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Zwischen Leben und Tod: Hamburg in Trümmern 2 (Kriminalroman)
Zwischen Leben und Tod: Hamburg in Trümmern 2 (Kriminalroman)
Zwischen Leben und Tod: Hamburg in Trümmern 2 (Kriminalroman)
eBook357 Seiten4 Stunden

Zwischen Leben und Tod: Hamburg in Trümmern 2 (Kriminalroman)

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Über dieses E-Book

Hamburg, Dezember 1946: Ein Jahrhundertwinter geißelt das ohnehin fast vollständig zerstörte Hamburg noch zusätzlich. Während Menschen erfrieren und verhungern, haben Verbrechen Hochkonjunktur.

Währenddessen bekommen es die Kommissare Thiesen und Pfeiffer mit alten SS-Seilschaften zu tun, die selbst nach Kriegsende kaum etwas von ihrer Gefährlichkeit eingebüßt haben. Auch von den britischen Besatzern gibt es nur eisigen Gegenwind, der noch zunimmt, als bei einem Attentat ausgerechnet ein Thronfolger ums Leben kommt. Plötzlich beginnt auch für Thiesen und Pfeiffer ein Kampf um Leben und Tod ...

SpracheDeutsch
HerausgeberZeilenfluss
Erscheinungsdatum2. März 2020
ISBN9783967140637
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    Buchvorschau

    Zwischen Leben und Tod - Thomas Herzberg

    Inhalt

    Hamburg, Dezember 1946: Ein Jahrhundertwinter geißelt das ohnehin fast vollständig zerstörte Hamburg noch zusätzlich. Während Menschen erfrieren und verhungern, haben Verbrechen Hochkonjunktur. Währenddessen bekommen es die Kommissare Thiesen und Pfeiffer mit alten SS-Seilschaften zu tun, die selbst nach Kriegsende kaum etwas von ihrer Gefährlichkeit eingebüßt haben. Auch von den britischen Besatzern gibt es nur eisigen Gegenwind, der noch zunimmt, als bei einem Attentat ausgerechnet ein Thronfolger ums Leben kommt. Plötzlich beginnt auch für Thiesen und Pfeiffer ein Kampf um Leben und Tod ...

    „Zwischen Leben und Tod ist Teil 2 meiner Nachkriegs-Krimi-Serie „Hamburg in Trümmern. Der 1. Teil „Zwischen Schutt und Asche" steht ebenfalls in so gut wie jedem Shop zum Download bereit.

    1

    »Bin mal gespannt, was uns heute hier erwartet.« Tatsächlich klang Hermann Thiesen aber eher nach dem genauen Gegenteil. »Ansonsten frag ich mich, was der ganze Zauber überhaupt soll.«

    »Auf jeden Fall haben sich die Tommys ordentlich ins Zeug gelegt. Der Galgen ist brandneu, Chef.« Johann Pfeiffer flüsterte nur und lehnte sich zur Seite, um noch leiser fortzufahren: »Ich war vorhin näher dran. Man riecht sogar das Holz – beste deutsche Eiche.«

    »Über die sich mein Ofen sicher mehr gefreut hätte «, kam es nicht halb so euphorisch zurück.

    Dennoch klang Pfeiffer unverändert begeistert. »Rupert Wolf ist der Erste, den sie dran aufknüpfen.«

    »Und garantiert nicht der Letzte«, fügte Hermann Thiesen mit höhnischer Stimme hinzu. »Hoffentlich geht’s bald los. Mir schlafen nämlich langsam die Füße ein.« Nach diesem Hinweis nahm sich der Oberkommissar ein wenig Zeit, um die Umgebung näher zu inspizieren. Extra für Rupert Wolf – besser gesagt, für dessen unmittelbar bevorstehenden Tod am Strang – hatte man reihenweise zusätzliche Stühle aufgestellt. Insgesamt an die zweihundert, die ein Kellergewölbe, das zum Gefängnis am Holstenglacis gehörte, beinahe vollständig ausfüllten. Die meisten davon waren unbesetzt. Noch! Denn schließlich war das Interesse der englischen Besatzer riesig.

    »Haben Sie die ganzen Presse-Fuzzis oben vorm Eingang gesehen?«, fragte Pfeiffer seinen Chef. »Die haben sogar ein Filmteam aus London hergeschickt – mit Kameramann, Beleuchter und Regisseur.«

    Hermann Thiesen lachte zum ersten Mal an diesem Tag herzhaft. »Und so, wie ich Sie kenne, haben Sie nichts Besseres zu tun, als denen so oft wie möglich vor die Linse zu laufen. Wer weiß: Vielleicht steht Ihnen ja noch ’ne große Karriere im Kino bevor.«

    »Als was?«, wollte Pfeiffer wissen.

    Doch Thiesen winkte ab und fuhr der Ordnung halber mit einer Ergänzung zum eigentlichen Thema fort: »Für unsere britischen Freunde ist diese Hinrichtung wie ihr eigener Reichsparteitag. Immerhin hat Rupert Wolf ’ne ganze Reihe von deren Offizieren auf dem Gewissen.«

    »Und auch etliche einfache Soldaten!«, fügte Pfeiffer mit erhobenem Finger hinzu. »Den ersten Transport der Tommys hat er schon zwei Wochen nach Kriegsende, zwischen Geesthacht und Lüneburg überfallen.«

    »Klingt, als wären Sie dabei gewesen. Gibt es da was, das ich noch nicht über Sie weiß?«

    Johann Pfeiffer drehte sich kopfschüttelnd weg. Aber wie immer, wenn sein Chef einen seiner zynischen Kommentare von sich gab, konnte er ihm nicht lange böse sein. »Sieht so aus, als wären wir die einzigen Deutschen. Ich seh nur englische Uniformen und ...«

    »Kann es gar nicht erwarten, das Schwein endlich am Strick baumeln zu sehen.« Die Stimme hinter den Kommissaren stammte von einem Kripokollegen. Der war allerdings für Eigentumsdelikte verantwortlich und erledigte seinen Job, zumindest für Thiesens Geschmack, mehr schlecht als recht. Im Nachkriegs-Hamburg – selbst in Polizeikreisen – ein völlig normaler Zustand. Die meisten sorgten sich vielmehr um das eigene als um das Wohl anderer. Und gerade wenn es um Eigentum ging, dann drückte in Zeiten von Hunger und Eiseskälte manch einer gerne beide Augen fest zu.

    »Da haben Sie Ihre Verstärkung aus den eigenen Reihen«, sagte Thiesen an Pfeiffer gewandt und deutete über die Schulter. »Jetzt zufrieden?«

    »Wieso meinen Sie eigentlich, dass ich Verstärkung bräuchte? Wofür denn?«

    »Wenn Sie nicht gleich mit der Fragerei aufhören, dann setz ich mich woanders hin.« Thiesens Stimme klang kratzig. Er versuchte schon seit Tagen, einer aufziehenden Erkältung Herr zu werden – bei dem eisigen Wetter vermutlich ein aussichtsloses Unterfangen. Seine Frau Anna flößte ihm jeden Abend literweise dünnen Tee ein und hatte an diesem Morgen sogar eine Orange aus dem Küchenschrank gezaubert. Auf Thiesens Frage, woher die stammte, hatte sie ihm keine Antwort gegeben. Klar war nur, dass sie die vitaminreiche Attacke gegen irgendetwas auf dem Schwarzmarkt getauscht hatte.

    Der Kripokollege lehnte sich wieder nach vorne, um die beiden Kommissare der Hamburger Zwei-Mann-Mordkommission mit einem weiteren überflüssigen Kommentar zu verwöhnen: »Wieso haben die euch den Fall eigentlich entzogen? Ich dachte, ihr zwei wärt für solche Fälle zuständig.«

    Thiesen drehte sich ruckartig um und hätte Pfeiffer dabei beinahe vom Stuhl geschubst. »Weil unsere englischen Besatzer ’ne willkommene Möglichkeit gewittert haben, ihre eigenen Leute etwas zu besänftigen. Oder warum, meinen Sie, sieht das hier wie ’n Volksfest aus? Außerdem frage ich mich, was Sie das angeht. Haben Sie mit Raub und Diebstahl etwa nicht genug zu tun?«

    Nach dieser klaren Ansage warf Pfeiffer einen verstohlenen Blick über die Schulter: »Die Verstärkung hat sich zurückgezogen und sitzt jetzt in der hintersten Reihe. Sie können manchmal aber auch echt giftig werden, Chef!«

    Thiesen gab zwar keine Antwort, lächelte aber zufrieden. Dann deutete er auf eine Reihe britischer Offiziere, die kurz zuvor das Gewölbe betreten hatten. Angeführt wurden sie von Major Freeman, den die Kommissare von ihrem letzten Fall noch in guter Erinnerung hatten.

    Pfeiffer lehnte sich erneut in Thiesens Richtung. »Sie hätten Ja sagen sollen, als Freeman Sie zum Kripochef machen wollte. Ich an Ihrer Stelle hätte ...«

    »Was Sie an meiner Stelle alles hätten!«, polterte Thiesen dazwischen. »Wenn Sie irgendwann auf meinem Stuhl hocken, dann haben Sie bis dahin hoffentlich gelernt, dass nicht alles nur schwarz oder weiß ist.«

    »Ich weiß nicht mal genau, was Sie damit meinen«, kommentierte Pfeiffer unverändert munter. Weil sich sein Chef gerade vor Kälte schüttelte, versuchte er es mit einem Friedensangebot: »Vorne am Eingang gibt’s Tee. Soll ich uns ’nen Becher holen?«

    Thiesen nickte zuerst nur. Dann hielt er seinen Kollegen am Ärmel fest, als der schon davonmarschieren wollte. »Sehen Sie zu, dass Sie was Hochprozentiges dazu organisieren. Tee allein sorgt höchstens für Druck auf der Blase – davon kann ich ’n Lied singen, glauben Sie mir.«

    Pfeiffer klopfte unauffällig gegen seine Manteltasche. Das Geräusch machte klar, dass sich darin das gewünschte Elixier befand. Vermutlich ein Flachmann, mit Whisky oder Cognac darin.

    »Und falls sich auch was Essbares auftreiben lässt, sag ich nicht nein.« Thiesens Stimme wurde immer leiser, weil sich die Stuhlreihen rundherum langsam füllten. »Ich hab ein Loch im Bauch, da passt ’ne ganze Kuh rein.«

    Pfeiffer beugte sich zu seinem Chef hinunter. »Noch was? Soll ich mal schauen, ob sich irgendwo ’ne Wolldecke findet? Oder vielleicht ’n Kissen, falls Ihnen später der Hintern wehtut?«

    »Sehen Sie lieber zu, dass Sie loskommen! Sonst schwatzen Sie so lange weiter, bis es nicht mal mehr Tee gibt.«

    Nachdem Johann Pfeiffer zwischen den immer zahlreicher vorhandenen Uniformierten entschwunden war, lehnte sich Thiesen gemütlich zurück. Sein Blick wanderte erneut die Stuhlreihen entlang. Hier und dort fand er ein bekanntes Gesicht, konnte den meisten allerdings keinen Namen zuordnen. Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner rechten Schulter und dachte schon, es wäre wieder der Kollege von vorhin, der noch eine überflüssige Weisheit loswerden wollte.

    Doch die nächsten Worte machten diese Befürchtung zunichte: »Kommen Sie, Herr Thiesen ... der Major will uns sprechen.« Die Stimme gehörte zur Kurt Rosenbaum, dem neuen Leiter der Hamburger Kriminalpolizei.

    »Da sind ja meine zwei Helden!«, begann Major Freeman, als die beiden kurz darauf vor dem Oberbefehlshaber der britischen Besatzungstruppen standen. Dessen Organ dröhnte durch die Katakomben. Wie bestellt lachten einige junge Offizier, die den Major wie ein Rudel gehorsamer Hunde umgaben. »Und schon wieder ein Mörder, den wir geschnappt haben, Gentlemen. Daran könnte ich mich gewöhnen.«

    Thiesen war nicht nach Feiern zumute. Aber er schaffte es trotzdem, ein halbwegs glaubwürdiges Lächeln zu zeigen. Ein ums andere Mal sauste die Pranke des Majors auf seine Schulter. Blieb zu hoffen, dass Thiesens einziger Mantel dabei keinen Schaden nahm.

    Von hinten hatte sich Pfeiffer an die Seite seines Chefs geschoben und hielt ihm einen Teebecher direkt unter die Nase. »Medizin ist schon drin«, flüsterte der junge Kommissar. Doch weil Freeman ihm einen ungnädigen Blick zuwarf, trabte er sofort wieder davon.

    Dennoch verfinsterte sich das Gesicht des Majors noch weiter. Er schaute kurz zum Galgen hinüber und beugte sich dann ein Stück nach vorne. Thiesen und Rosenbaum taten es ihm gleich. Das Ergebnis waren drei Männer, die ihre Köpfe zum vertraulichen Gespräch zusammensteckten. »Wir hängen den Kerl heute.«

    Thiesen wich ein Stück zurück und musterte Freeman mit skeptischer Miene. Er hatte mit Neuigkeiten gerechnet und nicht mit einer Nachricht, die seit Tagen jedem in Hamburg bekannt war. Und auch Rosenbaum sah verwirrt aus, verzichtete allerdings auf eine Nachfrage.

    Der Major senkte seine Stimme und fuhr fort. »Ganz egal, was heute hier passiert ... Sie bleiben sitzen und tun nichts! Haben wir uns verstanden?«

    »Dürfen wir erfahren, was Sie damit meinen?«, fragte Thiesen.

    Rosenbaum wurde sogar noch etwas konkreter: »Was sollte denn passieren? Für mich sieht es aus, als wäre die Hälfte Ihrer Soldaten anwesend.«

    Major Freeman tat sich mit einer Antwort sichtlich schwer. Er holte mehrfach tief Luft, lieferte aber auch danach keine wirkliche Erklärung: »Sie sehen nur zu und tun nichts! Ist das klar?«

    Zwei Männer nickten. Der eine eifrig, der andere erst nach kurzem Zögern. Und weil Thiesen die Sache nicht so recht schmeckte, riskierte er eine letzte Frage: »Haben Ihre Sorgen etwas mit Rupert Wolf zu tun? Falls Sie befürchten, dass er flieht, sollten Sie lieber ein paar Bewaffnete am Eingang postieren, statt ...«

    Der Major hob die Hand und sorgte damit einstweilen für Ruhe. »Vertrauen Sie mir, Gentlemen! Aber vor allem: Kommen Sie nicht auf den Gedanken, hier die Helden zu spielen.«

    »Was war das denn eben?«, wollte Pfeiffer sofort wissen, als sein Chef wieder neben ihm saß. »Sah beinahe so aus, als wollte Freeman gleich noch zwei weitere Männer aufhängen.«

    »Wissen Sie, was Ihr größtes Problem ist, Pfeiffer?«

    »Mein Scharfsinn?«

    Thiesen schüttelte energisch den Kopf.

    »Mein gutes Aussehen?«

    Abermals Kopfschütteln.

    Pfeiffer atmete schwer und klang danach wie ein kleiner Junge. »Ist es wieder meine Neugier?«

    »Allerdings«, sagte Thiesen. In anderen Situationen hätte der Oberkommissar vermutlich ein Lachen hinterhergeschickt. Doch dieses Mal fuhr er todernst fort: »Völlig egal, was gleich passiert. Sie behalten Ihre Hand die ganze Zeit an Ihrer Dienstwaffe. Sicherheitshalber!«

    »Wollen Sie mir auch verraten, warum?«

    Thiesen drehte sich zentimeterweise zu seinem Kollegen und schaute ihn nur vielsagend an.

    »Ist okay – keine Fragen mehr. Ich mach einfach, Chef.«

    2

    »Das war keine Bitte, sondern ein Befehl!«, fauchte Konrad Schacht wie eh und je in Offiziersmanier. »Hast du vergessen, wen du vor dir hast?«

    Seinen alten Führungsoffizier aus SS-Tagen, hatte Gregor Wamser in einer Ruine am Elbufer getroffen; fernab befahrener Straßen oder Neugieriger, die womöglich mitten in der Nacht noch zu Fuß unterwegs waren. Wahrscheinlich auch besser so, denn es lag schon länger Streit in der eiskalten Luft. »Seit der Kapitulation sind wir doch alle gleich«, kam es von Wamsers Seite viel zu unterwürfig zurück. Er verfluchte sich selbst dafür. Doch so schnell wollte er nicht klein beigeben: »Vielleicht hast du was vergessen: Wir sind nicht mehr im Krieg – schon lange nicht mehr!«

    »Für die meisten von uns hat der erst richtig angefangen, als die Tommys in Hamburg einmarschiert sind. Ich hab dir doch erzählt, was der General gesagt hat: Ab sofort wehren wir uns wieder.«

    »Er ist kein General und war nie einer! Und wir alle wissen, dass es gute Gründe hatte, ihm seinen ersten Stern zu verweigern.«

    »Als ob das einen Unterschied macht. Er ist heute unser General, und wenn wir ihn nicht hätten, dann ginge es uns allen wesentlich schlechter.«

    »Ich hab nicht mal ’nen ordentlichen Mantel«, protestierte Wamser und zeigte an sich hinunter. Selbst der Begriff Lumpen reichte nicht, um das, was von seiner Kleidung noch übrig war, ausreichend zu klassifizieren. Ein heiseres Lachen folgte. Dass es nichts mit Freude zu tun hatte, machten seine nächsten Worte deutlich: »Wenn die Nacht vorbei ist, hab ich drei Tage lang nichts Vernünftiges gefressen. Glaub mir: Ich kann mir was Schöneres vorstellen, als für dich und deinen selbsternannten General ...«

    »Halt die Fresse!«, kam es zischend zurück. »Du tust, was ich dir sage, ansonsten brauchst du dir keine Sorgen um den vierten Tag zu machen. Ist das angekommen?«

    »Kannst du mir wenigstens sagen, warum die Sache ausgerechnet heute noch passieren muss?« Wamser stieg immer schneller von einem Fuß auf den anderen, denn sein ganzer Körper fühlte sich wie tiefgefroren an – abgesehen von seinem Kopf, auf dem er eine Fellmütze trug. Die hatte er zwei Tage zuvor in einer Ruine gefunden. Die linke Seite war blutverschmiert gewesen. Vermutlich hatte jemand einem anderen den Schädel eingeschlagen und dabei keine Rücksicht auf das gute Stück genommen. Wamser war es egal. Seine Ohren freuten sich über Wärme und deshalb fragte er nicht nach näheren Umständen.

    Doch hier und jetzt wollte er es genauer wissen. »Warum kann die Sache nicht bis morgen warten ... oder bis übermorgen? Wieso die Eile?«

    »Weil sie Rupert heute aufknüpfen! Nicht morgen, nicht übermorgen und auch nicht ...«

    »Und was hab ich davon?«, fragte Wamser dazwischen. Es wurde Zeit für eine klare Ansage. »Ich erledige nicht mehr eure Drecksarbeit und werd dafür mit ’nem Hungerlohn abgespeist – das war mal!«

    Anstelle einer Antwort langte Konrad Schacht nacheinander in die ausgebeulten Taschen seines eigenen, deutlich besseren Mantels. Aus der einen zauberte er zwei Päckchen amerikanischer Zigaretten hervor, aus der zweiten eine halbe Tafel Schokolade. »Hier! Mehr hab ich im Moment nicht dabei.«

    »Für zwei Schachteln Zigaretten und ’ne halbe Tafel Schokolade soll ich mein Leben riskieren? Hast du sie noch alle?«

    »Es gab Zeiten, da haben wir einem für weniger das Licht ausgepustet.«

    »Und ich hab’s doch gesagt: Die Zeiten sind vorbei!«

    Konrad Schacht hatte offensichtlich verstanden, denn er klang ein wenig versöhnlicher. »Wenn du die Sache für uns erledigst, brauchst du dir in den nächsten Monaten keine Sorgen mehr zu machen.« Weil auch dieses Argument nicht sofort Wirkung zeigte, verschwanden die Hände ein weiteres Mal in den Manteltaschen. Eine davon kehrte mit einem Stofftaschentuch zurück.

    »Was ist das?«, fragte Wamser. Seine Zähne klapperten mittlerweile und er konnte sie nicht davon abhalten. »Noch mehr Schokolade?«

    Derweil war das Taschentuch entfaltet. Selbst im Dunkeln war ein funkelnder Ring zu erkennen und auch eine Erklärung ließ nicht lange auf sich warten: »Der hat ’ner jüdischen Millionärswitwe gehört. Wenn du’s halbwegs geschickt anstellst, reicht das Teil mindestens bis zum nächsten Sommer.«

    Wamser langte mit zitternden Fingern nach der vermeintlichen Beute, taxierte sie kurz und ließ sie dann eilig in seiner rechten Hosentasche verschwinden. Die hatte, im Gegensatz zur linken, kein Loch. Sicherheitshalber wiederholte er seinen Auftrag, den er gleich zu Beginn dieser Unterhaltung empfangen hatte: »Heute ... mindestens zwei ... richtig?«

    »Richtig! Und wenn du die Sache nicht versaust, bekommst du auch noch die Brosche und die Ohrringe, die zu dem Ring gehören. Damit hättest du erst mal ausgesorgt.«

    »Offiziere?«

    »Das ist mir scheißegal! Hauptsache zwei ... und es muss direkt nach der Hinrichtung passieren. Hast du verstanden?«

    »Was ist, wenn mich die Tommys schnappen?«

    »Dann stellst du dich lieber nicht allzu blöd an! Hast du die MP 40 noch?«

    »Klar!«

    »Genug Munition?«

    »Für zwei Tommys sollte es reichen und um mir hinterher den Weg freizuschießen auch.«

    Konrad Schacht meinte wohl, es sei alles gesagt. Auf jeden Fall machte es den Anschein, als wolle er sich aus dem Staub machen. Doch Wamser hielt ihn für eine weitere Frage am Arm fest. »Hat der General auch gesagt, was als Nächstes passiert? Ich meine, danach?«

    »Wieso interessiert dich das? Erledige einfach deinen Auftrag und dann kannst du dich für ’ne ganze Zeit zur Ruhe setzen.«

    »Falls ich es überlebe!«

    »Richtig ... falls du’s überlebst.«

    ***

    »Hoffentlich sind die mit ihren Scheinwerfern bald mal fertig«, moserte Thiesen. Kurz zuvor hatte das britische Filmteam damit begonnen, den Galgen und dessen näheren Umkreis für die bevorstehenden Aufnahmen herzurichten. Einer der Männer, ein vollschlanker Winzling mit aufgedunsenem Gesicht und Nickelbrille, fühlte sich wohl zu Höherem berufen. Hier war es plötzlich zu dunkel, dort zu hell. Es mussten sogar Stühle beiseite geräumt werden, weil die angeblich im Weg standen und für eine falsche Perspektive sorgten.

    »Der Kerl ist doch nur ’n Wichtigtuer«, kommentierte Pfeiffer lachend. »Ich wette, der kotzt sich die Seele aus dem Leib, wenn die Vorstellung erst mal losgeht.«

    »Bleibt zu hoffen, dass es irgendwann überhaupt mal losgeht!«, fügte Thiesen trocken hinzu.

    »Das klang gerade eben alles ziemlich mysteriös.« Ein Kommentar, der von Kurt Rosenbaum stammte. Der Kripochef saß direkt hinter den beiden Kommissaren und hatte sich ein Stück nach vorne gebeugt, um Thiesen ins Ohr zu flüstern. »Haben Sie ’ne Ahnung, wovon der Major da geredet hat? Wieso sollen wir die Füße stillhalten?«

    Diese Frage sorgte nur für ein wortloses Kopfschütteln.

    »Und wieso warnt er uns, wenn er hinterher nichts erklärt?«, fuhr Rosenbaum mit nachdenklicher Stimme fort. »Es muss doch einen Grund geben, warum ...« Der Kripochef wurde vom Geheul einer Sirene unterbrochen. Dabei handelte es sich um den symbolischen Startschuss für die Hinrichtung.

    »Falls tatsächlich was passiert, sollten wir uns lieber an Freemans Order halten«, zischte Thiesen nach hinten und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass Rosenbaum angedeutet nickte.

    Weiter vorne begann die Vorstellung, auf die alle – schon wegen der Kälte in diesem Gemäuer – sehnsüchtig warteten. Doch das sollte sich schon sehr schnell ins Gegenteil verkehren. Schließlich war damit zu rechnen, dass es wie bei jeder anderen Hinrichtung ablaufen würde: Dazu gehörten – neben einem Toten – auch Männer, die sich übergaben, genauso wie andere, die einfach in Ohnmacht fielen. In der Regel genau die, die vorher am lautesten mit ihren Heldentaten im Krieg geprahlt hatten.

    Insgesamt vier englische Soldaten – die Stiefel blank geputzt, jeder eine Maschinenpistole im Anschlag – schoben oder zerrten Rupert Wolf gemeinsam in Richtung Galgen. Die Handgriffe wirkten einstudiert, jede Bewegung übertrieben, geradezu theatralisch. Das dürfte wohl der Dramaturgie dienen, die das Filmteam jedem Einzelnen eingebläut hatte. Ein fünfter Soldat, ein junger Second Lieutenant in perfekt sitzender Uniform, verlas bereits mit dröhnender Stimme den Hinrichtungsbeschluss. Dabei schaute er viel zu oft in die Kamera und zeigte ein Lächeln, das eher nach Hollywood als zum gegebenen Anlass passte.

    Pfeiffer beugte sich erneut zu seinem Chef. »Da hinten stehen sich etliche Tommys die Beine in den Bauch. Schätze, es sind mindestens fünfhundert Zuschauer. Was meinen Sie?«

    »Halten Sie den Schnabel und hören Sie einfach zu!« Thiesen packte seinen Kollegen am Arm. Der hatte verstanden, denn seine Hand fuhr langsam wieder zur Dienstwaffe und verharrte dort. »Egal, was passiert ... Sie tun nichts, ohne dass ich es Ihnen sage!«

    »Klar, Chef! Ist doch Ehrensache.«

    Thiesen kam jede einzelne Sekunde wie eine Minute vor. Der Henker, ein grauhaariger Riese mit aschfahlem Gesicht, hatte anscheinend viel Zeit. Rupert Wolf stand bereits völlig regungslos auf der Klappe, die sich schon sehr bald unter ihm öffnen würde. Dafür sollte ein Hebel sorgen, den man bei diesem Galgen passenderweise mit roter Farbe angestrichen hatte.

    Thiesen hatte schon etlichen Hinrichtungen durch Erhängen beigewohnt. Vielen davon vor Kriegsende, einigen danach. Wenn nicht einfach nur ein Seil über einen Ast oder einen Balken geworfen wurde, nahmen die Vorbereitungen am meisten Zeit in Anspruch. Und wenn sich die Klappe erst mal mit lautem Geschepper auftat, war es in der Regel innerhalb von wenigen Sekunden vorbei. Einen planmäßigen Ablauf vorausgesetzt, fiel der Delinquent einen guten Meter in die Tiefe. Ein Hals, der dabei von einem überaus stabilen Strick festgehalten wurde, ließ das nicht ohne Weiteres mit sich machen. Insbesondere die Halswirbel verweigerten gerne ihre Teilnahme an diesem irrwitzigen Spiel. Sprich: Sie brachen. Nicht selten von hässlichem Knacken begleitet, das manch Zartbesaitetem zu einer spontanen Ohnmacht verhalf.

    »Der lässt sich aber ’ne Menge Zeit«, stellte nun auch Pfeiffer genervt fest. »Schätze, es wird Mitternacht, bevor wir hier rauskommen.«

    »Wieso ist das ein Problem? Haben Sie heut noch was vor?«

    Pfeiffer hielt sich einen Finger an die Lippen. »Psst ... ich glaub, es geht los.«

    Tatsächlich hatte der Scharfrichter Rupert Wolf soeben den schwarzen Sack vom Kopf gezogen. Im Gesicht des mehrfachen Mörders war jedoch nicht die geringste Spur von Angst zu erkennen. Ganz im Gegenteil. Der Tommy-Schlächter – diesen Spitznamen hatten ihm die Hamburger verpasst – grinste und ließ seinen Blick seelenruhig über die Stuhlreihen wandern, während ihm der Strick um den Hals gelegt wurde. Gerade so, als hätte er noch alle Zeit der Welt bis zu seinem letzten Atemzug.

    »Hoffentlich zieht der Kerl gleich am Hebel«, moserte Thiesen aufs Neue, denn auch er wollte in erster Linie nach Hause. Major Freemans Warnung hatte er zwischenzeitlich verdrängt. Tags zuvor hatte Thiesen am Rande des Schwarzmarkts ein Päckchen Zigaretten gegen halbwegs genießbaren Speck und vier große Kartoffeln getauscht. Seine Anna hatte versprochen, daraus ein Festmahl zu zaubern. Einen Vorgeschmack auf Weihnachten hatte sie es genannt und vor Glück geweint. Blieb zu hoffen, dass sie am Heiligabend nicht auf verschimmeltem Brot herumkauen müssten. Die deutsche Bevölkerung – anders gesagt: das, was noch davon übrig war – hatte immer mehr unter den Folgen eines verlorenen Weltkriegs zu leiden. Nicht mehr lange, darüber waren sich alle einig, dann würde in Hamburg jeder Zweite verhungern oder erfrieren. Egal ob Bettler oder Polizist – denn mit den Bezugsscheinen, für die es rein gar nichts gab, waren alle gleich.

    Thiesen wollte es sich nicht eingestehen, hatte aber das unbestimmte Gefühl, dass dieses gemeinsame Abendessen – wahrscheinlich ein Mitternachtsschmaus mit Anna und seinen drei Kindern – der letzte unbeschwerte Moment für lange Zeit werden könnte. Aber wenigstens wären sie hinterher alle satt. In dieser Welt musste man lernen, sich an Kleinigkeiten zu erfreuen.

    Hätte Thiesen auch nur ansatzweise geahnt, was im nächsten Augenblick passieren würde ... allein der Gedanke an Essen wäre ihm vermutlich im Halse stecken geblieben.

    3

    Seine MP 40, eine Maschinenpistole, die im Zweiten Weltkrieg in Anlehnung an den Erfinder als sogenannte ›Schmeisser‹ traurige Berühmtheit erlangte, hatte Wamser unter seinem Kleiderschrank versteckt. Er zog eine leere Schublade heraus, in der er – falls vorhanden – saubere Socken und Leibwäsche aufbewahrte, und warf sie achtlos in die Ecke. Die Zeit des Leisetretens war für ihn vorbei, das hatte er schon auf dem Weg hierher beschlossen. Und dieses Loch, das mit einem Zuhause

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