Verstorbene Babys in der DDR?: Fragen ohne Antworten
Von Heidrun Budde
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Heidrun Budde
Dr. Heidrun Budde, geb. 1954 in der DDR, Studium der Rechtswissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg. Danach Tätigkeit als Justitiarin in der Wirtschaft. Promotion zum Seevölkerrecht. Von 1992 bis März 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock.
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Buchvorschau
Verstorbene Babys in der DDR? - Heidrun Budde
Vorwort
Mütter zweifeln bis heute am Tod ihres Babys kurz nach der Geburt in der DDR. Sie verlangen Auskunft darüber, was damals tatsächlich passiert ist und ihre Erlebnisse sind immer ähnlich. Das Kind wurde geboren, weggetragen und kurze Zeit später kam die Nachricht, das Baby sei verstorben, oft an einem anderen Ort und man würde sich in der Klinik um alles kümmern. Gesehen haben sie ihre verstorbenen Kinder nicht und von einer Beisetzung wurde abgeraten. Oft erzählen die Frauen auch, dass sie zu einer Unterschrift gedrängt wurden, ohne zu wissen, was sie da überhaupt unterschreiben sollten. Auffällig ist, dass Mütter kurz nach der Entbindung ohne erkennbaren Grund in Vollnarkose versetzt wurden.
Erst Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch des SED-Staates fanden sich Betroffene in einer Interessengemeinschaft zusammen und stellten fest, dass sie kein Einzelfall waren. Das jahrelange Schweigen der Eltern war auch ein Ergebnis der Sorge, in der Öffentlichkeit als verrückt dargestellt zu werden. Erst der Austausch mit anderen Betroffenen und die Gewissheit, dass es viele Fälle von zweifelhaften Säuglingssterbefällen in der DDR gab, bestärkte die Mütter und Väter, Brüder und Schwestern darin, Fragen zu stellen und Aufklärung zu verlangen.
Hat es tatsächlich Fälle des Kindesentzuges durch einen vorgetäuschten Tod gegeben? Um diese Frage gibt es heute hochemotionale Auseinandersetzungen zwischen Betroffenen und ehemals Verantwortlichen, die eine solche Vorgehensweise vehement als Unsinn abtun und die behaupten, dass ein solcher Kindesentzug damals gar nicht möglich gewesen sei.
Ich habe jahrelang in unterschiedlichen Archiven recherchiert, mit betroffenen Eltern Gespräche geführt und von ihnen Unterlagen bekommen, habe den Kontakt zu Personen mit Insiderwissen gesucht und auch Fragen an ehemalige verantwortliche Mitarbeiter gestellt. Das Ergebnis dieser Nachforschungen soll den Eltern und Geschwistern helfen und die ehemals verantwortlichen Mitarbeiter dazu drängen, endlich Antworten auf diese berechtigten Fragen zu geben.
Insiderinformationen
Durch meine Veröffentlichungen als wissenschaftliche Mitarbeiterin hatte ich unterschiedliche Kontakte, auch zu Personen mit Insiderwissen, die mir vertrauliche Informationen zur Verfügung stellten, ohne dass sie öffentlich genannt werden wollten. Von diesen Personen bekam ich den Hinweis, dass es einen Kindesentzug durch einen vorgetäuschten Tod ab 1969 in der DDR gegeben haben soll.
Als Juristin nützen mir solche Informationen allerdings nur etwas, wenn ich Belege dafür finden kann. Deshalb habe ich mich zunächst sehr intensiv mit dem Jahr 1969 befasst. Es musste Unterlagen über die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in der DDR für dieses Jahr geben. Die Suche war im Stadtarchiv Rostock und im Bundesarchiv erfolgreich.
Unerklärliche Säuglingssterbefälle 1969
Akten im Bundesarchiv belegen, dass es 1969 einen unerklärlichen Anstieg der Säuglingssterblichkeit in der gesamten DDR gab. Das Ministerium für Gesundheitswesen reagierte auf diese besorgniserregende Entwicklung und führte am 8.4.1970 eine Arbeitstagung in Berlin durch, um die Ursachen zu ermitteln.¹
Erhalten ist eine handschriftliche Analyse zu den Sterbefällen der einzelnen Bezirke und es wird ein Ansteigen der Früh- und Totgeburten in der Hauptstadt Berlin, in Rostock, Neubrandenburg, Potsdam, Magdeburg, Halle, Erfurt, Gera, Dresden und Leipzig aufgeführt. Hier einige Auszüge aus der Analyse:
„Erfurt: Schwerpunkt sind Frühsterblichkeit und Frühgeburtensterblichkeit. Hohe Werte in Bad-Langensalza, Gotha und Erfurt/Stadt. In der Spätsterblichkeit Frühgeborener stehen plötzliche Todesfälle an erster Stelle
Potsdam: Relativer Anstieg der Frühgeborenenrate und Anstieg der Frühgeborenensterblichkeit. In den Nordkreisen kein Frühgeborenenzentrum. Lange Transportwege verringern die Überlebenschancen."
„Magdeburg: Anstieg der Frühgeborenenrate und hohe Frühgeborenensterblichkeit. Im IV. Quartal 12 plötzliche Todesfälle
Halle: Große Differenzen zwischen Angaben der Zentralverwaltung für Statistik und den Angaben der Kreise in Hinblick auf Säuglingssterblichkeit. Die Kreise Quedlinburg, Hettstedt und Wittenberg sind Schwerpunkte mit hoher Säuglingssterblichkeit.
Rostock: Verschlechterung durch Anstieg der Frühgeborenenrate und Zunahme der Frühgeborenensterblichkeit. (…) Konzentrierung der pädiatrischen Bettenkapazität brachte ungelöste Probleme für den Krankentransport. Offensichtlich ist eine Konzentrierung zu Ungunsten der Versorgung der Bevölkerung eingetreten. Neue Strukturplanung erforderlich."²
Schon am 18.9.1969 befasste sich die Kommission zur Senkung der Säuglings- und Kindersterblichkeit beim Rat der Stadt Rostock mit diesem Problem und verzeichnete einen unerklärlichen Anstieg der Frühgeborenensterblichkeit für das Jahr 1969. Im Protokoll der Sitzung heißt es: „Aus der Tabelle ist zu ersehen, daß die hohe Säuglingssterblichkeit bedingt war durch die hohe Frühsterblichkeit, die ihrerseits wieder die Folge der überhöhten Frühgeborenensterblichkeit war. Eine sichere Ursache für diesen unerwarteten Anstieg konnte nicht ermittelt werden."³
Auch die Arbeitstagung beim Ministerium für Gesundheitswesen in Berlin im Jahre 1970 konnte den drastischen Anstieg der Säuglingssterblichkeit nicht aufklären. Es blieb bei ein paar Absichtserklärungen, die medizinische Versorgung zu verbessern.
Das Ergebnis dieser ersten Recherchen bestätigte mir die Insiderinformation und bestärkte mich darin, dass weitere Nachforschungen Sinn machten. Zunächst stand die Frage im Raum, wie das bürokratische Verfahren bei einem solchen Säuglingssterbefall ablief und es war nötig, umfangreiche Recherchen in diesen noch erhalten geblieben Akten durchzuführen. Wenn es Manipulationen in diesen Vorgängen gab, dann liegt es auf der Hand, dass Fehler gemacht wurden, die Widersprüche aufzeigen. Wobei zu betonen ist, dass diese Dokumente, die heute zur wissenschaftlichen Forschung vorliegen, früher streng unter Verschluss gehalten wurden.
Denkansatz der weiteren Recherchearbeit
Die DDR war eine typisch deutsche Bürokratie. Der Tod eines Säuglings wurde sehr genau erfasst und diverse Dokumente waren auszustellen. Starb ein Baby noch in der Klinik, so war am folgenden Werktag eine „Schriftliche Anzeige über den Tod eines Säuglings bis zu einem Jahr gemäß § 28 Abs. 4 Personenstandsgesetz an das örtliche Standesamt abzugeben und vor dem Registereintrag im Sterbebuch mussten der Totenschein und eine Geburtsurkunde des Kindes vorliegen. Das Standesamt war verpflichtet, „eine gesetzlich richtige Beurkundung
vorzunehmen und dazu mussten alle ihnen übermittelten Angaben nachgeprüft werden.⁴
Daneben gab es bei den örtlichen Staatsorganen am Wohnsitz der Eltern, beim Referat Mutter und Kind, Kommissionen zur Senkung der Säuglings- und Kindersterblichkeit, die jeden Säuglingssterbefall nachprüfen mussten und dazu Unterlagen anforderten. Im Ergebnis der Prüfung wurde festgelegt, ob der Todesfall „vermeidbar oder „unvermeidbar
war.
Um die Frage zu beantworten, ob es Hinweise und Anhaltspunkte in den Akten darauf gibt, dass ein Kindstod vorgetäuscht wurde, mussten die noch vorliegenden Unterlagen zunächst gründlich gesichtet und ausgewertet werden.
Dazu war es notwendig, die Säuglingssterbefälle für bestimmte Jahrgänge zu erfassen und alle noch vorhandenen Dokumente ergänzend zu sichten. Deshalb wurden zuerst die Sterbebücher der Stadt Rostock für die Jahrgänge 1969, 1970, 1975 und 1979 durchgesehen, alle Säuglingssterbefälle registriert und die dazu erhalten gebliebenen „Schriftlichen Anzeigen über den Tod eines Säuglings bis zu einem Jahr gemäß § 28 Abs. 4 Personenstandsgesetz" abgeglichen. Die daneben beim Standesamt vorzulegenden Totenscheine und Geburtsurkunden der Kinder waren leider nicht mehr im Stadtarchiv Rostock hinterlegt.⁵
Um die Recherchen zielgerichtet fortzuführen, wurde dieser Abgleich nur auf die Sterbefälle der Universitätsklinik Rostock konzentriert. Der Anstieg der Todesfälle im Jahre 1969 wurde durch Frühgeburten verursacht und es war zu klären, wann damals ein Kind als Frühgeburt eingeordnet wurde.
Lebenserwartung Frühgeborener 1969
Die Medizin unterschied 1969 zwischen „Lebendgeborenen, „Totgeborenen
und einer „abortierten Frucht. In einer Veröffentlichung von Dozent Dr. med. habil. Siegried Akkermann, Oberarzt am Institut für Hygiene der Universität Rostock, von 1970 wird dazu ausgeführt: „Ein Kind, bei dem nach vollständiger Trennung vom Mutterleib Lungenatmung und Herzschlag eingesetzt hatten, gilt als lebendgeboren. Ein Kind ist totgeboren, wenn nach vollständiger Trennung vom Mutterleib Lungenatmung und Herzschlag – bzw. Lungenatmung oder Herzschlag – nicht eingesetzt haben, und seine Länge mindestens 35 cm beträgt. Abortierte Früchte sind demnach vom Mutterleib getrennte Konzeptionsprodukte, die den Bedingungen des Lebendgeborenen nicht entsprechen und eine Länge von unter 35 cm haben.
⁶
1969 hatten Frühgeborene mit einem sehr geringen Gewicht nach Aussage von Ärzten keine Überlebenschance. Professor Diedrich Berg, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sagte 1992: „In den 60er Jahren gab es keine Chancen für Kinder unter 1000 Gramm – weder im Osten noch im Westen."⁷ Und der Direktor der Erfurter Frauenklinik, Professor Erich Wagner, betonte, dass besonders kleine Frühchen bis in die siebziger Jahre keine Überlebenschance hatten, weil moderne Beatmungsgeräte ebenso wie Sauerstoff-Überwachungsgeräte fehlten.⁸
Frühgeborene Babys hatten in den 60iger Jahren kaum eine Überlebenschance und die nächste Frage muss sich damit beschäftigen, ob Frühgeborene in dieser Zeit transportiert werden konnten.
Transporttechnik der 60iger Jahre
Die DDR-Wirtschaft war vom stetigen Mangel bestimmt, so auch die Krankentransporttechnik der 60iger Jahre. Am 19.1.1966 schrieb Herr E. aus Rostock diese Eingabe an den Rat der Stadt, Abteilung Gesundheitswesen:
„Am Freitag den 7.1.1966 bekam meine Frau plötzlich heftige Schmerzen im Unterleib, daß sie auf der Treppe im Hause zusammenbrach. Meine Schwiegertochter, die Krankenschwester ist, erreichte erst nach ganz energischen Auseinandersetzungen, daß ein Unfallwagen geschickt wurde, um meine Frau in die Klinik zu schaffen. Die schnelle, man kann sagen fast rücksichtslose Fahrt im unbeheizten, schlecht gefederten Wagen verursachte meiner Frau solche Schmerzen, daß meine Schwiegertochter, die mitgefahren war, den Fahrer bitten mußte langsamer zu fahren.
Die Aufnahme in der Chirurgischen Klinik dauerte übrigens von vormittags 10.30 bis 14.00 Uhr. Ich finde eine sehr lange Zeit für einen Schwerkranken.
Am selben Abend wurde meine Frau von dieser Klinik zur Frauenklinik überführt. Wieder in einem unbeheizten, schlecht gefederten Wagen. Nachdem dort nach gründlicher Untersuchung festgestellt wurde, daß eine Operation notwendig ist, wurde meine Frau am 13.1. nun zur Medizinischen Universitätsklinik überführt. Hier soll sie wegen Herz- und Kreislaufschwierigkeiten auf die Operation vorbereitet werden.
Diese letzte Überführung ging folgendermaßen vor sich: Meine Frau wurde im Nachthemd, Bademantel übergezogen, auf der Pritsche in den Wagen gebracht. Dann wurde nach und nach ein Sammeltransport zusammengestellt. Jetzt ging die Fahrt wieder in einem ungeheizten, schlecht gefederten Wagen los durch die ganze Stadt, wo die einzelnen Patienten abgesetzt wurden. Als letzte wurde meine schwerkranke Frau zur Klinik gebracht, wo sie vollkommen durchgefroren ankam. Jetzt hat meine Frau zu den Schmerzen im Unterleib auch noch einen starken Husten, der sie auch nicht wenig plagt.
Ich frage nun: Sieht so die Sorge um den Menschen aus? Muß es sein, daß