Achmed schwimmt
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Achmed, Flüchtling aus Ägypten, erlebt nach dem Sinken eines verrosteten Schiffes und dem Verlust seiner Familie, eine Katastrophe nach der anderen. Auch der Teenager stirbt, bevor er Italien, einen Strand bei Catania auf Sizilien, erreicht. Zur gleichen Zeit suchen sich Claudio und Sara, Redakteure einer Schülerzeitung das Thema Flüchtlinge aus, die zu Dutzenden tot an den Ufern ihrer Heimatstadt unter dem Ätna liegen. Dabei legen sie sich mit dem Statthalter der Mafia an, der an den Flüchtlingen gut verdient. Doch Don Giovanni liegt im Sterben.
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Buchvorschau
Achmed schwimmt - Marinella van ten Haarlen
Der Anfang
Marinella Charlotte van ten Haarlen
Achmed schwimmt
Deutsche 11. Ausgabe, Januar 2020
In Cooperation with kasaan-media, Johannesburg, (Berea, Hillbrow)
South Africa.
ISBN: 978-3-96593-060-5
11.Ausgabe: September 2019
All Copyrights by Marinella Charlotte van ten Haarlen, 2013
Dies ist ein Roman. Die geschilderten Ereignisse sind frei erfunden. Leider, jedoch in diesem Fall nicht weit hergeholt.
Die geschichtlichen Ereignisse sind rein zufällig. Entsprechen dem Storyboard dieses Buches. Diese haben sehr wenig oder nichts mit der Realität schon überhaupt nicht mit lebenden oder verstorbenen Personen zu tun. Das wäre natürlich rein zufällig. Orientieren sich lediglich an den damaligen und geschichtlichen Gegebenheiten.
Den Kindern dieser Welt gewidmet.
Den syrischen und ägyptischen Kindern.
In Gedenken an die tapferen Paolo Borsellino und Giovanni Falcone, für den Mut gegen einen Feind anzutreten, der mächtiger war als sie. Leider.
Für meine Mutter und meinen Vater,
meinen Geschwistern
Sommer 2013
Achmed schwimmt
Nur langsam kam er wieder zu Bewusstsein, immer wieder verlor er die Kontrolle über seine Beine. Sein Bauch war mit Wasser voll, er würgte und erbrach. Aber es kam nichts heraus. Wie spasmische Zuckungen durchzog ihn ein weiterer Krampfanfall. Die See war aufgepeitscht. Ein scharfer Wind pfiff aus dem Süden, drehte innerhalb von Minuten auf West. Krampfhaft suchte Achmed in den haushohen Wogen nach etwas, an dem er sich festhalten konnte. Seine Hände griffen ins Leere. Als er den Kamm einer Welle erreicht hatte, probierte er den Horizont auszumachen. Es schien unmöglich. Der helle Ozean verschwamm irgendwo im Grau mit dem Himmel, aber die Farben verwischten. Verschwammen in einer trüben Brühe. Der Teil eines Schiffes, ein ganzer, rostiger Aufbau, schleuderte nur wenige Meter an ihm vorbei, dann kam schon der nächste sich brechende Kamm, der wie, in einer weißen Wand, sich Meter hoch vor ihm aufbaute und ihn erneut unter Wasser zog.
Die Strudel waren tückisch und Achmed sparte Kraft, solange er es vermochte und ihn nicht wieder die natürliche Angst vor dem Ertrinken überkam.
Die Strömung ließ ihn los, seine Ohren knackten, als er wie von einem Ungeheuer ausgespien wieder an die Wasseroberfläche kam. Er japste nach Luft. Nach einem Hustenanfall konnte er für ein paar Minuten wieder atmen.
Achmed schwamm, wieder trieb eine Tonne an ihm durch die Wellen vorbei. Der Wind zischte leise, wie ein hoher Ton. Er spuckte, hustete Wasser, sein Magen brannte von dem Salz, seine Rückenmuskeln begannen zu krampfen. Er verlor jede Sekunde mehr Kraft, zitterte am ganzen Körper. Es war dunkel geworden, durch die schäumende Gischt konnte er nur schwerlich erkennen, was sich in einigen Metern Entfernung abspielte. Der aufgezogene Sturm hörte nicht auf, im Gegenteil, dieser verstärkte sich. Achmed beschloss das Treiben inmitten des Meeres als eine Art Spiel zu sehen, da er sonst fürchtete, wahnsinnig zu werden. Ein Baumstamm aus Mahagoni, der sich sicher aus einer Fracht gelöst hatte, die ein Schiff über den Ozean einst schipperte, traf ihn fast in diesem Moment, flog nur haarscharf an seinem Kopf vorbei.
„Wo war das Schiff?", flüsterte der junge Mann. Es war das letzte, an was sich Achmed erinnern konnte, bevor er bewusstlos geworden war.
Was war in der Zwischenzeit geschehen? Wo war er, wo war das nächste Land?
In der Entfernung hörte er das Geräusch eines tiefen Brummens, das langsam näher kam und sich dann wieder entfernte. Es waren nur Minuten.
Ein Schiff zog vorbei.
Die Qualen in dem linken Bein wurden unerträglich. Das Meer wirkte wie ein Monster auf ihn; langsam begann es, zu regnen. Achmed öffnete den Mund, um das frische Wasser zu schlucken. Es erfrischte ihn, machte ihn wieder wach.
Der Regen prasselte auf seinen Kopf. Es wollte nicht mehr aufhören, nach kurzer Zeit fühlte sich seine Haut wie mit Sandpapier geschliffen an.
Achmed war seit Stunden in den riesigen, sich aufschaukelnden, Wellen gefangen. Er fühlte sich wie in einem Karussell, indem er gegen seinen Willen hin-und her geschleudert wurde.
Achmed schwamm weiter, er versuchte sich zu drehen, verglich seine Lage im Geiste mit einer riesigen Wüste, die er ohne Hilfe durchqueren musste. Die Flosse eines Fisches berührte sein Bein, er riss es zur Seite. Es war Angst, reine Fantasie. In der Welle sah er das Tier, es war größer und sicherlich auch schwerer als er. Er schätzte den silberglänzenden Fisch auf drei bis vier Meter Länge. Dieser verschwand in der rauen See nach rechts. Norden, Westen, Osten, Süden?
Achmed dachte an seinen Onkel Hassan, der in Kairo lebte und 2006 nach Syrien gegangen war, als er Fatima kennenlernte. Nun war auch Fatima tot, vergast durch Assad oder wen auch immer. Es war ein paar Tage erst her. Achmed wurde kalt, er drohte wieder bewusstlos zu werden. Er spürte eine intensive Gänsehaut. Plötzlich halluzinierte er seine Nachbarn, jede Familie, die in den nächsten Häusern in Kairo gelebt hatte. Der Junge roch das Aroma des Brotes aus dem Ofen, selbst die Sonne schien auf seine Haut. Für einige Zeit wärmte sie ihn. Dann hörte er den Ruf seiner Mutter, das Brot zu kosten.
„Wo ist das Schiff?", röchelte er augenblicklich. Es gab sicher einen gewaltigen Knall, ein Knirschen und ein Klopfen, ein Tosen. Fragmente seiner Erinnerung kehrten zurück. Dann plötzlich platzte das Deck, eine riesige Wasserfontaine spritzte hoch, das ohrenbetäubende Wehklagen der Frauen der Kinder- dann hörte er Stimme seines toten Vaters, er sah ihn nochmals, wie er in das weiße Leichentuch eingenäht wurde. Die dunkle Erde, die kurz nach der Beerdigung den Körper bedeckte. Die vielen Gebete, die Freunde und Nachbarn sprachen. Vor zwei Wochen in Kairo.
Wo war Kairo? Wo der Nil?
Es waren die Zeiten der Revolution. Oder das, was andere als diesen Umbruch bezeichneten, um eine Ausrede für Gewalt und Mord zu haben.
Wo war Ali, sein großer Bruder, der ihn zuvor immer beschützt hatte?
Seine Schwester Leila, die von Männern angefasst wurde, die ihr die Kleidung vom Leib rissen, als sie versuchte, zu fliehen. „Deine Vagina gehört allen!", lachten die Männer, schrien und johlten vor Freude. Sonst mischten sie sich unter die guten Bürger Ägyptens, um mit Molotowcocktails oder gezielten Schüssen in die Menge, Unruhe zu stiften. Es war offensichtlich, dass die Frauen, die Mütter des Tahir Platzes, vergewaltigt werden sollten. So benahm sich kein guter Moslem oder Christ. Was war der Unterschied, im Tod waren alle Gläubigen gleich. Sie hetzten Leila wie eine wilde Bestie durch die brennenden Straßen von Kairo. Der schwarze Rauch von dem qualmenden Plastik war so dicht, dass niemand mehr atmen konnte. Niemand sah die Schatten in der Nacht. Die Bestien in Menschengestalt nahmen sich ihre Beute. Wie eine Glocke stand die schwarze Asche über der ägyptischen Metropole. Vierzig, fünfzig Männer hetzten eine Frau. Später, als sie wie eine Fackel durch die Straße lief, dachte er an die Zeit, als Obama mit dem Spruch „Yes, we can!"