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Schattenmann der Staatssicherheit: Auf den Spuren von Gestapo-Müller
Schattenmann der Staatssicherheit: Auf den Spuren von Gestapo-Müller
Schattenmann der Staatssicherheit: Auf den Spuren von Gestapo-Müller
eBook321 Seiten2 Stunden

Schattenmann der Staatssicherheit: Auf den Spuren von Gestapo-Müller

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Über dieses E-Book

Eltern suchen bis heute nach ihren Kindern, die in der DDR spurlos verschwunden sind. Zweifelhafte Gründe für Heimeinweisungen entzogen Vater und Mutter das Mitspracherecht über den Lebensweg ihrer Söhne und Töchter. Zahlreiche Indizien und ein erster belegter Fall für einen Babyraub durch einen vorgetäuschten Tod werfen die Frage auf, wo diese Kinder abgeblieben sind. Nach jahrelangen Recherchen in unterschiedlichen Archiven und dem Kontakt zu Zeitzeugen mit Insiderwissen offenbarte sich, dass es in der DDR ein streng geheimes Rekrutierungssystem für Eliteeinheiten gab, das von einem Mann geführt wurde, der 1945 angeblich in den Trümmern von Berlin verstorben sein soll - Ex-Gestapochef Heinrich Müller. In diesem Buch wird die zweite Lebenshälfte von Gestapo-Müller aufgedeckt, der für seinen Untergrundapparat familiengelöste Kinder und Jugendliche einfangen und zu Eliteeinsatzkräften drillen ließ. Es war ein sowjetisch-deutsches Gemeinschaftsprojekt, das bereits 1987 aufgelöst wurde, und es gibt heute starke Bestrebungen in Ost und West, diese dunkle Seite der DDR-Vergangenheit für immer zu verschweigen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum22. Jan. 2024
ISBN9783347988958
Schattenmann der Staatssicherheit: Auf den Spuren von Gestapo-Müller
Autor

Heidrun Budde

Dr. Heidrun Budde, geb. 1954 in der DDR, Studium der Rechtswissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg. Danach Tätigkeit als Justitiarin in der Wirtschaft. Promotion zum Seevölkerrecht. Von 1992 bis März 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock.

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    Buchvorschau

    Schattenmann der Staatssicherheit - Heidrun Budde

    Vorwort

    Legenden bildeten sich um das Verschwinden von Ex-Gestapochef Heinrich Müller. Doch bis heute konnten seine sterblichen Überreste nicht aufgefunden werden.

    Als ich Kontakte zu ehemaligen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) bekam, die mir erzählten, dass sie jahrelang unter der Führung von Müller gearbeitet hätten, hielt ich das zunächst für eine weitere Legende.

    Im Zuge des jahrelangen Austausches erkannte ich allerdings immer mehr, dass diese Aussagen authentisch sein mussten. Nach und nach begriff ich das raffinierte System der Geheimhaltung, Vertuschung und Täuschung, das mit Müllers zweiter Lebenshälfte verbunden gewesen sein muss. Einer der Männer brachte es mit dem Satz auf den Punkt: „Uns gab es ja eigentlich nicht."

    Nach Zeitzeugenberichten kam Heinrich Müller Anfang der 50iger Jahre aus Moskau in die DDR. Er baute sich mit Hilfe des sowjetischen Geheimdienstes einen Untergrundapparat auf, der strengster Geheimhaltung unterlag. Die Aktenvernichtung soll rechtzeitig und gründlich bis 1987 erfolgt sein. Die Chance, Müllers Spuren zu finden, war deshalb gering.

    Ein weiteres Problem war der schwierige Erkenntnisprozess, wie dieser Apparat aufgebaut war, welche Tarn-bezeichnungen verwendet wurden, was sich hinter dieser Fassade tatsächlich verbarg und wie die Strukturen funktionierten.

    Die Zeitzeugen berichteten, dass sie zu einer „U-MA-Zentrale, angelehnt an den Begriff U-Mitarbeiter („Unbekannter Mitarbeiter), gehörten, die ihren Dienstsitz unter dem Dach einer sowjetischen Kaserne in Fürstenwalde/Spree hatte.

    In dieser Kaserne soll Heinrich Müller als U-MA-Chef im Auftrage des sowjetischen Geheimdienstes in enger Zusammenarbeit mit der MfS-Führungsebene tätig gewesen sein. Sein Lebensbereich und seine Gewohnheiten wurden mir sehr konkret beschrieben.

    Nach den Berichten agierte Müller jahrzehntelang heimlich und weitestgehend unerkannt im MfS-Apparat und er soll gerne schriftliche Anmerkungen gemacht haben, eine Angewohnheit noch aus NS-Zeiten. „Müller war ein gelernter Kriminologe, er handelte wie ein Musterbürokrat, brachte alles und jedes zu Papier und beraumte immer wieder Besprechungen mit einer großen Zahl von Untergebenen an. Auch behielt er sich das letzte Wort vor."¹

    Deshalb konzentrierte sich die Nachsuche beim Bundesbeauftragen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) auf Dokumente, die Anmerkungen von Müller enthalten konnten.

    Die Zeitzeugen wiesen darauf hin, dass der UM-A-Chef ein besonderes Interesse an der Ausbildung von Eliteeinsatzkräften zeigte, die für brisante Einsätze ins westliche Ausland geschickt wurden.

    Gezielte Recherchen in den einstmals streng geheimen Berichten der MfS-Ausbildungsstätte Schule I „Maria" in Struvenberg waren erfolgreich. Es konnten Dokumente aufgefunden werden, auf denen sich laut Zeitzeugenbestätigung die Schrift von Müller befindet.

    Daneben fand ich in einer BStU-Akte ein Dokument mit Müllers Unterschrift. Zusätzlich wurden mir als Beleg für die Zeitzeugenauskünfte zwei Originalfotos des Ex-Gestapochefs im hohen Alter gezeigt.

    In diesem Buch wird der Weg von Heinrich Müller nach 1945 aufgezeigt, so, wie er sich aus den Akten, aus den Überlieferungen der Zeitzeugen, die mit Müller Kontakt hatten, und aus bisher erschienenen anderen Quellen ergibt.

    Dieses Buch kann nur einen Anfang geben und es soll weitergehende Recherchen anregen. Ich bin mir sicher, dabei werden sich Zusammenhänge auftun, die ein völlig neues Licht auf die jüngste deutsche Vergangenheit werfen.

    ¹ Bornschein, Joachim: Gestapochef Heinrich Müller. Technokrat des Terrors. Militzke Verlag Leipzig 2004, S. 104.

    Müller erste Lebenshälfte

    Heinrich Müller wurde am 28. April 1900 als einziges Kind des Gendarmerie- und Verwaltungsbeamten Alois Müller und seiner Ehefrau Anna in München geboren. Er wuchs in einem katholischen Elternhaus auf, das ihn sehr prägte.

    Müller absolvierte eine Lehre als Flugzeugmonteur, nahm am Ersten Weltkrieg teil und wurde im Alter von 19 Jahren Hilfsassistent bei der Polizeidirektion München. In den zehn folgenden Jahren wurde er zum Polizeiassistenten und 1929 zum Polizeisekretär befördert.

    Bis 1933 war Müller ein „ausgesprochener Gegner des Nationalsozialismus² und ursächlich war dafür wohl seine strenge katholische Erziehung, denn der Papst warnte vor dieser Ideologie und verbreitete am 23. September 1930 im jesuitisch-päpstlichen Organ, der „Osservatore Romano, „dass die Zugehörigkeit zum Nationalsozialismus unvereinbar sei mit dem katholischen Gewissen."³

    Müllers Einstellung änderte sich erst 1933, dem Jahr der Machtergreifung von Hitler. Zu diesem Zeitpunkt über-nahm Reinhard Heydrich die Aufgabe des stellvertretenden Chefs der bayrischen Polizei. Müller wurde im Mai 1933 zum Polizeiobersekretär und im November 1933 zum Kriminalinspekteur befördert und zur bayrischen politischen Polizei in München versetzt. 1934 trat er der SS bei.

    Im April 1934 nahm Heydrich Müller mit nach Berlin: „Doch sein neuer Vorgesetzter, Reinhard Heydrich, war auf sein Fachwissen angewiesen. Zudem beeindruckte Müller mit Rücksichtslosigkeit und enormen Fleiß sowohl Heydrich als auch Himmler innerhalb kürzester Zeit. Sie nahmen ihn im April 1934 mit nach Berlin, wo er nun eine steile Karriere im Gestapa machte."⁴

    Er wurde zum Kriminaloberinspektor befördert und übernahm die Aufgabe eines Abteilungsleiters: „Müller war ein Schreibtischtäter per exellence, apart, unnahbar, reserviert, aber äußerst korrekt in der Durchführung seiner ihm übertragenen Aufgaben. Als Leiter des Amtes IV waren ihm zahlreiche Referate und Unterabteilungen unterstellt. Für alle in diesen Referaten begangenen Verbrechen trägt Müller die volle Verantwortung. Das Schutzhaft-Referat (IV-C-2) stellte das wichtigste Instrument der Gestapo dar. In dieser Abteilung wurden nicht nur Schutzhaftanträge, sondern auch alle Einweisungen in die Konzentrations-lager bearbeitet. Von immenser Bedeutung war ebenfalls die Abteilung Kriegsgefangenen-Angelegenheiten (IV-A-1). In diesem Referat wurden die sogenannten Sonderbehandlungen angeordnet, wobei sich Müller die Entscheidungen über Hinrichtungen und ,Sonderbehandlungen‘ vorbehielt. Hervorzuheben sind in dieser Hinsicht das speziell für die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener eingerichtete Referat (IV-A-1-c) sowie Adolf Eichmanns Juden-Referat (IV-B-4)." ⁵

    Müller gehörte zu den bedeutendsten Schreibtischtätern des NS-Staates. Er war Teilnehmer der Wannsee-Konferenz und Vorgesetzter von Adolf Eichmann, der über ihn sagte: „Müller war noch mehr gefürchtet als der Reichsführer Himmler."⁶

    Wie viele Morde auf seine Veranlassung hin geschahen, kann nur geschätzt werden,⁷ aber Müller schreckte auch nicht davor zurück, selbst Hand an zu legen, wenn Verrat in den eigenen Reihen entdeckt wurde, so im Fall Lehmann.

    Willy Lehmann stieg 1938 im Amt IV E 1 des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) zum Leiter der „Personenregistratur" auf. Er war im Polizeipräsidium auf NS-Gegner spezialisiert. Schon 1930 ließ er sich vom sowjetischen Geheimdienst anwerben, um seine finanziellen Mittel für Pferdewetten aufzubessern. Er lieferte Informationen über geplante Verhaftungen, so dass sich die Personen rechtzeitig absetzen konnten.

    Ende Juni 1942 wurde eine Nachricht abgefangen, die Lehmann als Zuträger belastete. SS-Gruppenführer Heinrich Müller ließ ihm eine Falle stellen. Man gab Lehmann eine fingierte russische Nachricht, dass er im Tiergarten ein vergrabenes Funkgerät und 10.000 RM finden würde. Lehmann suchte diese Stelle auf und wurde verhaftet:

    „Damit Lehmann von der SS-Wache der Prinz-Albrecht-Straße nicht erkannt wurde, ließ ihn Strübing einen Sack über den Kopf stülpen. Dann wurde er in das Dienstzimmer von Heinrich Müller geprügelt. In dessen Gegenwart legte Lehmann ein Geständnis ab, worauf Müller ihn stehenden Fußes erschoss."⁸

    Der Verrat von Lehmann wurde vertuscht. Offiziell wurde die Nachricht verbreitet, dass er „für Führer und Reich" sein Leben geopfert hätte. Müller hatte angewiesen, die Affäre hausintern und mit höchster Geheimhaltungsstufe abzuwickeln.

    Heinrich Müller gehörte bis zum Schluss zu den gefürchteten und getreusten Gefolgsleuten Adolf Hitlers. Noch im April 1945 gab er den Befehl, alle im Lehrter Gefängnis Berlin inhaftierten politischen Häftlinge zu erschießen.⁹ Das Schwurgericht Stuttgart stellte 1945 anhand von Dokumenten und Zeitzeugenaussagen die Schuld von Müller eindeutig fest und brachte zum Ausdruck, dass der Ex-Gestapochef als Täter und Mittäter, nicht aber als Gehilfe anzusehen war.¹⁰

    Sein Verschwinden im Jahre 1945 ist bis heute mysteriös, wurde kontrovers diskutiert und führte zu unterschiedlichen Spekulationen.

    ² Fest, Joachim C.: Das Gesicht des Dritten Reiches. Profile einer totalitären Herrschaft, Piper München 11. Auflage 1994, S. 446. Müller trat erst 1939 der NSDAP bei.

    ³ Ludendorff, Erich: Hitler entlarvt! Schwarzbraunes Edelmenschtum vereint! Ludendorffs Volkswarte Verlag ohne Datum, S. 11.

    ⁴ Dams, Carsten; Stolle, Michael: Die Gestapo. Beck Verlag München 2008, S. 52.

    ⁵ Bornschein, Joachim: Gestapochef Heinrich Müller. Technokrat des Terrors. Militzke Verlag Leipzig 2004, S. 11.

    ⁶ Ebenda S. 125.

    Für viele in den KZ ermordete Häftlinge trägt Müller die Verantwortung. So sind auf Anweisung Müllers in mehreren Konzentrationslagern Massenerschießungen, insbesondere von sowjetischen Kriegsgefangenen, durchgeführt worden. Bornschein, Joachim: Gestapochef Heinrich Müller. Technokrat des Terrors. Militzke Verlag Leipzig 2004, S. 174.

    ⁸ Der Fall ist ausführlich dokumentiert bei Koch, Peter-Ferdinand: Enttarnt. Doppelagenten: Namen, Fakten, Beweise. Ecowin Verlag Salzburg 2011, S. 40-43, Zitat auf S. 42.

    ⁹ Bornschein, Joachim: Gestapochef Heinrich Müller. Technokrat des Terrors. Militzke Verlag Leipzig 2004, S. 175.

    ¹⁰ Ebenda S. 86.

    Müllers Weg nach 1945

    Heinrich Müller hielt sich noch im April 1945 im Führerbunker in Berlin auf.¹¹ Danach verliert sich seine Spur.

    Müller berichtete seinen Männern, dass er sich allein bis nach Bayern durchgeschlagen hat und zunächst im Kloster Andechs Aufnahme fand.

    Meine Anfrage an den Abt des Klosters vom 29. November 2011, ob diese Angaben bestätigt werden können, blieb unbeantwortet. Eine amerikanische Militärstreife soll ihn 1945 aufgegriffen und festgenommen haben, als er sich zeitweilig außerhalb des Klosters aufhielt.

    Müller erzählte den Zeitzeugen, dass er in Nürnberg vor Gericht gestellt werden sollte, aber gerettet hätte ihn ein Gebietsaustausch zwischen der amerikanischen und sowjetischen Seite. Weil die Amerikaner diesen Gebietsaustausch wegen einer Eisenbahnlinie unbedingt wollten, hätten sie Heinrich Müller sozusagen als „Draufgabe an Stalin übergeben, der ein großes Interesse an diesem „Fachmann gehabt haben soll.¹²

    Diese Selbstdarstellung von Müller, dass er ohne sein Zutun aufgrund des Abkommens an Stalin überstellt wurde, sollte ihn offensichtlich vor seinen Männern in ein besseres Licht stellen.

    Eher wahrscheinlich ist eine gezielte Anwerbung durch die sowjetische Seite, denn Stalin soll Müller gekannt und geschätzt haben. Hannah Arendt bezeichnete ihn als eine „Autorität auf dem Gebiet des sowjetrussischen Polizeisystems."¹³

    Der Ex-Gestapochef erzählte seinen Männern, dass er Ende der zwanziger/Anfang der dreißiger Jahre mehrmals in Moskau war, auch zu Gesprächen mit Stalin und dass er bei der Verhaftung des Marschalls Tuchaschewski mitgeholfen hätte. Die gefälschten Papiere, die Tuchaschewski belasteten, kamen von der Gestapo aus Berlin und Stalin vergaß solche „Freundschaftsdienste" nicht.¹⁴

    Es ist inzwischen belegt, dass der sowjetische Diktator zunächst eine große Sympathie für Hitler und Deutschland empfand. Als ihn die Nachricht über die „Säuberungen innerhalb der SA aus Deutschland erreichte, kommentierte er das mit den Worten: „Hitler, was für ein großer Mann! So geht man mit seinen politischen Gegnern um.¹⁵

    Die Sympathie beider Diktatoren war gegenseitig. So stellt Hannah Arendt heraus: „Unbedingten Respekt hatte Hitler nur für den ‚genialen Stalin‘, und wenn uns auch für Stalin und die russische Herrschaftsform das reiche Quellenmaterial, das wir für Deutschland besitzen, nicht zur Verfügung steht, (…) so gibt es doch viele Anhaltspunkte dafür, daß Hitlers Gefühle, die natürlich auf einer sehr exakten Erkenntnis der Verwandtschaft der beiden Systeme gegründet waren, nicht unerwidert blieben."¹⁶

    Stalin las Bücher über Bismarck und Hindenburg und bezeichnete Berija als seinen Himmler. Er beschaffte sich eine eigens gefertigte Übersetzung von Hitlers Buch „Mein Kampf" und diskutierte mit Schdanow endlos über das Für und Wider eines Bündnisses mit Deutschland.¹⁷

    Bis zum Überfall auf die Sowjetunion gab es ausgesprochen freundschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Diktatoren. Den Höhepunkt erlebte diese Zusammenarbeit mit dem Moskauer Vertrag vom 23. August 1939 (Nichtangriffspakt), der in der Anlage das geheime Zusatzprotokoll über die geplante Aufteilung Polens beinhaltete.¹⁸

    Stalin sah sich lange Zeit als Verbündeter Hitlers und noch als er vertrauliche Informationen über den beabsichtigten Überfall Deutschlands bekam, ignorierte er diese Warnungen. „Bis zur letzten Stunde glaubte er an ein mögliches Komplott mit Hitler auf Kosten der anderen Völker und seines eigenen Volkes, das so großzügig und fügsam war."¹⁹

    Stalin schätzte Müller aus dieser Zeit der Zusammenarbeit. Vom Ex-Gestapochef sind zwar Äußerungen überliefert, dass er sich erschießen werde, „denn um nichts in der Welt wolle er den Russen lebend in die Hände fallen"²⁰, aber er hatte nach der Verhaftung durch die Amerikaner gar keine andere Wahl als dem Werben der sowjetischen Seite nachzugeben, denn in Nürnberg hätte ihn als Vorgesetzter von Adolf Eichmann mit großer Sicherheit die Todesstrafe erwartet.

    Aufnahme in Moskau

    Müllers Reise ging nach seinen Erzählungen von Nürnberg über Berlin nach Moskau. Das deckt sich mit Berichten von SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny über ein Anwerbegespräch mit einem sowjetischen Staatsanwalt im November 1945 (vor seiner Gerichtsverhandlung) in Nürnberg, der ihm in Aussicht stellte: „Es wäre mir ein Leichtes, Sie in zwei oder drei Tagen durch unsere Kommandostellen nach Berlin rufen zu lassen. Dort könnten Sie sich bei uns eine Beschäftigung aussuchen, die Ihren großen Fähigkeiten entspricht."²¹ Skorzeny lehnte dieses Angebot aus Moskau ab und stellte sich dem Nürnberger Gericht.

    „Westliche wie östliche Geheimdienste warben ehemals hochrangige NS-Funktionäre als Agenten an: Schwer belastete Kriegsverbrecher fanden so eine Anstellung. Gefragt waren diese Leute wegen ihres informellen Wissens sowie aufgrund ihrer Kontakte zu ehemaligen SS-Kameraden. Je höher Status und Funktion im NS-Regime, umso begehrter waren sie offenbar für die Geheimdienste." ²²

    Der genaue Zeitpunkt von Müllers Reise ist nicht bekannt, wahrscheinlich noch 1945. Es soll eidesstattliche Versicherungen deutscher Kriegsgefangener geben, die besagen, dass Heinrich Müller Vernehmungen in der Sowjetunion durchgeführt hat und Viktor Abakumov vom sowjetischen Geheimdienst bestätigte Müllers Aufenthalt in Moskau.

    „Der Mitarbeiter des KGB Abakumov gab an, daß Müller in die Sowjetunion gebracht und dort verhört worden sei. Abakumov will Auszüge aus der Einsatzbesprechung und dem Verhör mit Müller gelesen haben."²³

    Auch Walter Schellenberg behauptete, dass Müller „im letzten Berliner Akt zu den Sowjets übergelaufen sei, für die er schon lange heimlich gearbeitet habe."²⁴

    Stalin muss den deutschen „Fachmann" ausgesprochen freundlich aufgenommen haben, denn nach Zeitzeugenerzählungen soll er noch Jahrzehnte später mit Verehrung vom sowjetischen Diktator gesprochen und eine Büste von ihm auf seinem Schreibtisch gehabt haben.

    Müller soll sein Fachwissen beim Aufbau von Schulen nach dem Vorbild der „Nationalpolitischen Erziehungsanstalten" (Napola) zur Verfügung gestellt haben. In der Sowjetunion wuchsen fast eine Million Kinder in Heimen auf.²⁵ Da war die Auswahl für politisch gedrillten Nachwuchs groß.

    Die Zeitzeugen berichteten, dass Stalin Müllers Mitarbeit belohnte und dass in seinem Wohnzimmer eine Vitrine stand, in der die goldenen Orden von Stalin, auf Samtkissen gebettet, ausgestellt waren.

    Privatleben in Moskau

    Heinrich Müller nannte seine Ehefrau in Gegenwart der Zeitzeugen „Ännchen", aber offiziell soll ihr Name Olga gewesen sein. Er soll seine Olga mit Stalins Segen im

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