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Ammo der Waffennarr
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eBook423 Seiten5 Stunden

Ammo der Waffennarr

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Über dieses E-Book

„Wenn man in unserem Milieu unterwegs ist, hat man keine Freunde mehr, nur Feinde.“

Als Ammo in seinem Studium zu scheitern droht, rutscht er in die Hooliganszene seines Heimatorts Klammstadt ab. Nach seinem ersten Kampf lernt er den Tschechen Milan Blecha kennen, der eine gefährliche Faszination mit ihm teilt: Waffen. Noch weiß Ammo nicht, dass Blecha in Wahrheit Chef einer Gang ist, die von der britischen Interpol-Agentin Olivia King beschattet wird. Immer tiefer landet Ammo in einem Sumpf voller Gewalt und Bandenkriminalität und trifft schon bald eine Entscheidung, die sein Leben für immer verändern wird ...
SpracheDeutsch
HerausgeberRomeon-Verlag
Erscheinungsdatum27. März 2024
ISBN9783962296087
Ammo der Waffennarr

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    Buchvorschau

    Ammo der Waffennarr - Adam Arteon

    1. DER ACKERKAMPF

    Aaron wischte sich den Schweiß von der Stirn. Noch nie zuvor hatte er am frühen Morgen bereits einen solchen Adrenalinausstoß verspürt. Eine schlaflose Nacht voller Körperwendungen und Panikattacken lag hinter ihm. Sie schienen einen denkbar schlechten Start in den Tag vorherzusagen, doch heute sollte es soweit sein. Sein erstes Hooligan-Match. Eine heimlich abgemachte Auseinandersetzung mit Gleichgesinnten. Vier Monate hatte er darauf hin gefiebert und trainiert. Vier Monate, in denen sich sein Leben völlig auf den Kopf gestellt hatte. Gegen Ende des Jahres 2017 lud ihn sein Kollege Linus auf ein Spiel des lokalen Eishockeyclubs ein, dem ESV Klammstadt, begleitet von dessen Ultragruppierung Piranhas. Aaron war sofort begeistert und stellte seinen Lebensmittelpunkt statt dem Studium rasch auf die erlebnisorientierte Gruppe um, indem er es Linus gleichtat und Mitglied wurde. Und schwupps war er an zwei von fünf Erstsemester-Prüfungen gescheitert, wovon es sich bei beiden um Hauptfächer handelte. Die Exmatrikulation drohte, doch Aaron hatte nur eines im Kopf. Action. Adrenalin. Abenteuer. Allesamt Attribute der aktiven Ultragruppierung, die circa 15 Mann umfasste, mit einer Altersspanne von 19 bis 40 Jahren.

    Zu ihren Tätigkeiten zählte neben dem organisierten Support für den Eissportverein auch das gemeinsame MMA-Training, zu welchem Aaron regelmäßig erschien und welches auch den Hauptgrund für seinen Eintritt als Crew Member darstellte. Der 23jährige Student mit sportlicher Figur trug schwarzes Kurzhaar, einen dunklen Stoppelbart und hatte kleine braune Augen. Er war von seinem eintönigen Alltagsleben inklusive Wohnen bei den Eltern oftmals gelangweilt, weshalb er immer wieder den Kick im Sparring suchte, doch nun sollte es ernst für ihn werden. Henning Hofer, ein langer, hagerer Kerl mit blonden, kurz rasierten Haaren und vollen Lippen, war der Anführer der Piranhas. Der Mann, dessen Wade eine Valhalla-Tätowierung prägte, brachte selbst bereits Hooligan-Erfahrung aus Fußballkreisen mit, weshalb man ihm szeneintern großen Respekt zollte. In der nordischen Mythologie stellte Valhalla eine Art Ruhmeshalle für die tapfersten Krieger dar und diente daher als Ansporn für viele Hooligans, Faustkämpfe auszutragen und körperlich ans Limit zu gehen. Henning hatte deshalb das Hauptaugenmerk der Trainingsgruppe auf das Ackermatch gelegt, eine ausgemachte Schlägerei, die meistens auf abgelegenen Wiesen oder Waldflächen stattfand und vom Staat als nicht rechtens eingestuft wurde. Die Ackertruppe der Klammstädter, ein Ableger der erlebnisorientierten Ultras, stand nun vor ihrem ersten Kampf, datiert auf den 24. März, den Henning via Tastenhandy vereinbart hatte, um so dem Visier der Polizei zu entgehen. Und der Leader hatte sich kein Fallobst als Gegner ausgesucht, sondern direkt eine berüchtigte Hooligangruppe aus Tschechien, zu der er schon länger Kontakt pflegte.

    Als bereits die ersten Sonnenstrahlen Aarons Gesicht durch das Kellerfenster kitzelten, wagte er einen Blick auf sein Smartphone, 5:30 Uhr zeigte der Bildschirm an. Seinen Eltern hatte er erzählt, dass er zum Frühsport gehen und danach mit den Jungs abhängen würde, sie wussten nur einen Bruchteil vom Lebensinhalt seiner Gruppe. Um 6:00 Uhr wollte Linus ihn abholen, ein kleiner, schmächtiger Junge von 20 Jahren, den Aaron schon vor seinem Crew-Member-Dasein kannte, da sie mal zusammen im Probetraining einer Kampfsportschule gewesen waren. Der Student raffte sich auf, zog sich Jeans und Pullover an und eilte die Treppe hinauf in die Küche. Er rieb sich seine müden Augen, machte sich einen starken Kaffee und zwang sich trotz erhöhter Anspannung, eine Banane und ein wenig trockenes Brot zu verspeisen. „Er musste etwas im Magen haben", dachte er sich. Um seinen Freund nicht mit Unpünktlichkeit zu enttäuschen, hatte er seine Sporttasche bereits gepackt und wartete nach dem Zähneputzen in voller Montur vor der Eingangstür. Linus sollte nicht klingeln, um niemanden zu wecken, weshalb sie sich auf eine WhatsApp-Nachricht geeinigt hatten. Ein Blinken am Bildschirmrand verzeichnete das Eintreffen seines Kollegen und Aaron öffnete voller Herzklopfen die Tür. Er fühlte sich, als würde die vereinbarte Keilerei jede Sekunde losgehen. Das breite Grinsen eines schmallippigen Gesichts trat ihm entgegen.

    „Na, alles fit, Ammo?, fragte der junge Mann mit blondem Kurzhaar und heller Stimme. Ammo war Aarons gruppeninterner Spitzname und er wurde so genannt, da er Waffen über alles liebte. Er kannte jede Knarre, jedes Gewehr, jede Munitionsart auswendig und las schon seit Kindheitstagen Zeitschriften über Waffen aller Art. Zudem hatte er bei einem Junggesellenabschied bereits das Schießen in Reallife ausprobiert. „Jaja, entgegnete er sichtlich genervt vom übermütigen Auftreten seines Kumpels. Linus war bekannt für seine wilde, unerschrockene Art, die er stets mit einem fröhlichen Gesichtszug kompensierte. Trotz seines geringen Körpergewichts besaß er Erfahrung im MMA-Bereich und hatte sich nicht zuletzt deshalb einen Platz in der Kampfgruppe ergattern können. „Heute geht’s ab!, betonte der Hooligan, öffnete den Kofferraum seines VW Lupos und verstaute Aarons Tasche darin. „Hast du alles dabei?, wollte Linus sicherstellen. „Mundschutz, Sporthose, Handschuhe, Bandagen und was zu trinken!, gab Aaron von sich, was sein Kumpel mit einem Nicken erwiderte. Die Piranhas hatten sich auf drei Autos aufgeteilt, um den langen Weg am Samstagmorgen über die tschechische Grenze anzutreten. Anführer Henning fuhr den ersten Wagen mit einer Entourage von drei Leuten und startete bereits eine halbe Stunde früher, um vor Ort alles abzuklären, während Linus Sauter mit Aaron Berger startete, gefolgt von Vitus Adelsmann samt Gefolge im dritten Wagen. Letzterer war Mitgründer der Piranhas, ein junger Typ von 22 Jahren mit braunen, kurz rasierten Haaren, knochigem Körperbau und wie Henning ein abgebrühter Charakter mit Hooliganerfahrung. Beide waren schon für diverse Fußballszenen auf dem Acker angetreten, wobei Vitus eher der Draufgänger und Henning der Techniker war. An der Autobahnauffahrt Richtung Nürnberg wartete bereits der schwarze BMW von Adelsmann, der Linus‘ erquickendes Zulächeln ebenfalls mit einem breiten Grinsen erwiderte. Aaron winkte den Kollegen im Auto und sie folgten dem Wagen auf der Autobahn, bis sie bei einem abgelegenen Parkplatz hinter Nürnberg herausfuhren. „Keine Raststätten, wegen den Cops!, kommandierte Vitus, als er aus dem PKW ausstieg und sich eine Zigarette anzündete. Bis auf Aaron taten es ihm alle gleich. Während im Hintergrund das Rauschen der vorbeiziehenden Autos und LKWs ertönte, drehte sich Aaron zu seinem Begleiter um: „Sind die da echt so dahinter, also die Bull‘n mein ich?. „Ja schon!, antwortete Linus und pustete etwas Rauch aus seinem Rachen. „Die überwachen oft die Smartphones, deshalb hat Henning auch so’n altes Tastenhandy mit den ganzen Nummern. Und heute ist Samstag, da fahren viele Szenen vom Fußball auswärts, die steuern dann meist die Autobahnraststätten an, deshalb fahren wir lieber zu den kleinen Parkplätzen, da gibt’s keine Polizei und keine potenziellen Rivalen. Wir wollen ja nicht so kurz vor unserer abgemachten Party auf einer anderen Hochzeit tanzen, grinste Linus und zwinkerte kurz. „Ah, ok, nickte Aaron verständnisvoll und sein Blick verlor sich in der Traube von Rauchern.

    Nach einer gemeinsamen Pinkelrunde im ansässigen Wald begaben sich die sechs Männer wieder in ihre Wägen und langsam, aber sicher, merkte man selbst dem erfahrenem Vitus eine gewisse Anspannung an, schließlich erwartete sie niemand geringeres als die berüchtigte Hooligangruppe „Chaos aus Prag. „Meinst du, die hauen wir heute weg?, wandte sich Aaron zum Fahrer, obwohl er die Antwort eigentlich schon erahnte. „Chaos? Pff, nie im Leben. Die schlachten uns ab, aber dann gibt’s endlich mal wieder aufs Maul, entgegnete Linus mit humorvollem Unterton. „Im Eishockey gibt’s ja keine Gegner, da sind die meisten Gruppen zu schwach und stellen sich nicht. Wir lieben aber das Kräftemessen mit anderen Szenen. Henning hat ja Gott sei Dank gute Kontakte.

    Stille brach herein. Linus‘ angstlose Art förderte Aarons Schweißausbrüche und er schien einem Nervenzusammenbruch nahezustehen. „Mach dir nicht ins Hemd. Das geht jedem so beim ersten Mal. Aber wer austeilen will, muss auch einstecken können. So sind Hools eben. Wir haben Henning und Vitus dabei, die sind stabil, versuchte ihn sein Freund aufzumuntern. Aaron versuchte, das Pochen seines Herzens mit Händereiben zu übertönen und entnahm seiner Wasserflasche einen großen Schluck. „Ich kann das nicht, ich werde nicht antreten!, redete es ihm eine leise Stimme ein, doch er ignorierte seine innerlichen Widersprüche konsequent. „Da ist die Grenze, unterbrach plötzlich Linus den Gewissenskonflikt im Hause Berger und der VW Lupo zog an gespenstisch wirkenden Zollgebäuden zu ihrer Rechten vorbei. Eine Handvoll LKWs zierte den Grenzparkplatz, begleitet von zwei mürrisch auftretenden Zollbeamten, die jedoch an den vorbeifahrenden PKWs keinerlei Interesse hatten. „Easy going. Keine Kontrollen, posaunte Linus, der wie zu Beginn der Autobahn stur hinter Vitus‘ BMW hinterherfuhr. Sein Handy klingelte und er fasste es mit seiner rechten Hand, während er mit der Linken das Steuer hielt, um das Gerät seinem Beifahrer ans Ohr zu halten. „Geh ran, das ist Henning! „Hallo!?, kam es aus Aarons Mund, der sich etwas überrumpelt vorkam. „Servus. Henning hier. Wo seid ihr gerade?, rief eine raue Männerstimme, die für den Gruppenführer bestimmt war. „Gerade an der Grenze vorbei, erwiderte Aaron kleinlaut, da er seinem Kollegen stets mit einer Mixtur aus Ehrfurcht und Respekt entgegentrat. Henning galt als unscheinbar und nett, jedoch konnte er, seinen Crewmitgliedern zur Folge, rasch explodieren. Kein Typ also, dem Man blöd kommen wollte. „Okay, super. Fahrt Vitus hinterher, nächste Ausfahrt raus und dann rechts die Landstraße entlang, circa zehn Kilometer. Wir warten an ´nem Parkplatz!", beorderte der Capo forsch. Gesagt, getan. Nach wenigen Minuten verließen die Piranhas die tschechische Autobahn und folgten Hennings Anweisung via Landstraße. Die Sonne war mittlerweile in luftigen Höhen angekommen und belohnte den Tag mit ihren wundervollen, milden Strahlen, die sich ihren Weg durch das Dickicht aus Blätterbäumen und Tannen hindurch auf die Straße bahnten. An einem kleinen Rastplatz zu ihrer Rechten stand ein, ungefähr 1,90 m langer Hüne, der den Autokorso mit einem Armwinken heraus lotste.

    Erneut schien Aarons Herz beinahe stillzustehen. Er hatte große Mühe, seine Aufregung zu verbergen, jedoch wollte er es sich nicht vor der Gruppe anmerken lassen. Mit breiter Brust stieg er aus und marschierte direkt auf Henning zu. „Servus Capo, rief er ihm zu und sie schüttelten die Hände, wobei der Anführer der Piranhas lediglich mit dem Auge zwinkerte. Die Truppe versammelte sich zwischen den drei Autos zu einer gemeinsamen Raucherpause, während Henning, als Anführer auch Capo genannt, seine Ansprache begann: „Also Männer. Erstmal danke fürs Kommen. Das wird heute kein Spaziergang, Chaos ist keine Bummstruppe, die wir mal eben so weghauen, sondern eine international respektierte Gruppe. Ihr Anführer heißt Milan Blecha, mit dem ich auch den Kontakt hergestellt habe. Er kann deutsch und wir haben abgemacht, dass keiner aufputscht und keiner Elfmeter verteilt. Wir sind zehn, die sind zehn, egal was heute passiert. Wenn wir uns gegen Die stellen, haben wir den bundesweiten Respekt, denn wer vom Eishockey stellt sich schon den großen Fußballszenen? Also auf geht’s! Er klatschte in die, mit schwarzen Lederhandschuhen geschmückten Hände und bekam tosenden Applaus vom Rest der Piranhas. Aaron brüllte kräftig mit, die Angst, dass die Gegner sich mit Drogen zudröhnen oder übel nachtreten würden, im Fachjargon Elfmeter genannt, entwich, und es gelang ihm, tatsächlich etwas wie eine Euphorie zu entfachen und die extreme Anspannung fürs Erste zu beseitigen. Selbstbewusst trabte er zurück zum Auto, sie sollten noch ein kleines Stück landeinwärts fahren, um dort auf die Tschechen zu treffen. Linus klopfte ihm voller Vorfreude auf die Schulter und schoss vom Übermut getrieben, mit abwinkenden Gesten an dem verdutzten Vitus vorbei hinter Hennings Skoda Fabia. „Henning hat extra das Auto von ´nem Kumpel geliehen, tschechische Marke, damit wir noch weniger auffallen. Der Typ denkt echt an alles, verkündete Linus, der nun ebenfalls der Euphorie verfallen war und sie bogen in einen kleinen, kiesigen Feldweg an der linken Straßenseite ein. Die Steinchen brachten den Volkswagen zum Wackeln und plötzlich überkam Aaron wieder die fürchterliche Anspannung, die er schon seit dem Morgengrauen mit sich führte. „Ich muss aufs Klo!, stotterte er, während Linus nur grinste. „Sind gleich da, mach dir keinen Kopf. Ist alles normal!"

    Sie erreichten eine Waldlichtung fernab von Verkehrswegen oder Fußgängern und parkten seitwärts am Ende des Feldweges. Henning stieg als Erster aus und leitete per Handzeichen zum Umziehen und Aufwärmen an. Aaron aber steuerte geradewegs in das Waldstück, um sich erneut zu erleichtern, obwohl er dies schon kurz zuvor am Rastplatz hinter sich gebracht hatte, doch vor Aufregung drückte die Blase unaufhörlich. Er atmete tief durch und drehte sich wieder zu seinen Leuten um. Neun Männer standen dort. Allesamt in kurzen Sporthosen und blauen T-Shirts mit der Aufschrift: „Klammstadt Piranhas. „Klammstädter Hooligans, schoss es durch Aarons Kopf. „Was ist bitte Klammstadt gegen die tschechische Hauptstadt Prag? Will er uns umbringen? Sein Blick richtete sich zu Henning, der sich ein Springseil geschnappt hatte und sich tiefenentspannt warmmachte. Wieder kribbelte es in Ammos Bauch. Er schüttelte sich kurz und gesellte sich dann zu Linus, der an seinem Auto anlehnte und sich die Knie dehnte. Die beiden Freunde nickten sich zu und Aaron imitierte die Übungen seines Kollegen. Er dachte an seine ersten Gespräche über den Acker, an seine inneren Zweifel, ob er überhaupt tauglich dafür war, nachdem ihm Anführer Henning noch im Training das Gegenteil attestiert hatte. Aaron neigte dazu, sich schnell zu verletzen und seine Fragilität schien dem Capo ein Dorn im Auge zu sein. Jedoch war es Linus, der sich für ihn eingesetzt hatte und Henning letztendlich weismachen konnte, dass Ammo im Adrenalinrausch gut austeilen könne. „Doch würden ihm seine wenigen Schulschlägereien oder Clubrangeleien, die in seiner Vita standen, genug Anhaltspunkte für ein Ackermatch liefern? Aaron verwarf die Gedanken wieder und bahnte sich seinen Weg zum Rudelführer, der gerade dabei war, seine Crew Member herzurufen.

    Sie folgten ihm an dem Waldstück entlang, bis der Forst einen Knick nach links machte und eine große Lichtung offenbarte. Henning blieb abrupt stehen und mit ihm alle restlichen Piranhas. Eine saftige Waldlichtung breitete sich vor ihnen aus und begab sich in eine Senkung, in welcher sich nach und nach etwa sieben menschliche Köpfe bemerkbar machten. Dort standen sie. Die Chaos-Hooligans. Aaron durchzuckte es wie bei einem heftigen Stromschlag. Er konnte seinen Augen nicht trauen. Das waren keine wilden Fußballfans, oder tschechische Drogenjunkies, wie er es vermutet hatte, sondern breitschultrige Kickboxer und durchtrainierte Athleten, die zum Erschrecken der Piranhas allesamt oberkörperfrei auf der Wiese standen. Nackte Haut, verziert mit unzähligen Nibelungen-Tattoos, steckte in den sieben Muay Thai-Hosen, die so kurz waren, dass man sie beinahe mit gewöhnlichen Boxershorts verwechseln konnte. Doch jeder Kampfsportler wusste, wie hilfreich solche Shorts für effektive Kicks waren. Just in dem Moment, als Henning das Zeichen zum Herunterlaufen gab, komplettierten die letzten drei fehlenden Tschechen die Chaos-Gruppe. Unter ihnen Anführer Milan Blecha, der nun am Horizont auftauchte. Auch ihn zierten reihenweise Tattoos, jedoch glänzte er mehr mit seiner fokussierten Ausstrahlung, als mit seinem massiven Körper. Eine klar definierte Kinnlinie prägte den markanten Gesichtszug des Mannes mit braunem Kurzhaar und Bart. Aarons Herz glich bei dem Anblick einer Achterbahn. Ein Wasserfall aus Angstschweiß schoss an seiner Stirn herunter und lief ihm eiskalt über den Rücken, auch seinen Kumpanen erging es ähnlich. Matthias, der gruppenälteste Piranha, ein glatzköpfiger Kleinwüchsiger Ende 30, blieb stehen und beugte sich nach vorne, die Hände an den Knien abstützend. Seine Beine schlotterten und Henning versuchte ihn zu beruhigen, doch er winkte ab. Matthias würde kneifen, das stand fest.

    Aaron fragte sich, ob er nicht lieber sofort sterben könnte, anstatt nun zum Kampf anzutreten und erneut plagte ihn ein aggressiver Blasendruck. „Das Adrenalin kompensiert das, flüsterte ihm Linus schulterklopfend zu, als würde er die gleichen Symptome wie er selbst spüren. Es herrschte Mucksmäuschenstille, als die Piranhas die Senkung erreichten, um den tschechischen Gleichgesinnten gegenüberzustehen. Matthias machte kehrt und ging zu den Autos zurück, er hatte seine Angst nicht eindämmen können. Mit enttäuschendem Blick widmete sich Henning dem Rest der Gruppe zu. „Das bedeutet Unterzahl. Wenn wir sagen, zehn gegen zehn und es selbst nicht auf diese Mannstärke bringen, ist das unser Problem, verkündete Henning, dem nun selbst das Herz in der Hose stehenblieb. Er schnaufte tief durch und trat erneut hervor. Als Gruppenführer wollte er auf keinen Fall vor seinen Leuten Schwäche zeigen. Milan Blecha, der etwa 25 Meter entfernt im Kreis der Chaos-Gruppe stand, tat es ihm gleich und marschierte mit breiter Brust nach vorne. Die beiden Anführer gaben sich die Hand, flüsterten sich gegenseitig Respektbekundungen zu, dann trat jeder seinen Weg zur Gruppenformation an. „Der hat nicht mal mit der Wimper gezuckt, tuschelte Aaron zu Linus, der zu seiner Linken verweilte. Mit dem Gesprächsversuch wollte Ammo nochmals seine Anspannung unterdrücken, auf keinen Fall konnte er jetzt kneifen, sie waren bereits ein Mann weniger. „Denk einfach ans Training, antwortete Linus und streckte seinen linken Arm nach dem Mann vor ihm aus, um ihn an dessen Schulter zu drücken. Die Formationen glichen der Schildkröte von römischen Legionären, zwei Reihen mit den stabilsten Männern an der Front und den Kleinen, Flinken dahinter. Aaron war in diesem Moment froh, mit Henning Hofer eine Kante vor sich zu haben und er presste seine nassgeschwitzte, bandagierte Hand an den Rücken des Hünen. Auf der gegenüberliegenden Seite hatten sich die zehn Tschechen ebenfalls in zwei Reihen formiert, mit Milan Blecha an vorderster Stelle. Sein fokussierter Blick fühlte sich wie ein Messerstich an und Ammo schien es, als würde sein Kontrahent durch Henning hindurchsehen können. Vier Monate hatte Aaron auf diesen Moment gewartet. Und nun wünschte er sich nichts sehnlicher zurück, als sein warmes, kuscheliges Bett im Kellerzimmer, doch es war zu spät zum Umkehren. Die beiden Gruppierungen waren bereit. Neun Piranhas gegen zehn Chaoten, wie sich die Tschechen selbst nannten.

    Ein lautes Händeklatschen ertönte und Milans Leute marschierten hervor. Ein wildes „Auf geht’s, Männer, von Henning wurde von brachialen tschechischen Schlachtrufen übertönt und Ammos Herz katapultierte sich endgültig ans Limit. Er schnaufte wie eine Dampflock und folgte im Trab dem kleinen Pulk an erlebnisorientierten Männern. Die beiden Gruppen waren keine 15 Meter mehr voneinander entfernt. Dann explodierten die Schreie. Aaron wagte einen Blick nach links, wo Linus sich vollends nach vorne fokussiert hatte, während Vitus zum Sprungkick ansetzte. Eine plötzliche Stille trat ein. Männergeschrei. Das Geräusch von aufeinander einprasselnden Fäusten und Fußtritten erklang. Aarons Kopf schaltete ab, ein Adrenalinausstoß in der Fülle eines Acht-Liter-Bierfasses durchfloss seinen Körper, während er erneut einen Blick zur Seite erhaschte. Vitus war nach unten abgetaucht, um dem ersten Schlag des tschechischen Hooligan zu entgehen und versuchte einen MMA-artigen Take Down. Linus fegte über dessen Kopf hinweg einen Schwinger, der an der Stirn des Gegners abprallte und sofort einen blutigen Cut hinterließ. „Was für ein Treffer!, dachte sich Aaron, der sich einer Mischung aus Zeitlupe und Zeitraffer zugleich ausgesetzt sah.

    Es ging alles so schnell. Und doch so langsam. Henning hatte sich seinen Weg nach vorne mit einem Frontkick gebahnt, die von Milans Schlagfolge gekontert wurde und den Deutschen Hünen direkt zu Boden beförderte. Ein 1,80 m Typ hatte mal eben so den Anführer der Piranhas ausgeknockt. Ammo traute seinen Augen kaum und wollte ebenfalls zu einem Tritt ansetzen, jedoch rutschte er mit den Füßen auf dem zertretenen Rasen weg und sowohl er als auch Milan verfehlten dadurch ihr Ziel. Ein rascher Blick nach hinten, wieder konnte Aaron seinen Augen kaum trauen. Die gesamte Piranha-Crew lag bereits am Boden, Vitus hatte sich mit seinem misslungen Take Down selbst in eine missliche Lage gebracht, indem er im Gras gelandet war und auch die anderen Sieben hatten schnell schlechte Karten gegenüber den Tschechen. Adelsmann versuchte sich aufzuraffen und bekam noch im Liegen einen mächtigen Fußtreffer auf die rechte Wange. Knockout. Aaron wirbelte herum, sah, wie lediglich Henning aus der Männertraube an liegenden Kämpfern wieder zum Vorschein kam und er wollte ihm zu Hilfe eilen, da sich sofort vier aufbrausende Chaoten auf ihn stürzten. Zwei, drei, vier Fäuste trafen Hofer von allen Seiten, dann sank er zu Boden. Ammo fasste sich ein Herz und wagte einen letzten Vorstoß. Nach nicht einmal 20 Sekunden war außer ihm kein Piranha mehr auf den Beinen und auch er war nur durch Zufall dem direkten Knockout entkommen. Der Einzige, der nach der ersten Welle überhaupt nochmal zurückgeschlagen hatte, war Henning Hofer, der nun ebenfalls den Boden küsste. Aaron drehte sich um die eigene Achse, um sicherzustellen, dass kein fieser Tritt von hinten kam und dann stand er ihm gegenüber. Milan Blecha. Der Anführer der Tschechen, der keinen einzigen, wirkungsvollen Treffer abbekommen hatte und nun sollte Ammos Stunde schlagen. Der Prager stürmte nach vorne, setzte zum Kick an und blieb zu Aarons Überraschung mit dem Fuß an einer Wurzel hängen. „Das gibt es nicht. Was für ein Dusel!", schoss es dem Deutschen durch den Kopf und in Windeseile platzierte er seinen rechten Fuß im Hüftbereich seines Kontrahenten, der das Gleichgewicht durch den Stolperer kaum halten konnte. Die Deckung zum Abwenden des Sturzes nach unten gesenkt, bot er Aaron tatsächlich eine freie Angriffsfläche an und eine Kombination aus Jab und Punch bearbeitete das Gesicht des Tschechen, der nun vollends zur Seite stürzte. Ammo konnte es nicht fassen. Er hatte gerade den berühmt-berüchtigten Hooliganchef Milan Blecha umgehauen. Doch die Freude währte nur kurz, denn innerhalb weniger Sekunden fing sich Aaron eine Ansammlung an Fäusten und Tritten am Hinterkopf und in der Magengrube, verabreicht von etwa vier Tschechen, die sich von hinten angenähert hatten, um ihrem Chef beizustehen. Ihm wurde schwarz vor Augen, leichte Übelkeit kam auf und Ammo klappte nach links zusammen, als wäre er ein Sack Kartoffeln. Dann gingen die Lichter aus. Der Kampf war vorbei.

    2. HOHER BESUCH

    Alles okay?, fragte eine geheimnisvolle Stimme in Akzentdeutsch und eine dunkle Gestalt mit braunen Augen beugte sich über Aarons 1,75 m langen, ausgestreckten Körper, dessen Gesicht im Sud aus Gras und Erde zu versinken drohte. Er blinzelte mit den Augen, wischte sich den Dreck aus dem Gesicht und hielt sich den schmerzenden Hinterkopf, dann blickte er in Richtung der Stimme, die er vernommen hatte und eine kräftige, bandagierte Hand streckte sich ihm entgegen. „Guter Kampf , erweiterte die Stimme die Konversation. Niemand geringeres als Milan Blecha stand vor ihm, der trotz seiner lediglich fünf Zentimeter größeren Statur, einen mächtigen Eindruck hinterließ. Es war, als würde den Tschechen, Ende 20, mit braunem Kurzhaar und Dreitagebart, ein Schein von Charisma umkreisen und voller Ehrfurcht erwiderte Ammo den Handschlag. „Bist der Erste, der es geschafft hat, mich umzuhauen", lächelte der, zu Aarons Verwundern, unerwartet freundliche Hooligan, während er sich auf den blutigen Cut am linken Auge tippte, als würde er diesen voller Stolz präsentieren.

    Der Deutsche rappelte sich auf, schaute ein wenig benommen durch die Gegend und nahm wahr, dass bereits alle 19 Teilnehmer des Ackermatches wieder auf den Beinen standen. „Gott sei Dank, keiner schwer verletzt, dämmerte es ihm. Milan klopfte ihm auf die Schulter und lief zurück zu seinen Crew Membern, während Aaron seinen Hinterkopf nach einer Wunde absuchte. Fehlanzeige. Außer einer aufkommenden Beule spürte er nichts und auch seine Magengrube schien in Ordnung zu sein, lediglich ein leichtes Unwohlsein überkam den Studenten. Er torkelte zu den versammelten Piranhas, die sich allesamt zu einer Menschentraube zusammengeschlossen hatten, um die Bandagen abzulegen. Nach einem kurzen Gruppenfoto zur Erinnerung, das Matthias nach Anweisung Hennings schoss, traf Aarons Blick zuerst Linus, der ihn angrinste und eine Platzwunde an der Stirn verzeichnete. „War die scheiß Überzahl. Hab zwar einen erwischt, aber danach haben direkt Zwei auf mich eingekloppt, rief er mit einem Hauch von Galgenhumor. Es folgte Vitus, dessen rechter Wangenknochen sichtlich angeschwollen war, weshalb er seine Hand an die Verletzung drückte, um sie womöglich ein wenig zu kaschieren. Neben Adelsmann erhob sich Henning, dessen Gesicht, außer einer aufgeplatzten Lippe, relativ ungeschoren davongekommen war und der Capo erwiderte den Austausch von Blicken mit Aaron durch ein zufriedenstellendes Nicken. Die Anerkennung Hennings erfüllte Aaron mit wohltuendem Stolz.

    Rechts von ihm stand Matthias, der sich offensichtlich für seinen Rückzieher schämte und nichtssagend den Boden anstarrte. Ammo schnaufte tief durch, er hatte es tatsächlich geschafft. Sein erstes Ackermatch und er schien von größeren Verletzungen verschont geblieben zu sein. Er schaute auf die Senkung zurück, in der sich noch wenige Minuten zuvor die tätliche Auseinandersetzung abgespielt hatte, in der Hoffnung, nochmal einen respektvollen Blick mit Milan austauschen zu können, doch die Tschechen waren bereits in Richtung ihrer Autos verschwunden. „Also, Männer, ging doch!, unterbrach Hennings donnergrollende Stimme die einkehrende Ruhe, die selbst die zwitschernden Vögel im Hintergrund zum Verstummen brachte. „Die Chaoten fahren jetzt noch nach Taunus, das ist die nächstgrößere Stadt hier, wir wollen gemeinsam was trinken, bevor wir aufbrechen, als Zeichen des gegenseitigen Respekts! Es folgten einige, wenige Zustimmungen per Händeklatschen, die Euphorie und das Adrenalin von vor dem Kampf war hingegen verflogen. Aaron spürte eine riesige Leere, weder ein Hunger,- noch ein Durstgefühl oder ein Harndrang widerfuhren ihm, während er wortlos den Zahnschutz ablegte, aus seinen vom Schweiß klebenden Sportklamotten schlüpfte und diese gegen seinen Casual-Style aus Jeans und Pullover eintauschte. Die ganze Aufregung, der pure Stress und der Rausch während des Kampfes wechselten sich nun mit einer beruhigenden Stille ab, die nach und nach in ein Gefühl der Zufriedenheit flossen. „Scheiße, war das geil, platzte es plötzlich aus ihm heraus und er grinste sein Gegenüber Linus an, der gerade seine Tasche im Kofferraum verstaute. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, entgegnete dieser lachend und öffnete die Fahrertür.

    Zum ersten Mal konnte Ammo nachvollziehen, warum auch das Einstecken dazugehörte. Das Gefühl, nicht aus Zucker zu sein und wieder aufzustehen, erfüllte ihn mit Stolz. Nachdem alle bereit zum Abfahren waren, folgten sie dem blauen Skoda von Henning, der mittlerweile zum Beifahrer mutiert war und auch Vitus, der sich hinter Linus einreihte, wurde von Matthias als Fahrer ersetzt. Aarons Freund hingegen wurde stets von seinem Dickkopf begleitet, weshalb er trotz Anraten Hennings, auf einen Fahrerwechsel verzichtete, seine Platzwunde hatte er mit diversen Pflastern zugeklebt. Adelsmann, der von Hofers mitgeführter Kühlbox ein Pad entnommen hatte, drückte dieses während der Fahrt auf seine angeschwollene Backe. Er sah ein wenig verärgert aus, als würde er sich für den Treffer schämen. Die Piranhas verließen den sandigen Kiesweg und bogen nach rechts auf die Landstraße ab, von der sie gekommen waren. An dem Rastplatz stießen sie auf zwei schwarze Sprinter, die den Chaoten zuzuordnen waren und es bildete sich ein Autokorso, der sich erst wieder an einem Parkplatz in der tschechischen Kleinstadt Taunus auflöste. In einer örtlichen Spelunke, die sich gegenüber des Parkplatzes befand, verteilte sich der Pulk aus deutschen und tschechischen Hooligans auf mehrere Tische. Aaron setzte sich neben Milan Blecha, der ihm überraschend von seinem Platz zugewunken hatte. Ammos Brust schwoll in diesem Moment zu der eines Bodybuilders an, so stolz war er, den Respekt des Prager Anführers gewonnen zu haben. „Warst du schon mal schießen, du kannst sehr gut zielen?, begann der Ackerkämpfer humorvoll das Gespräch, zwinkerte dabei mit dem lädierten Auge und versuchte sogleich, Aarons sichtbare Schüchternheit aufzulockern. „Ja, hier in Tschechien. Ich war mal auf einem Junggesellenabschied in Prag, erwiderte er verdutzt und es entwickelte sich ein längeres Gespräch zwischen ihnen, in welchem sich herausstellte, dass sie beide ein Faible für Feuerwaffen besaßen. Wie er selbst, schien auch der Tscheche ein riesiges Fachwissen zu besitzen und Aaron erzählte dabei, dass er einst den Spitznamen Ammo erhalten hatte, was im Englischen für das Wort Ammunition, also Munition stand. Jeder in seinem Umkreis wusste, wie sehr er Waffen liebte. „Was machst du nächstes Wochenende?, fragte ihn Milan mit erwartungsvollem Blick. „Nichts geplant. Hab Semesterferien!, entgegnete der Deutsche, der sich dabei ärgerte, dass er nichts Spannenderes hatte vorweisen können. „Ich lade dich ein, nach Prag zu kommen. Dann gehen wir am Samstag auf den Schießstand und am Sonntag läufst du mit unserer Gruppe mit, wir haben da nochmal ein Match!"

    Aaron musste schlucken. Er hatte sich nicht verhört. Milan Blecha, der berühmte Hooligan, lud ihn tatsächlich auf ein Match mit seiner Chaosbande ein. „Was für eine Ehre, dachte sich Ammo und nahm die Einladung an, weshalb er mit dem Tschechen noch die Nummern austauschte. Nach dem Konsum einiger hopfenhaltiger Kaltgetränke verabschiedeten sich die zwei Gruppen respektvoll und verließen die Bar. Zuvor hatte Aaron noch einen tschechischen Gulasch verzehrt, nachdem er endlich wieder Hungergefühle verspürt hatte. Voller Gedanken döste er in Linus Wagen auf der Rückfahrt ein wenig vor sich hin, ehe sie nach zwei Toilettenpausen schließlich um 16 Uhr in Klammstadt ankamen. Die Piranhas trennten sich, wobei Vitus in Begleitung von Henning doch noch den Weg in die Notaufnahme einschlug, sie vermuteten einen Bruch an seiner Wange. „Wir sagen, es ist beim Training passiert!, verkündete der Capo noch zum Abschied, um die restlichen Ultras nicht zu verunsichern. Da die Eishockey-Saison bereits abgeschlossen war und somit nichts mehr los war, steuerte Aaron geradewegs sein Zuhause an, nachdem Linus ihn dort abgesetzt hatte. Er öffnete die Haustür und zog sich wortlos in sein Kellerzimmer zurück, um schon bald einem tiefen Schlaf zu verfallen.

    „Vitus hat einen Jochbeinbruch!, stand in der WhatsApp-Nachricht, die auf Aarons Handy aufblinkte und diesen jäh aus dem Schlaff riss. „Kein Training diese Woche! Wir sehen uns am Freitag zum gemeinsamen Trunk, tickerte Henning via Smartphone hinterher. „Scheiße", dachte sich Aaron und konnte es kaum glauben, dass er ungeschoren davongekommen war, während sich ausgerechnet Vitus verletzt hatte. Im selben Moment blinkte eine weitere Nachricht auf. Unbekannte Nummer, ausländische Vorwahl. Milan Blecha meldete sich, wohl von seinem Smartphone. Wieder musste sich Aaron schütteln, um die Situation zu begreifen. Nicht etwa Henning oder Vitus, er selbst sollte nun der nächste, hohe Besuch bei der, in Prag beheimateten Hooligancrew sein. In einer Woche stand also eines der größten Ereignisse seines Lebens an. Er konnte es kaum erwarten.

    Die folgenden Tage vergingen wie im Flug, trotz der ansonsten so unspektakulären Semesterferien, in denen Aaron sich befand. Plötzlich bekam er wieder Motivation in seiner alltäglichen Tristesse. Er holte sich das Go von Henning Hofer ab, um am Samstag alleine in Piranha-Kleidung gen Prag zu reisen. Er bekam allerhand Gratulationsnachrichten für sein erfolgreiches Match plus Einladung, obgleich der ein oder andere Crew Member ein wenig eifersüchtig zu sein schien. Wie schon am Wochenende zuvor konnte Ammo kaum ein Auge zudrücken und er zwang sich am Morgen des Reisetages hundemüde in eine schwarze Jeans, die von seinem gruppeninternen Piranha-Pullover ergänzt wurde. Seinen Eltern erzählte er wie so oft nur die halbe Wahrheit, indem er behauptete, mit den Ultras für ein Wochenende nach Prag zu fahren. Er pflegte ein kühles, distanziertes Verhältnis zu ihnen. Nach einem kräftigen Frühstück mit ausreichend Kaffee, die Sachen hatte er bereits am Vorabend gepackt, machte sich Aaron voller Vorfreude auf den Weg zum Klammstädter Bahnhof, begleitet von düsterem Nieselregen. Über Regensburg, wo er in den Eurocity umstieg, gelangte er in die tschechische Hauptstadt und schon beim Einfahren in den Durchgangsbahnhof pochte sein Herz in ähnlicher Hochfrequenz wie vor seinem ersten Ackermatch. Via WhatsApp hatte er sich mit

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