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Wie ein Mittelpunkt entsteht - Prosastücke: Die sorbische Bibliothek
Wie ein Mittelpunkt entsteht - Prosastücke: Die sorbische Bibliothek
Wie ein Mittelpunkt entsteht - Prosastücke: Die sorbische Bibliothek
eBook248 Seiten2 Stunden

Wie ein Mittelpunkt entsteht - Prosastücke: Die sorbische Bibliothek

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Über dieses E-Book

Der zwölfte Band der Reihe »Die sorbische Bibliothek« ist die erste Anthologie der Edition. Sie enthält Prosastücke, die allesamt nach 1990 entstanden sind, überwiegend deutsche Autorfassungen. Unter den neun Erstveröffentlichungen finden sich Jurij Brězans »Brief an meine Enkel« in der Übersetzung der Herausgeberin Maria Matschie sowie »Das Meilensteinpuzzle« von Kerstin Młynkec. Fragen nach dem Woher und dem Wohin, nach Verwundungen und Vorurteilen, nach Aufbruch und Ausblick sind zentrale Themen der 22 Erzählungen. Der Form nach vielfältig,
eint sie die beständige Auseinandersetzung mit Herkunft, Identität und Wandel. Was bleibt, was wird sich verändern?
SpracheDeutsch
HerausgeberDomowina Verlag
Erscheinungsdatum1. März 2024
ISBN9783742027733
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    Buchvorschau

    Wie ein Mittelpunkt entsteht - Prosastücke - Maria Matschie

    1-1916-23_DsB_12_Cover_web.jpg

    Contents

    Herausgeberin: Maria Matschie

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Jurij Brězan - Brief an meine Enkel

    Benno Budar - Der letzte Morgen

    Jurij Koch - Wie ein Mittelpunkt entsteht

    Christian Schneider - Die Hinterlassenschaft

    Jurij Koch - Rohne an einem Tag im Februar

    Christian Schneider - Wieder zu Hause

    Kito Lorenc - Lichtblick

    Angela Stachowa - Schneewittchen und das kleine Mädchen

    Benedikt Dyrlich - Morgentaumel

    Kerstin Młynkec - Das Meilensteinpuzzle

    Róža Domašcyna - Warum das alles?

    Kito Lorenc - Mutter

    Benedikt Dyrlich - Die Milchkanne

    Lubina Hajduk-Veljković - Der Sommergast

    Lubina und Dušan Hajduk-Veljković - In den Ferien

    Dorothea Šołćina - Kreise auf dem Wasser

    Měrka Mětowa - Ausflug ins Paradies

    Měrana Cušcyna - Tauschkind

    Měrana Cušcyna - Kamm out

    Měrana Cušcyna - Flockdownkino

    Kito Lorenc - Die geheime Insel

    Róža Domašcyna - Zellen

    Quellen und Anmerkungen

    Biografische Annotationen

    Landmarks

    Cover

    Herausgeberin: Maria Matschie

    Inhalt

    Vorwort

    Jurij Brězan »Brief an meine Enkel«

    Benno Budar »Der letzte Morgen«

    Jurij Koch »Wie ein Mittelpunkt entsteht«

    Christian Schneider »Die Hinterlassenschaft«

    Jurij Koch »Rohne an einem Tag im Februar«

    Christian Schneider »Wieder zu Hause«

    Kito Lorenc »Lichtblick«

    Angela Stachowa »Schneewittchen und das kleine Mädchen«

    Benedikt Dyrlich »Morgentaumel«

    Kerstin Młynkec »Das Meilensteinpuzzle«

    Róža Domašcyna »Warum das alles?«

    Kito Lorenc »Mutter«

    Benedikt Dyrlich »Die Milchkanne«

    Lubina Hajduk-Veljković »Der Sommergast«

    Lubina und Dušan Hajduk-Veljković »In den Ferien«

    Dorothea Šołćina »Kreise auf dem Wasser«

    Měrka Mětowa »Ausflug ins Paradies«

    Měrana Cušcyna »Tauschkind«

    Měrana Cušcyna »Kamm out«

    Měrana Cušcyna »Flockdownkino«

    Kito Lorenc »Die geheime Insel«

    Róža Domašcyna »Zellen«

    Quellen und Anmerkungen

    Biografische Annotationen

    Vorwort

    Erzählungen haben in der sorbischen Literatur eine außerordentlich reiche Tradition. Kaum eine Autorin, kaum ein Autor, die sich nicht darin ausprobiert hätten, selbst diejenigen, deren Schaffensschwerpunkt ein anderes Genre war oder ist, etwa Lyrik, Romane oder dokumentarische Literatur. Seit Jahrzehnten erscheinen im Domowina-Verlag regelmäßig sorbische Erzählbände, sie sind die von Schreibenden wie Lesenden bevorzugte Textart. Eine erste Anthologie sorbischer Kurzprosa in deutscher Sprache erschien vor mehr als sechzig Jahren und ist inzwischen vergessen. Autorfassungen in Deutsch oder gar Übertragungen aus dem Sorbischen sind nur verstreut anzutreffen. Wenig beachtet, droht die sorbische Literatur in einer dominanten Umgebung unterzugehen.

    Umso wichtiger ist es, der interessierten Leserschaft endlich eine Auswahl neuerer Arbeiten vorzulegen. Dafür bietet sich die Reihe »Die sorbische Bibliothek« an, in der seit dem Jahr 2000 Werke des literarischen Erbes und zeitgenössischer Literatur in deutscher Sprache herausgegeben werden.

    Die 22 Prosastücke dieses Bandes, Autorfassungen und Übersetzungen, allesamt nach 1990 entstanden, sind der Form nach vielfältig. Sie reichen von der klassischen Erzählung über essayistische Porträts bis zur Miniatur. Inhaltlich jedoch gibt es etwas, das sie eint: die beständige Auseinandersetzung mit Herkunft, Identität und Wandel. Nichts ist eindeutig. Alte Gewissheiten werden aufgebrochen: »Vergiss nicht, woher du kommst«, beschwört Jurij Brězan seine Enkel. Róža Domašcyna aber konstatiert: »Ich höre mein kind seine sprache verschweigen, höre die sprache stumm werden, sehe die menschen sich häuten.« Fragen nach dem Woher und dem Wohin, nach Verwundungen und Vorurteilen, nach Aufbruch und Ausblick sind zentrale Themen, eingebettet in sehr unterschiedliche Geschichten. In Geschichten vom Märchenblau der Kindheitsferne, von ausgeweideten, gefluteten Kohlengruben, von der Lautlosigkeit verlassener Häuser, vom Tauschkind zwischen Stadt und Dorf, von paradiesischer Landschaft und höllisch schmerzendem Fernweh.

    Die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität bedeutet zu fragen: Wer bin ich und woher komme ich? Wie kann ich mein Leben ausbalancieren? Was bleibt, was wird sich verändern? Wie entsteht ein Mittelpunkt? Dabei geht es nicht nur um den kleinen sorbischen Kosmos, der beileibe nicht einheitlich daherkommt. Tiefe Verbundenheit wird dort genauso erfahren und beschrieben wie Entwurzelung und Fremdsein. Und selbstverständlich weiten die Erzähler in ihrer Auseinandersetzung mit der Welt den Blick auf Schicksale über die engen Grenzen der Lausitz hinaus.

    Den Autorinnen, Autoren und Übersetzern sowie allen Beteiligten, die im Hintergrund zum Gelingen der Edition beigetragen haben, gebührt mein herzlicher Dank, ebenso dem Domowina-Verlag für die gute Zusammenarbeit. Ich freue mich, dass diesem Band ein Einblick in sorbische Kurzprosa vor 1990 folgen wird. Möge die literarisch interessierte Öffentlichkeit das Vorhaben mit Neugier und Aufmerksamkeit verfolgen.

    Maria Matschie

    Jurij Brězan

    Brief an meine Enkel

    Am Morgen arbeitete ich ein wenig, aber die Worte waren halsstarrig, sie wollten nicht in die Bande fester Sätze und kämpften miteinander. Kifko erkannte das, stellte sich vor mich und wollte mir weismachen, ich sei auf den Hund gekommen.

    Hast recht, sagte ich und wir gingen hinaus, den Teichdamm entlang und dann den Waldpfad. Kifko schnüffelte rechts und links des Weges, markierte die ersten fünf Bäume mit gewohnter Ernsthaftigkeit und dann nur noch jeden zehnten, sozusagen nebenbei und damit alles seine Ordnung habe. Abseits des Weges erblickte ich einen schönen Steinpilz – aber ein Pilz ist kein Pilz – sollte er doch besser auf einen echten Pilzsammler warten. Von der Straße bog ein rotes Auto auf den Weg, Kifko schaute kurz auf und jagte ihm nicht entgegen, und ich wusste, ihr seid es nicht. Vielleicht am Nachmittag, sagte ich ihm.

    Am Nachmittag wünschte ich den Zwillingsmädchen von Angelika und Tomaš viel Glück zum ersten Schultag. Ihr Haus war voller Gäste und die Stube voller Geschenke. Ich legte meins dazu, eins von vielen. Plötzlich – ich weiß nicht, warum – dach­­te ich an euern Zuckertütentag und – für den Augenblick eines Augenblicks – an meinen. Auch meine Tüte war groß gewesen, damals vor achtundsiebzig Jahren. Meine Patin, Dienstbotenwitwe beim letzten Grafen, hatte sie uns geliehen. Groß war sie, aber nicht schwer: das untere Ende ausgestopft mit Papier, darüber Strümpfe, ein Hemd, der Schieferkasten mit Stift, ein Tütchen Bonbons, ein Holzpferdchen und das Schönste – ein zwei Finger langes Kanu mit einem Indianer, vielleicht auch mit zweien. Das Pferdchen war vom Vater, er wünschte sich sehr, ich würde mich nicht länger vor Pferden fürchten. Nach zwanzig Jahren endlich hat er es dann erlebt.

    Das Indianerkanu hatte Mutter gekauft. Anders als Vater war sie völlig meiner Meinung, dass der Teich vor unserem Hof für alle Ozeane der Welt taugen würde. Er wurde zu meinem liebsten Spielplatz, ein wirklicher Traumozean. Dass Mutter das verstand, lag vielleicht daran – so denke ich heut –, dass ihre lebhafte Fantasie nie freie Bahn in die weite Welt haben durfte und konnte. Ihre Mutter starb, als sie zwölf war, und sie musste für den Vater und den älteren Bruder wirtschaften. Später träumte sie sich ihre Schulzeit zu den schönsten Jahren ihres Lebens, wo sie jeden Tag etwas Unbekanntes kennenlernte und sich auf der großen Weltkarte an der Ferne und Fremde nicht sattsehen konnte. Es kann durchaus sein, dass mein Ozean vor dem Hof für einen Augenblick auch ihrer war. Manchmal hob sie tatsächlich am Waldrand bei unserem Feld ein ganz besonderes Stück Rinde auf, das sich als Schiff für unser Teichmeer eignen würde, und half mir, die Rinde zum bildschönen Dreimastsegler umzuformen.

    Berge solcher Schiffe, mit Gänsefedern als Segel, habe ich gebaut – nicht ein einziges hat meinen Ozean so durchfurcht, wie ich es mir gewünscht habe. Ständig ließen sie sich quer über den Teich treiben, und kaum, dass eins seine Jungfernfahrt heil überstand. Auch meine beiden Indianer aus der Zuckertüte ertranken schon am selben Nachmittag – eine Gans schwamm vorbei, und es war um sie geschehen. Ich war todtraurig und wollte am nächsten Tag nicht mehr in die Schule gehen. Erst sieben Wochen später wurde ich sechs.

    Gegen Abend kam Kata. Ein Weilchen unterhielten wir uns, dann spielten wir unseren Skat für zwei. Mir will scheinen, dass man für dieses Spiel einen anderen Teil des Gehirns nutzt als jenen, den ich fürs Schreiben benötige und Kata zum Hüten fremder Gelder. Ein Hirnabschnitt darf demnach friedlich ausruhen, und wir haben unser Vergnügen. An diesem Abend verlor ich neunundneunzig Pfennige, und Kata mit ihrem Riesengewinn schritt stolz zum Auto, und Kifko und ich begleiteten sie. Ich blieb noch am Tor stehen, die Nacht war klar, über mir ein Sternenhimmel, ich blickte unverwandt in die Ewigkeit über mir und versuchte – ein Mann des Alltags –, die Namen der Sternbilder zu erraten. Vom Waldrand schrie eine Eule. Vielleicht die, deren Nest vor einigen Jahren nah an meinem Garten war. Nachts, in der Stunde des Eulen-Mittagessens, hatten die Jungen so gelärmt, dass ich nicht schlafen konnte.

    Ich ging ins Haus, schloss ab und ließ die Jalousien herunter. Mein Blick fiel auf die Fotos an der Wand des Kaminzimmers. Sechs Bilder unter Glas – ein Geschenk eures Vaters zu meinem Siebzigsten: eure Familie, Vater und Mutter und ihr drei, alles ist gut und nichts Schlimmes droht euch. Ich habe gelernt, Trauer und Ängste und schwere Gedanken nicht in den Schlaf mitzunehmen, das gelingt mir auch an diesem Abend ...

    Am Sonntag besorgte ich mir neun langstielige gelbe Rosen und fuhr zum Mittagessen ins »Klosterstübchen«. Es war voller Leute und gesättigt mit Gerüchen von Speisen, die ich von Kindheit an als »gelb« empfinde und die mir auch jetzt jeden Hunger vertrieben. Eine Kellnerin erkannte mich: »Auf der Bank am langen Tisch wird gleich ein Platz frei.« Äußerst ungern sitze ich zum Essen Knie an Knie mit Fremden – ich dankte der Bedienung und kochte mir zu Hause einen Teller Haferflocken, aus denen ich mir – genauso wie ihr – wirklich wenig mache. Ich schaltete das Radio ein, und als Mozarts Konzert für Flöte und Harfe erklang, schaltete ich wieder aus. Ich liebe das Stück ganz besonders und kann es nicht mehr hören. Eurer Großmutter war es das liebste Stück. In jenem Jahr, als ihr das Krebsgeschwür jeden Tag ein Stück vom Leben wegfraß, wünschte sie sich dieses Konzert fast täglich und zum Schluss den ersten und sechsten Satz von Beethovens »Pastorale«. Bis sie eines Abends sagte, sie sei zu müde, und ein Morgen gab es für sie nicht mehr. Sie hat euch, eure einzigen Enkel, sehr geliebt, und ihr habt an ihrem Grab geweint. Vielleicht das erste Mal seit den Kindheitstagen auch ich in meinem langen Leben.

    Ihrer kann ich wieder gedenken, ein Seufzer Trauer, eine weiße Wolke Dankbarkeit, ein Stück blauer Himmel voller Liebe. An euren Vater zu denken muss ich mir immer noch verbieten. Ich wollte, ich könnte ihn mit Worten malen, ein dauerhaftes Bild für euch. Ich bringe es nicht fertig. Ihm fühle ich mich verpflichtet, zu leben mit allen meinen Kräften, solange es mir möglich sein wird. Er konnte es mir nicht mehr sagen, aber ich weiß, er hat es sich gewünscht und erhofft.

    Das alles wollte ich eigentlich nicht schreiben, aber es ist spät, ein trüber Abend, und nachmittags habe ich ein Weilchen unter lauter fröhlichen Leuten gesessen, die den Neunzigsten meiner alten Nachbarin feierten, Freunde und Verwandte, der Sohn und die Enkel und sogar eine zarte Urenkelin. Ich wünschte der Jubilarin Glück und schenkte ihr die neun Rosen und mein letztes Büchlein, in dem auch sie ihrem ganzen Wesen nach beschrieben ist. Sie freute sich sehr, war sogar etwas stolz auf die ganze Versammlung ihr zu Ehren, sie war gesund und munter, unterhielt sich und schwatzte und verkündete, mit einem Lächeln zwar, aber sehr fest, dass sie auf keinen Fall ihren Hundertsten ins Auge fassen würde. Mir sagte sie zum Abschied: »Aber Sie werden mich nicht einholen«, und ich bedachte, wenn ich in sechs Jahren in solcher Verfassung wäre wie sie heute, wäre das ein Segen, auch für euch drei.

    Und bei diesen Gedanken, das Haus war still und leer bis auf Kifko, der sich schon in den Schlaf gerollt hatte, und ich war überhaupt nicht müde, sondern wach auf eine seltsam ruhige und weite Art, und weil ich plötzlich wusste, sechs Jahre sind eine lange Zeit, in der aber jede Stunde zu einem einzigen Tag zusammenfallen kann, und weil ich im Kaminzimmer wieder die Fotos – ihr drei und Vater und Mutter – sah, vielleicht deshalb, vielleicht aus einer unbekannten Tiefe heraus, setzte ich mich drüben an meinen Tisch und begann euch diesen Brief zu schreiben.

    Einen halben Satz schrieb ich noch hin, strich ihn sofort wieder, und ich wusste nicht weiter mit dem Brief, meinem ersten überhaupt an euch, den Achtzehnjährigen, die Sechzehnjährige und den Zwölfjährigen.

    Heute, Montag früh, las ich aufmerksam die vier Seiten durch und bin mir nicht sicher, ob ich sie überhaupt hätte schreiben dürfen. Es ist ja nur der Bericht über ein Wochenende, das nicht leer war und mir doch leer gewesen zu sein scheint. Weil ich euch nicht bei mir begrüßen durfte? Aber: Was hätten wir wohl miteinander angefangen? Mein Schieferstift aus der Zuckertüte und euer Computer sind sich fremder als Kifko und der Igel, den er gerade unter der Buche anbellt.

    Großväter und Enkel – mein Großvater Jakub war ein Mann, geachtet drei Gemeinden weit. Ich hatte ihn gern, jeden Sonntag saß ich neben ihm in der Kirchenbank, und nach der Messe fragte er mich über die Schule aus und schenkte mir zwei Mark. Großvater Jakub und mein Taschengeld gehörten zusammen wie ein Knopf und das Loch. Seine Erfahrung mit Feld und Vieh, seine Alltagsweisheit und mein Schullatein ergaben keine Formel, mit der ich in der Schule hätte mir zu raten und zu helfen gewusst. Seine Menschenkenntnis jedoch, die mir damals fremd blieb, habe ich Jahrzehnte später auf der Suche nach Antwort auf die Frage »Der Mensch – was ist das?« im Roman »Bild des Vaters« aus der Tiefe des Gedächtnisses gegraben.

    Diese Frage ist noch keine für euch, später vielleicht, hoffe ich. Und deshalb – wenn ich jetzt meine Antwort für euch breit erklären würde, kämen sich wieder, fremd wie Sahara und Antarktis, mein Kästchen mit jenem Stift und euer Computer in die Quere, zum Gespött, dass das Kästchen den Computer belehren wolle.

    Und doch! Ich hätte umsonst auf meine alten Jahre gewartet, wüsste ich nicht einige wenige Worte für euch, meine Nächsten, die euch im Leben helfen könnten, mit einer ganz anderen Art Leben. »Ganz anderen« habe ich eben hingeschrieben – ist meines wirklich so ganz und gar anders? Es beginnt wie in allen Zeiten mit dem ersten Schrei des Neugeborenen, den niemand gefragt hat, ob er auf die Welt wolle oder nicht, und endet – wie in allen Zeiten – mit dem letzten Atemzug. Die Jahre, die zwischen dem einen und dem anderen liegen, heißen schlicht: Leben. Jeder bekommt für dieses Leben etwas mit auf die Welt, von der Mutter oder dem Vater, von deren Eltern und aus längst vergangenen Wurzeln. Ich zum Beispiel habe das Aufbrausen von meinem Großvater Pětr geerbt. Von Mutter weiß ich, er war ein guter Mensch und kluger Dorfsprecher vor dem Grafen, ein Maurer mit den Fähigkeiten eines Meisters – und plötzlich ein glutroter Vulkan voller

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