Queer NunRedenWir
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Über dieses E-Book
Aus Kurzgeschichten und Gedichten entstand dieser Erzählband, der eine große Bandbreite der queeren Community aus Nordrhein-Westfalen sichtbar und erlesbar macht.
Die Anthologie ist mit einem Glossar ausgestattet, in welchem wichtige Begriffe aus der Community erklärt werden.
Als zweiter Schritt wird die Anthologie in 2024 bei 5 Lesungen an 5 verschiedenen Orten in NRW vorgestellt. Begleitet wird jede Lesung von einer Ausstellung zum Thema "Transidentität".
Das Projekt will aber nicht nur queere Personen sichtbarer machen, sondern auch queeren Schriftsteller*innen die Möglichkeit geben, für ein angemessenes Honorar zu arbeiten. So wurde jeder Textbeitrag, der in QUEER NunRedenWir abgedruckt ist, mit einem Honorar abgegolten.
Autor*innen, die ihre Texte bei einer der Lesungen vortragen, bekommen ein entsprechendes Lesehonorar. Zudem werden alle Gewinne aus Buchverkäufen gleichmäßig auf die beteiligten Autor*innen aufgeteilt.
Weitere Informationen auf: www.queer-nunredenwir.de
Instagram @queer_nunredenwir
Ermöglicht wird das Projekt "Queer - NunRedenWir" durch die Förderung "Diversitätsfonds" des Landes NRW.
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Buchvorschau
Queer NunRedenWir - Linn Schiffmann
Ermöglicht wird das Projekt QUEER NunRedenWir durch die Förderung Diversitätsfonds des Landes Nordrhein-Westfalen.
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Herausgeber*in und/oder der Autor*innen unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Vorwort
Als ich im Jahr 2021 in meiner Autor*innengruppe das erste Mal das Thema ›Queere Anthologie‹ ansprach, war meine Vorstellung von diesem Projekt noch ziemlich vage. An wen sollte sich die Ausschreibung richten? Durften alle mitschreiben, auch Menschen, die sich selbst nicht als ›queer‹ bezeichnen? Als ich diese Möglichkeit aufzeigte, wurden sogleich Proteststimmen laut.
Schließlich wird niemand gerne von etwas ausgeschlossen. Immer wollen wir Menschen doch gerne ein Teil von etwas sein. Sehr oft wurde ich schon gefragt, warum ich mich als ›queere‹ Person selbst in eine Schublade einsortiere.
Hier der Versuch einer Antwort:
Würden die Personen dieser Erde sich auf die allgemeinste Sammelbezeichnung einigen, wäre das Wort wohl ›Mensch‹. Aber in diesem ›Mensch‹ würde zugleich verloren gehen, dass wir Menschen zwar gleiche Grundbedürfnisse haben, aber in sehr unterschiedlichen Realitäten leben und zur wahren Zufriedenheit doch äußerst unterschiedliche Wünsche haben. Zur Erfüllung dieser individuellen Wünsche umgeben wir uns wiederum gerne mit Menschen, die die gleichen Vorstellungen von Glück wie wir selbst haben. Diese Einladung an ähnlich motivierte Menschen führt dann im Umkehrschluss dazu, dass wir uns von anderen Menschen, mit anderen Wünschen distanzieren.
Diese widersprüchliche Haltung bzw. Handlungsweise findet sich auch in der Bezeichnung ›queer‹ wieder. Das englische ›queer‹, was mit dem deutschen ›quer‹ verwandt ist, wird und wurde zunächst benutzt, um vor allem Homosexuelle und Menschen mit abweichender Geschlechtsidentität zu beleidigen und auszugrenzen. Mittlerweile nutzen jedoch viele Mitglieder der LGBTQIA+¹ Gemeinschaft den Ausdruck ›queer‹ als eine positive Selbstbezeichnung und um die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft zu betonen.
Ich selbst bin ein großer Fan von ›queer‹, da es meiner Meinung nach auch mit dem Plus in LGBT-QIA+ gleich zu setzen ist. Queer ist DIE Schublade, in der wir all unsere einzelnen Facetten sammeln können, ohne dass wir Angst haben müssen, sie zu verlieren. Bei Bedarf können wir die einzelnen Buchstaben jederzeit hervor holen!
Wichtig ist mir, dass wir als queere Gemeinschaft zusammenhalten, dass wir unsere Gemeinsamkeiten betonen und nicht unsere Unterschiede, dass L und G sich nicht auf ihrer mit Hilfe von T mühsam errungenen Akzeptanz in Deutschland ausruhen und teilweise Transfeindlichkeit sogar noch offen anfeuern, dass wir A und I wirklich mitdenken!
Ihr habt vielleicht gemerkt, dass ich im vorigen Absatz mein »wir« mit Bedeutung von ›wir Menschen‹ zu ›wir queeren Menschen‹ verschoben habe. Denn letztlich habe ich mich dazu entschlossen, eine Großzahl von Menschen von der Ausschreibung dieser Anthologie auszuschließen. Meine Rechtfertigung für den Ausschluss von Texten nicht-queerer Personen in dieser Anthologie ist einfach: Authentizität!
Es ist mein Wunsch nicht nur in dieser Anthologie, sondern auch in Zukunft viele Texte zu queeren Themen, verfasst von queeren Autor*innen lesen zu können. Ich hoffe immer mehr, auch auf Texte zu stoßen, die nicht von heteronormativen Vorstellungen vorgefiltert wurden. Ich will Texte, die von den am eigenen Körper und Geist empfundenen Erfahrungen und Gefühlen queerer Personen erzählen!
Wir haben geschrieben. Nun lasst uns gemeinsam lesen!
Linn Schiffmann (Herausgeber*in)
Dortmund November 2023
Ps.: Getreu dem Titel QUEER NunRedenWir sind alle Texte in diesem Buch von Menschen geschrieben, die sich selbst als einen Teil der queeren Gemeinschaft verstehen. Zudem wurden auch die weiteren Arbeiten an diesem Buch, wie etwa die Covergestaltung, das Lektorat und der Buchsatz, aber vor allem auch die Auswahl der Texte von queeren Personen vorgenommen. Aufgrund der Förderung war die Ausschreibung außerdem auf Menschen aus Nordrhein-Westfalen (NunRedenWir) beschränkt.
¹ LGBTQIA+ (Lesbisch Gay Bisexuell Transsexuell Queer Intersexuell Asexuell Plus)
Inhaltsverzeichnis
Sar Adina Scheer
Nun reden wir
Luca Malu Schmidt
Pride
In 10 Schritten zur Auslöschung meiner Geschwister
Calvin Kleemann
Wenn Victor traurig ist
Pans Labyrinth
Simon Klemp
Hey
Dorit Regina Heine
Die See in deinen Augen
Saskia Diepold
Unsichtbar
Natascha Grimmert
Mein (bisexueller) Drahtseiltanz
Gänseblümchen Orakel
Mein Garten
Alexander Weiß
Traubenschorle von wo anders
Anne Bax
Trotz Treppen
Rhea Leonhard
Erste Liebe
Froschprinzessin
Familienfrühstück
Anna Eichenbach
Unsichtbar
Jana Goller
Verkörpert
Kira Marie Jockers
Von Scham und Haar
Glauconar Yue
So schön wie das zufällige Aufeinandertreffen eines Regenschirms und einer Schreibmaschine
Augen zu und durch
The Name Game
Elisha Brzenczek
All Cuddles, All Beautiful
Das Enby, das überlebt
Yannik Raasch
Momentaufnahme eines Schwulen
Rosa
Stefan Matthias Pape
29.01.2023 | 02:30 Uhr
Ngo Nguyen Dung
Jagdzeit
Hannah Dornseiff
Erste Erkenntnis
Isabel Sophie
Viel zu schnell
Berny N.
P.A.N.
Kein Blut mehr im Schuh
Sören »Kitty« Johst
Du bist Performance der Wahrhaftigkeit
Freiheit im Ungefähren finden
Nicken
Paula Höll
Leideinheit
Every Body’s Beautiful
Inga Lohrmann aka Bolle
Suche
Megan E. Moll
Aufmerksamkeit
Jennifer de Negri
und sie war
Isaac Baltsch
self-made sainthood
Robyn Elia Lang
trans* Wahlfamilien & Verbundenheit
Mein politischer Körper
Beleidigung | Kompliment
Jule Weber
Warn- und Alarmrufe zur Verteidigung
Ich erkläre euch gerne meinen Frieden aber Liebe müsst ihr selbst verstehen
Püren Erdoğan
In Blüte
In Bloom (engl. Original)
Team
Glossar
Quellenverzeichnis
Sar Adina Scheer (alle Pronomen /*1994 in Berlin-Kreuzberg) studierte zunächst Visuelle Kommunikation und Theologie, bevor sier 2021 das Schauspielstudium an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg abschloss.
In Sars Arbeit als freie Schauspieler*in interessiert sier sich für Stückentwicklungen mit kollektiven Schreibprozessen, die queere und klassistische Erzählungen in den Vordergrund rücken.
Außerdem dreht Sar für Film und Fernsehen, erhielt das TakeHeart Residenzstipendiums des Fonds Daku in Kooperation mit dem FFT Düsseldorf sowie das Recherchestipendiums des Kulturamtes Berlin.
Aktuell ist Sar am KJT Dortmund zu sehen.
Instagram @sar.scheer
Nun reden wir
Nun reden wir.
Nun.
Ich stolpere.
Haben wir im Davor nicht geredet, oder anders, irgendwie falsch, ins Leere?
Haben wir im Davor marginalisiert geredet? Zu fremd, um Identifikationspotential zu eröffnen – außerhalb des sprachlichen Toleranzfensters?
Ich bin bestimmt schon präzise, aber ganz sicher nicht so, wie ich gern wäre.
Ich liebe zärtliche und konstruktive Polemik, Kitsch und Popkultur, aber ich komme mir damit so oft zu ›einfach‹ vor. Vereinfachte Eindeutigkeit, zwingende Kausalität, der Kitsch sind eine große Gefahr für das künstlerische Ich. Die Schublade steht schon weit offen.
Gestern war ich im Escape-Room. Ich hab präzise gesprochen. Ich hab Störgeräusche von Wichtigem unterschieden, Verklausuliertes dechiffriert. Ich hab zugehört, aber nicht sofort Schlüsse gezogen. Ich habe nachgefragt, aber nur wenn nötig. Ich hab mir nicht alles geglaubt, was ich dachte. Ich bin, in dauerndem, zielgerichteten Austausch mit den Anderen, in Aktion getreten. Wir haben richtige Informationen zusammen getragen, Türen geöffnet und hinter uns aufgehalten. Wir haben die Desinformationskampagnen enttarnt, der Vetternwirtschaft ihre Währung genommen, die Wahrheit ans Licht gebracht, die Öffentlichkeit wach gerüttelt und wenigstens in diesem hermetisch abgeschlossenen Raum den Diktator gestürzt, Maria Ressa, bist du stolz?
NUN weiß ich, dass ich durch das Lösen von sorgfältig aneinandergereihten Rätseln etwas Geschichtsträchtiges bewirken kann.
Also jedenfalls, wenn Mensch es mir zutraut, wenn die nötigen Werkzeuge und Informationen für mich bereitgehalten werden. Wenn ausreichend Zeit zur Verfügung steht – und meine erfahrensten Gleichgesinnten, denen ich vertraue. Wenn die Person, die den Schlüssel zum Escape-Room hat, brüllt: "Los, los, los, die Zeit läuft und viel Spaß!
NUN reden wir.
Bedeutet nun reden wir eigentlich:
jetzt dürft ihr reden.
Dankeschön. Jetzt darf ich auch mal im Mittelpunkt stehen. Hmm.
Oder reden wir nun anders? Anders bedeutet QUEER. Queer reden. Ja, wir reden jetzt queer.
Und wir celebraten diesen Akt der Selbstbefähigung zurecht, denn wie wir reden, das hat uns keiner überreicht. Unsere Codes, unsere Sprache, unsere glitzernde, bunte Subkultur. Was wir meinen, verstehen sie nicht immer. Wer wohlwollend nachfragt, scheint feinstes Allymaterial zu sein, wer sich verächtlich macht, bleibt draußen. Queer reden ist ein wirksamer Arschlochfilter.
Nun reden wir.
Ich versuche nicht mehr die Zugänglichkeit meiner Sprache für die cis-heteronormative Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Ich nutze die präzisen Worte und Beschreibungen, die meiner chosen family so viel sagen, und meiner Familie so wenig.
Davor habe ich in meinem queer sprechen einen Auftrag, eine Verantwortung gesehen. Mein darüber Nachdenken, wie die Worte rezipiert werden, hat viele Ressourcen gebunden. Diejenigen inkludieren, die sonst womöglich noch provoziert werden zum Exkludieren. Making sure everyone is comfortable. Bloß nicht triggern sagen, oder toxic, das triggert die toxic people. Meinen völlig alltäglichen Sprachgebrauch in Anführungszeichen setzen, wenn ich eine Mail schreibe? I don't think so. I am done mich zu erklären, aber auch mit der Care-Work für die gesellschaftliche Transformation, für mehr NUN im Kleinen. Ich halte keinen Wortkatalog mehr bereit, aus dem Normalos sich die Ansprache für mich aussuchen können, die ihre fragilen Ichs möglichst unirritiert zurücklässt.
Ich habe mir viele Gedanken über meine Sprache gemacht, weil für mein Leben Sprache identitätsstiftend ist.
Vielleicht hast du bis jetzt einfach noch keine andere Möglichkeit gesehen. Also hier ist sie.
Nun reden wir.
Es ging mir lange auch so, tobe honest. Ich erinnere mich an Momente, noch bevor 'Queer mit Bildungsauftrag' meine Sprache ist, in denen ich nicht rede.
Ich bin 21 Jahre alt und laufe den mit Raufaserteppich ausgelegten Flur des Frauenwohnheims entlang.
Mein Zimmer teile ich mir mit einer schüchternen Kommilitonin mit der ich zusammengesteckt wurde, weil wir beide gerne zeichnen. Sie malt gerne naturgetreu-realistisch mit Bleistift und Radiergummi, bei mir irren Wachsmalstifte kreuz und quer über das Papier und entscheiden sich zum letztmöglichen Zeitpunkt auf Pappunterlage aus alten Kartons einen neuen Anfang zu ergeben. Das sollte genug Beschreibung unserer Persönlichkeiten sein.
Mein Magen ist flau.
Ich bin hier, weil ich keine Ahnung hatte, was ich studieren soll. Meine Gemeinde war mein ganzes (social) life. Und so hab ich mir vorstellen können, dabei auch Geld zu verdienen, zur Jungpastor*in hochgedient.
Ich studiere im Internat Theologie, um Gottes Werkzeug zu werden. Zeitgleich bin ich wahnsinnig und wahnsinnig unchristlich verliebt in diese eine Freundin, die ich bei meinem letzten Missionseinsatz kennengelernt hab. In meinem Zimmer kann ich wegen der stummen Bleistiftzeichenenden nicht mit ihr telefonieren, also verkrümle ich mich auf den Dachboden. Jede Nacht. Nach der Satzung des Internats, welches natürlich wahnsinnig christlich ist, flöge ich direkt raus, wenn das alles herauskäme.
Auf dem Flur nun setze ich zittrig einen Fuß vor den anderen, Schritt für Schritt, gehe ein Stockwerk hinunter und stehe vor dem Zimmer der Seelsorgerin
des Internats.
Ich selbst glaube eigentlich nicht, auch damals schon nicht, dass Gott* ein Problem mit meinem Queersein hat. Aber ich höre immer und immer wieder Entgegengesetztes von denen, die »mit« mir und von denen, die »über« mir sind.
Ich nehme mir fest vor, mit dieser Seelsorgerin darüber zu reden – hoffe eigentlich, dass ich