Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

"Schwerer werden. Leichter sein.": Gespräche um Paul Celan. Mit Durs Grünbein, Gerhard Falkner, Aris Fioretos und Ulrike Draesner
"Schwerer werden. Leichter sein.": Gespräche um Paul Celan. Mit Durs Grünbein, Gerhard Falkner, Aris Fioretos und Ulrike Draesner
"Schwerer werden. Leichter sein.": Gespräche um Paul Celan. Mit Durs Grünbein, Gerhard Falkner, Aris Fioretos und Ulrike Draesner
eBook202 Seiten2 Stunden

"Schwerer werden. Leichter sein.": Gespräche um Paul Celan. Mit Durs Grünbein, Gerhard Falkner, Aris Fioretos und Ulrike Draesner

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Michael Eskin spürt der Bedeutung Paul Celans im lebendigen Dialog mit zeitgenössischen Autoren nach.

Hundert Jahre nach der Geburt und fünfzig Jahre nach dem Tod von Paul Celan ist seine Dichtung heute immer noch von drängender Aktualität. Mit den vier zeitgenössischen Autoren Durs Grünbein, Ulrike Draesner, Gerhard Falkner und Aris Fioretos spricht Michael Eskin über die nachhaltige Bedeutung des Dichters.
Der Stimme des Dichters und Überlebenden der Shoah, der das heilende, jedoch nicht immer mögliche oder gelingende zwischenmenschliche Gespräch durch die Zeiten hindurch als Gegengewicht zur Last der am eigenen Körper schmerzvoll erlebten Geschichte ins Zentrum seiner Dichtung und Existenz stellte, wird dabei zum ersten Mal im tatsächlichen Dialog literarisch Gehör verliehen. Gleichzeitig gewinnen wir einen ganz persönlichen Einblick in das dichterische Nach- und Weiterwirken Celans in Leben und Werk der Gesprächspartner, die alle auf je eigene Weise Celan zutiefst verbunden sind.
SpracheDeutsch
HerausgeberWallstein Verlag
Erscheinungsdatum2. März 2020
ISBN9783835344556
"Schwerer werden. Leichter sein.": Gespräche um Paul Celan. Mit Durs Grünbein, Gerhard Falkner, Aris Fioretos und Ulrike Draesner

Ähnlich wie "Schwerer werden. Leichter sein."

Ähnliche E-Books

Ähnliche Artikel

Rezensionen für "Schwerer werden. Leichter sein."

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    "Schwerer werden. Leichter sein." - Michael Eskin

    Autoren

    Mit und um Celan sprechen

    Wie es zu diesem Buch kam

    Vor mehreren Jahren schrieb ich einen Essay mit dem Titel »In der zweiten Person lesen«. Es war dies ein erster Versuch, einem Bedürfnis Rechnung zu tragen, das mich schon seit längerem beschäftigt hatte: Wie als Kritiker über Dichtung und Dichter sprechen, ohne über den Dichter hinweg zu sprechen, das heißt, ohne den Dichter gewissermaßen in der dritten Person Singular von der eigentlichen Teilnahme am kritischen Gespräch über seine Dichtung auszuschließen?

    Dies mag zunächst etwas paradox klingen, kann man doch davon ausgehen, dass der Kritiker den Dichter, um den es jeweils gehen mag, ausgiebig zitiert und dessen Stimme somit sehr wohl in das Gespräch, das er mit seiner Leserschaft führt, integriert. Aber gerade ein derartiges Zitieren überdeckt in der Geste der scheinbaren Stimmverleihung die eigentliche Ausblendung des Dichters als aktiver Teilnehmer am Dialog, denn das Zitat ist immer schon ein ›Sprechen für‹ bzw. ›im Namen von‹, was das stillschweigende Verstummen, wenn nicht gar Mundtotmachen, des Zitierten suggeriert. Der Kritiker behandelt den Dichter, über den er spricht, somit in gewissem Sinne immer schon, um mit T. S. Eliot zu sprechen, als »patient etherized upon a table«, als einen Patienten unter Vollnarkose, als eine Art Sprach-Leiche also, deren Sprach-Körper mehr oder weniger beliebig hin und her gewendet und für alle möglichen Zwecke verwendet werden kann.

    Aber wie sonst soll man denn über Andere sprechen, als eben über sie zu sprechen, mag es sich nun um einen Dichter oder um eine beliebige andere Person handeln? Das sind doch alles nur Metaphern! Niemand wird hier in Vollnarkose gelegt, zum Schweigen gebracht oder gar mundtot gemacht! So funktioniert einfach menschliche Kommunikation: indem man eben nicht umhin kann, ständig etwas oder jemanden zum Thema zu machen, das heißt, über irgendetwas oder irgendjemanden zu reden.

    Eine derartige Gegenreaktion mag verständlich und auch zum Teil berechtigt sein, denn in der Tat verbringen wir einen Großteil unseres Lebens damit, uns mit Anderen über Andere zu unterhalten, sei es in der Form des Besprechens, Analysierens, Beurteilens, Bewunderns, Bedauerns, Lobens, Lästerns usw. oder eben der Literaturkritik, die alle genannten Formen in sich versammelt. Und doch haftet dem Über-Andere-Reden – vor allem wenn es sich um unmittelbar anwesende Andere handelt – immer auch etwas ›Ungehöriges‹, ›Unhöfliches‹ an. So bringen wir unseren Kindern bei, im Beisein von Anderen nicht über sie, sondern wenn schon dann mit oder zu ihnen, zu reden. Weshalb? Was genau gehört sich hier nicht?

    Was sich nicht ziemt, so scheint es, ist zum einen der Übergriff auf die Redefreiheit und die damit einhergehende Entmächtigung des Anderen, und zum anderen die Nicht-Anerkennung seiner Gegenwart als Person und die damit einhergehende Verletzung seiner Menschenwürde im Zuge seiner Degradierung vom Subjekt eigener zum bloßen Objekt fremder Rede: Über Andere sowie die Rede Anderer in ihrem Beisein reden, heißt, sich ihrer zu bemächtigen, sich in gewisser Weise über sie hinwegzusetzen, ihnen den einem jeden Menschen gebührenden Respekt zu verweigern, der minimal darin bestünde, einem Anderen nicht das Wort zu nehmen. Man denke nur an all die Situationen, in denen sich mehrere Personen unterhalten und einer der Gesprächspartner einem anderen in dem Glauben, er verstehe das Gesagte bzw. Zu-Sagende besser als der Sprecher selbst, ungebeten das Wort entreißt, um es einem Dritten zu erklären – »Was er meint, ist …« oder »Was sie sagen will, ist …« –, statt den Sprecher selbst weiterreden zu lassen. Gerade dies aber ist des Kritikers Hauptgeschäft: das Wort des Anderen zu vereinnahmen, um es einem Dritten gegenüber zu erläutern, zu besprechen und zu beurteilen.

    Dies alles mag sich jedoch nur als ein vermeintliches Problem erweisen, da der besprochene Dichter normalerweise sowieso nicht anwesend ist, wenn der Kritiker seiner Arbeit nachgeht, und also auch gar nicht leibhaftig, viva voce mitreden und somit auch nicht eigentlich entmächtigt, der Redefreiheit beraubt und in seiner Menschenwürde verletzt werden kann. Außerdem muss man ja irgendwie über Andere und deren Rede reden können, warum also nicht nach den Spielregeln der Literaturkritik? Bei einem lebenden Dichter zumal, der also im Prinzip anwesend sein und am kritischen Dialog über sein Werk öffentlich oder privat teilnehmen kann oder könnte, stellt sich das Problem in dem Sinne nicht wirklich.

    Wie steht es nun aber mit einem Dichter, der nicht mehr oder vielmehr nur noch in absentia ›mitreden‹ kann? Insbesondere mit einem toten Dichter, der das Sprechen der Menschen zu- und miteinander ins Zentrum seiner Dichtung und Existenz gerückt und sich selbst als in seiner Dichtung leibhaftig anwesend verstanden und somit zwischen Mensch und Gedicht keinen prinzipiellen Unterschied gemacht hat? Einem Dichter also wie Paul Celan, dessen Leben und Werk ganz und gar im Zeichen des – nicht immer möglichen oder gelingenden – menschlichen Gesprächs durch die Zeiten hindurch stehen, der stets im Namen des Menschlich-Kreatürlichen dem Dialog das Wort zu reden suchte, der den Dialog regelrecht als ›Waffe‹ gegen jedwede Form von Entmenschlichung und Menschenentwürdigung und -zerstörung einsetzte, der im Gedicht stets die lebendige Stimme des Dichters vernahm? Wie also über Celan sprechen, ohne ihn in die Ecke der dritten Person abzudrängen, ohne über ihn hinweg zu sprechen? Wie über Celan so sprechen, dass das Gespräch, das sich in und durch seine Dichtung hindurch entfaltet, nicht abbrechen und verstummen, sondern sich weiter entfalten und neue, ungewohnte Wege gehen möge? Wie über ihn anders sprechen, als ich es selbst als Kritiker jahrelang unbedacht in meinen Büchern und Essays über Celan bislang getan hatte?

    Dies war die grundlegende Frage, die mich bewegte, als ich den Gedanken fasste, Paul Celan anlässlich seines hundertsten Geburtstages und fünfzigsten Todestages im Jahr 2020 auf meine Art für sein Leben und Werk dialogisch zu danken – für all das, was mir sein Leben und Werk auch im ganz pragmatischen Sinne im Leben eröffnet und mit ermöglicht haben: Beruf, Anstellungen, Wohnorte, Reisen, Bekannt- und Freundschaften, intellektuelle und geistige Erfüllung …

    Es konnte somit nicht angehen, wieder dieselben alterprobten Pfade zu beschreiten und ein weiteres Mal einfach nur über Celan in der dritten Person zu schreiben, zum Beispiel als den Dichter der Shoah par excellence usw. Wie aber Celan gleichsam selbst sprechen lassen? Wie seinem Insistieren auf dem lebensrettenden und lebenserhaltenden menschlichen Gespräch angemessen Tribut zollen?

    Und so kam mir die Idee, statt über Celan, mit und gleichsam um ihn herum, ihn sozusagen umkreisend, zu sprechen. Dies wiederum, so schien mir, konnte so richtig nur im Kreise von Anderen, das heißt, im Gespräch mit Anderen geschehen. Wenn überhaupt, so dachte ich, dann würde seine Stimme wohl nur im Raum eines lebendigen Gesprächs mit Anderen ihrerseits ›lebendig‹ wirken können. Nur im Raum eines sich genuin entfaltenden, zwischenmenschlichen Dialogs würde seiner Stimme wirklich Gehör verliehen, würde sein Wirken und dichterisches Atmen im Leben und Wirken Anderer dialogisch sinnfällig werden – solcher Anderen vor allem, die Celans Leben und dichterisches Sprechen selbst auf ihre Art und mehr oder weniger direkt und explizit weiter dichten und leben und so in besonderem Maße in die Zukunft tragen.

    *

    Das vorliegende Buch ist Frucht und Zeugnis meines Versuchs im Kreise Anderer mit und um Celan zu sprechen. Die Gespräche wurden schriftlich über einen Zeitraum von mehreren Monaten geführt. Alle Gesprächspartner sind Celan tief verbunden und sprechen ihn in den verschiedensten Registern und Tönen auf je eigene, besondere Weise weiter. Darüber hinaus, denke ich, bedarf die Auswahl der Gesprächspartner, ebenso wie Freundschaft oder Liebe, keiner weiteren Begründung oder Erklärung – mögen es geistige Affinität, gegenseitige Sympathie, künstlerische Bewunderung, Anregungen Dritter, Kairos oder bloßer Zufall gewesen sein. Mich zumal hat jedes Gespräch nicht nur Paul Celan neu sehen, hören und sprechen gelehrt … Möge es Ihnen ebenso ergehen.

    Michael Eskin

    Der Spiritus des Lebendigen

    Gespräch mit Durs Grünbein

    MICHAEL ESKIN Celan – Künstlername, Anagramm, onomastisches Vexierbild. Ein Name, der für mich bis heute rätselhaft und geheimnisvoll klingt, auch noch nach fast dreißig Jahren Beschäftigung mit Celans Werk. Diaphan und milchig zugleich, scharf wie eine Messerklinge, spitz wie eine Lanze, aufs Feinste ziseliert und zerbrechlich wie Porzellan, doch auch daunenweich und geschmeidig wie ein Schleier aus lana vergine, lebendig und voller Elan und gleichzeitig erfüllt von Trauer und Melancholie. Kein deutscher Name … Man will ihn unbedingt französisch aussprechen, wie das Wort ›selon‹ – und schon hört man das englische ›so long‹ darin, ein Abschiedswort, Trennung, Heimweh, Verlust und Leid verheißend: Leitmotive in Celans Leben und Werk. Oder die Berührung der Lippen im russischen ›poceluj‹ – Kuss –, das paronomastisch aus ›Paul Celan‹ herausperlt, spricht man den Namen französisch aus und hört dabei mit dem Ohr des von Celan beschworenen Ostens hin, wo er bekanntlich seine »Hoffnung« verortete: »Mon espoir est à l’est – il y est«, schrieb er aus seiner Wahlheimat Paris einmal an seinen rumänischen Freund Petre Solomon. Ganz zu schweigen von den Namen, die da mitschwingen: Thomas von Celano etwa – Franziskanermönch und mutmaßlicher Autor des Dies Irae – oder Céline, antisemitischer Verfasser der Reise ans Ende der Nacht, und natürlich Lancelot … Dass der Akzent, wie Celan angesichts der oft falschen Aussprache seines Namens immer wieder betont haben soll, auf der ersten Silbe zu liegen habe (wohl in Anlehnung an seinen Geburstnamen ›Ántschel‹ bzw. ›Áncel‹ in rumänisierter Form), jedoch ganz intuitiv auf der zweiten gesetzt sein will, stellt außerdem eine musikalische Grundspannung her, die das Geheimnisvolle und Fluide dieses Namens melodisch ins Schwingen bringt: als gemahnte er buchstäblich daran, dass »noch Lieder / zu singen [sind] jenseits / der Menschen«, wie es in Celans berühmtem Gedicht »Fadensonnen« heißt. Auch Du schreibst ja in diesem Zusammenhang in Deinem Essay Artistik und Existenz, der im Dezember 2011 in der Neuen Zürcher Zeitung erschien: »Ich habe bis heute Schwierigkeiten mit der Betonung des Namens. Heißt es nun Célan (gesprochen wie WLAN), oder sagt man Celán, wie man Elan sagt, nach dem französischen Wort für Schwung und Begeisterung? Ich habe mich dann belehren lassen, der Mann hieß Célan, so nannten sie ihn im engsten Freundeskreis.«

    Wann und wo hast Du diesen geheimnisvollen, dem Deutschen so fremden Namen eigentlich zum ersten Mal gehört? Kannst Du Dich noch erinnern, wie er auf Dich gewirkt hat und was Du dabei empfunden oder gedacht hast?

    DURS GRÜNBEIN Auf den Namen Celan stieß ich zum ersten Mal bei dem Philosophen Adorno. Der sprach immer von einem Dichter, der die deutsche Sprache nach Auschwitz zu retten versuchte und gewissermaßen als Einziger die Last der Geschichte trug. Ich hatte noch nichts von ihm gelesen, aber vor dem Namen hatte ich von da an den allergrößten Respekt. Dabei war es eigentlich gar kein Name, sondern eher ein Code unter Eingeweihten, eine Parole, es klang auch wie ein unbekanntes chemisches Element. Als ich dann die »Todesfuge« las, war ich überrascht, wie einfach er sich ausdrückte. Ich hatte weiß Gott was erwartet, dunkle hermetische Texte von enormem Schwierigkeitsgrad – und dann das. Man muss dazusagen, dass Celan in Ostdeutschland keine Schullektüre war. Kein Schulmeister hatte mir diesen Singsang durch Didaktik vergällt. Ich traf also unvorbereitet, geradezu unschuldig auf diese magischen, schamanistischen Zeilen. Schamanistisch kommt mir jetzt unfreiwillig in den Sinn, als sinnloses Wortspiel – denn was ich damals erfasste, war, dass es um Scham ging, um eine große Scham. Die Scham dessen, der sich dafür schämte, dass offenbar kaum einer unter den Menschen seiner Zeit sich schämte. Im selben Augenblick, da ich die »Todesfuge« las, erfuhr ich auch alles über sein Leben. Vom Tod der Eltern, seiner Zeit im Arbeitslager, seiner Übersiedlung nach Paris, vom Auftritt bei der Gruppe 47, von der Goll-Affäre und von seinem Freitod in der Seine. Das Thema der Scham ist mir seither nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Und das quälte mich. Wieso schämte sich dieser feine Mensch so sehr für seine Mitmenschen, dass er immer dünnhäutiger wurde, immer misstrauischer auch, ja geradezu paranoid, bis er es schließlich nicht mehr aushielt und nur noch verschwinden wollte? Man konnte sein Werk aus mehreren Perspektiven lesen. Als eine Anklage der deutschen Judenmorde und der Verdrängung dieses Verbrechens nach dem Krieg. Als einen Versuch, vor dem schrecklichen Realitätsprinzip Geschichte in die Dichtung abzutauchen, indem man die Sprache für sich behauptete wie das Kind – das Kind, das vor sich hin murmelt und Selbstgespräche führt. Oder als einen ununterbrochenen Kampf mit der Scham, einer Scham, die viele Facetten hatte. Der Scham des Überlebenden, der seine Eltern nicht hatte beschützen können. Der Scham des Sprechers, der sich in der Sprache der Mörder zu Hause fühlte, weil es die Sprache seiner Mutter war. Der Scham des Dichters, der instinktiv weiß, dass die moderne Dichtung immer nur von sich selbst spricht und starke Ähnlichkeiten mit einer narzisstischen Erkrankung hat. Der aufgrund dessen spürt, dass er niemals ganz erwachsen werden kann, weil ihn die tiefere Spracherfahrung vom Leben abschneidet. Die Scham für die falschen Töne in den Gedichten der andern, Scham für die Nachahmer. (»Mutter, sie schreiben Gedichte.«) Die Scham eines Menschen, der sich selber so wenig trauen kann wie allen anderen. Eines Menschen, der immer am Rande der Depression lebt und sich dafür schämt. Schließlich die Scham eines Idiosynkratikers der Sprache, den sein Sprachgefühl in eine immer tiefere Isolation treibt, den das gemeinsame Sprechen buchstäblich anekelt und der sich dabei schlecht vorkommt. »DAS AUSGESCHACHTETE HERZ, / darin sie Gefühl installieren. / Großheimat Fertig- / teile.« Deutlicher kann man nicht reden, mehr Klartext geht nicht. Ich habe den Vorwurf des Hermetischen gegen Celan nie verstanden. Mich hat aber auch immer gewundert, wieso viele sich so leicht mit ihm in Verbindung bringen konnten. Mir wollte das nicht gelingen.

    ME Unter diesem Aspekt der Scham sehe ich Celan ganz neu. Vor allem die Nuance des Sich-für-die-eigenen-Mitmenschen-Schämens – was ich so noch nicht bedacht hatte (vielleicht zu Unrecht) – rückt Celans existenzielle ›Grund-Anklagehaltung‹ gegenüber den Deutschen zumal für mich in ein ganz neues Licht. Bedenkt man seine eigene Scham für die anderen mit, dann

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1