieses E-Book
Die Kindheit bei den Großeltern war "kein Zuckerschlecken"und in den gemachten Erfahrungen keineswegs eine Idylle. Aber auch nicht untypisch für eine Kindheit in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Das Elbdorf fiel ab 1962, also nach der großen Flut, der
Hafenerweiterung zum Opfer.
Insofern sind die Erzählungen auch Teil einer Erinnerungskultur.
Lesungen aus dem "Affenkönig" haben Zuspruch und positive Resonanz erhalten. Nicht zuletzt deswegen hat sich der Verfasser zur Veröffentlichung
entschlossen.
Michael Duwe
Der Autor, Jahrgang 1952, ist in Altenwerder geboren und aufgewachsen. Nach der Grundschulzeitging er aufs Friedrich-Ebert-Gymnasium in Harburg. Abitur 1971, Studium und Examen in Hamburg für das Höhere Lehramt. Danach arbeitete er als Lehrer in den Fächern Deutsch, Politik, Musik und Sport an einer Privatschule. Noch heute bleibt er dem Unterrichten und seiner Schule verbunden, und zwar in den Wahlpflichtfächern Schach, Squash und Plattdeutsch.
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Buchvorschau
Der Affenkönig - Michael Duwe
Inhaltsverzeichnis
Chaiselongue
Pepernööt
Hansekogge
Herr Brehmer bringt die Mappe
Sandkiste
Midöisch!
Petzi-Boot
Am Stack
Das Haus des Zahnarztes
Till Eulenspiegel
Tauwetter
Fußballschuhe
Oma
Das Waschbecken
Liebe Dina!
Nuss-Schokolade
Fiefhunnertdotum
Erbsenpistole
Kino
Affenhaut
Hermann
Auf dem Fußballplatz
Garagendach
Nachwort
Chaiselongue
Auf dem Schisslong liege ich, in der Küche, die bloßen Füße gegen die warmen Kacheln des Herdes gedrückt. Halbnackt bin ich, gniedel an meinem Pimmel. Die Küchentür steht offen, Winter kann es nicht sein. Der Flur ist immer kalt. Hinter dem Türrahmen steht meine Oma, ich sehe ihren weißen Haarschopf, ein bisschen. Ein ziemliches bisschen. Sie kommt um die Ecke geschossen, fährt auf mich los:
„Chore, chorre, chorre!"
Vor Schreck kneife ich die Knie zusammen. Ihr gestreckter Unterarm macht ruck-zuck!, ruck-zuck!, vor und zurück, die Knie auseinander.
„Du Lorbass! und wieder „Chore, chorre, chorre!
Ich quietsche vor Freude, Schreck und noch was. Ist das ein Spiel? Soll ich nochmal? Oder wird gniedelnden Jungen der Pimmel abgesägt?
Meine Oma verschwindet wieder im Flur. Doch bleiben ihr weißes Haar und ein Stück der strengen Brille, Kastengestell, gut sichtbar. Soll ich? Ich gniedel wieder ein bisschen.
„Chorre-chorre-chorre! fährt es auf mich nieder. Knie, Handkantensäge und Quietschen. „Lorbass!
Weißhaarschopf auf dem Rückzug. Sie bleibt hinter dem Türrahmen stehen, kein bisschen richtig versteckt. Und wieder: gniedeln, chorre-chorre, Schreckfreude und Unterarmsäge. Ich verstehe, gniedeln soll man wohl nicht.
Wende ich mich lieber dem Katzenauge zu, dem grünschmalen Schlitz im Röhrenradio, Löwe-Opta, auf dem Küchentisch. Es dauert einen Moment, bis das Katzenauge aufgeht, wenn man das Radio einschaltet. Drehe ich an dem Knopf, zwinkert mir das Auge zu. Auf Langewelle langsam, die Töne jaulen vor sich hin. Auf Kurzwelle gibt es ein aberwitziges Geblubber wie im Kochtopf und das Auge zwinkert wie wild.
Meine Oma steht auf der anderen Seite, vor dem Küchentisch. Sie zieht die Abwaschschublade hervor, zwei Schüsseln, in der einen dreckiges Geschirr, die andere noch leer. Oma holt Wasser aus dem Rinnstein, dem Ausgussbecken mit dem einzigen Wasserhahn der Wohnung. „Eers afwaschn, ebn Woter opsettn", sagt sie. Wasser macht sie heiß auf dem Herd, im kleinen Kessel. Ist Kessel zu klein, rakt und schiebt sie mit dem Schürhaken einen gusseisernen Ring über das Herdloch. Erst Jahre später wird es auch einen E-Kocher mit zwei Platten von Achner in Finkenwerder geben.
Ich drehe mich mit dem Kopf zum Herd, hangele mich herum, lass Kopf und rechten Arm vom Schisslong hängen, um an den Backofen zu langen, öffne die Klappe ein Stück und fische nach getrockneten Brotrinden oder Knusten. Für Onkel Fiete, Opas Bruder, der sonntags zum Essen kommt, werden die Rinden von den Brotscheiben abgeschnitten, er hat nur noch drei Zähne.
Oma bereitet das Mittagessen vor. „Morgen, wenn Fiete kümmt, gifft dat Karbonod un Bohnen, Michalinus. Un hüüt? Wat meenst? Fleederbeerzupp mit Griesklüten?"
Meine Lieblingssuppe, fast, nach Kirschsuppe. Ist die Suppe halb aufgegessen und der Teller noch halbvoll, kann ich die länglichen Klöße anschneiden: wunderbar gelb hebt sich die Schnittfläche ab, ein Felsen im fliederblutroten Suppenmeer. „Ebn eers Kantüffeln opsettn. Jümmer dat Morachen mit dat Füür. Ik mütt doch noch eers noh Finkwarder, noh Achner, so n lütten E-Herd mit twee Platten. Jümmer den Ümstand mit den olen Herd…"
Solange ich denken kann kommt Onkel Fiete mit dem Fahrrad sonntags zum Mittagessen vom Westerende, wo er bei Bollmanns in einem Dachzimmer zur Miete wohnt. Wenn es nieselt oder regnet, hat er den Kleppermantel an, steigt an der Brücke ab, mit großem Beinschwung. Auf dem Gepäckträger klemmt seine flache Ledertasche. Über die Brücke vorn am Graben schiebt er das Fahrrad, lehnt es an die Hauswand.
Wie auch Opa früher arbeitet Onkel Fiete bei Möller & Sohn auf Waltershof. Tropenhölzer werden dort verladen und gelöscht. Auch Onkel Rübcke arbeitet da.
Jetzt bin ich aber dran. Im Backofen trocknen Brotrinden, Knuste und andere Brotreste steinhart, bis mein Großvater sie in einem Geschirrhandtuch mit dem Hammer zerhaut und den Hühnern gibt. Bei den Brotrinden komme ich ihm meistens zuvor. Ich belutsche die knochentrockenen Brotreste, an den Kanten werden sie zuerst sappschig, bald kann ich sie auseinander gnurpschen. Weißbrot ist nicht so gut, wenig Widerstand, kaum Gegenwehr, keine Herausforderung. Diesmal nehme ich einen dicken, schon etwas rissigen Knust. Sein Widerstand wird an den Schluchten gebrochen, Spucke reinlaufen lassen, mit der Zunge drücken. Gegen meine Waffen hat er keine Schangse. Die Einzelbrocken werden nacheinander belutscht, bis sie schön sappschig sind, dann zergnurpscht, schließlich zerkaut und der noch leicht kratzige Brei runtergeschluckt.
Gewonnen. Keine Schangse. Sag ich doch.
„Du frittst de Heuner allns wech", sagt Opa. Aber da ist eine Art Lächeln unter seinem faltigen Gesicht.
Pepernööt
Der Postbote kommt mit einem großen Paket über die Brücke. Oma hat die Wohnungstür schon aufgemacht. „Oh!, vun Erna ut Mandelshagen. Pepernööt. Hool mol ers de Doos ut de Spieskomer, Michalinus." Die XOX-Dose ist groß, blau und schon etwas verbeult. Der Deckel hat ein Scharnier. Pepernööt sind die etwas flachen Kekse, so wie eine Handvoll Sand. Ich mag die Kringel, die mit dem Loch in der Mitte, lieber. Sie schmecken anders, süßer. In den Pepernööt - was soll das eigentlich heißen? Pfeffernüsse etwa? +- ist so raspeliges Zeug.
Tante Erna aus der Ostzone schickt die Kekse immer zu Weihnachten. „Wi hebbt jä nix, bi uns gifft’t jo nix. Aber ich bekomme doch Bücher, später, furchtbar langweilige, ich quäle mich durch. Geschenkt bekommen, muss man sie auch lesen. Jägergeschichten. Später „Die Abenteuer des Werner Holt
– das geht.
Aber erst einmal jetzt die Kringel, die Pepernööt. Bis Weihnachten bleibt die XOX-Dose in der Stube, nur anfangs gut gefüllt. „Eet nicht so veel, anners kriss Buukpien", sagt Opa. Bauchschmerzen? Ich? Wieso denn?
Der Tannenbaum steht schon im Schuppen am Klärgraben. „‘Keff em in Woter sett, in’n Ammer." Das Wasser ist gefroren, der Tannenbaum hat einen dicken Klumpfuß aus Eis. Er steht im hinteren Teil des zugigen Schuppens. Zwischen den Brettern sind mächtig Spalten und Lücken. Opa hatte nicht genügend Holz.