Das resiliente Unternehmen: Earned not given
Von Erich Unkrig
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Über dieses E-Book
Die Förderung von Resilienz hat in Zeiten ständigen Wandels eine zentrale strategische Bedeutung. Erich R. Unkrig führt Management und Unternehmensführung praxisorientiert in die Theorien und Realität personaler und organisationaler Resilienz ein.
Alles, was Sie für Ihr Unternehmen benötigen:
- Fundiertes Wissen über die Resilienzfaktoren und ihre Wirkung im Persönlichen, in Teams, im Unternehmen sowie in dessen Umfeld
- Das ECHO-Konzept als erprobter Leitfaden und effektives Führungsinstrument für die Förderung der Resilienz auf der personalen, der Teamebene und der organisationalen Ebene
- Das Online-Tool Resibility für die partizipative Umsetzung
Erich Unkrig
Erich R. Unkrig arbeitet als Management-Berater und -Coach und ist Chief Learning Officer am Institut für lernfähige Organisationen und Systeme (ILOS). Er war 35 Jahre als Führungskraft und Manager in marktführenden Unternehmen unterschiedlichster Branchen tätig und dies mit einem ausgewiesenen Schwerpunkt auf Transformationsprozesse und Resilienzprojekte.
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Buchvorschau
Das resiliente Unternehmen - Erich Unkrig
bieten.
1 Resilienz als unternehmerische Herausforderung
Die Resilienzforschung hat ihren Ursprung in der Psychologie. Es begann mit Studien von Norman Garmezy (Garmezy 1971, Garmezy et al. 1984) zu Reaktionen und Einstellungen von Kindern, deren Eltern schizophren waren. Dieser kam zu dem Schluss, dass Resilienz eine Rolle bei der psychischen Gesundheit spielt. Seitdem wurden viele Studien durchgeführt, und es gibt zahlreiche Theorien über die Faktoren von Resilienz. Allerdings befasst sich die Mehrzahl dieser Studien mit individueller, also intrapersonaler Resilienz.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts hat das Konzept der resilienten Organisation an Popularität gewonnen, und das Management von Krisen und Katastrophen ist zu einem zentralen Thema für Praktiker, Berater und Institutionen geworden. Manager in Unternehmen sind bemüht, sich auf eine Vielzahl von nicht planbaren und oft unerwünschten Ereignissen vorzubereiten, und Berater nehmen das Thema als zusätzliches Geschäftsfeld auf. Akademiker wiederum untersuchen die Ursachen sowie die Dynamik dieser Bedrohungen mit dem Ziel, die diesbezüglichen Reaktionsmuster und Angebotsrezepte zu beschreiben (Weick/Sutcliffe 2001, Boin/‘t Hart/Stern/Sundelius 2005).
Einer der vorherrschenden normativen Idealtypen ist die resiliente Organisation (Weick/Sutcliffe 2001, Sutcliffe/Vogus 2003, Sheffi 2005, Hollnagel et al. 2006, Cascio 2009, Comfort/Boin/Demchak 2010, Välikangas 2010). Zunächst war es über lange Zeit ein dominantes Konzept der Ökologie (Holling 1973), dann der Psychologie. Jetzt setzt sich die Idee der Resilienz in der Unternehmensführung und hier vor allem in der Organisationsentwicklung durch.
Die Idee der Resilienz verspricht eine intuitiv plausible, attraktive und scheinbar umsetzbare Strategie zur Vorbereitung auf und zum Umgang mit verschiedenen Arten von Widrigkeiten. Die Literatur legt nahe, dass eine resiliente Organisation ein hohes Maß an Leistung selbst dann zeigt, wenn der Druck aus der Umwelt steigt, Bedrohungen entstehen und Unsicherheiten zunehmen. Angesichts gegebenenfalls auch unerwarteter Widrigkeiten soll die resiliente Organisation ohne großen Aufwand schnell wieder auf die Beine kommen („bounce back" – Wildavsky 1988, zitiert nach: Stow 2017:200). Wenn Störungen sowohl unvermeidbar als auch überraschend sind, verspricht die präventive Investition in Resilienz – so die Theorie – eine effektivere Strategie als die situative Zuteilung knapper Ressourcen, die darauf abzielen, sich gegen konkrete Risiken zu verteidigen (Wildavsky 1988).
Die resiliente Organisation ist auch aus einer theoretischen Perspektive bemerkenswert. Die Organisationsliteratur identifiziert Schocks, die von extern ausgelöst werden, typischerweise als potenziell existenzielle Bedrohungen für ein Unternehmen. Die gleiche Literatur sagt voraus, dass Organisationen es schwer finden, mit solchen Erschütterungen fertig zu werden. Hier kommt das resiliente Unternehmen ins Spiel, das Unerwartetes absorbiert und ohne bleibende Schäden auch durch revolutionäre Veränderungen und Krisen geht.
Während die Idee der Resilienz immer populärer wird, sind empirisch hinsichtlich Resilienz erforschte Organisationen eher selten. Ein Großteil der Literatur zur Resilienz ist aus einer wertenden Perspektive und oft aus einem eigenen Bild vom Menschen oder aus einem individuellen Verständnis von unternehmerischem Geschehen heraus sowie normativ geschrieben. Sie soll Menschen wie Organisationen anspornen, Bedrohungen zu erkennen, aus Erfahrungen wie auch durch Reflexion zu lernen, ein produktives Klima zu schaffen und so aus Rückschlägen und Krisen gestärkt hervorzugehen (Weick/Sutcliffe 2001, Hamel/Valikangas 2003). Es ist jedoch nicht eindeutig, worin sich diese Fähigkeiten im Unternehmen, in Management und Führung wie auch bei den Mitarbeitern zeigen. Heißt: Eigentlich wissen wir nicht, was genau Resilienz in einem System wie dem Unternehmen verursacht und wie sie erreicht wird. Ist es das Ergebnis von aktiv gestalteten Prozessen oder vielleicht nur das Ergebnis von Improvisation und Glück?
Bei der Untersuchung der Beziehung zwischen organisationalen Prozessen und dem Ergebnis von Resilienz stoßen wir auf zwei Probleme. Erstens ist nicht klar, welche Resilienz genau gemeint ist. Zweitens ist es recht schwierig, resilienzfördernde Aktivitäten oder resiliente Handlungsweisen zu erkennen. Vielmehr gehen wir davon aus, dass es resilient gewesen sein muss, wenn ein Unternehmen einen Turnaround oder eine Krise „überlebt". Wenn es schlecht endet, dann war das Unternehmen offensichtlich nicht resilient.
2 Resilienz - ein grundsätzlicher Zugang
2.1 Grundlegende Modelle
Resilienz ist ein interdisziplinäres Konstrukt und insoweit gibt es viele Definitionen aus einer Vielzahl von akademischen Bereichen einschließlich Psychologie, Soziologie, Ökologie, Organisationstheorie, öffentliche Verwaltung und Politikwissenschaft. Diese Definitionen wiederum beziehen sich auf unterschiedliche Analyseebenen, von der intrapersonellen (= individuellen) bis hin zur interorganisationalen (= globalen) Ebene, und haben dabei durchaus unterschiedliche Zugänge.
Abb 1: Grundlegende Modelle von Resilienz (nach Garmezy et al. 1984)
Beim Kompensationsmodell wird davon ausgegangen, dass ein risikomildernder Faktor einen risikoerhöhenden Faktor kompensieren kann. Der Schutzfaktor wirkt dabei ausgleichend beziehungsweise neutralisierend und interagiert nicht direkt mit dem Risikofaktor, sondern hat einen unabhängigen Einfluss auf das Entwicklungsergebnis. Die beiden Faktoren wirken also nicht miteinander, sondern subtraktiv.
Beim Schutzfaktorenmodell stehen Risiko- und Schutzfaktoren in einer interaktiven Beziehung. Dabei haben Schutzfaktoren nur einen indirekten Effekt. Liegt kein Risikofaktor vor, dann hat ein Schutzfaktor keine Bedeutung, was heißt: Protektiv bedeutend ist ein Schutzfaktor nur, wenn es eine Gefährdung gibt.
Beim Herausforderungsmodell liegt der Schwerpunkt auf dem Bewältigungsprozess in einer Stresssituation. Risikofaktoren werden als Herausforderungen betrachtet, die durch eine erfolgreiche Bewältigung zur Kompetenzsteigerung und zu neuen Bewältigungsstrategien führen.
Resilienzkonzepte im deutschsprachigen Raum haben zwar unterschiedliche Namen (beispielsweise Bambus-Strategie, Stehauf-Menschen, Navy-Seal-Resilienz etc.), basieren jedoch zumeist auf (nur) einem Konzept beziehungsweise einer Veröffentlichung (Reivich/Shatté 2003). Auch wenn für die Resilienzfaktoren hier und da leicht veränderte Begrifflichkeiten verwendet werden und die Konzepte dann mit dem Anspruch eines eigenen Konzepts vermarktet werden, so sind es doch die folgenden sieben:
Optimismus (= optimism)
Emotionssteuerung (= emotion regulation)
Impulskontrolle (= impulse control)
Empathie (= empathy)
Kausalanalyse (= causal analysis)
Selbstwirksamkeitsüberzeugung (= self-efficacy)
Zielorientierung (= reaching out)
Diese Faktoren werden von Resilienz-Puristen (wie Mourlane 2015) als die echten Resilienzfaktoren bezeichet; sie werden häufig auch die „Sieben Säulen der Resilienz genannt. Andere Fähigkeiten, Haltungen oder auch andere Bezeichnungen für die oben aufgeführten Faktoren tituliert Denis Mourlane als „falsche Resilienzfaktoren
.
2.2 Resilienz definieren: eine Herausforderung
Im deutschsprachigen Bereich werden die genannten Faktoren oft mit Akzeptanz, Optimismus, Selbstwirksamkeit, Eigenverantwortung, Netzwerkorientierung, Lösungsorientierung, Zukunftsorientierung bezeichnet. Interessanterweise werden die auf diesen Faktoren basierenden Konzepte vor allem von Autoren aus dem deutschsprachigen Raum mit durchaus unterschiedlichen Definitionen versehen, die oft auch – wie oben ausgeführt – Spiegelbild der zugrunde liegenden mentalen Modelle sind:
„Resilienz ist der Prozess von, die Kapazität für oder das Ergebnis einer erfolgreichen Adaption unter herausfordernden oder bedrohlichen Umständen." (Masten/Best/Garmezy 1990:426 – Übersetzung ERU)
„Resilienz ist eine Eigenschaft von Personen, Teams und Organisationen, um produktiv auf Störungen/Veränderungen zu reagieren." (Horne 1997:31 – Übersetzung ERU)
„Resilienz ist die Fähigkeit einer Person, einer Gruppe oder einer Organisation, unter Stress schnell positive adaptive Verhaltensweisen zu entwerfen und zu implementieren, die auf die jeweilige Situation abgestimmt sind." (Mallak 1998:12 f – zusammenfassende Übersetzung ERU)
„Resilienz ist die Fähigkeit, auf gesunde und produktive Weise auf Widrigkeiten und Traumata zu reagieren; sie ist für die Bewältigung des täglichen Stresses unerlässlich." (Reivich/Shatté 2002:20 – Übersetzung ERU)
„Resilienz ist die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des früheren psychischen Anpassungs- und Funktionsniveaus nach einem eingetretenen Trauma oder bei bestehenden Einschränkungen und Verlusten." (Oerter/Montada 2002:991)
„Resilienz meint eine psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken." (Wustmann 2005:192)
Resilienz ist „die Fähigkeit einer Organisation, das Unvorhergesehene schnell zu meistern." (Sheffi 2005:41 – Übersetzung ERU)
Mit Resilienz verbundene Widerstandsressourcen „können als Kräfte verstanden werden, die Menschen dazu befähigen, potenziell krankmachende Einflüsse zu bewältigen, ohne zu erkranken." (Reimann/Hammelstein 2006:15)
Resilienz bezeichnet die „Fähigkeit von Menschen, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen." (Welter-Enderling/Hildenbrand 2006:13)
Von Resilienz spricht man, „wenn sich Personen trotz gravierender Belastungen oder widriger Lebensumstände psychisch gesund entwickeln." (Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2009:9)
Resilienz ist ein dynamisches Konzept, das die Qualität einer individuellen Anpassung als Ergebnis interaktiver Prozesse zwischen Faktoren, die auf der Ebene von Individuen, Familien, Schulen und Gemeinden wirken, sieht. (Toland/Carrigan 2011, zitiert nach Birgisdottir 2013:1 – Übersetzung ERU)
„Resilienz ist das Synonym für Widerstandsfähigkeit, Belastbarkeit oder Elastizität." (Wellensiek 2012:13)
„Der Begriff Resilienz umfasst alle Kräfte, die Menschen aktivieren, um das Leben in guten und in schlechten Zeiten zu meistern." (Gruhl/Hörbächer 2012:11)
„Organisationale Resilienz ist die Fähigkeit einer Organisation, Veränderungen und plötzliche Störungen zu antizipieren, vorzubereiten, darauf zu reagieren und sich anzupassen, um zu überleben und zu gedeihen." (BSI British Standart 2014 – Übersetzung ERU)
„Resilienz bedeutet die seelische Kraft, die Menschen befähigt, Niederlagen, Unglücken und Schicksalsschlägen leichter und schneller standzuhalten." (Maehrlein 2015:10)
„Wir können Resilienz verstehen als eine Art psychologisches Immunsystem, das die innersten Stabilisierungs- und Heilkräfte umfasst." (Dorst 2015:13)
„Resiliente Menschen zeichnen sich auf der Basis von Fähigkeiten dadurch aus, dass sie mit Zuversicht, Gelassenheit, Selbstvertrauen, Mut, Menschlichkeit und viel Konsequenz und Disziplin die Herausforderungen angehen, die ihnen das Leben stellt." (Mourlane 2015:23)
„Resilienz ist die Fähigkeit von Menschen, Teams und Organisationen, Störungen oder Krisen rechtzeitig durch Zugriff auf vorhandene und angebotene Ressourcen aktiv anzugehen, sie zu meistern und diese Lernprozesse als Anlass für Entwicklung und Wachstum zu nutzen." (Unkrig 2017:7)
„Es gibt die Möglichkeit, aus (…) zerrütteten Herausforderungen gestärkt und bereichert hervorzugehen. Die Psychologie nennt die Fähigkeit und die Schritte, die dabei notwendig sind, Resilienz." (Siegrist 2017:9)
„Resiliente Menschen konzentrieren sich auf das, was sie wirklich wollen." (Siegrist 2017:7)
„Am Ende ist der Weg zur Resilienz nichts anderes als der Weg zu sich selbst." (Siegrist 2017:10)
„Organisationale Resilienz ist die Fähigkeit einer Organisation, sich in einem verändernden Umfeld zu integrieren und anzupassen." (ISO 2017 – Übersetzung ERU)
(Organisationale) Resilienz bedeutet „nicht nur, dass das Unternehmen schnell und situationselastisch auf die neuen Anforderungen reagieren kann, sondern beinhaltet viel mehr: „Antizipation der Krise, Krisenverhalten, Regeneration von der Krise.
(Heller/Gallenmüller 2017:60 f)
„Resilienz bezeichnet die Fähigkeit von Systemen – seien dies Menschen oder Organisationen –, ihre Souveränität und Lebenskraft selbst unter widrigsten Bedingungen zu bewahren und sich nach Rückschlägen schnell zu erholen." (MZG 2018)
Die Definitionsbeispiele variieren hinsichlich der in Abb. 1 gezeigten Orientierung und zudem vor allem hinsichtlich drei Dimensionen. Einige Definitionen konzentrieren sich einfach auf die Rückkehr zur Ausgangslage, während sich andere Definitionen auf die Fähigkeit beziehen, gestärkt aus einer Krise hervorzugehen (Wildavsky 1988:77, siehe vertiefend auch Sullivan-Taylor/Wilson 2009). Letztere eröffnen im Resilienzkonzept den Blick auf Lernen. Hinzu kommt als dritte Dimension die Zeit: Treten die resilienzfördernden Verhaltens- und Handlungsweisen bereits zu Beginn oder im Verlauf der Krise auf und gehen damit Prozesse einher, die eine weitere Eskalation verhindern? Oder treten resilienzfördernde Verhaltens- und Handlungsweisen erst nach der Krise auf und verhindern, dass Erkenntnisse beziehungsweise Ergebnisse die Beteiligten in „Schockstarre" fallen lassen?
Ein einheitliches Verständnis wird zudem dadurch behindert, dass trotz Beibehaltung der genannten sieben Resilienzfaktoren aus der Langzeitstudie von Werner (Werner 1992) und der Veröffentlichung von Reivich und Shatté (Reivich/Shatté 2012) in Texten häufig selbst beim gleichen Autor unterschiedliche Definitionen mit unterschiedlichen Blickwinkeln, Prioritäten und/oder Ausrichtungen (und damit auch dem mentalen Model des jeweiligen Autors) verwendet werden. Das kann durchaus aus Reflexion und Lernen resultieren, es kann jedoch auch Ursachen in der „Vermarktung" von Resilienz bei unterschiedlichen Zielgruppen haben.
Wenn Konzepte nicht von Beginn an durch eine Definition klar und nachvollziehbar definiert sind, dann steigt die Gefahr, dass sie missverstanden, nicht ernst genommen und zur Seite gelegt werden. Unklare Konzepte führen vor allem in Systemen zu Verwirrung, behindern Verstehen und in der Konsequenz die Entwicklung geteilten Wissens sowie die Umsetzung. Gerade das resiliente Unternehmen erfordert jedoch ein in sich logisch nachvollziehbares Konzept (inklusive der Definition) über die personalen und organisationalen Level hinweg. Und dies ist auch notwendig, um nicht dem sogenannten Framing zu verfallen, also komplexe Sachverhalte oder Informationen so zu selektieren und zu strukturieren, dass eine bestimmte Problemdefinition, Ursachenzuschreibung, moralische Bewertung und/oder Handlungsempfehlung betont