DAEDALOS 15: Der Story-Reader für Phantastik
Von Michael Siefener, Ellen Norten und Andreas Fieberg
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Über dieses E-Book
Der Inhalt:
Alexander Klymchuk: Materialschlacht
Gabriele Behrend: Des einen Leid
Ellen Norten: Tee in Batumi
Peter Schünemann: Der Friedhofswächter
Achim Koch: Oneironautik
Simon Gottwald: Fenster
stok: Handverlesen
Horst-Dieter Radke: Der tolle Jan und die verlorene Seele
Scipio Rodenbücher: Die Rose des S.
Arno Hach: Der Vampyr – Ein Notturno
Robert N. Block: Nachbemerkung zu Arno Hachs »Der Vampyr«
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Buchvorschau
DAEDALOS 15 - Michael Siefener
daedalos
Der Story-Reader für Phantastik
Nummer 15
Michael Siefener, Ellen Norten & Andreas Fieberg (Hrsg.)
DAEDALOS 15
Der Story-Reader für Phantastik
Daedalos 15
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: April 2024
p.machinery Michael Haitel
Titelbild: Henry J. Ford zum Märchen »Die Schneekönigin« von Hans Christian Andersen, in »The Pink Fairy Book«, hrsg. von Andrew Lang, 1897
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
DAEDALOS. Der Story-Reader für Phantastik
im Verlag der p.machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.pmachinery.de
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 390 1
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 728 2
Editorial
Hochverehrtes Publikum,
wir freuen uns, Ihnen den neuen daedalos präsentieren zu können. Ganz herzlich danken möchten wir für die vielen Einsendungen, die es uns schwer machten, eine Auswahl zu treffen. Aber hier ist sie nun!
Wieder einmal hat sich eine große Bandbreite der fantastischen Literatur zusammengefunden: von Dystopien (»Handverlesen« von stok) über das Erscheinen einer anderen Welt mitten in der unseren (»Fenster« von Simon Gottwald) bis zu verhängnisvollen Reisen in ferne Länder (»Tee in Batumi« von Ellen Norten) und zu teuflischen Begegnungen in fernen Zeiten (»Der tolle Jan« von Horst-Dieter Radke), von der unfreiwilligen Übernahme folgenschwerer Aufgaben (»Friedhofswächter« von Peter Schünemann), von Dämonen und Nachtgesichten (»Die Rose des S.« von Scipio Rodenbücher) von verzehrendem Schmerz (»Des einen Leid«, von Gabriele Behrend), von den verhängnisvollen Eigenschaften eines rätselhaften Stahls (»Materialschlacht« von Alexander Klymchuk) und von der Macht gewisser Träume (»Oneironautik« von Achim Koch).
Und schließlich, unserer geschätzten Tradition folgend, freuen wir uns, eine sonderbare alte Geschichte abdrucken zu können, die so selten wie grausig ist und nach heutigen Maßstäben wohl eine Triggerwarnung erfordern würde. Doch wer sich mit Fantastik abgibt, ist auf alles gefasst und benötigt so etwas nicht …
Der Fantastikkenner Robert N. Bloch, dem wir diese Ausgrabung zu verdanken haben, hat ein Nachwort zu dem wenig bekannten Autor beigesteuert, in dem Leben und Werk Arno Hachs erörtert werden.
Schon jetzt freuen wir uns auf die nächste Nummer und hoffen erneut auf viele ergötzliche Zusendungen!
Die Herausgeber
Michael Siefener, Ellen Norten
& Andreas Fieberg
Alexander Klumchyk: Materialschlacht
01_klymchuk»Und? Was haben Sie gefunden?«
Bergmann schlug die Beine übereinander, blickte sich mit hochgezogenen Brauen um und zupfte verdrossen an der Bügelfalte seiner dunkelgrauen Anzughose. Sein müder Blick verriet, dass ihm nicht gefiel, was er sah.
Das Büro des Privatdetektivs wirkte auf chaotische Weise unaufgeräumt, sodass sich Zweifel in ihm regten, ob er den Ausführungen des zerknitterten, unrasierten Mannes, der ihm auf der anderen Seite des Schreibtisches gegenübersaß, überhaupt Gehör schenken sollte.
»Wird Ihnen nicht gefallen.«
Bergmann seufzte und zuckte mit den Schultern.
»Ich lass es drauf ankommen.«
Johansson öffnete eine Schublade, entnahm ihr einen Ordner und knallte ihn auf den Tisch. Mit blutunterlaufenen Augen blickte er Bergmann an.
»Ihre Karre ist verflucht. Und das meine ich nicht metaphorisch oder symbolisch, oder wie auch immer man das nennt, wenn man etwas sagt, aber eigentlich etwas anderes meint. Ich meine es genauso, wie ich es sage. Ihre Scheißkarre ist verflucht.«
»Ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Sie haben ja schon gemerkt, dass mit diesem Vehikel etwas nicht stimmt, nicht wahr? Sonst wären Sie ja nicht zu mir gekommen.«
»Ich bin hier, weil mein Auftraggeber mich zu Ihnen geschickt hat.«
»Ich weiß, warum Sie hier sind«, unterbrach ihn der Privatdetektiv. In seinem rechten Mundwinkel wippte ein Zahnstocher im Rhythmus seiner Worte auf und ab. »Wegen dieses Autos sind Menschen gestorben. Und jetzt verklagt man Sie und Ihre Firma, weil die ganze Sache irgendwie komisch ist, habe ich recht?«
Bergmann druckste herum. Er ließ übertrieben desinteressiert den Blick schweifen und strich den Stoff seines Hosenbeins glatt.
»Sagen wir einfach, meine Auftraggeber haben Fragen.«
Johansson lachte auf. »Das glaub ich Ihnen sofort.«
»Also. Was haben Sie?«
»Halten Sie sich fest.«
Regungslos und mit scheinbar stoischer Ruhe wartete Bergmann darauf, dass der Privatdetektiv mit seinem Bericht fortfuhr, doch innerlich kochte es in ihm.
Vor seinem geistigen Auge sah er die gestochen scharfen Fotografien des Unfallberichts. Die kontraststarken Aufnahmen der ausgebrannten Fahrzeugwracks und der menschlichen Überreste, die ihn an die Bilder einer Kriegsreportage erinnert hatten, waren unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt.
»Fangen wir bei den Dingen an, die bekannt sind, und arbeiten uns dann langsam vor, ja?«
Bergmann zuckte mit den Schultern. Er hoffte einfach nur, dass das Ganze schnell vorbei war, er seinen Bericht schreiben und die Sache zu den Akten legen konnte.
»Also«, begann der beleibte Detektiv mit gesenktem Kopf, wobei aus seinem Doppelkinn ein Wulst wurde, der unter seinem Kinn zu wuchern schien. »Am ersten Juli vergangenen Jahres befuhr Herr Markus Förster zusammen mit seiner Frau Veronika Förster, geborene Müller, die A5 in Richtung Fulda. Sie waren auf dem Weg in die Flitterwochen. Das Auto, ein Ford Bronco Baujahr 1974, war ein Hochzeitsgeschenk ihres Vaters, Herr Maximilian Müller, der einerseits um die finanzielle Schieflage der beiden wusste und ihnen zu einem fahrbaren Untersatz verhelfen wollte, andererseits aber ebenfalls nicht mit unendlichen Mitteln gesegnet war, weshalb er beschloss, ein wieder aufbereitetes Auto aus dem Fuhrpark der örtlichen Polizei in Frankfurt am Main zu erwerben. Keine gute Idee, wie wir heute wissen.«
Bergmann nickte, sagte jedoch nichts, sondern überließ es Johansson, seine Geste als Aufforderung zu deuten, mit seinem Bericht fortzufahren.
»Gegen neun Uhr am Vormittag des besagten Tages befuhr also Herr Förster die Autobahn mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von sechzig Kilometern die Stunde und nutzte die volle Länge des Beschleunigungsstreifens aus, um an Tempo zuzulegen. Er befuhr die rechte Spur und beschleunigte den Ford Bronco auf etwa hundertzwanzig Kilometer die Stunde. Bevor er dies tat, betätigte Herr Förster den Blinker vorschriftsmäßig. Die Rücklichter waren voll funktionsfähig, und die kurz zuvor erfolgte Hauptuntersuchung hatte keine signifikanten Mängel ergeben.«
»Das deckt sich mit unseren Informationen«, raunte Bergmann trocken. Seine Mimik ließ darauf schließen, wie gelangweilt und genervt er von der Tatsache zu sein schien, sich von einem Privatschnüffler Dinge bestätigen zu lassen, die er längst kannte.
Privatdetektiv Johansson nickte, blickte aus dem Fenster, ließ den Zahnstocher zwischen seinen Zähnen von einem Mundwinkel zum anderen wandern und lächelte Bergmann an.
»Und dann kam das Bremsmanöver.«
Bergmann stutzte.
»Was für ein Bremsmanöver?«
»Die Beamten vor Ort konnten anhand der Bremsspuren und des Reifenabriebs genau ermitteln, dass Herr Förster etwa auf Höhe der Raststätte Rainhardshain eine Vollbremsung hingelegt hat. Zu einem Zeitpunkt, als der Verkehr besonders dicht, aber noch nicht als zäh fließend zu beschreiben war. Dies wurde durch mehrere Zeugenaussagen belegt und konnte außerdem durch die Auswertung der Überwachungsaufnahmen der Raststättenkameras verifiziert werden.«
»Sie meinen, er hat gebremst, als der Verkehr so dicht war, dass ihm die nachfolgenden Fahrzeuge unmöglich ausweichen konnten?«
»So ist es. Aber das ist noch nicht alles.«
Bergmanns Langeweile war einer distanzierten Reserviertheit gewichen, die sich lediglich in seiner übertrieben starren Körperhaltung widerspiegelte.
»Was noch?«
»Herr Förster hat ohne Zweifel gebremst, das ergeben sowohl die bereits erwähnten Bremsspuren, die Zeugenaussagen, die Aufnahmen der Raststättenkameras und die simple Tatsache, dass sein Gefährt mitten auf der Autobahn innerhalb von wenigen Sekunden von hundertzwanzig auf null herunterbremste und mit qualmenden Reifen quer auf der Fahrbahn zum Stehen kam. Aber er hat nicht nur gebremst, sondern gleichzeitig Vollgas gegeben. Zu diesem Ergebnis kam auch die spätere Untersuchung durch die Bundesstaatsanwaltschaft.«
»Wie soll das gehen?«, blaffte Bergmann gereizt. »Das schließt sich doch gegenseitig aus. Der müsste ja mit dem linken Fuß auf der Bremse und mit dem rechten Fuß auf dem Gaspedal gestanden haben.«
»Tja«, sagte Johansson, ließ den Zahnstocher zwischen seinen Zähnen wandern, zuckte mit den Schultern, lehnte sich auf seinem Bürostuhl zurück und verschränkte die Arme über seinem Bauch. »Es geht nicht. Aber so ist es passiert. Er hat gebremst, Gas gegeben und stand mitten auf der Fahrbahn. Insgesamt sieben Fahrzeuge sind in ihn hinein gebrettert. Fünfzehn Menschen haben dabei ihr Leben verloren, darunter ein Kleinkind. Fast doppelt so viele wurden verletzt. Zum Teil schwer. Alle Sachverständigen, die mit der Sache zu tun hatten, schlossen sofort darauf, dass es genauso war, wie Sie es beschrieben haben, Herr Bergmann. Ein Fuß auf der Bremse, der andere auf dem Gas. Als jedoch die Untersuchungsergebnisse der Werkstatt vorlagen und schwarz auf weiß feststand, dass das Bremspedal nicht betätigt worden sein konnte und auch kein technischer Defekt der Bremsanlage vorlag, standen die sogenannten Experten vor einem Rätsel.«
»Also, technisch war alles einwandfrei?«
»So einfach ist es nicht, Herr Bergmann.«
»Nicht? Wie ist es dann?«
»Es ist … kompliziert.«
Johansson zog den Zahnstocher aus dem Mund, blickte das zerfaserte, zerkaute Ende zweifelnd an, warf ihn in den Papierkorb, nahm sich einen