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Stress als Risiko und Chance: Grundlagen von Belastung, Bewältigung und Ressourcen
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eBook437 Seiten4 Stunden

Stress als Risiko und Chance: Grundlagen von Belastung, Bewältigung und Ressourcen

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Über dieses E-Book

Mit einem Modell, das Stress, Bewältigung und Ressourcen in einem transaktionalen Prozess verknüpft, hat sich in der Psychologie ein neues Paradigma zum Thema Stress etabliert, das für nahezu alle Teildisziplinen und auch für Nachbardisziplinen an Bedeutung gewonnen hat. Es verbindet Wissen aus mehreren traditionell getrennten Forschungslinien und kommt damit zu einer komplexeren Sicht der Realität.
Dieses Buch stellt Grundlagen zu den verschiedenen Elementen des Stress-Bewältigungsprozesses dar und macht ihre wechselseitige Abhängigkeit deutlich. Impulse des Modells für Handeln in sozialen Berufen werden für drei aktuelle Aufgabenstellungen exemplarisch erläutert. Exkurse erlauben vertiefende Auseinandersetzung, Erfahrungsberichte Betroffener veranschaulichen die vorgestellten Inhalte.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum26. Apr. 2007
ISBN9783170280502
Stress als Risiko und Chance: Grundlagen von Belastung, Bewältigung und Ressourcen

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    Buchvorschau

    Stress als Risiko und Chance - Heidi Eppel

    Vorwort

    Die Idee zu diesem Lehrbuch entstand in Zusammenhang mit einer Lehrveranstaltung zur Einführung in die Psychologie. Ich wählte als Thema das von Lazarus entwickelte transaktionale Stress-Coping-Modell, einen Ansatz, der zunehmend in verschiedenen Disziplinen der Psychologie Forschung und Intervention anregte.

    Ich musste den Stoff für mein Seminar aus vielen verschiedenen Quellen zusammensuchen. Die einzelnen Elemente des Modells waren in unterschiedlichen Forschungstraditionen bearbeitet worden wie z. B. Stress, Bewältigung, Entwicklungsrisiken, personale Ressourcen oder soziale Unterstützung. Ihr dynamischer Zusammenhang untereinander wurde nur ansatzweise sichtbar. Je mehr ich mich mit den Themen beschäftigte, desto deutlicher wurde mir ihre Verknüpfung und desto stärker wurde mir auch die Bedeutung eines komplexen Modells für Erklärung und förderliche Gestaltung von Entwicklung und Veränderung bewusst. Das Interesse und die engagierte Auseinandersetzung meiner Studentinnen und Studenten mit den Seminarinhalten haben mich in dieser Einschätzung bestätigt.

    Es schien mir lohnend, das, was ich vermisst hatte, aufzuarbeiten und ein Buch zu schreiben, wie ich es mir als Seminargrundlage für ein Einführungsseminar gewünscht hätte.

    Dieses Buch enthält drei Teile: Grundlagen, Gestaltung förderlicher Bedingungen und Zusammenspiel der Elemente in einem transaktionalen Prozess.

    In den Grundlagen werden zunächst die Elemente des Stress-Coping-Prozesses getrennt betrachtet. Annahmen und Ergebnisse aus den spezifischen Forschungstraditionen werden referiert, wie sie übereinstimmend in der Literatur zum Thema immer wieder erscheinen; sie können als derzeit anerkannte fachliche Basis gelten.

    Gelingende Bewältigung wird durch Gestaltung förderlicher Bedingungen unterstützt. Für drei Beispiele, die gerade aktuell diskutiert werden, ist dies in Teil II genauer ausgeführt. Es geht um die Unterstützung sozialen Rückhalts, die Förderung von Resilienz und das Gestalten von Transitionen.

    Abschließend wird in Teil III die Dynamik des Zusammenspiels der Elemente im Bewältigungsprozess deutlich gemacht und Folgerungen für Leitlinien professionellen Handelns gezogen.

    Ich habe mich bei der Gestaltung des Buches stark an den Erfordernissen für eine Einführung orientiert:

    Graphische Veranschaulichungen des Modells wiederholen für jedes Kapitel des Einführungsteils den Gesamtzusammenhang und akzentuieren die Position der jeweiligen Kapitelinhalte optisch.

    Beispiele veranschaulichen die Ausführungen.

    Berichte stellen einen Bezug zu Alltagserleben her; Verknüpfen von vorher eingeführten Begriffen und Zusammenhängen mit realen Erfahrungen lässt sich daran üben.

    Exkurse vertiefen oder ergänzen Aspekte für Interessierte.

    Zusammenfassungen wiederholen zentrale Inhalte.

    Empfehlungen zum Weiterlesen geben Orientierung für die Vertiefung im Selbststudium.

    Gedacht ist das Buch für Studierende der Psychologie, Erziehungswissenschaft, sozialer Arbeit, Pflege und Gesundheit. Auch Praktikerinnen und Praktiker aus diesen Arbeitsfeldern sind angesprochen.

    Ich wünsche mir, dass meine Leserinnen und Leser lernen, Bezüge zwischen Theorie und ihren eigenen Berufs- oder auch Alltagserfahrungen herzustellen: Lebendiges Wissen strukturiert die Wahrnehmung der Realität, macht Erfahrungen für sich und andere benennbar, bietet Hypothesen zur Formulierung von Zusammenhängen, zeigt Präventions- und Interventionsansätze auf und schafft Reflexionskriterien für das eigene Handeln.

    Fachkolleginnen und -kollegen haben mir hilfreiche Literaturhinweise gegeben. Dem Lektorat Psychologie des Kohlhammer Verlags danke ich für die Ermutigung, dieses Buch zu schreiben.

    Teil I Grundlagen: Die Elemente des transaktionalen Stress-Bewältigungs-Modells

    1 Einführung in das Modell

    Die Begriffe „Stress und „Belastung werden in diesem Buch als Synonyme verwendet und im Wechsel gebraucht; dasselbe gilt für die Begriffe „Bewältigung und „Coping.

    In vielen Bereichen der Psychologie haben sich seit den siebziger Jahren Denkmodelle etabliert, die Belastungen, Bewältigung, Risiken und Ressourcen und ihre Auswirkungen auf Entwicklung, Krankheit und Gesundheit zum Gegenstand haben. Wir finden sie beispielsweise in der klinischen Psychologie, der Entwicklungs-, Sozial- und Gesundheitspsychologie, in der Arbeits- und Organisationspsychologie.

    Immer mehr wird über die Disziplingrenzen hinweg das transaktionale Stress-Bewältigungs-Modell von Lazarus und Mitarbeitern zum Ausgangspunkt von Forschung und Praxis, man könnte von einem neuen Paradigma sprechen. Dieses Modell ist auch die Grundlage dieses Lehrbuches. Es betont das Individuum als Akteur seiner Entwicklung und betrachtet Belastung und Coping als Prozesse in einem komplexen, kognitiv vermittelten Wechselspiel von Person- und Umfeldfaktoren.

    Eine besonders übersichtliche Darstellung des Ansatzes stammt von Filipp (1995), die damit ihr Modell zur Verarbeitung kritischer Lebensereignisse veranschaulicht.

    Als Grundlage für diese Einführung wurde die Originalabbildung nach Filipp sprachlich vereinfacht, durch Einfügen einiger Symbole eingängiger gemacht und auf das gesamte Belastungsspektrum erweitert.

    Die nachfolgende Abbildung mit den anschließenden Erläuterungen soll einen ersten Überblick über die Elemente des transaktionalen Stress-Bewältigungs-Modells geben. Sie wird die Leserinnen und Leser in den folgenden Kapiteln des Teils I begleiten, wobei der Teilaspekt, den das jeweilige Kapitel behandelt, graphisch besonders hervorgehoben wird. Die hier sehr knappen Erläuterungen zur Grafik werden in den einzelnen Kapiteln des Grundlagenteils dann ausführlich dargestellt.

    Anlass und Ausgangspunkt für Handeln ist Stress. Die Abbildung stellt zentrale Merkmale des Stressbegriffs symbolisch dar: Der Blitz veranschaulicht, dass Stress Diskrepanz offenbart zwischen vorhandenen Fähigkeiten, Fertigkeiten oder Einstellungen und Anforderungen, denen man mit dem gewohnten Handeln nicht begegnen kann. Dass Stress nie objektiv entsteht, sondern immer nur einer subjektiven Einschätzung entspringt, darauf weist die Brille hin, die mit ihren Bügeln in der Ausgangsituation von Person und Umfeld verankert ist.

    Eng gekoppelt mit dem Stresserleben ist das Bemühen um Beseitigung der erlebten Diskrepanz, die Bewältigung. Sie kann verschiedene Formen annehmen; als Möglichkeiten werden instrumentelles, palliatives, defensives und additives Coping vorgestellt.

    Nicht jede Bewältigung führt zum Erfolg. Effekte sind differenziert zu sehen. Dabei sind wie bei der Betrachtung der Ausgangslage Aspekte auf Seiten der Person und auf Seiten des Umfelds von Bedeutung. Besonders zu beachten ist, dass die wahrgenommenen Effekte unmittelbare Rückwirkungen auf den weiteren Stress-Bewältigungs-Prozess haben. Sie verändern die Ausgangslage, die Einschätzung der ursprünglichen Belastung und die weiteren Bewältigungshandlungen. Hierauf weist der Pfeil zurück zur Ausgangssituation hin. Zwischen den Person-Effekten und den Umfeld-Effekten gibt es Wechselwirkungen.

    Das Erleben von Stress und die Möglichkeiten, die zur Bewältigung verfügbar sind, hängen von der Ausgangssituation ab, in der ein Ereignis auftritt. Die Bügel der Brille zeigen die Verankerung des Stresserlebens in der subjektiven Einschätzung der Ausgangssituation auf. Sie besteht aus vier Facetten, der Person mit ihren Merkmalen und dem Umfeld mit seinen Merkmalen. Jeder Merkmalskomplex besteht aus Risikofaktoren und Ressourcen, symbolisiert durch zwei Bügelenden, die miteinander verschmelzen. Die Komplexe Person-Merkmale und Umfeld-Merkmale beeinflussen einander.

    Die Darstellung in dem Teil „Grundlagen" deutet zunächst die komplexen Zusammenhänge nur an, die die Elemente des Modells miteinander verknüpfen. So lassen sich die einzelnen Bestandteile klar herausarbeiten.

    Dem Zusammenwirken der Teile des Modells ist der Teil III gewidmet, in dem erst die eigentliche Dynamik des Bewältigungsprozesses deutlich wird.

    Wurzeln des transaktionalen Stress-Bewältigungs-Modells

    Hier soll nur auf einige bedeutsame Quellen des Modells verwiesen werden.

    Forschung unter dem Stichwort „Stress" gibt es seit Mitte der fünfziger Jahre mit einer Fülle von Untersuchungen zu seinen physiologischen und psychischen Kennzeichen, seiner Messung, den Auswirkungen von Stress auf Gesundheit und Krankheit und auf die Folgen für das Zusammenleben in Organisationen. Dabei hat sich der Schwerpunkt der Betrachtung von beobachtbaren Reaktionsmustern oder Umfeldbedingungen zu der subjektiven Einschätzung einer Situation als Belastung allmählich verlagert.

    In der klinischen Forschung interessierte man sich für den Zusammenhang von belastenden Lebensereignissen oder belastenden Lebensumständen (Risiken) und den Ausbruch psychischer Krankheiten bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen.

    In der Entwicklungspsychologie gibt es eine lange Tradition, die sich mit der Bedeutung von Krisen für Veränderung und Wachstum befasst. Die Lebensspanne als Folge von Entwicklungsaufgaben, die bewältigt werden müssen, fordert Menschen von der Geburt bis zum Tod ständig heraus, mit neuen Anforderungen umzugehen.

    Forschung zur Bewältigung von Belastungen kann mit den psychoanalytischen Beschreibungen von Abwehrmechanismen auf eine lange Tradition verweisen.

    Die Biographieforschung der sechziger Jahre hat mit der Betrachtung von „Daseinstechniken und „Daseinsthematiken auf verschiedene Weisen des Umgangs mit den Anforderungen des Lebens hingewiesen.

    Die Veränderung der Sichtweise „Stress als objektive Gegebenheit zum Konzept „Stress als Ergebnis subjektiver Einschätzung geht einher mit der Abkehr vom strikten Behaviorismus in der Psychologie der siebziger Jahre, der sog. „kognitiven Wende".

    In psychotherapeutischen Zusammenhängen war schon lange klar, dass es nicht darum gehen konnte, objektive Wahrheiten über Lebenszusammenhänge von Patienten zu finden; das persönliche Erleben und Erinnern spielen eine wesentliche Rolle für das Wohlbefinden.

    2 Stress

    2.1 Stress als Risiko und Chance

    Die psychologische Forschung und Literatur der letzten 30 Jahre beschäftigt sich zunehmend mit den Erfahrungen von Stress/Belastung. Mit den Jahren zeigt sich eine veränderte Perspektive auf diesen Erlebnisbereich (vgl. Filipp, 1995, S. 6–8): Ursprünglich wurden Belastungen, vor allem Krisen, ausschließlich als Risiko für Gesundheit und Entwicklung betrachtet. Dies galt vor allem für die klinische Forschung. Entwicklungspsychologische Arbeiten betonten zunehmend den Doppelcharakter von Stress bzw. Krisen: Es besteht das Risiko zu scheitern, persönlichen und sozialen Schaden zu nehmen, genauso wie die Chance, an der Herausforderung zu wachsen, neue persönliche und soziale Ressourcen zu entwickeln. Bezieht man sich auf eine allgemeine Motivationstheorie, ließe sich behaupten: Ohne die Erfahrung von Stress gibt es keinen Anreiz, Neues zu erproben. Entwicklung ist undenkbar ohne Diskrepanzerleben als Motor.

    2.2 Definition nach Lazarus: Das transaktionale Stress-Konzept

    Verschiedene Autoren verwenden verschiedene Definitionen für Stress (s. Exkurs, S. 15 f.). Diese Darstellung bezieht sich auf das Stress-Modell, das Lazarus in einem langen Forscherleben zunehmend weiter ausgearbeitet hat (Lazarus, 1998). Es liegt den meisten neueren Publikationen aus unterschiedlichen Bereichen der Psychologie zugrunde (vgl. Bamberg, Busch & Ducki, 2003, S. 40).

    „Psychologischer Streß bezieht sich auf eine Beziehung mit der Umwelt, die vom Individuum in Hinblick auf sein Wohlergehen als bedeutsam bewertet wird, aber zugleich Anforderungen an das Individuum stellt, die dessen Bewältigungsmöglichkeiten beanspruchen oder überfordern. (Lazarus & Folkmann, 1986, zitiert nach Petermann & Hampel, 1998, S. 2). „Wenn eine Person eine solche Konfrontation als niederschmetternd, bedrohlich oder herausfordernd wahrnimmt, entsteht das, was wir mit ‚psychischem Streß‘ meinen. (Lazarus, 1995, S. 204). In dieser Definition stecken mehrere Implikationen, die im Folgenden erläutert werden.

    Exkurs

    Traditionelle Stress-Konzepte

    Kohlmann (2002, S. 558) unterscheidet zwei Kategorien klassischer Stress-Konzepte:

    Reaktionsbezogene Sichtweisen und situationsbezogene Sichtweisen.

    Reaktionsbezogene Sichtweisen interessieren sich vor allem für die Reaktionsmuster, die Betroffene bei Anforderungen zeigen. Betont werden vor allem physiologische Merkmale der Belastungsreaktion, die bei mittel- oder langfristiger Überbeanspruchung des Organismus zu gesundheitlichen Beeinträchtigung führen können (Kohlmann, 2002, S. 558).

    Ein bekannter Vertreter dieses Ansatzes ist Selye. Verschiedene Anforderungen oder Belastungen führen zu gleichen, also unspezifischen, Reaktionen des Körpers (1981, S. 170) mit objektiv beobachtbaren physiologischen Veränderungen (s. Exkurs S. 72), die bei Andauern der Belastung zu krankhaften Veränderungen der Nebennierenrinde, der Thymusfunktion und des Magen-Darm-Trakts führen. Diese für alle Menschen gleichartigen Veränderungen können bei verschiedenen Personen je nach Disposition zu verschiedenen Erkrankungen beitragen.

    Psychische Faktoren spielen bei diesem Ansatz eine eher untergeordnete Rolle. Sie werden jedoch durch die Differenzierung zwischen Disstress und Eustress aufgegriffen. Diese Unterscheidung beruht auf dem Erleben einer Belastung als bedrohlich und beängstigend im Gegensatz zum Erleben als aktivierend und herausfordernd.

    Messung von Stress setzt in diesem Forschungszusammenhang vor allem auf die Erhebung physiologischer Daten, wie Atemfrequenz, Herzschlag, Schweißsekretion als peripheren Anzeichen oder auf die Erfassung hormonaler Indikatoren wie Kortisol.

    Situationsbezogene Ansätze stellen belastende Erfahrungen in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Situationen, die ein hohes Maß an Anpassungsleistungen und Umorientierung erfordern, wie z. B. kritische Lebensereignisse, werden als Stressoren bezeichnet, in deren Gefolge physische und psychische Belastungsanzeichen auftreten. Als Stressoren können jedoch auch Alltagswidrigkeiten („daily hazzles") oder Übergänge zwischen Lebensphasen (Transitionen) betrachtet werden (Kuhlmann, 2003, S. 558).

    Es wird angenommen, dass bestimmte Situationen von allen Menschen als belastend erlebt werden. Belastungen werden ausschließlich als Risiko gesehen. Differenzierend wird die Anzahl (Konzentration), Dauer und Intensität der zu verkraftenden Erlebnisse einbezogen.

    Messinstrumente für Stress, die eine gewichtete Ereignis-Checkliste für die Bestimmung von Stress zugrunde legen, wären ein Beispiel für ein situationsbezogenes Belastungskonzept. Die am meisten verbreitete Skala ist die „Social Readjustment Rating Scale". Sie umfasst 43 kritische Ereignisse; auf der Basis von Experteneinschätzungen des erforderlichen Anpassungsaufwands ist für jedes Item eine Gewichtung angegeben. Das Maß für eine individuelle Stressbelastung ergibt sich aus der Summe der gewichteten Nennungen durch eine Person (Weber, 2002, S. 583).

    Gleichfalls dieser Tradition verpflichtet sind Belastungsanalysen von Arbeitsplätzen z. B. in Hinblick auf Schadstoffkonzentrationen, Raumgestaltung und Ablauforganisation (vgl. Bamberg, Busch & Ducki, 2003, S. 37–38).

    2.3 Merkmale des transaktionalen Stress-Konzepts

    Stress ist als Transaktion zu konzipieren.

    „Die Ursache von Stress ist nicht isolierten Person- und/oder Umweltmerkmalen zuzuschreiben, sondern einer mangelnden Übereinstimmung zwischen individuellen Bedürfnissen, Wünschen und Kompetenzen auf der einen Seite und Anforderungen, Gegebenheiten und Möglichkeiten der Situation auf der anderen Seite." (Bamberg, Busch & Ducki, 2003, S. 40).

    Man spricht von einem person-environment-fit-Modell (vgl. Bamberg, Busch & Ducki, S. 40) oder besser von einem person-environment-misfit-Modell oder Diskrepanz-Modell von Stress.

    Ein Beispiel soll den Unterschied zur üblichen elementzentrierten Auffassung verdeutlichen:

    Monika S. versagt bei einer Prüfung. Sie sieht die Ursache klar bei den gestellten Aufgaben, die im Seminar nicht genügend vorbereitet wurden. Von Seiten der Prüfenden beklagt man sich über das niedrige Niveau von Studierenden, die glauben, ein Studium in Teilzeit absolvieren zu können. Das transaktionale Modell sieht die Ursache für das Problem in der Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten der Studentin und der Vorbereitung und Aufgabenstellung durch die Prüfenden: Es gab ja sehr wohl Studierende, die die Prüfung gut bestanden haben. Ebenso hätte Monika S. bei einer anderen Prüferin oder einem anderen Prüfer durchaus eine bessere Leistung erbringen können. Eine transaktionale Sicht von Belastung ist also von groβer praktischer Relevanz für die Einschätzung einer Situation durch die Beteiligten und öffnet den Blick für ein breiteres Spektrum von Handlungsmöglichkeiten.

    Ein hilfreiches Bild zur Veranschaulichung einer transaktionalen Perspektive ist die Vorstellung von Schlüssel und Schloss, die zusammenpassen müssen; weder ein Schlüssel noch ein Schloss allein kann falsch sein.

    Stress ist als Prozess zu verstehen.

    Stress ist ein Erleben, das permanent im Fluss ist; es verändert sich über die Zeit und in Abhängigkeit von unterschiedlichen Situationen (Lazarus, 1995, S.205). Dies hat damit zu tun, dass wir unser Erleben beständig mit Einschätzungen und Neu-Einschätzungen aufgrund unserer Erfahrungen begleiten. Die ursprüngliche Belastung durch eine Situation variiert mit zusätzlichen Einschätzungen zu Handlungsmöglichkeiten, Ressourcen oder Risiken und mit Erfahrungen zu Erfolg oder Misserfolg von Bewältigungsversuchen. Die verschiedenen Elemente des Gesamtmodells beeinflussen sich also ständig gegenseitig (wie in Teil III noch genauer ausgeführt wird). Lazarus macht dies deutlich, indem er von verschiedenen Stadien der Einschätzung im Belastungsprozess spricht (1995, S. 212–215):

    Mit der primären Einschätzung („appraisal 1) bewertet eine Person unmittelbar bei Auftreten einer Situation deren Bedeutung für ihr Wohlbefinden. „Was liegt an? Diese Frage kann auf dreierlei Art beantwortet werden: Die Situation ist belastend, irrelevant oder positiv. Stress erlebt man nur bei einer Einschätzung der Situation als belastend. Dreierlei Typen von Belastung lassen sich unterscheiden: Verlust/Schädigung, Bedrohung und Herausforderung. Als Belastung werden Situationen angesehen, die der Einschätzung nach die inneren oder äußeren Ressourcen einer Person herausfordern oder übersteigen. Die primäre Einschätzung ist eine spontane mehr oder weniger bewusste Reaktion auf eine Situation.

    Gleichzeitig erfolgt die sekundäre Einschätzung („appraisal 2), eine handlungsbezogene Bewertung der Anforderung. Die Person lässt ihre Möglichkeiten zur Beeinflussung der Diskrepanz Revue passieren. „Was kann ich tun? heißt die Leitfrage.

    Eine klare zeitliche Trennung zwischen „appraisal 1 und „appraisal 2 ist schwierig, weil beide sich gegenseitig sehr eng durchdringen: Ein erster Schrecken lässt sich bei genauerem Überlegen abmildern, wenn deutlich wird, worauf man zurückgreifen kann, um ihm zu begegnen; andererseits kann die primäre Einschätzung eine gedankliche oder tatsächliche Auseinandersetzung mit einer Belastung beeinträchtigen oder auch fördern (Lazarus, 1995, S. 215).

    In jedem Fall modifizieren die Erfahrungen, die bei dem konkreten Versuch, Stress zu beseitigen, gemacht werden, die ursprünglichen Einschätzungen, sowohl „appraisal 1 als „appraisal 2. Lazarus spricht von ständiger Neueinschätzung (1995, S. 212) und macht daran den Prozesscharakter von Stress und Bewältigung fest.

    Monika S. wird bei der Nachricht vom schlechten Abschneiden bei ihrer Prüfung zunächst von heftigem Unbehagen und Selbstzweifeln befallen. Eine gedankliche Analyse der Vorbereitung zeigt, dass sie vorhandene Zeitspielräume und Angebote, in Arbeitsgruppen zu lernen, nicht wahrgenommen hat. Diese Überlegungen wirken beruhigend, weil sie realistische Chancen aufzeigen, den Anforderungen beim nächsten Mal zu genügen. Aber auch diese Einschätzung kann sich im Verlauf der weiteren Prüfungsvorbereitungen wieder verändern, je nachdem wie es ihr gelingt, die guten Vorsätze in die Praxis umzusetzen.

    Alltagserfahrungen weisen darauf hin, dass die Einschätzungen keineswegs immer klar bewusst verlaufen. Häufig spüren wir ein Gefühl von Unbehagen, Angst und Ärger oder auch körperliche Reaktionen, wie Herzklopfen, Zittern und Schwitzen, ohne dass wir genau sagen könnten, wie wir eine Situation einschätzen; die emotionalen und körperlichen Reaktionen eilen kognitiven Prozessen voraus. Das körperliche und emotionale Erleben ist jedoch grundsätzlich einer bewussten Reflexion zugänglich und durch sie auch beeinflussbar (Kaluza, 2004, S. 36).

    Stress entsteht durch subjektive Verarbeitung von Situationen.

    Belastung ist nicht objektiv am Eintreten bestimmter Ereignisse festzumachen. Stress entsteht, wie die Definition bereits festhält, durch Verarbeitung und Bewertung von Situationen innerhalb der Person: Ist die Situation für das Wohlergehen bedeutsam? Stehen Handlungsmuster zum Umgang damit zur Verfügung? Droht Gefahr? Erlebe ich die Situation positiv, irrelevant, schädigend, bedrohlich oder herausfordernd? Dieselbe Situation bedeutet für verschiedene Personen das Erleben von Stress, Freude oder Gleichgültigkeit. Menschen konstruieren ihre Lebenswelt, in der sie fühlen und handeln, selbst. Jedes Individuum hat seine Biographie und einmalige Persönlichkeit in deren Rahmen sich ihr Handeln und Erleben gestaltet.

    Die Bewertung „4,0" in einer Prüfungsarbeit kann sehr verschieden erlebt werden: Als Freude und Entlastung, wenn Monika S. befürchtet hätte, durchzufallen und die Prüfung wiederholen zu müssen.

    Als gleichgültig, wenn sie bereits dabei gewesen wäre, ihr Studium aufzugeben, und ein attraktives Arbeitsangebot vorliegen hätte.

    Als bedrohlich, wenn sie sowieso an ihren Fähigkeiten zweifeln würde, aber das Studium als Zugang zu ihrem Traumberuf gut absolvieren müsste.

    Als herausfordernd, wenn sie sich aus ihrer Vergangenheit als gute Lernerin kennt, die nach längerer Pause nur etwas Zeit braucht, sich wieder einzufinden.

    Stress entsteht auch durch Diskrepanzen im Inneren einer Person.

    Diskrepanzen erlebt man nicht nur bei Konfrontation mit Anforderungen und Gegebenheiten der Außenwelt. Wir alle kennen Situationen, wo die Belastung in uns selbst entsteht. Niemand stellt Forderungen an uns oder droht mit Sanktionen. Wir sind unzufrieden, weil wir unseren eigenen Anforderungen nicht genügen oder wichtige Ziele verfehlt haben. Viele ursprünglich von außen gestellte Forderungen haben wir verinnerlicht und sind selbst zum Wächter über ihr Befolgen geworden. Die Diskrepanz entsteht also zwischen den Forderungen unserer Werte, Ziele und Bedürfnisse und dem Zustand unserer tatsächlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Befindlichkeiten.

    Monika S. wird für ein Referat mit der Note 2 bewertet. Sie gerät dadurch sehr unter Spannung, weil sie mit dieser Bewertung ihr Selbstbild als ausgezeichnete Studentin bedroht sieht, das sie aufgrund ihrer bisherigen Lernkarriere entwickelt hatte.

    2.4 Stress-Reaktionen

    Stress-Reaktionen nennt man alle Prozesse, die bei betroffenen Personen als Antwort auf einen Stressor ausgelöst werden. Häufig werden drei Ebenen von Stress-Reaktionen unterschieden (vgl. z. B. Kaluza, 2004, S. 14; Lohaus & Klein-Heßling, 2001, S. 50; Bamberg, Busch & Ducki, 2003, S. 56):

    Körperliche Ebene,

    kognitiv-emotionale Ebene,

    behaviorale Ebene.

    Die körperliche Ebene zeigt eine Vielzahl von Veränderungen physiologischer Abläufe (vgl. Kaluza, 2004, S. 14–25). Als erster hat Selye (1981) eine Abfolge verschiedener Reaktionsebenen beschrieben.

    Zunächst kommt es zu einer unmittelbaren, kurzfristigen „Alarm-Reaktion", die Energien für körperliche Aktivität bereitstellt. Der Körper wird auf Kampf oder Flucht vorbereitet. Wir spüren z. B. einen schnelleren Herzschlag, feuchte Hände, höhere Muskelspannung.

    Bei Anhalten der Spannung setzt eine Anpassungsreaktion („Widerstandsstadium") ein. Sie organisiert den Energienachschub z. B. durch Bereitstellung von Blutzucker. Die akuten Stress-Symptome verschwinden, der Körper stellt sich auf die erhöhten Leistungsanforderungen ein.

    Langfristig unbewältigte Belastungen oder chronischer Stress erschöpfen die Energiereserven, die durch das Widerstandsstadium beansprucht werden, und führen zu Schädigungen, wenn der Organismus keine Chance zur Erholung bekommt („Erschöpfung"). Vielfältige Auswirkungen von chronischem Stress auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit sind belegt, z. B. Schädigung des Herz-Kreislauf-Systems, des Magen-Darm-Trakts, des Immunsystems (s. Exkurs S. 72).

    Die kognitiv-emotionale Ebene der Stress-Reaktion beinhaltet intrapsychische Vorgänge, also Gedanken und Gefühle. Kaluza (2004, S. 14) führt folgende häufig genannte Erscheinungen auf:

    Gefühle der inneren Unruhe, der Nervosität und des Gehetztseins,

    Gefühle der Unzufriedenheit und des Ärgers,

    Angst, z. B. zu versagen oder sich zu blamieren,

    Gefühle der Hilflosigkeit,

    Selbstvorwürfe,

    kreisende „grüblerische" Gedanken,

    Leere im Kopf („black-out"),

    Denkblockaden.

    Es ist anzunehmen, dass sich auch hier bei Andauern der Belastung Reaktionsveränderungen zeigen und vermehrt Gefühle der Hilflosigkeit, Selbstvorwürfe und grüblerische Gedanken auftreten.

    Die behaviorale Ebene umfasst beobachtbares Verhalten in einer belastenden Situation. Als Beispiele führt Kaluza (2004, S. 14) auf:

    Hastiges Verhalten (Pausen abkürzen, Essen schlingen),

    Betäubungsverhalten (vermehrter Alkoholgenuss, Rauchen, Medikamentengebrauch),

    unkoordiniertes Arbeitsverhalten (mangelnde Planung, Dinge verlegen, vergessen),

    konfliktreicher Umgang (gereiztes Verhalten, aus der Haut fahren bei Kleinigkeiten).

    Alle Ebenen treten in der Regel gleichzeitig auf und können sich gegenseitig aufschaukeln oder

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