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Im Herzen des Sahel: Roman
Im Herzen des Sahel: Roman
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eBook270 Seiten3 Stunden

Im Herzen des Sahel: Roman

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Über dieses E-Book

Im äußersten Norden Kameruns, wo der Klimawandel und die Angriffe von Boko Haram wüten, beschließt die fünfzehnjährige Faydé, ihr Dorf zu verlassen und nach Maroua zu gehen, um dort als Hausangestellte zu arbeiten und so ihre Mutter und ihre Geschwister unterstützen zu können.

Faydé lernt die zermürbende Realität ihres neuen Arbeitsplatzes kennen und erfährt die offene Verachtung der Oberschicht gegenüber Menschen ihres Standes. Schnell lernt sie die ungeschriebenen und brutalen Regeln kennen, die sie unter anderem zu einer potenziellen Beute für die Männer des Haushalts machen. Trotz der Widerstände kämpft Faydé gemeinsam mit ihren Freundinnen ums Überleben und um den Aufb au einer Zukunft.

Lebhaft und liebenswert, manchmal verzweifelt, träumen sie von Erfolg, Freude oder Liebe. Wie werden sie es schaff en, sich in dieser Umgebung, in der ihr Schicksal vorgezeichnet scheint, einen eigenen Weg zu bahnen?

Djaïli Amadou Amal wirft mit Im Herzen des Sahel einen schonungslosen Blick auf die Lage der Frauen in Kamerun und beweist erneut, was für eine wunderbare Erzählerin sie ist.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Sept. 2023
ISBN9783949545405
Im Herzen des Sahel: Roman
Autor

Djaïli Amadou Amal

Djaïli Amadou Amal, Autorin und Frauenrechtsaktivistin, wurde als muslimische Fulbe mit 17 Jahren zwangsverheiratet und hat alle Tiefen und Formen der Unterdrückung einer Frau aus der Sahelzone durchlebt. 2012 gründete sie die Vereinigung »Femmes du Sahel«, die sich für die Bildung von Frauen und gegen geschlechtsspezifi sche Gewalt einsetzt. Die ungeduldigen Frauen wurde 2019 mit dem Prix Orange du Livre en Afrique und 2020 mit dem Prix Goncourt des lycéens ausgezeichnet. In Frankreich 2021 zur Autorin des Jahres gewählt, erhielt sie 2022 die Ehrendoktorwürde der Sorbonne. 2023 wurde ihr Roman für den deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.

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    Buchvorschau

    Im Herzen des Sahel - Djaïli Amadou Amal

    1

    Der Weg der Hoffnung

    »In allen Tränen

    gibt es Hoffnung.«

    Simone de Beauvoir

    1

    Der Morgen ist gerade erst angebrochen. Die Sonne streckt bereits ihre scharlachroten Strahlen aus und kündigt einen sengend heißen Tag an. Aber lässt sich anderes zu dieser Jahreszeit erwarten? Die Regenzeit ist nur noch eine ferne Erinnerung. Der Januar neigt sich dem Ende zu und mit ihm ziehen die letzten kühlen Brisen fort, die einen vor der großen Hitze noch einmal durchatmen ließen. Die Felder reichen bis zum Fuß des Gebirges, trockenes Sorghum bedeckt den Boden und unterstreicht die goldenen Töne der Landschaft. Die wenigen dürren Blätter, die noch an den Akazien hängen, sind schon lange vergilbt, wie auch die von der Sonne verbrannten Kräuter. Die Hirse trägt keine Körner mehr, aber sie steht noch aufrecht, sie wankt, aber ist tief in der nährenden Erde verwurzelt. Graue Berggipfel wachen wie große Hunde über das Dorf.

    Kondems Gesicht ist verschlossen. Doch die Falten auf ihrer dunklen Stirn lassen tiefe Niedergeschlagenheit erahnen. Schweigend reißt sie die letzten Bohnenschoten von den Stängeln und entlädt ihren Ärger an der ausgedörrten Erde. Das junge Mädchen an ihrer Seite lässt sich von der schlechten Laune der Mutter nicht beirren. Auch sie bebt vor Wut, aber bietet ihr die Stirn, entschlossen, ihren Willen dieses Mal durchzusetzen.

    Vier Monate ist es her, dass es das letzte Mal geregnet hat. Fünf weitere werden vergehen, bis der erste Tropfen aus diesem hoffnungslos klaren Himmel fällt, einem Himmel so klar, dass nicht eine einzige Wolke Schutz vor der zornigen Sonne bietet. Der trockene Boden wird rissig, wehrt sich, versucht hartnäckig zu schützen, was von seinen kostbaren Schätzen noch übrig ist.

    Kondem richtet sich ruckartig auf und wirft gereizt den Eimer zu Boden. Eine Eidechse sucht schnell das Weite. Die zartgelben Bohnenschoten wirbeln durch die Luft, ehe sie im trockenen Gestrüpp verschwinden. In der Ferne bellt ein Hund und zerreißt die Stille der Morgenstunden, die in diesem verlorenen Dorf mitten in der Savanne immer ruhiger werden. Seit ihre Tochter verkündet hat, sie wolle im etwa fünfzig Kilometer entfernten Maroua als Dienstmädchen arbeiten, ist Kondem nach dem ersten Schock zunächst verzweifelt, dann wütend gewesen – doch nichts hat das Mädchen von seinem Vorhaben abbringen können.

    Es ist das erste Mal, dass sich Faydé gegen sie auflehnt, und die heikle Situation belastet Kondem – zur großen Überraschung ihrer Tochter, die nicht versteht, weshalb sich ihre Mutter über etwas aufregt, das in ihrem Umfeld gang und gäbe ist.

    Wie um sich Haltung zu geben, stemmt Kondem die Hände in die Hüften, ihre Stimme klingt schrill:

    »Ich lasse dich nicht gehen!«

    »Du musst aber. Wir haben keine Wahl!«

    »Natürlich haben wir die.«

    Faydé stößt einen Seufzer aus, sie ist es leid, ihrer Mutter die ewig gleichen Argumente vorzuhalten.

    »Dada, sieh dich um. Hier ist nichts mehr. Nichts, worauf es sich zu warten oder hoffen lohnt. Immer mehr Leute verlassen das Dorf. Alle meine Freundinnen arbeiten schon in der Stadt. Außer mir ist hier niemand mehr in meinem Alter.«

    »Na und? Ich wünsche mir etwas anderes für dich!«

    »Was denn? Was wünschst du dir, das so anders wäre? Was kannst du schon tun?«

    Für einen Augenblick mustern sie sich prüfend. Sie haben die gleiche zierliche Figur – und sind inzwischen gleich groß! Der gleiche dunkle Teint, auch wenn jener der Tochter etwas leuchtender ist. Doch von der Last der Probleme und der Verbitterung, die ihre Mutter plagen, ist bei der scheinbar sorglosen Tochter noch nichts zu sehen. Sie haben den gleichen entschlossenen Charakter: Keine der beiden senkt den Blick. Ohnmächtige Wut blitzt in Kondems Augen auf und spiegelt sich in denen von Faydé, die mit den Tränen kämpft.

    »Immerhin habe ich dich zur Schule geschickt!«

    »Ich gehe seit zwei Jahren nicht mehr hin!«

    »Ich finde schon eine Lösung! Ich habe das alles nicht getan, damit du wie ich als Dienstmädchen endest.«

    »Ich hätte dir nichts davon erzählen sollen! Ich hätte einfach gehen sollen, wie die anderen! Das wäre besser gewesen!«

    Faydé hebt hastig den Eimer vom Boden auf, sammelt die Bohnenschoten ein und macht sich abrupt davon, ohne sich nach ihrer Mutter, die ratlos und bestürzt allein zurückbleibt, noch einmal umzudrehen. Sie ist entschlossen fortzugehen, mit oder ohne Kondems Erlaubnis. Ihr Plan steht fest. Diesmal werden Srafata, Danna und Bintou nicht ohne sie in die Stadt zurückfahren.

    Tatsächlich hat Faydé ihre ersten Lebensjahre in Maroua mit ihrer Mutter verbracht, die damals als Dienstmädchen in einer großen concession angestellt war – in einer der für Nordkamerun typischen Hofanlagen, in der alle Angehörigen einer Familie leben und die durch eine Mauer, manchmal auch durch einen Zaun von der Straße getrennt wird. Doch an diese Zeit kann sie sich kaum erinnern.

    Faydés Wissen über die mythenumwobene Stadt beschränkt sich auf das, was ihre Freundinnen erzählen, wenn sie am Jahresende mit allerlei praktischen Vorräten für die Dorfbewohner zurückkehren: Sie bringen Seife, getrockneten Fisch, Salz, Zucker, Streichhölzer, Petroleum, manchmal sogar Paracetamol und Chinintabletten mit. Doch vor allem haben sie neue Pagnes, Schmuck und Schuhe dabei, die alle Daheimgebliebenen vor Neid erblassen lassen.

    Abends erzählen sie lachend im Schein der Lagerfeuer von ihren Abenteuern. Und zu Weihnachten tragen sie ihre neuen Pagnes. Sie sind unglaublich elegant, wie sie ihren wakkaré, den zweiten Pagne, der das Outfit vervollständigt, perfekt überschlagen, wie es nur die Städterinnen können. Die hohen Schuhe verleihen ihnen einen etwas steifen, aber dennoch anmutigen Gang. Und durch das aufwendige Make-up wirken sie exotisch. Hach, diese Mädchen aus der Stadt! Wie unbefangen, wie selbstsicher sie sind! Faydé beneidet sie.

    Diese Festtage sind nun schon lange her. Die einen ganzen Monat andauernden Feierlichkeiten, erfüllt von Musik, Tänzen und schlaflosen Nächten, werden von Jahr zu Jahr kürzer. Das vielleicht deutlichste Anzeichen dafür, dass die Dinge dabei sind, sich zu verändern. Die Zeiten der Sorglosigkeit sind vorbei. Immer mehr junge Männer verlassen das Dorf auf der Suche nach einem besseren Leben oder schlicht zum Überleben. Mit den Feldern haben sie ihre Eltern, Frauen und kleinen Kinder zurückgelassen, die nicht die nötige Kraft besitzen, sie zu bewirtschaften. Doch selbst wenn sie stark genug wären, hätten sie noch immer mit dem sich wandelnden Klima zu kämpfen. Auch mit viel Willenskraft lässt sich kein Regen beschwören. Das Klima wird immer wüstenhafter, der Boden ist vertrocknet, karg und erschöpft. Dabei gibt es so viele hungrige Münder! Alle ziehen in die Stadt, immer weiter weg, bleiben immer länger fort. Selbst Faydés Freundinnen halten sich nie lange auf und diesmal ist sie fest entschlossen, ihnen zu folgen.

    Kondem lehnt an dem Zaun und beobachtet ihre Tochter. Faydé sitzt nachdenklich auf einem Hocker im Hof, ihre Brüder tollen um sie herum. Seit sie von dem Plan ihrer Tochter weiß, quält Kondem das Gefühl, einen jahrelang verdrängten Albtraum von Neuem zu durchleben. Was für eine plötzliche Wende! Was für eine Ironie des Schicksals! Hatte sie das nicht etwa alles selbst erlebt? Hatte sie nicht auch mit ihrer Mutter gestritten, um in die Stadt zu ziehen? Hatte sie nicht auch solches Fernweh und die Sehnsucht nach einem besseren Leben verspürt? Und vor allem: Hatte sie nicht auch den im Dorf Gebliebenen die Schattenseiten des Stadtlebens verschwiegen? In ihrem tiefsten Inneren weiß sie, dass sie nichts in der Hand hat, was das eigensinnige Mädchen umstimmen könnte.

    Das plötzliche Weinen ihrer jüngsten Tochter, die wach geworden ist, reißt Kondem aus ihren Gedanken und sie eilt zu ihr ins Haus.

    »Hast du den Brei gemacht?«, fragt sie Faydé.

    »Ja, er ist fertig. Aber wir haben keinen Zucker, keinen Honig und auch keine Tamarinden mehr. Und ich habe kein Geld.«

    »Warum hast du es nicht bei Abdou anschreiben lassen? Wir zahlen später!«

    »Er will uns keinen Kredit mehr geben. Jedes Mal, wenn du mich zu ihm schickst, beschimpft er mich und macht mich runter.«

    »Hast du die Nachbarin gefragt?«

    »Du weißt doch, wie arrogant die geworden ist, seitdem ihr Sohn in Douala arbeitet. Mir reicht’s, so von oben herab von ihr behandelt zu werden. Ich hab Zitrone reingegeben, wir trinken ihn einfach so! Sonst geh halt selber betteln!«

    Faydé kehrt ihr den Rücken zu und presst die Lippen in einer beleidigten Grimasse zusammen, die nicht zu ihrer üblichen Fröhlichkeit passt. Was ist geblieben von dem heiteren Mädchen, die mit ihrem Lachen noch vor Kurzem die dunkelsten Zeiten erhellen konnte? Mutter und Tochter verfallen in ungewöhnliches Schweigen. Die Vertrautheit, die sie seit fünfzehn Jahren verbindet, scheint sich in einem tief sitzenden Konflikt aufgelöst zu haben. Kondem verübelt ihrer Tochter diese ganzen Träumereien. Sie verübelt ihr, sich nach der Stadt zu sehnen. Doch vor allem verübelt sie ihr, sie und ihren mühseligen Alltag verlassen zu wollen.

    »Faydé«, sagt sie schmerzlich, »versuch doch bitte, mich zu verstehen!«

    Das junge Mädchen dreht sich zu ihrer Mutter und nimmt vor ihr Platz, der verblichene Pagne bedeckt ihre Beine. Seit Kurzem wölben sich Brüste unter dem abgenutzten Oberteil und vielleicht ist es auch das, was der Mutter am meisten Angst macht.

    »Ich muss gehen, Dada! Uns bleibt nichts anderes übrig.«

    »Wenn du gehst, wer soll mir dann auf den Feldern helfen?«

    »Welche Felder? Die Trockenzeit wird noch Monate dauern, wir ernten kaum noch etwas. Der Harmattan weht nicht mehr.«

    »Und was ist mit der Schule, Faydé? Die Schule, von der wir so oft in der Kirche gesprochen haben, und wo du unbedingt hinwolltest? Der Hoffnung auf echte Veränderung? Ich habe alles getan, um dich einzuschreiben und dir die ganzen Jahre über das Unterrichtsmaterial zu besorgen. Und du hast immer gute Noten gehabt. Es kommt nicht infrage, dass du dein Talent vergeudest und auf deine Träume verzichtest. Ich bin stolz auf dich! Und das alles nur, damit du wie ich als Dienstmädchen endest? Das lasse ich nicht zu!«

    Faydé hebt den Kopf, ihre Augen sind feucht.

    »Die Schule und ihre Versprechen einer besseren Zukunft, das sind doch alles Illusionen, Dada. Eine Fata Morgana, der ich jahrelang hinterherlaufen kann, ohne sie je zu erreichen. Für etwas, das vielleicht nie eintreten wird, kannst du doch nicht ewig ausgeben, was wir nicht haben!«

    »Du wolltest Ärztin werden …«

    »Im Kampf ums Überleben gibt es keinen Platz für Träume!«, unterbricht Faydé sie. »Erst recht nicht für einen so verrückten Traum hier mitten im Nirgendwo.«

    »Wenn du gehst, wer soll sich dann um deine Brüder kümmern? Und um deine Schwester, die noch gestillt wird? Wer soll das Wasser für die Familie holen? Und wer soll mir helfen, jeden Tag die Hirse für das Essen zu stampfen?«

    »Das ist es ja! Wenn ich nicht arbeiten gehe wie die anderen, woher sollst du dann das Geld nehmen? Wer soll die Mitgift aufbringen, wenn ich einmal heirate? Ich habe nichts mehr zum Anziehen, Dada. Meine Brüder laufen fast nackt herum. Wir versinken im Elend. Die Getreidespeicher sind leer. Sag doch, Dada, wenn ich nicht gehe, wer soll dir helfen, die Kinder sattzubekommen? Wer soll die Schule für sie bezahlen, selbst wenn sie nur ein paar Jahre hingehen? Und was ist mit Seife? Salz? Streichhölzern? Petroleum? An Chinin will ich gar nicht erst denken! Wie sollen wir ohne all das überleben?«

    »Ich weiß es nicht«, entgegnet Kondem traurig.

    Faydé wendet den Blick ab, steht schluchzend auf und läuft davon.

    2

    »Sie will weg. Sie ist fest entschlossen, zu gehen. Ich kann nichts tun, um sie aufzuhalten!«

    Mit gedämpfter Stimme, damit die im Hof spielenden Kinder sie nicht hören, vertraut sich Kondem ihrer Freundin Sadjo an. Die Schatten unter ihren geröteten Augen verraten lange, schlaflose Nächte.

    »Du wusstest doch, dass sie früher oder später in Versuchung kommen würde. Und sie hat recht, Kondem! Was erwartet sie hier? Nenn mir eine einzige Person im Dorf, die das Abenteuer nicht gewagt hätte!«

    »Du weißt, was mir Sorge macht«, flüstert Kondem und vergewissert sich unruhig, dass keine neugierigen Ohren mithören.

    »Du kannst diese alte Geschichte nicht ewig aufwärmen. Du bist sicher die Einzige, die noch daran denkt!«

    Kondem taucht in Erinnerungen ab, die sie lieber vergessen hätte. Aber jeder einzelne Gesichtszug ihrer Tochter lässt sie wieder aufleben. Bis zu ihrem Namen. Was war nur in ihre Mutter gefahren, sie Faydé zu nennen, »Glücksfund« auf Fulfulde, der Sprache der Fulbe. Faydé! Ein Glücksfund. Wie durch eine glückliche Fügung gewonnen. Faydéré! Zynisch, so das Ergebnis einer Vergewaltigung zu benennen, an die ihre Mutter nie geglaubt hat. Sie war überzeugt, dass Kondem dem Charme ihres Arbeitgebers verfallen sein musste. Als dieser die Schwangerschaft bemerkte, hatte er sie auf der Stelle entlassen. Und sie war schamerfüllt ins Dorf zurückgekehrt. Doch entgegen aller Erwartung freute sich ihre Mutter, die sie zuvor monatelang mit Vorwürfen überhäuft hatte, über die wie vom Himmel gefallene kleine Enkeltochter.

    Um für ihr Kind sorgen zu können, begann Kondem wieder in Maroua zu arbeiten. Sie fand eine Stelle als Dienstmädchen im selben Viertel, in dem sie schon zuvor gearbeitet hatte. Doch schon bald behaupteten böse Zungen, die hübsche kleine Faydé auf ihrem Rücken sehe dem kleinen Mädchen im Haus gegenüber auffallend ähnlich. Der zunehmend harte Blick ihres ehemaligen Arbeitgebers siegte schließlich über Kondems Kühnheit und, in Angst um die eigene Sicherheit wie um die ihrer Tochter, war sie ins Dorf geflüchtet und nie wieder zurückgekehrt. Als junge Mutter hatte sie den erstbesten Anwärter geheiratet.

    Faydé wusste nichts über die genauen Umstände ihrer Geburt und auch wenn sie ihr seltsam schienen, stand für sie fest, dass dieser Mann ihr Vater war. Seitdem hatte sich die Familie um drei Jungen und ein kleines Mädchen vergrößert.

    »Und was, wenn er ihr dort begegnet?«

    »Er? Der erinnert sich doch nicht mal an dich! Wie viele Bedienstete sind seitdem dort gewesen?«

    »Du weißt doch, dass ich wegen der Art, wie er mich und Faydé ansah, ins Dorf zurückgekehrt bin.«

    »Ja, aber das war vor einer Ewigkeit! Seitdem hat er sich bestimmt mit anderen Dienstmädchen die Zeit vertrieben und wer weiß, vielleicht hat er noch mehr Faydés in die Welt gesetzt!«

    Sadjo bricht über den eigenen Witz in Lachen aus. Kondem, noch immer unruhig, überhört den Scherz und sagt bedrückt:

    »Trotzdem – er könnte sie wiedererkennen!«

    »Kondem, du übertreibst. Faydé ist erwachsen geworden. Sogar Eltern, die ihre Kinder großgezogen haben, erkennen sie nach einer langen Trennung nicht immer wieder! Und du glaubst wirklich, ein Typ würde sich an eine Tochter erinnern, die er weder gekannt noch anerkannt hat? Ich will dich nicht verletzen, aber für ihn warst du nicht mehr als ein einfaches Dienstmädchen. Er hat bestimmt ein Dutzend andere gehabt!«

    »Trotzdem ist es möglich, dass er sich erinnert!«

    »Und wenn schon! Es wäre ihm egal. Sie wäre nur ein Dienstmädchen von vielen.«

    »Genau das macht mir Sorgen!«

    »Du kennst doch die Leute aus der Stadt. Wie stolz sie sind und wie sie uns verachten …«

    »Genau das macht mir Sorgen!«, wiederholt Kondem.

    Die beiden Jugendfreundinnen haben sich immer gegenseitig unterstützt und Kondem hat ihre ungeschriebene Regel nicht gebrochen: Als die Last der Sorgen zu schwer für sie alleine wurde, hat sie sich Sadjo anvertraut, die ihr seitdem jeden Abend Gesellschaft leistet. Die beiden Frauen sitzen vor einem Eimer auf einer alten Matte und knacken mechanisch die trockenen Erdnussschalen, ohne hinzusehen, werfen sie die Kerne in den danebenstehenden Teller.

    »Die Stadt ist groß. Warum sollte sie ausgerechnet im Haus ihres Vaters landen?«

    »Er ist nicht ihr Vater«, unterbricht Kondem sie trocken.

    »Wie du meinst. Du bist diejenige, die glaubt, er sei es!«

    »Sie weiß nichts von dieser Sache.«

    »Aber es ist doch keine große Sache! Eine Sache, an die sich wahrscheinlich niemand außer dir erinnern will. Und ich frage mich, warum …«, spottet Sadjo, um ihre Freundin aufzumuntern.

    Kondem ist nicht nach Lachen zumute:

    »Und wenn sie den Lügengeschichten aus der Stadt glaubt? Und wenn sie uns verleugnet, wie die anderen, die zu deren Religion übergetreten sind?«

    »Das wäre ja nicht so schlimm, wenn sie dafür ein besseres Leben hat.«

    »Für mich wäre es schlimm, wenn ich meine Tochter verliere!«

    »Du würdest sie doch nicht verlieren, nur weil sie zum Islam übertritt!«

    »Natürlich würde ich das! Sieh dich um. Alle Islam-Konvertierten haben das Dorf verlassen, ihre Traditionen und Familien aufgegeben. Nicht einmal ihren Namen haben sie behalten.«

    »Manche, ja. Aber du kannst das nicht verallgemeinern. Töchter verlassen ihre Mütter nicht.«

    »Aber manchmal schämen sie sich für sie. Was, wenn sie schwanger wird?«

    Kondem hat den Finger in die Wunde gelegt. Beide verfallen in grüblerisches Schweigen. Wie oft hat Sadjo ihre Angst offenbart, was ihrer eigenen Tochter Srafata, die seit Kurzem in Maroua arbeitet, widerfahren könnte? Und was für eine Erleichterung sie jedes Mal verspürt, wenn sie fröhlich und scheinbar sorglos nach Hause zurückkehrt! Noch Tage später beobachtet Sadjo heimlich ihre Tochter in der Sorge, ein Anzeichen dessen zu erkennen, was sie am meisten fürchtet.

    Eine Gruppe sich unterhaltender Frauen kommt auf sie zu, jede von ihnen trägt eine Schüssel auf dem Kopf und einen Eimer in der Hand. Als sie vor ihnen stehen bleiben, unterbrechen sie die Stille und die finsteren Gedanken der beiden Freundinnen.

    »Kondem, ich habe dich schon seit Tagen nicht mehr am Markt gesehen. Heute Morgen war ich sogar bei dir, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. Deine Tochter meinte, du bist auf den Feldern.«

    »Danke, das ist nett von dir. Ich hatte einen Malariaanfall, aber heute geht es mir schon viel besser.«

    »Du siehst wirklich nicht gut aus. Du solltest viel Kräutertee trinken. Wir holen Wasser. Kommt ihr mit?«

    »Nein, wir sind müde«, sagt Kondem und zwingt sich zu einem Lächeln. »Dada Srafata leistet mir etwas Gesellschaft. Unsere Töchter erledigen das für uns. Vielleicht sind sie schon da! Aber sind die Brunnen nicht fast alle versiegt, geht ihr zur Pumpe?«

    »Nein, die ist zu weit weg und dort sind zu viele Leute. Wir gehen zur Kirche. Das ist der einzige Brunnen, der noch Wasser hat.«

    Die Frauen verabschieden sich und erneut legt sich wie von Zauberhand Stille über die beiden. Eine Weile vernimmt Kondem noch die fröhlichen Stimmen aus der Ferne. Als sie langsam abklingen, widmet sie sich wieder ihren Sorgen.

    »Wenn jetzt auch noch Faydé geht, wer soll mir dann mit den Kindern

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