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Liebe mit 61 Tasten: (Liebe mit... Teil 3)
Liebe mit 61 Tasten: (Liebe mit... Teil 3)
Liebe mit 61 Tasten: (Liebe mit... Teil 3)
eBook658 Seiten8 Stunden

Liebe mit 61 Tasten: (Liebe mit... Teil 3)

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Über dieses E-Book

Teil 3 der Liebe mit-Reihe

Celine träumt vom Durchbruch als Autorin, doch momentan leidet sie unter einer Schreibblockade. Von der Bassistin Talina erhält sie den Vorschlag, ein Buch über eine Band zu schreiben. Um sich Inspiration zu holen, besucht die unmusikalische Celine die Proben von Devils on earth.

Bald taucht das Gerücht auf, dass Celine eine Beziehung mit einem Bandmitglied hat. Dabei gibt es momentan nur einen jungen Mann in ihrem Leben: Till, ihren kleinen Sohn.

Reihenfolge der Liebe mit-Reihe:

1) Liebe mit Bass

2) Liebe mit Rhythmus

3) Bonusstory: Urlaub mit Bass

4) Bonusstory: Weihnachten mit Bass

5) Liebe mit 61 Tasten

Liebe mit 61 Tasten kann unabhängig von den anderen Teilen gelesen werden.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum18. Dez. 2018
ISBN9783743888265
Liebe mit 61 Tasten: (Liebe mit... Teil 3)

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    Buchvorschau

    Liebe mit 61 Tasten - Stella-Anien Holz

    Vorwort

    Der Großteil dieser Handlung spielt in der fiktiven Großstadt Salzhausen. Aber es wurden auch reale Orte, wie zum Beispiel die Edelstein-Stadt Idar-Oberstein, eingebaut.

    Prolog

    Wenn dir jemand sagt, dass ihr reden müsst, bedeutet das meistens nichts Gutes.

    „Celine, wir müssen reden."

    Ja, auch zu mir hat jemand diesen Satz gesagt, allerdings nicht mein Freund, der sich von mir trennen will. Mit Trennung hat es trotzdem irgendwie zu tun.

    Schweigend folge ich meinem Vater ins Wohnzimmer, wo bereits meine eineiige Zwillingsschwester Celeste, meine jüngere Schwester Claire und unsere Mutter sitzen. Mein Bauch kribbelt unangenehm, denn ich weiß, dass etwas vorgefallen ist. Ich nehme gegenüber Celeste Platz und tausche Blicke mit ihr aus. Auch sie scheint keine Ahnung zu haben. Claire dagegen beobachtet unsere Eltern mit großen Augen. Zu ihrem zwölften Geburtstag in zwei Wochen hat sie sich einen Hund gewünscht. Jetzt glaubt sie wahrscheinlich, dass sich dieser Wunsch erfüllt.

    Ach, Claire, es tut mir leid, denke ich.

    Unser Vater seufzt und sieht zu unserer Mutter. „Carlynne."

    Sie nimmt seine Hand und nickt.

    „Ihr lasst euch doch nicht etwa scheiden?!", kreischt Celeste, und ihre Spucke fliegt mir entgegen.

    Claires eben noch fröhliche Miene verfinstert sich, und ihre Lippe zittert. „Baba, Maman, nein!"

    Eine Träne läuft ihre Wange hinab, und Celeste nimmt sie in die Arme.

    Unsere Eltern schütteln synchron ihre Köpfe, als hätten sie es vorher einstudiert.

    „Was ist es dann? Sagt es endlich!" Celeste schließt die Augen, als hätte sie Angst vor der Wahrheit.

    „Ihr könnt euch beruhigen. Arif und ich wollen uns nicht trennen, versichert uns unsere Mutter. „Es wird sich trotzdem etwas ändern, etwas Entscheidendes.

    „Kommt bitte zum Punkt!" Celestes Stimme ist schrill wie eine Trillerpfeife.

    Till schreit, und ich springe automatisch auf. „Wartet, bis ich wieder da bin!"

    Celeste verdreht ihre Augen. „Kannst du nicht noch zwei Minuten warten?"

    Ich schaue zu unserer Mutter, die mir zunickt. „Geh nur, Celine! Wir warten!"

    „Ich beeile mich", verspreche ich und renne ins Kinderzimmer, wo mein kleiner Sohn mit hochrotem Kopf in seinem Gitterbett sitzt, und schluchzt.

    „Ist ja gut, mein Schatz, ich bin da", spreche ich ihn an und beuge mich zu ihm.

    Mit seinen großen, dunklen Augen sieht er mich an und streckt seine Arme nach mir aus. „Mama."

    Summend nehme ich ihn auf den Arm, drücke ihn an mich und tätschele seinen Hinterkopf. Er ist bereits dreizehn Monate alt, zahnt allerdings erst seit ein paar Tagen. Das kühlende Gel scheint seine Schmerzen nicht zu lindern, also trage ich ihn ins Wohnzimmer.

    Celeste klatscht mit ihren Händen auf ihre Oberschenkel. „So, jetzt spannt uns nicht weiter auf die Folter!"

    Unser Vater legt unserer Mutter einen Arm um die Schultern und zieht sie zu sich. „Ihr wisst, dass kaum noch Touristen nach Ägypten kommen. Das Hotel, in dem ich arbeite, wird schließen. Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Ich habe bereits eine neue Stelle angenommen und fange dort in zwei Monaten an."

    „Aber es ist nicht weit von Hurghada entfernt?", frage ich, während ich Till auf meinem Schoß schaukele.

    Er verzieht das Gesicht. „Ein gutes Stück."

    „Was meinst du damit?", hakt Celeste nach.

    „Deutschland."

    „Deutschland?", wiederholen Celeste, Claire und ich wie aus einem Mund.

    „Bedeutet das, dass du uns verlässt?", möchte Celeste wissen, und Claire weint nun richtig.

    „Nein, ich verlasse euch nicht. Ihr begleitet mich natürlich."

    Kapitel 1 Auf Wiedersehen, Hurghada

    Die Wellen umspielten meine Knöchel, und ein sanfter Wind wehte mir meine dunklen Haare ins Gesicht. Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich, die Erinnerung an das Rote Meer einzusaugen.

    „Adda." Till, der neben mir stand und meine Hand hielt, winkte, und ich bückte mich zu ihm.

    „Ja, mein Schatz, wir gehen weg von hier."

    Eigentlich wollte ich nicht umziehen. Ägypten war meine Heimat. Hier war ich geboren und großgeworden. Meine Mutter hatte sich vor dreiundzwanzig Jahren im Urlaub verliebt. Für meinen Vater hatte sie ihr Leben in Kanada aufgegeben und war bei ihm in Hurghada geblieben.

    Leider konnte ich mir keine eigene Wohnung leisten. Der Aushilfsjob, den ich angenommen hatte, reichte dafür nicht aus. Zwar hatte ich mir etwas gespart, doch davon wollte ich mir eines Tages ein Auto kaufen.

    Weder zur Verwandtschaft noch zu Freunden konnte ich ziehen, also blieb mir nichts anderes übrig, als mit meiner Familie nach Deutschland zu gehen.

    Allein würde ich es nicht schaffen – noch nicht. Deswegen war ich froh, dass mir meine Eltern, besonders bei Tills Erziehung, beistanden.

    Als ich erfahren hatte, dass ich schwanger war, hatte mir das den Boden unter den Füßen fortgerissen. Ich hatte gewusst, dass ich vom Vater keine Unterstützung erwarten konnte. Es war nur eine kurze Affäre gewesen, die nicht ohne Folgen geblieben war. Jedenfalls war es das, was ich mir selbst einredete. So fiel es mir leichter, über ihn hinwegzukommen.

    Niemals wieder würde ich mich auf so etwas einlassen, obwohl ich glücklich war, dass ich Till hatte. Mit seinem zahnlosen Lachen vertrieb er selbst die düstersten Gedanken. Ja, er war nicht geplant gewesen, aber um nichts in der Welt wollte ich ihn missen.

    Vielleicht erhielt ich bald Antwort von Tante Leonice, der Schwester meiner Mutter. Sie lebte noch in Kanada und besaß einen kleinen Buchladen. Meine beste Freundin Zahide und ich träumten davon, eines Tages dort zu arbeiten. Möglicherweise konnten wir diesen Plan früher als gedacht realisieren.

    Telefonisch hatte ich Leonice nicht erreicht; auch auf meine E-Mail hatte ich bisher keine Antwort erhalten.

    Till zupfte an meinem Rock und riss mich aus meinen Gedanken. „Bu… Bu."

    Ich nahm ihn auf den Arm und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Wir bauen eine Sandburg."

    „Ja. Er klatschte in die Hände. „Mama Beste.

    „Celine." Zahide rannte uns winkend entgegen.

    Till wurde zappelig und zeigte mit dem Finger auf sie. „Sahi."

    „Langsam, mein Schatz, du darfst ja zu ihr." Ich stellte ihn auf den nassen Sand, und er tapste auf Zahide zu.

    Sie strahlte ihn an und streckte die Arme nach ihm aus. „Na, komm her, Kleiner!"

    „Hilfst du uns, eine Sandburg zu bauen?", fragte ich sie.

    Zahide nickte und nahm Tills Hand. „Wir bauen die größte und schönste Sandburg der Welt."

    Zur Begrüßung drückte ich sie kurz an mich, bevor wir uns neben meinen Sohn knieten.

    „Wie lange haben wir Zeit?" Sie begann, einen Hügel aus Sand zu bilden.

    „Zwei Stunden", antwortete ich und warf einen Blick zum wolkenlosen Himmel.

    In nicht einmal einhundertzwanzig Minuten mussten Till und ich zurück nach Hause, damit ich die restlichen Sachen einpacken konnte.

    Unser Vater war ein paar Tage nach Deutschland gereist, um einige Formalitäten zu regeln. Der Großteil unserer Möbel und anderen Dinge war bereits in unserem neuen Haus. Baba sollte eigentlich in Deutschland bleiben, doch auf Claires ausdrücklichen Wunsch kehrte er nach Ägypten zurück, um gemeinsam mit uns zu fliegen.

    „Wir werden jede Sekunde ausnutzen", erwiderte Zahide.

    Till lachte und stampfte den Hügel nieder. „Oh, putt putt."

    Sie schnappte ihn sich und kitzelte ihn. „Du Räuber. Jetzt hilfst du mir aber."

    Er schüttelte den Kopf und zeigte auf sie. „Du allein."

    Zahide grinste. „Du kommandierst ganz schön. Du hast Glück, dass du so ein süßes Kerlchen bist. Sie wandte sich mir zu. „Bei ihm musst du aufpassen. Er wird später einmal ein richtiger Charmeur.

    „Mich wickelt er jetzt schon um den Finger", entgegnete ich und streichelte über Tills Kopf.

    Zahide strich sich eine Strähne ihres schulterlangen, schwarzen Haares hinters Ohr. „Ihr werdet mir fehlen."

    Seufzend schlang ich meine Arme um ihre Schultern. „Wir werden dich auch vermissen. Du kommst uns doch in Deutschland besuchen, und nicht erst an meinem Geburtstag."

    Bis ich einundzwanzig Kerzen auf meinem Kuchen auspusten konnte, dauerte es noch zehn Monate.

    „Klar, ich habe bereits angefangen, für den Flug zu sparen", sagte sie und türmte den Sand zu einem neuen Hügel auf.

    Till klatschte, und sie breitete schützend ihre Arme vor ihrem Bauwerk aus. „Wehe du zerstörst meine Burg wieder."

    Er gluckste und lief um den Hügel herum. „Höher."

    „Gleich, wir brauchen Wasser. Habt ihr einen Eimer?" Sie erhob sich und klopfte sich den Sand von den Knien.

    „Ja, da hinten liegen die Sachen." Mit dem Kinn deutete ich in die entsprechende Richtung.

    Sie wuschelte durch meine Haare. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?"

    „Sahi, nein!", rief Till und brachte mich damit zum Lachen.

    „Mein tapferer Beschützer."

    Zahide kehrte mit den Spielsachen zurück. „Ein Verehrer wird es schwer bei dir haben."

    Ich umarmte Till und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Für mich gibt es nur einen jungen Mann in meinem Leben."

    Die Sandburg gewann an Höhe und nahm langsam Form an.

    „Habe ich das nicht prophezeit? Das ist die schönste Burg, die jemals gebaut wurde. Habe ich recht, Till?" Zahide blickte zu meinem Sohn.

    Er riss die Arme nach oben. „Ja."

    Ich bemühte mich um ein Lächeln. Es gelang mir nicht, denn meine beste Freundin hob eine Augenbraue.

    „Wenn ich die Fähigkeit hätte, die Zeit anzuhalten, hätte ich es schon längst getan." Mit dem Finger malte ich Kreise in den feuchten Sand.

    Zahide krabbelte auf mich zu und legte den Arm um meine Schultern. „Mir wäre es auch lieber, wenn du bleiben würdest. Wir müssen uns versprechen, dass die Entfernung nichts an unserer Freundschaft ändert."

    Seufzend lehnte ich mich an sie. „Wir werden in Kontakt bleiben."

    Till stapfte auf mich zu, ließ sich vor mir auf den Boden plumpsen und kuschelte sich an mich.

    „Celine!"

    Die Stimme meiner kleinen Schwester hallte in meinen Ohren wider. Leider war sie keine Fata Morgana.

    Claire stand mit gerötetem Gesicht vor uns und schnaufte. „Wo bleibt ihr? Maman hat mich geschickt. Ich soll euch holen. Sie stockte und hielt ihre Hand an ihre seitliche Bauchregion. „Ich bin den ganzen Weg gerannt; jetzt habe ich Seitenstechen.

    Zahide sprang auf die Beine. „Ich weiß, was dagegen hilft. Mach es mir einfach nach!"

    Sie streckte die Arme nach oben und atmete ein, ehe sie den Oberkörper nach vorne beugte, die Arme baumeln ließ und ausatmete.

    Claire sah zu mir, und ich nickte ihr zu. „Versuch es, Claire! Es hilft."

    Zahide und ich joggten regelmäßig am Strand entlang. Das gehörte nun der Vergangenheit an.

    Claire trat von einem Fuß auf den anderen. „Lass uns lieber gehen! Maman und Baba warten."

    „Moment!, sagte Zahide. „Ohne ein letztes gemeinsames Foto lasse ich dich nicht gehen.

    Zustimmend nickte ich. „Vor der Burg."

    Zahide drückte Claire ihr Handy in die Hand. „Du machst das Foto."

    Ich hockte mich neben Zahide vor unser sandiges Bauwerk. „Till, komm her!"

    Till lachte und stellte sich zwischen uns. Zahide legte eine Hand auf meine Schulter, während ich meinen Arm um seinen Bauch schlang.

    Claire drückte mehrmals auf den Auslöser. „Genug Fotos. Jetzt müssen wir."

    Zum Abschied umarmte ich Zahide. „Wir sehen uns."

    Sie nickte mir zu. „Bis ganz bald."

    „Claire, nimmst du bitte die Buddelsachen?", wandte ich mich an meine kleine Schwester.

    Sie kniff ihre Augen zusammen. „Bin ich dein Packesel?"

    Grinsend hob ich Till hoch. „Nein, du bist meine nette Schwester, die mir gerne diesen Gefallen tut."

    Sie murmelte etwas Unverständliches, stapfte allerdings auf die Sachen zu und sammelte sie auf.

    „Danke, du bist die Beste", meinte ich.

    „Ja, ja, schon gut. Jetzt wird es wirklich Zeit." Claire zog mich am Ärmel meiner Tunikabluse.

    „Okay, ich komme mit, erwiderte ich. „Till, verabschiedest du dich noch von Zahide?

    Till winkte ihr zu. „Tüss, Sahi. Adda."

    Zahide stupste seine Nase an. „Auf Wiedersehen, kleiner Räuber. Tschüss, Celine."

    Nur widerwillig folgte ich Claire zu unserem Haus. Morgen um diese Zeit waren wir bereits in Deutschland. Sprachschwierigkeiten würden wir keine haben. Unsere Eltern hatten uns dreisprachig – Französisch, Arabisch und Deutsch – aufgezogen. Trotzdem breitete sich ein mulmiges Gefühl in meinem Inneren aus.

    Würden Till und ich uns in einem anderen Land wohlfühlen?

    Nein, ich hatte eindeutig nicht die Fähigkeit, die Zeit anzuhalten oder ein Ereignis zu ändern. Sonst hätte ich nicht in das Flugzeug steigen müssen, das uns in ein fremdes Land brachte. Till saß auf meinem Schoß und hielt sein Lieblingskuscheltier, ein Kamel, fest. Celeste, die den Platz neben mir ausgesucht hatte, blätterte in einer Zeitschrift und zwirbelte sich eine Strähne um ihren Finger. Unsere Haare waren ein Indikator, an dem man uns unterscheiden konnte. Während ich meine Mähne jeden Morgen glättete, mochte sie ihre Naturlocken.

    Till gähnte und kuschelte sich an mich. Meinen Sohn fest umschlungen, warf ich einen Blick aus dem Fenster. Die Wolken erinnerten mich an Zuckerwatte, und plötzlich hatte ich Lust auf etwas Süßes. Das Sandwich, das uns die Flugbegleiterin serviert hatte, hatte meinen Hunger nicht gestillt.

    Claire, die mit unseren Eltern eine Reihe hinter uns hockte, lachte laut auf. „Maman, sieh nur die Giraffe, wie sie versucht, Ballett zu tanzen."

    Somit wusste das gesamte Flugzeug, dass sich meine kleine Schwester den Comic auf Kanal 2 anschaute.

    In diesem Moment entdeckte ich den Flugbegleiter, der einen Servierwagen hinter sich herzog. Als er an unserer Sitzreihe stehen blieb, kaufte ich eine Tafel Vollmilch-Schokolade. Celeste lehnte dankend ab, als ich ihr ein Stück anbot.

    Claire brach die halbe Tafel für sich ab. „Danke."

    „Gib Maman und Baba etwas ab!", forderte ich sie auf.

    Unsere Mutter schüttelte den Kopf. „Ich brauche nichts. Danke. Eine Sekunde auf der Zunge, und ein Leben lang auf der Hüfte."

    Unser Vater rollte mit den Augen. „Carlynne, du siehst toll aus. Außerdem würden dir ein paar Kilos mehr auf den Rippen gut stehen."

    „Ohne Nüsse", fügte ich hinzu.

    Maman, Celeste und ich waren gegen Erd- und Haselnüsse allergisch.

    „Na schön, ein klitzekleines Stück kann nicht schaden."

    Ich biss von meiner restlichen Schokolade ab und ließ sie im Mund schmelzen.

    Bis wir in Deutschland waren, dauerte es noch gut zwei Stunden. In der Zwischenzeit konnte ich ein kleines Nickerchen halten.

    Ich hauchte einen Kuss auf Tills Kopf und lehnte mich zurück.

    „Wir befinden uns im Landeanflug. Bitte stellen Sie Ihre Rückenlehne in eine aufrechte Position und klappen Sie die Tische nach oben."

    Die Stimme des Piloten riss mich aus meinem Traum.

    Blinzelnd drehte ich meinen Kopf zu Celeste. „Wie spät ist es?"

    Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Kurz nach halb vier. Wir landen bald."

    „Dann sollte ich Till wecken."

    Von unserer Mutter, die Krankenschwester war, wusste ich, dass es besser war, wenn er bei Start und Landung trank.

    „Till, mein Schatz, wir sind gleich in unserer neuen Heimat", wisperte ich und strich über seine Wange.

    Er schlug die Augen auf und fing zu weinen an. Celeste überreichte mir seine Trinkflasche, die ich im Rucksack unter dem Sitz verstaut hatte.

    Till quengelte, weil er die Flasche allein halten wollte.

    „Nein, ich helfe dir", blieb ich hartnäckig, wusste ich doch allzu gut, wie oft und gerne er sie fallen ließ, und lachte, wenn ich sie wieder aufhob.

    Um ihn zu beruhigen, summte ich ihm vor.

    Celeste tippte mich an. „Kannst du bitte damit aufhören? Du bist die unmusikalischste Person, die ich kenne. "

    „Till mag es. Du musst ja nicht zuhören, wenn es dir nicht gefällt, entgegnete ich grinsend. „Schon gut. Dieser Druck auf die Ohren macht mich wahnsinnig. Sie wandte sich wieder ihrer Zeitschrift zu. „Bin ich froh, wenn ich endlich aus diesem Flugzeug steigen kann."

    „Das bin ich auch", stimmte ich ihr zu und sah aus dem Fenster.

    Gerade tauchten wir durch ein Meer aus Wolken, und mein Bauch begann zu kribbeln. Außer den drei, vier Besuchen in Kanada war ich in meinem Leben noch nie außerhalb Ägyptens gewesen. Ab sofort würde ich nicht nur in einem anderen Land wohnen, sondern sogar auf einem anderen Kontinent.

    Inzwischen war das Flugzeug so weit gesunken, dass ich Details erkennen konnte. Die Gegend war mit einer weißen Schicht bedeckt, und meine Augen vergrößerten sich. Bisher kannte ich Schnee nur vom Hörensagen.

    „Till, ist das nicht schön? Wir werden bald unseren ersten Schneemann bauen."

    Till schniefte. „Bu."

    Lächelnd küsste ich ihn auf die Wange und wischte ihm eine Träne fort. „Vielleicht haben wir Glück, und es ist genug Schnee gefallen. Dann können wir eine Burg bauen."

    „Ja." Er gluckste und drückte sein Kuscheltier an sich.

    Das Flugzeug setzte auf der Landebahn auf, und sofort fingen einige Passagiere an zu klatschen.

    „Willkommen in Deutschland, Till", sagte ich zu meinem Sohn.

    Kapitel 2 Willkommen in Deutschland

    Meine Knie schlotterten. Ob es an der Kälte oder der Aufregung lag, wusste ich nicht. Vermutlich spielten beide Faktoren eine Rolle.

    Unsere Mutter seufzte und faltete die Hände. „Endlich sind wir da. Das ist unser neues Zuhause."

    „Maman, das ist so nicht ganz richtig. Wir sind erst am Flughafen. Oder möchtest du hierbleiben?", zog ich sie auf.

    „Du weißt, wie ich das meine." Sie sah auf das Gepäckband, wo die ersten Koffer erschienen.

    Till streckte die Arme nach mir aus, und ich hob ihn hoch.

    „Wenn er dir zu schwer wird, kann ich ihn auch tragen", bot Celeste an.

    „Danke, das ist nett von dir. Im Moment geht es noch", erwiderte ich.

    „Wann bekomme ich denn meinen Hund?", mischte sich Claire an.

    „Ist das deine einzige Sorge?" Celeste schüttelte den Kopf.

    Claire ignorierte sie und wandte sich unserem Vater zu. „Baba, du hast es mir versprochen."

    „Können wir vielleicht erst in unser neues Haus fahren? Sobald wir uns eingelebt haben, schauen wir im Tierheim nach", sagte er.

    Claire ließ nicht locker. „Maman."

    Unsere Mutter legte den Zeigefinger an ihre Lippen. „Sois calme! Sakkir fammak! Sei ruhig!"

    Wir anderen zuckten zusammen. Wenn sie uns dreisprachig belehrte, bedeutete das nichts Gutes. Sie war normalerweise eine Person mit einer hohen Reizschwelle. Aber irgendwann verlor auch der geduldigste Mensch die Beherrschung.

    „Da ist mein Koffer." Celeste zeigte auf das neongrüne Gepäckstück, das gerade auf dem Band erschien.

    Ich hätte mir auch so einen auffälligen Koffer kaufen sollen, dachte ich. Dann würde ich ihn leichter finden.

    Mein schwarzes Reisegepäck glich der Mehrheit der anderen Koffer, sodass ich immer einen Blick auf das Adressschild werfen musste, nur um festzustellen, dass ich nicht der Eigentümer war.

    „Oh, und da ist meiner." Unsere Mutter lachte schon wieder und zog ihren Koffer vom Band.

    Auch Claire und mein Vater hatten inzwischen ihr Gepäck.

    „Meiner", rief Till, der seinen Dinosaurier-Rucksack entdeckt hatte.

    „Baba, nimmst du ihn bitte?", wandte ich mich an unseren Vater.

    Er nickte und griff danach. „Jetzt fehlt nur noch dein Koffer."

    Wir warteten und warteten. Das Förderband lief und lief. Mein Gepäck… kam nicht. Zum Glück standen dort noch andere Passagiere. So viele Koffer konnten doch nicht verloren gehen.

    Claire wippte vor und zurück. „Mir ist langweilig. Wann fahren wir endlich?"

    „Mein Koffer fehlt immer noch", erklärte ich ihr.

    „Bin ich daran schuld?" Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

    „Claire, es reicht jetzt!, mischte sich unser Vater ein. „Wir sind alle erschöpft. Celines Koffer wird bald auftauchen, und solange wirst du dich gedulden müssen.

    Sie seufzte so laut und dramatisch, als wollte sie sich für eine Hauptrolle in einem Theaterstück bewerben.

    „Mama, da!" Till zeigte auf das Förderband, dem ich sofort meine ganze Aufmerksamkeit widmete.

    Endlich, dachte ich, als weitere Gepäckstücke erschienen.

    „Celine Shawky, las Celeste laut vor. „Das ist deiner.

    Die Passkontrolle lief vergleichsweise problemlos, worüber die gesamte Familie froh war.

    Als wir das Gebäude verließen, quietschte Claire auf. „Au, ist das kalt."

    Da konnte ich sie verstehen. Es war zwar Mitte März, doch der Winter hatte Deutschland – zumindest diese Gegend – noch immer unter Kontrolle. Ein eisiger Wind wehte mir ins Gesicht, und ich drückte Till näher an mich. Die Kälte drang durch meine Kleidung und wickelte sich um meine Haut, auf der sich eine Gänsehaut gebildet hatte. Meine Zähne klapperten, und ich versuchte, durch die Nase zu atmen. Wir brauchten dringend Winterjacken. Unsere dünnen Mäntel verloren den Kampf gegen die Kälte.

    Ein Mann, ungefähr im Alter unserer Eltern, trat auf uns zu. „Familie Shawky?"

    Unser Vater nickte. „Ja, und Sie müssen Herr Ziegler sein. Guten Tag."

    „Guten Tag. Herr Ziegler streckte ihm seine Hand entgegen, zog sie dann jedoch wieder zurück. „Nun, ich bin mir nicht sicher…

    „Händeschütteln ist in Ordnung", erwiderte unser Vater.

    Herr Ziegler atmete hörbar auf und lachte. Nachdem er uns alle begrüßt hatte, folgten wir ihm zu einem schwarzen Kleinbus.

    Er überreichte unserem Vater den Autoschlüssel. „Bitte sehr, das ist jetzt Ihr 9-Sitzer. Einen Kindersitz habe ich wie versprochen eingebaut. Haben Sie sonst noch irgendwelche Fragen?"

    Baba schüttelte den Kopf. „Danke, das wäre erst einmal alles. Wir sind müde und wollen endlich in unser Haus."

    Herr Ziegler nickte. „Natürlich, das verstehe ich. Wenn Sie bei irgendetwas Hilfe benötigen, wissen Sie, wo Sie mich finden."

    Er verabschiedete sich und winkte uns zu.

    „Ich sitze ganz hinten", rief Claire.

    Noch ehe wir anderen reagieren konnten, öffnete sie die Schiebetür und kletterte in den Wagen.

    Till zeigte darauf. „Brumm."

    Lächelnd vergrub ich meine Nase in seiner Halsbeuge. „Ja, wir fahren jetzt mit dem Auto, mein Schatz."

    Nachdem ich ihn in den Kindersitz gehoben und mich versichert hatte, dass er richtig angeschnallt war, setzte ich mich neben ihn. Meine Finger fühlten sich taub an, als würden sie jeden Moment abfallen. Ich war froh, dass ich nicht länger in der Kälte stehen musste.

    Der Rest der Familie nahm Platz, sodass wir endlich losfahren konnten. Die Straße war geräumt, doch auf den Wiesen lag noch Schnee. Im Sonnenlicht glitzerte er wie Kristalle.

    Das wäre ein schönes Motiv für ein Buchcover, dachte ich, auch wenn ich keine Wintergeschichte schrieb.

    „Wann sind wir da?", wollte Claire von der Rückbank wissen.

    „In einer guten Stunde", erklärte unsere Mutter.

    „Was?" Claires Stimme schrillte wie eine Trillerpfeife und ließ Till zusammenzucken, der gerade eingeschlafen war.

    Ich drehte mich zu meiner kleinen Schwester um. „Kannst du nicht leiser sein?"

    Claire streckte mir die Zunge heraus. „Mir ist langweilig."

    „Warum liest du nicht ein Buch?", schlug ich vor.

    „Es sind nicht alle solche Leseratten wie du", erwiderte Claire.

    „Da muss ich Claire recht geben, mischte sich Celeste ein. „Jetzt willst du auch noch selbst Bücher schreiben. Das wird sowieso nichts.

    „Es ist so motivierend, wie mich meine Zwillingsschwester unterstützt. Frag mich bloß nicht mehr, ob ich dich zu einem Turnier begleite!", gab ich zurück.

    Celeste lachte. „Schon gut. Ich sage nichts mehr gegen die Schriftstellerin in spe."

    Ich nahm meinen Rucksack auf den Schoß und holte das Sachbuch über Hexenverbrennungen im Mittelalter heraus. Es sollte mir als Inspiration für meinen eigenen Roman über eine junge Hexe dienen.

    Der Rest der Fahrt verlief ruhig – abgesehen von einigen Seufzern von Claire.

    „Wir sind da." Unser Vater schnaufte und stellte den Motor aus.

    Celeste, Claire und ich reckten unser Kinn. Bisher hatten wir das Haus nur auf Fotos gesehen.

    Unsere Mutter öffnete die Beifahrertür und stieg aus. „Genau so habe ich es mir vorgestellt."

    Ich krabbelte aus dem Auto und befreite Till aus seinem Sitz. Meinen Sohn auf dem Arm, stellte ich mich neben sie und betrachtete unser neues Zuhause.

    Das rote Schieferdach bildete einen Kontrast zur hellen Außenfassade und den dunklen Balken des Fachwerkes. Die Eingangstür in Bogenform wirkte mit ihren vielen kleinen Fenstern einladend.

    „Wie gefällt es euch?", wollte unser Vater wissen.

    „Das sieht noch komischer als auf den Fotos aus", fand Claire.

    Unsere Mutter faltete die Hände. „Ich habe schon immer von einem Fachwerkhaus geträumt."

    Unser Vater legte den Arm um ihre Schultern und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Das gehört jetzt uns."

    „Wo ist mein Zimmer?" Claire gähnte, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten.

    „Im Obergeschoss", erklärte unser Vater.

    „Können wir dann endlich hineingehen, bevor ich eine Eisstatue werde?", mischte sich Celeste ein, die ihren Mantel enger um sich zog und die Arme verschränkte.

    Er nickte und deutete uns mit dem Kinn an, ihm zu folgen. Kaum hatten wir das Haus betreten, da merkte ich, dass die Luft abgestanden war.

    „Wann wurde das letzte Mal gelüftet?", fragte ich.

    „Vor einer Woche, als ich allein hier war", antwortete Vater.

    Celeste protestierte sofort. „Willst du unbedingt, dass ich erfriere?"

    „Wenigstens fünf Minuten", meinte unsere Mutter, die die Nase rümpfte.

    Gemeinsam mit ihr öffnete ich sämtliche Fenster im Erdgeschoss.

    „Ich lege mich hin. Meinen Koffer hole ich später", entschied Claire und eilte die Treppen hinauf.

    Sie war nicht die Einzige, die froh war, wieder in einem richtigen Bett zu schlafen. Die letzten Tage hatten wir die Nächte in Schlafsäcken auf dem Boden verbracht, weil die Möbel bereits abgeholt worden waren.

    „Ich folge Claires Beispiel", verkündete Celeste.

    Auf der ersten Stufe blieb sie stehen und drehte sich zu uns um. „Und es gibt wirklich einen Pferdehof in der Nähe?"

    „Ja", bestätigte unser Vater.

    Sie nickte. „Das ist gut."

    „Vielleicht sollten wir uns alle ein wenig ausruhen", sagte unsere Mutter.

    „Geht ihr nur! Ich schließe noch die Fenster", erwiderte unser Vater.

    „Warte! Ich helfe dir; dann geht es schneller, bot ich an. „Maman, würdest du bitte Till mit nach oben nehmen?

    „Gerne. Sie hob Till auf den Arm, der den Kopf schüttelte. „Mama.

    „Mein Schatz, ich bin sofort da. Geh mit Oma!", entgegnete ich.

    Till nickte, und ich küsste ihn auf die Stirn. „Bis gleich."

    Nachdem das letzte Fenster geschlossen war, stieg ich die Treppe hinauf. Mein Raum war direkt der erste im Gang, daneben lag Tills Zimmer. Ich schaute bei meinem Sohn vorbei, der in seinem Kinderbett saß und mit seinem Kuschelkamel spielte. Mutter drückte kurz meine Hand und verließ den Raum.

    Ich kniete mich hin und verschränkte meine Arme auf dem Rand des Bettes. „Na, mein Schatz, wie gefällt dir unser neues Zuhause?"

    Er lachte, und man konnte erkennen, dass er endlich seinen ersten Zahn bekam.

    Mein Blick fiel auf die cremefarbene Wand, von der an manchen Stellen die Farbe abblätterte. „Hm, da müssen wir wohl streichen, und ein paar schöne Bilder würden auch nicht schaden."

    Till schlief inzwischen tief und fest, und ich schlich mich auf Zehenspitzen aus dem Raum. Ich betrat mein Zimmer, das ich bis jetzt noch nicht gesehen hatte. Auch hier wollte ich einiges ändern, sobald wir uns eingelebt hatten. Die lavendelfarbene Tapete wollte ich mit einem Vanilleton überstreichen. Auch Fotos von Ägypten würde ich an die Wand nageln. Ein bunter Teppich brachte auch etwas Farbe ins Zimmer. Ich nahm Kissen und Decke aus meinem Koffer und warf sie auf mein Bett. Ich legte mich hin, doch schlafen konnte ich nicht. Jetzt war ich in einem fremden Land. Meine Freunde waren tausende Kilometer weit entfernt. Dafür war meine Familie bei mir. In Hurghada hatte ich die Deutsche Schule besucht und erfolgreich abgeschlossen. Jetzt fehlte mir nur noch ein Ausbildungsplatz. Darum wollte ich mich morgen kümmern. Ich hatte Zahide versprochen, mich zu melden, sobald wir gut angekommen waren. Hoffentlich war das Telefon bereits angeschlossen. Leise summend verließ ich mein Zimmer, um ins Erdgeschoss zu gehen.

    „Celine?" Zahide brüllte so laut ins Telefon, dass ich den Hörer ein Stück von mir entfernt hielt.

    „Ja, ich bin es. Wir sind jetzt in unserem Haus", berichtete ich ihr.

    „Wie gefällt es dir?", wollte sie wissen.

    Ich setzte mich auf den Hocker, der im Flur stand. „Ganz in Ordnung. Die Räume müssen gestrichen werden; ansonsten gibt es bis jetzt nichts auszusetzen. Maman ist begeistert. Du weißt ja, wie sehr sie Fachwerkhäuser liebt."

    „Was macht Till? Hat er die Reise gut überstanden?"

    „Er schläft. Er ist erledigt – wie wir alle."

    „Du solltest dich auch hinlegen", meinte Zahide.

    „Im Moment bin ich nicht müde", erwiderte ich und schlug die Beine übereinander.

    „Du leidest noch unter Reisefieber. Das bessert sich. Haben euch schon eure Nachbarn mit Brot und Salz besucht? Das ist doch so Tradition in Deutschland, oder?"

    „Ich glaube schon. Nein, es war noch niemand da. Wie geht es Junis? Habt ihr euch wieder vertragen?", hakte ich nach.

    Junis war Zahides Bruder. Die beiden zankten sich gerne und oft.

    „Nein. Mit diesem Idioten rede ich nicht mehr."

    Grinsend schüttelte ich den Kopf, obwohl sie das nicht sehen konnte. „Zahide, das sagst du jedes Mal."

    „Dieses Mal meine ich es auch so. Themawechsel. Wie ist das Wetter bei euch?"

    „Kalt, bewölkt. Es liegt Schnee."

    Zahide seufzte. „Wie gerne würde ich einmal in meinem Leben Schnee sehen."

    „Das wirst du. Du kommst mich über Weihnachten besuchen", entgegnete ich.

    „Au ja, und dann besuchen wir einen Weihnachtsmarkt."

    „Das machen wir, bestätigte ich. „Und natürlich wird das nicht dein erster Besuch in Deutschland sein. Ich erwarte, dass du bald vorbeischaust.

    Zahide kannte Weihnachten nur von dem provisorischen Fest, das meine Mutter immer veranstaltet hatte. Unser Baum war eine Dattelpalme, die vor unserem Haus in Ägypten stand, gewesen. Geschmückt hatten wir ihn mit selbst genähten Anhängern. Dieses Jahr würden wir zum ersten Mal eine richtige Tanne aufstellen. Bis es so weit war, dauerte es allerdings noch einige Monate.

    Zahide lachte. „Ja, ich freue mich schon. Dann kann ich endlich ein Land in Europa auf meiner Weltkarte abstempeln."

    „Schön. Bis dahin kenne ich mich hoffentlich in der Gegend aus und kann dir einige Sehenswürdigkeiten zeigen."

    „Rate mal, wen ich gestern getroffen habe!"

    Mein Magen verkrampfte sich.

    Bitte lass es nicht Tarek sein, dachte ich.

    „Zahide, sag es mir besser nicht!", forderte ich sie auf.

    „Na gut, gab Zahide nach. „Vermutlich kannst du es dir sowieso denken. Lass uns von etwas anderem reden! Wie weit bist du mit deinem Buchprojekt?

    Kapitel 3 Neugierige Nachbarn und ungeduldige Schwestern

    Celeste beugte sich über meine Schulter, um einen Blick auf den Laptop-Bildschirm zu werfen. „Ich weiß nicht, Celine. Du als Steuerfachangestellte? Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Mathe gehört nicht unbedingt zu deinen Stärken. Warum suchst du dir keinen Ausbildungsplatz, der mit Export oder Import zu tun hat? Dann könntest du deine Sprachkenntnisse einsetzen."

    „Es ist hier ganz in der Nähe. Ich könnte zu Fuß zur Arbeit gehen", erwiderte ich.

    „Woher willst du das wissen? Seit wann kennst du dich in der Gegend aus? Wir sind gerade erst angekommen." Sie lehnte sich gegen den Schreibtisch und verschränkte die Arme.

    „Weil ich weiß, wie man einen Routenplaner verwendet."

    „Na schön, wenn du meinst. Morgen werde ich beim Reiterhof vorbeischauen. Baba hat versprochen, mich hinzufahren. Er näht mir sogar eine Reithose."

    Celeste wusste, seit sie das erste Mal auf einem Pferd gesessen hatte, dass für sie nur ein Beruf in Frage kam, bei dem sie Umgang mit diesen Vierbeinern hatte. In der Nähe des Hotels in Ägypten, in der unser Vater gearbeitet hatte, gab es einen Reiterhof. Celeste war jeden Tag dort gewesen. Sie träumte davon, eines Tages als Dressurreiterin bei den Olympischen Spielen eine Goldmedaille zu gewinnen.

    Für mich war Autorin der Traumberuf. Schon als kleines Kind hatte ich mir selbst Geschichten ausgedacht. Es gefiel mir, dass ich dadurch in andere Welten abtauchen konnte. Wenn ich einen Roman schrieb, hatte ich die Möglichkeit, meine ganze Fantasie zu gebrauchen. Dann konnte mein Protagonist sogar auf fliegenden Nilpferden reiten, wenn ich das so wollte.

    „Celine, träumst du schon wieder?" Celeste fuchtelte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum.

    „Ich habe alles verstanden, was du erzählt hast. Baba näht dir eine Reithose", erwiderte ich.

    Sie grinste. „Und was habe ich danach gesagt?"

    War das jetzt eine Fangfrage? „Okay, du hast mich erwischt. Ich war gerade in Gedanken."

    „Warum bewirbst du dich nicht in einem Verlag? Als Medienkauffrau oder so?"

    „Das ist eine gute Idee – wenn ich einen Ausbildungsplatz finde."

    Celeste stieß sich vom Schreibtisch ab. „Viel Erfolg bei der Suche. Ich gebe dir nur einen Tipp. Das mit der Steuerfachangestellten solltest du vergessen."

    „Ich dachte nur, bevor ich ohne Stelle bleibe", erwiderte ich.

    Sie zuckte mit den Schultern. „Tu, was du für richtig hältst!"

    Der Duft des Aish baladi stieg mir in die Nase und lockte mich in die Küche.

    Vater stellte das Brot auf den Tisch. „Hunger?"

    „Wie eine Mumie, die dreitausend Jahre in einem Grab liegen musste", antwortete ich.

    Er grinste.

    Mutter verdrehte wie immer die Augen bei diesem Insiderwitz zwischen Vater und mir. „Wie kann eine Mumie Hunger haben?"

    Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Carlynne, ich liebe dich, aber ein wenig Humor würde dir nicht schaden."

    Claire hüpfte herein; ihr geflochtener Zopf schwang wie eine Glocke. „Habe ich richtig gerochen? Es gibt Aish baladi."

    Vater nickte. „Und als Hauptgericht Rote-Linsensuppe."

    Claire rieb sich den Bauch. „Wie lecker."

    Sie wollte sich gerade an den Tisch setzen, als sie Mutters Blick registrierte. Kommentarlos rannte sie zum Spülbecken, um sich die Hände zu waschen, bevor sie wieder Platz nahm.

    „Schläft Till noch?", wollte Mutter wissen.

    „Ich würde ihn auch gerne weiterschlafen lassen", entgegnete ich.

    „Würdest du bitte Celeste rufen?" Vater nahm den Kochtopf mit der Linsensuppe vom Herd.

    Zustimmend nickte ich und eilte hoch ins Obergeschoss.

    Ich klopfte an Celestes Tür. „Kommst du, Celeste? Das Essen ist fertig."

    Es dauerte keine Minute, da stand meine Zwillingsschwester vor mir. „Baba hat gekocht? Was gibt es?"

    „Linsensuppe und dazu Aish Baladi", erzählte ich ihr.

    „Lecker."

    Gemeinsam schlenderten wir in die Küche. Doch kaum hatten wir uns gesetzt, da läutete es an der Haustür.

    „Claire, öffnest du bitte?" Mutter sah zu ihrer jüngsten Tochter.

    Claire kniff ihre Augen zusammen. „Muss das sein?"

    „Claire." Der Tonfall unserer Mutter duldete keine Widerrede.

    Gemächlich erhob sich Claire von ihrem Stuhl und schlurfte aus dem Raum.

    „Erwartest du Besuch?", wandte sich Mutter an unseren Vater.

    Er schüttelte den Kopf. „Nicht dass ich wüsste."

    Claire kehrte mit einer Frau zurück, die ein Brot und eine Packung Salz trug. Die Frau, die ich auf Anfang siebzig schätzte, reckte ihr Kinn, und ihr Blick huschte im Raum herum.

    „Soll ich Sie vielleicht herumführen?", sprach ich sie an.

    Sie zuckte zusammen. „Ich wohne direkt gegenüber und wollte Brot und Salz vorbeibringen. Das ist eine deutsche Tradition, wenn jemand neu einzieht."

    Unsere Mutter schritt auf sie zu und nahm die Mitbringsel ab. „Vielen Dank, das ist wirklich nett von Ihnen, Frau…"

    „Kraus. Amalia Kraus, antwortete die Frau. „Und Sie sind aus Libyen?

    Unser Vater schüttelte den Kopf. „Nicht ganz. Wir sind gerade aus Ägypten hergezogen. Das liegt neben Libyen. Das ist meine Frau Carlynne, und das sind unsere Töchter Claire, Celine und Celeste. Mein Name ist Arif."

    „Sie können gut Deutsch sprechen", merkte Frau Kraus an.

    „Ich habe in einem Hotel in Hurghada gearbeitet und viel Kontakt zu deutschen Touristen gehabt. Da lernt man eine Sprache schnell", erzählte er.

    Sie verknotete ihre Hände. „Mag wohl sein."

    „Wir sind dreisprachig erzogen worden: Arabisch, Französisch und Deutsch", fügte Celeste hinzu.

    „Setzen Sie sich doch, Frau Kraus." Unsere Mutter zeigte auf einen freien Stuhl.

    Frau Kraus nickte und ließ sich nieder. „Oh, das Brot sieht ungewöhnlich aus."

    „Das ist Aish Baladi, ein ägyptisches Brot", erklärte Mutter ihr.

    Frau Kraus nahm es in die Hand, drehte es und legte es wieder zurück. „Sie behalten also auch hier in Deutschland ihre eigenen Traditionen."

    „Nun, wir mögen ägyptisches Essen. Warum sollten wir darauf verzichten?", meinte Vater.

    „Baba kann richtig gut kochen – egal was", sagte Claire.

    Frau Kraus zog den Kopf zurück. „Baba?"

    „Oh, das ist Arabisch und bedeutet Papa", klärte ich sie auf.

    „Unsere Mutter nennen wir Maman. Sie ist Kanadierin", berichtete Celeste.

    „Aha. Frau Kraus schaute zur Decke. „Ich denke, ich werde wieder gehen. Willkommen in Deutschland. Ich möchte nur anmerken, dass manche möglicherweise nicht mit ihrem Lebensstil einverstanden sind – mich inbegriffen.

    „Unserem Lebensstil?", wiederholten Celeste und ich wie aus einem Mund.

    Mutter formte diese Worte lautlos.

    „Polygamie ist in Deutschland verboten", polterte Frau Kraus los.

    Vater erhob sich und baute sich zu einer vollen Größe von 191 Zentimetern auf. „Polygamie?"

    „Ja, ich lebe nicht erst seit gestern. Ich weiß genau, dass so etwas dort, wo Sie herkommen, erlaubt ist."

    „Das bedeutet nicht, dass ich mehrere Frauen habe."

    „Und was ist mit denen da?" Mit dem Zeigefinger deutete sie nacheinander auf unsere Mutter, meine Schwestern und mich.

    Er atmete hörbar aus. „Carlynne ist meine Frau, und das sind unsere Töchter."

    In diesem Moment begann Till nach mir zu rufen, und Frau Kraus drehte den Kopf. „Wer ist das?"

    „Mein Sohn Till", antwortete ich.

    Der Unterkiefer von Frau Kraus klappte nach unten. „Dein Sohn? Wie jung bist du?"

    „Ich bin gerade zwanzig geworden. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen." Ich erhob mich und wollte gerade den Raum verlassen, als Frau Kraus schnaufte.

    „Dass ausgerechnet ich solche Nachbarn habe."

    „Haben Sie ein Problem damit, dass ich ein Kind habe?", fragte ich sie.

    „Das nicht, nur damit, dass ihr armen Mädchen mit einem viel älteren Mann zwangsverheiratet wurdet."

    Unser Vater zischte. „Das geht zu weit. Sie sollten jetzt wirklich gehen."

    Unsere Mutter stimmte ihm zu. „Wenn Sie uns nicht glauben, dass Arif und ich die Eltern sind, ist das Ihr Problem. Sie wissen, wo die Tür ist."

    Frau Kraus erhob sich und stöckelte, ohne sich zu verabschieden, aus dem Zimmer. Celeste und ich folgten ihr an die Haustür.

    „Na, das fängt ja gut an mit der Nachbarschaft", meinte Celeste.

    „Es werden wohl nicht alle Nachbarn so sein, erwiderte ich. „Jetzt sehe ich erst einmal nach Till.

    Wölkchen bildeten sich vor meinem Mund, wenn ich ausatmete.

    Ich beugte mich zu Till, der dick eingepackt in seinem Buggy schlief. Mit dem gebeugten Zeigefinger strich ich über seine Wange.

    „Wir sind gleich da", wisperte ich.

    Ich beeilte mich auf dem Weg zum Postamt, das laut Vater nur fünf Minuten zu Fuß von unserem Haus entfernt war. Erleichtert stellte ich fest, dass er sich nicht verschätzt hatte.

    „Guten Morgen, grüßte ich. „Ich würde gerne diese Briefe und die Postkarte verschicken.

    Die Mitarbeiterin nickte und zählte die Umschläge durch. „Das macht 15,95 € für die Großbriefe und 0,90 € für die Postkarte, insgesamt also 16,85 €."

    Ich bezahlte und verabschiedete mich. Elf Bewerbungen hatte ich geschrieben, davon drei an Verlage, sieben an Dolmetscherbüros und eine an eine Steuerkanzlei. Die Postkarte war für Zahide und zeigte ein Luftbild der Stadt, in der ich nun lebte. Meine beste Freundin wusste nichts davon, und ich hoffte, dass sie sich über diese handgeschriebene Postkarte mehr als über eine E-Mail freute.

    Als ich mit Till das Postamt verließ, schneite es, und ich blieb stehen. Die Schneeflocken bewegten sich in eleganten Drehungen auf die Erde zu – fast wie eine Ballerina.

    „Dürfte ich vorbei?"

    Ich zuckte zusammen und drehte mich um. Ein junger Mann stand hinter mir, die Mütze tief ins Gesicht gezogen.

    „Entschuldigung. Ich habe nur die Schneeflocken bewundert", erwiderte ich und trat ein Stück beiseite.

    Die Woche, die wir bereits in Deutschland waren, hatte es bisher nicht geschneit.

    Er lachte. „Das hört sich ja an, als hättest du noch nie vorher Schnee gesehen."

    „Habe ich auch nicht. Meine Familie ist gerade erst von Ägypten hergezogen", erzählte ich.

    Der Fremde nickte. „Das erklärt alles. Dann noch viel Spaß beim Beobachten."

    „Ich denke, ich gehe besser nach Hause. So langsam merke ich die Kälte."

    „Okay. Falls du Lust auf Rodeln oder so hast, in der Nähe gibt es ein Wintersportzentrum."

    „Danke, aber ich glaube, das ist nichts für mich."

    „Du verpasst etwas. Wie…"

    Das Klingeln seines Handys unterbrach ihn mitten im Satz. Ich nickte ihm zu und schlenderte mit dem Buggy weiter.

    Obwohl es in der Straße, in der wir wohnten, einige alte Häuser – unseres war zum Beispiel aus dem achtzehnten Jahrhundert – gab, zählte sie zum Neubaugebiet. Noch vor fünfundzwanzig Jahren war es in der Zur schönen Aussicht, wie unsere Straße hieß, ruhig, denn sie lag am Rande der Stadt. Plötzlich war ein Gebiet nach dem anderen erschlossen und bebaut worden, sodass wir nun zentral lebten.

    Als wir zuhause eintrafen, bemerkte ich aus den Augenwinkeln, wie jemand im Haus gegenüber die Gardine zur Seite schob. Eine Silhouette erschien vor dem Fenster.

    Frau Kraus, dachte ich nur und winkte.

    Sofort verschwand die Person aus meinem Blickfeld und zog den Vorhang zu.

    Kopfschüttelnd wandte ich mich unserem Haus zu. Sollte Frau Kraus doch Hobby-Detektivin spielen; zu verbergen hatte unsere Familie nichts.

    „Heute ist es endlich soweit!" Wie ein Flummi hüpfte Claire durch unser Haus.

    Celeste torkelte schlaftrunken die Treppe hinunter und gähnte. „Was ist los?"

    Claire sprang auf sie zu, nahm ihre Hand und schüttelte sie. „Baba fährt heute mit mir ins Tierheim. Ich bekomme einen Hund."

    Celeste fuhr sich durch ihre Locken. „Schön für dich. Musst du deshalb so schreien?"

    Claire streckte ihr die Zunge heraus. „Spaßbremse!"

    „Fahrt ihr bald? Ich hätte gerne meine Ruhe."

    „Schlafmütze. Wenn du Pferdewirtin werden willst, musst du sowieso früh aufstehen", grinste Claire, die sich wie ein Kreisel drehte.

    Celeste winkte ab, drehte sich um und stieg die Treppen hinauf.

    Claire wandte sich mir zu. „Kommst du mit?"

    Ich schüttelte den Kopf. „Till hat wieder Zahnschmerzen. Ich muss bei ihm bleiben."

    „Warum nimmst du ihn nicht mit?"

    „Claire, das ist keine gute Idee", entgegnete ich und hauchte Till, der auf einem Beißring kaute, einen Kuss auf den Scheitel.

    Mutter kam um die Ecke. „Celine, ich kann gerne auf Till aufpassen, wenn du mitfahren möchtest."

    Claire versuchte einen Hundeblick. „Bitte, Celine, bitte."

    „Na schön, du hast gewonnen", gab ich nach.

    Claire sprang in die Luft. „Danke, danke, danke. Du bist die Beste."

    „Ist gut, Claire. Du kannst damit aufhören", lachte ich.

    Claire zappelte wie ein Fisch an Land. „Sind wir bald da? Ich will endlich meinen Hund."

    „Claire, so einfach geht das nicht. Heute bekommen wir noch keinen Hund, aber wir schauen uns um", erwiderte Vater.

    Meine kleine Schwester verschränkte die Arme und zog einen Schmollhund.

    „Claire, ein Hund ist kein Spielzeug, das du einfach wegwerfen kannst, wenn du kein Interesse mehr hast", warf ich ein.

    Sie streckte mir die Zunge heraus und drehte den Kopf zum Fenster. War ich eigentlich in dem Alter auch so gewesen?

    Das Wort Tierheim prangte groß und in einem dunklen Blau über dem Eingang. Noch bevor wir überhaupt ausgestiegen waren, hörten wir bereits das Hundegebell. Claire schnallte sich ab, öffnete die Tür und sprang aus dem Auto.

    „Claire, du wartest auf uns", ermahnte sie Vater.

    Ihre Hände zitterten, als sie neben

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