Singles an Bord
Von Dagmar Meyer
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Über dieses E-Book
Dorothee Kaul, 73 Jahre, pensionierte Kriminalbeamtin, traut sich und geht mit klopfendem Herzen an Bord. Neben spannenden Ausflügen in eine fremde Welt trifft sie an Bord andere Alleinreisende und macht ganz neue Erfahrungen im Umgang mit den unterschiedlichsten Menschen, die eine Gemeinsamkeit haben: Bloß nicht alleine herumsitzen! Dorothee lernt: Das Leben an Bord kann ganz schön aufregend sein und eine Herausforderung für ihre in langen Berufsjahren erworbene Menschenkenntnis.
Am Ende der Reise muss sie sich eingestehen: Einsamkeit? Langeweile? Fehlanzeige!
Dagmar Meyer
Dagmar Meyer wurde 1941 im damaligen Ostpreußen geboren. Nach der Flucht 1945 verbrachte sie Kindheit und Jugend in Geesthacht in Schleswig-Holstein. Anschließend studierte sie an der Pädagogischen Hochschule in Kiel für das Lehramt an Grundschulen und später an der Universität noch für das Lehramt an Realschulen. Nach Dienstjahren in Schleswig-Holstein und Berlin war sie bis zur Pensionierung Lehrerin in Baden-Württemberg. Nach Eintritt in den Ruhestand begann sie mit dem Schreiben. Der Roman "Verliere nicht dein tapferes Herz" (2012) umfasst das Leben der Eltern der Autorin und die Kriegsjahre in Ostpreußen bis Fluchtende. Dem zweiten Band "Petticoat und heiße Sohlen" (2015) liegen Kindheits-und Jugenderinnerungen in Geesthacht zu Grunde. Das Buch "Schwarze Spinne Weiße Schlange" (2017) spielt im Schulmilieu. Daneben entstanden zahlreiche Kurzgeschichten.
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Buchvorschau
Singles an Bord - Dagmar Meyer
1. Tag
Eines war Dorothee von Beginn an klar: Die erste Kreuzfahrt ihres Lebens würde auch die letzte sein.
Ein heftiger Wind fegte über den Kai, wirbelte Papierfetzen auf, sodass sie auf dem Asphalt einen wilden Tanz aufführten, den auf das Schiff zustrebenden Passagieren zwischen die Füße fuhren und an den Rollkoffern hängen blieben. Der riesige Kreuzfahrtdampfer auf der einen, die hohen Hafengebäude auf der anderen Seite des Kais wurden zu einem saugenden Schlauch.
Wo war bloß das Meer?
Mit aller Kraft stemmte sich Dorothee gegen den Sog des Windes. Mit der einen Hand umklammerte sie den Griff ihres Koffers, mit der anderen die Schlaufe einer Reisetasche. Der Rucksack auf ihrem Rücken taumelte wild hin und her. Sich Sorgen um die Frisur zu machen, hatte sie längst aufgegeben. Die Strähnen ihres kurzen, schwarzen Haares schwangen auf Kommando des Windes hin und her. Gerade hatte Dorothee ein anderes Problem.
Die Menschenschlange kroch auf das Schiff zu, wand sich im Schneckentempo die Gangway hinauf, bis der dunkle Schlund des Eingangs sie verschluckte. Als Teil dieser kriechenden Schlange wurde Dorothee unaufhaltsam mitgezogen, sie konzentrierte sich darauf, keines ihrer Gepäckstücke zu verlieren. Freundliche Besatzungsmitglieder standen rechts und links des Eingangs und bugsierten die Passagiere zu den Tischen, an denen die Formalitäten erledigt wurden.
„Willkommen an Bord, Frau Kaul."
Ein Offizier in fescher Uniform strahlte Dorothee an, als ob er nur auf sie gewartet hätte, und gab ihr den Pass zurück mit der Bordkarte und einem Stapel Unterlagen. Koffer, Tasche, Rucksack und jetzt auch noch die Papiere, Dorothee hatte Mühe, alles zusammenzuhalten. Unaufhaltsam wurde sie weitergeschoben bis in die Eingangshalle. Dort blieb Dorothee abrupt stehen, setzte den Koffer ab und ließ die Reisetasche zu Boden plumpsen. Die plötzliche Weite und Höhe der Halle überwältigten sie und gaben ihr das Gefühl, in einer Kathedrale zu sein. Es strahlte und funkelte von oben, unten und allen Seiten. Sie kniff die Augen zusammen. Das Licht der riesigen Kristalllüster wurde im Glas ringsum vielfach widergespiegelt, Messingstangen glänzten überall zwischen poliertem Holz, alles zusammen erweckte den Eindruck, sich im Entree eines Fünf-Sterne-Hotels zu befinden.
Menschen wuselten durcheinander. Aufgekratztes Stimmengewirr waberte von Wand zu Wand, die Aufregung stand den neu Angereisten in die geröteten Gesichter geschrieben.
Wie sollte Dorothee sich hier nur zurechtfinden? Wahrscheinlich war diese Kreuzfahrt mal wieder eine ihrer Schnapsideen gewesen. Nun musste sie sehen, wie sie klarkam.
Jetzt entdeckte sie die gläserne Kabine des Fahrstuhls, der an der einen Seite des Runds geräuschlos auf und ab glitt wie ein Wesen aus einer anderen Dimension.
Dorothee nahm ihr Gepäck und steuerte entschlossen die Fahrstuhltür an. Im Nu war die Kabine voller Menschen, die Tür schloss sich, und der Fahrstuhl stieg lautlos empor über die Köpfe der unten Stehenden.
Auf Deck neun drängelte sich Dorothee mit ihrem Gepäck hinaus und blieb erneut stehen. Mit zittrigen Fingern nestelte sie die Bordkarte aus ihrer Manteltasche und suchte die Kabinennummer: 9118. Ihre Augen flatterten nervös an den Wänden entlang auf der Suche nach Hinweisschildern.
„Gar nicht so einfach, was?"
Eine Dame war hinter ihr stehen geblieben und sah sich ebenfalls um.
„Sieht so aus, als ob wir beide auf Deck neun wohnen, oder?" Dorothee nickte und blickte, als sie sich umdrehte, in unglaublich tiefblaue Augen in einem schmalen Gesicht, das umspielt wurde von sehr blonden, kinnlangen Locken. Die dazu gehörende Gestalt war etwa so groß wie sie selbst und schlank. Forschend betrachteten die blauen Augen Dorothee eine Weile, bevor sie wieder an den Wänden entlangglitten und die schmalen Hinweisschildchen studierten.
„Aha, capito, auf dieser Seite sind die geraden Kabinennummern, nach rechts aufwärts und nach links abwärts. Und da drüben die ungeraden. Na also."
Entschlossen griff die Fremde nach ihrem Gepäck, Dorothee tat es ihr nach.
„Also, ich muss da lang, man sieht sich."
Auch Dorothee machte sich auf die Suche nach ihrer Kabine. Ein langer, schmaler, mit Teppichen ausgelegter Gang nahm sie auf. Nachdem sie das erste Nummernschildchen neben einer Kabinentür entdeckt hatte, wanderten ihre Augen von Kabine zu Kabine fast bis zum Ende des Schlauches. Endlich 9118! Erleichtert setzte sie ihr Gepäck ab, schloss auf, schob mit einem tiefen Seufzer ihr Gepäck hinein - und blieb überrascht stehen. So eine große, gemütliche Kabine!
Das breite Panoramafenster zog ihre Augen magisch an, sie wanderten hinaus auf den Balkon, glitten über die Brüstung und das blaugraue Meer bis zum Horizont, an dem es mit dem Himmel eins wurde. Dorothee schob die Glastür auf. Endlich spürte und sah sie, dass sie sich auf dem Wasser befand. Es wimmelte von Booten aller Art, die auf das Meer hinausfuhren oder zurückkamen und nach einem Anlegeplatz Ausschau hielten. Dazwischen verließen schnelle Fähren das Hafenbecken und manövrierten zielsicher zwischen eleganten, auf dem Wasser dümpelnden Segelbooten. Auf den Quais standen Bagger, Kräne und Lastwagen, die wie von Geisterhand bewegt wurden.
Dorothee war begeistert und konnte sich an dem Wimmelbild kaum sattsehen. Allmählich entspannte sie sich, alle Unsicherheiten und Zweifel fielen von ihr ab wie reifes Obst vom Baum. Sie warf einen prüfenden Blick auf ihre Armbanduhr. In aller Ruhe würde sie ihre Sachen auspacken und dann schauen, wo sie ein Restaurant für das Abendessen fand. Davon sollte es eine ganze Reihe an Bord geben, wie sie in den Prospekten gesehen hatte. Alles war neu und dementsprechend aufregend; so viel gab es zu entdecken.
Auf dem kleinen Schreibtisch fand sich ein Plan des Schiffes, in dem die Restaurants eingezeichnet waren. Da würde sie schon das richtige für sich finden.
Bald hatte sie ihre Garderobe untergebracht und die Kosmetikutensilien im Bad verstaut. Es war zwar klein, doch alles Nötige schien vorhanden. Noch eine kurze Dusche nach der langen Anreise; sie warf einen prüfenden Blick in den Badspiegel. Gut, dass sie sich die Haare hatte frisch färben lassen, den Luxus gönnte sie sich regelmäßig. Ansonsten gab sie sich mit ihrem Aussehen nicht allzu viel Mühe, verzichtete auf Make-up und anderen Schnickschnack. Der graue Hosenanzug und die weiße Bluse passten gut zu ihrer schlanken Figur. Wie immer waren ihre Hände kalt, sie rieb sie aneinander. Hoffentlich konnte sie deren Zittern verbergen. Schnell in die Schuhe, dann konnte es losgehen.
Hinweisschilder gab es an vielen Ecken, an den Treppen, in den Fahrstühlen. Bald hatte sie das Restaurant ihrer Wahl gefunden. Vor dem Eingangsbereich wuselten schon hungrige Touristen durcheinander, mehrere Angestellte achteten darauf, dass niemand das Desinfizieren der Hände vergaß und einfach durchhuschte. Freundliches Lächeln, hilfloses Schulterzucken und abwehrende Hände machten klar, dass alle Tische besetzt waren. Was nun? Sollte sie sich etwas anderes suchen? Dorothee überlegte fieberhaft, dann kam ihr eine Idee. Sie war bestimmt nicht die einzige Alleinreisende an Bord. Entschlossen trat sie auf einen Kellner zu.
„Ich habe eine Bitte. Sicher gibt es Zweiertische, an denen nur eine einzelne Person sitzt. Bitte, seien Sie doch so freundlich und fragen nach, ob ich mich dazusetzen kann."
Der höfliche Angestellte überlegte kurz, dann drehte er sich um und verschwand so schnell im Gewusel, als ob er schon einen bestimmten Tisch im Kopf hätte. Hoffnungsvoll und angespannt stand Dorothee zwischen den anderen unschlüssig Wartenden. Nach wenigen Minuten tauchte der Mann wieder auf, winkte unauffällig und eilte vor ihr her auf einen Tisch zu, an dem eine Dame neugierig den Kopf hob.
„Holla, die Waldfee, das nenne ich einen Zufall!"
Sie strahlte Dorothee an, die ungläubig schaute. Da saß die blonde Haarpracht von vorhin, jetzt frisch gewaschen und frisiert, und strahlte sie mit ihren meerblauen Augen an. Dorothee blieb am Tisch stehen. Die Dame wies auf den Platz gegenüber.
„Bitte, setzen Sie sich."
„Darf ich mich vorstellen, Dorothee Kaul."
„Mandy Schulz."
Kaum hatten sie ihre Stühle zurechtgerückt, stand derselbe Kellner mit breitem Grinsen und gezücktem Bleistift neben dem Tisch, um ihre Bestellung für das Abendessen aufzunehmen, sichtlich stolz darauf, dass er zwei Damen zusammengebracht und glücklich gemacht hatte. Obwohl der Saal bis auf den letzten Tisch besetzt war, brachte der Kellner den Wein im Handumdrehen. Die beiden Frauen hoben ihre Gläser.
„Auf einen schönen Abend." Dorothee lächelte ihr Gegenüber an.
„Und eine interessante Reise", ergänzte Frau Schulz.
Die Tische standen weit auseinander, sodass der Eindruck einer vornehmen Großzügigkeit entstand, ein Meer von Kerzen verbreitete warmes Licht. Über allem waberte eine Kakophonie von Stimmen. Der Reiz des Neuen verfehlte seine Wirkung auf die Gäste nicht, erwartungsfrohe Spannung knisterte über den Tischen. Dorothee fühlte sich auf Anhieb wohl und war von dieser besonderen Atmosphäre eines Bordrestaurants fasziniert.
„Sind Sie oft mit einem Kreuzfahrtschiff unterwegs?"
Die Frage von Frau Schulz holte Dorothee an den Tisch zurück.
„Nein, diese Reise von Dubai aus ist meine erste große Kreuzfahrt."
Die meerblauen Augen blickten sie ungläubig an. Nun entspann sich ein lebhaftes Gespräch über Reisen im Allgemeinen und Kreuzfahrten im Besonderen. Mandy Schulz hatte schon mehrere große Kreuzfahrten mit verschiedenen Schiffen in alle Himmelsrichtungen unternommen. Mit ihrer Bemerkung hatte Dorothee Kaul ihr eine Steilvorlage geliefert. Je mehr Fragen ihr Gegenüber stellte, desto mehr kam Frau Schulz ins Erzählen und desto ungestörter konnte Dorothee sie beobachten.
Während sich ihre Tischnachbarin in Begeisterung redete, bewunderte Dorothee ihre hübschen Finger mit den perfekt gefärbten, leuchtend roten Nägeln. Die Hände fuhren ständig durch die Luft, während ihre Stimme Dorothee umschwirrte wie ein Schwarm Wespen. Das auffallende blaue Shirt mit eingewebten silbernen Fäden, das sicher aus einer Edelboutique stammte, passte hervorragend zu der gesamten Erscheinung, überlegte Dorothee. Im Vergleich mit Mandy Schulz kam sie sich doch ziemlich hausbacken und langweilig vor in weißer Bluse und grauer Jacke, obwohl sie in ihrer Kabine mit ihrem Aussehen ganz zufrieden gewesen war. Warum sollte sie sich auch besondere Mühe mit ihrem Aussehen geben? Dorothee lebte allein, seitdem ihr Josef vor fünf Jahren verstorben war.
Inzwischen bewegte sich das Gespräch vom Reisen weg zur beruflichen Vergangenheit.
Mandy Schulz war Chefsekretärin bei einem größeren Autozulieferer gewesen. Natürlich, dachte Dorothee, das passte, so wie sie aussah und auftrat, sich ihrer wichtigen Position vollauf bewusst; auch wenn diese inzwischen bestimmt Vergangenheit war, schätzte Dorothee. Frau Schulz sollte auch schon einige Jahre im Ruhestand sein. Wie alt sie wohl war?
„Seit vier Jahren bin ich Rentnerin, und seitdem reise ich durch die Welt. Gottseidank kann ich mir das leisten. Und man lernt interessante Leute kennen."
Wieder fuhren ihre Hände durch die Luft wie losgelassene Jagdhunde. Sie lächelte ihre Tischgenossin an; unsicher, wie es Dorothee schien. Und dass die herumflatternden Hände und die Mundwinkel leicht zitterten, bemerkte sie auch. Berufserfahrung.
Der nette Ober hatte inzwischen die Teller abgeräumt und den hübsch