Polizei.Wissen.: Demokratische Resilienz für die Polizei
Von Jonas Grutzpalk und Martin Klein
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Über dieses E-Book
a) eine Mannigfaltigkeit an Sichtweisen
b) in kurzen Texten
zusammenzuführen. Dadurch soll eine Diskussion möglich werden, die ansonsten nur schwer zu organisieren wäre und die sehr lange dauern könnte.
Grundsätzlich wird in den Themenheften, ein Thema von verschiedenen Seiten beleuchtetet. Dabei wird jeweils besonders der polizeilichen Lehre als auch der polizeilichen Praxis Raum zur Aussprache eingeräumt.
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Buchvorschau
Polizei.Wissen. - Jonas Grutzpalk
Demokratische Resilienz – Eine Einordnung für die Polizei NRW
Johanna Wagner, Nils Montabon, Hendrik Mathias*
Im Jahr 2022 veranstaltete das Zentrum für ethische Bildung und Seelsorge in der Polizei NRW (ZeBuS) zwei Tagungen zum Begriffspaar „Demokratische Resilienz". Deren Ziel bestand darin, eine Klärung der Bedeutung des Begriffs voranzutreiben und nach Möglichkeiten zu suchen, wie die zentrale Forderung der Stabstelle Rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW nach einer verstärkten Förderung ebenjener Demokratischen Resilienz umgesetzt werden kann.
Im ZeBuS fand in den Phasen der Vor- und Nachbereitung der Tagungen eine intensive Auseinandersetzung mit dem Begriff und den Fragen rund um Demokratische Resilienz statt. Im folgenden Beitrag werden einige dieser Überlegungen zusammengefasst. Dabei steht im Fokus, (1.) wie Demokratische Resilienz für die Polizei NRW definiert werden kann und (2.) welche Erfordernisse für die Förderung von Demokratischer Resilienz sich daraus ableiten lassen.
Was ist demokratische Resilienz?
(1.) Resilienz beweist sich immer dann, wenn eine Störung auftritt. (2.) Resilient zu sein bedeutet, diese Störung erfolgreich zu bewältigen.
Zur Begriffskombination „Demokratische Resilienz gibt es bisher wenig Forschung. Insbesondere mit Hinblick auf die Verwendung in der Polizei ist noch kein umfangreicher Definitionsversuch unternommen worden. Für einen ersten Ansatz lässt sich „Resilienz
als Einzelbegriff leichter fassen als das Begriffspaar. Je nach zurate gezogener Literatur werden unterschiedliche Komponenten benannt, die Resilienz umfassen soll. Dabei lassen sich zwei wiederkehrende Grundzüge erkennen: (1.) Resilienz beweist sich immer dann, wenn eine Störung auftritt. (2.) Resilient zu sein bedeutet, diese Störung erfolgreich zu bewältigen.
Demokratische Resilienz bezeichnet die Kompetenz von Organisationen und ihren Mitgliedern auf antidemokratische Anfechtungen von außerhalb wie innerhalb der Organisation adäquat zu reagieren und die eigenen demokratischen Werthaltungen aufrechtzuerhalten.
Versucht man, diese grobe Definition auf den polizeilichen Kontext anzuwenden und um das Adjektiv „demokratisch" zu erweitern, ergeben sich zahlreiche Fragen. Zunächst wäre zu klären, wer genau resilient sein soll: Das Individuum? Die Organisation? Die Gesellschaft? Gleiches gilt für die Störung: Was stört? Kommt die Störung von innen oder von außen? Und auch der Zustand, der entweder wieder erreicht oder unbeeinflusst bleiben soll, ist nicht selbstverständlich: Ist hiermit die Orientierung am Grundgesetz gemeint? Eine stabile demokratische Wertehaltung? Und wenn ja: worin genau besteht diese?
Wir möchten folgenden Vorschlag einer Definition von Demokratischer Resilienz für die Zwecke der Polizei NRW unterbreiten und knapp erläutern:
Demokratische Resilienz bezeichnet die Kompetenz von Organisationen und ihren Mitgliedern auf antidemokratische Anfechtungen von außerhalb wie innerhalb der Organisation adäquat zu reagieren und die eigenen demokratischen Werthaltungen aufrechtzuerhalten.
Für die Polizei ist besonders zu betonen, dass Demokratische Resilienz als Fähigkeit beschrieben wird. Es geht nicht um ein statisches Wesensmerkmal einer Person oder eines Systems, das entweder vorhanden oder nicht vorhanden ist.
Vielmehr kann Demokratische Resilienz als Fähigkeit erlernt, trainiert und gestärkt werden. Gleichermaßen kann eine Fähigkeit auch verkümmern und verloren gehen, wenn sie nicht zur Anwendung gebracht wird.
Im Rahmen unserer Definition wird sowohl die individuelle als auch die organisationale Ebene adressiert. Über die Fähigkeit der Demokratischen Resilienz sollten sowohl alle Mitglieder der Polizei verfügen als auch die Organisation selbst. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass eine Organisation mehr ist als die Summe ihrer einzelnen Teile und demokratische Werthaltungen ebenfalls in deren Strukturen verankert und gefördert werden müssen.
Antidemokratische Anfechtungen können in den unterschiedlichsten Formen auftreten. Gemein ist all diesen, dass sie dazu auffordern, demokratische Grundsätze wie „einen politischen und gesellschaftlichen Pluralismus, eine systematische Macht- und Herrschaftsbegrenzung und das Prinzip der Rechts- sowie häufig auch Sozialstaatlichkeit (vgl. Frevel dieser Band) in Frage zu stellen. Dazu gehören ideologische Einflussnahmen und populistische Verzerrungen sowie die wiederholte Konfrontation mit gesellschaftlichen Verhältnissen und Begegnungen, die sich mit wachsender Berufserfahrung in „Prozessen der Verrohung und Desensibilisierung
(IM NRW 2021) niederschlagen können. Aber auch polizeiinterne Gruppendynamiken und Machtstrukturen können zur Entwicklung antidemokratischer Haltungen beitragen (vgl. IM NRW 2021).
Die Erscheinungsformen antidemokratischer Anfechtungen lassen sich relational systematisieren. Polizistinnen und Polizisten stehen zu verschiedenen Akteuren und Institutionen in Beziehung: (1.) Die Beziehung zu Bürgerinnen und Bürgern, (2.) die Beziehung zum politischen System, (3.) die Beziehung zur Institution Polizei und (4.) die Beziehung zu Kolleginnen und Kollegen. In diesen Beziehungen sollte sich polizeiliches Handeln als demokratisch erweisen. Die Systematik erlaubt nicht nur eine Kategorisierung der Erscheinungsformen antidemokratischer Anfechtungen, sondern bietet auch Ansatzpunkte für Formate und Maßnahmen, um ihnen zu begegnen.
Eine adäquate Reaktion kann ebenfalls verschiedene Formen annehmen. Sie kann bedeuten sich gegen bestimmtes Gedankengut schlichtweg zu immunisieren und den Status quo aufrecht zu erhalten. Resilienz besteht jedoch häufig in einer Anpassungsleistung (vgl. Endreß dieser Band). Resiliente Individuen und Systeme reagieren flexibel auf Anfechtungen, bauen Abwehrmechanismen aus, passen bestehende Strukturen an und entwickeln sie weiter.
Welche Erfordernisse folgen daraus für die Polizei NRW?
Mit der Beobachtung, dass Demokratische Resilienz eine erlern- und trainierbare Fähigkeit ist, wird deutlich, dass ein großer Teil der Verantwortung für deren Stärkung bei der Aus- und Fortbildung der Polizei liegt.
Wie sich Einsatztaktiken und -trainings im Laufe der Zeit verändern und entsprechende Kompetenzen wachsen oder abnehmen, so ist vor dem Hintergrund des Themenfelds Demokratische Resilienz zu fragen, wie die Organisation und die Einzelnen (noch) resilienter werden können oder welche Anpassungen notwendig werden.
Dabei sind einige Unterscheidungen hilfreich. Demokratische Resilienz ist abzugrenzen von dem Konzept der psychischen Resilienz, wie es im psychologischen und psychotherapeutischen Kontext verwendet wird. Hier bedeutet Resilienz, dass sich manche Menschen unter schädigenden Lebensumständen oder existentiellen Bedrohungen dennoch „weiterentwickeln und sogar seelisch daran ‚wachsen‘ können" (Fooken 2016).
Die Stärkung dieser Art von Resilienz zielt entsprechend auf den Erhalt des psychischen Wohlbefindens und der Lebenschancen von Individuen. Psychische Resilienz kann entwickelt werden in Formaten der psychosozialen Unterstützung, wie etwa Beratung, Seelsorge oder Psychotherapie. Dabei steht die Stärkung der persönlichen Ressourcen im Umgang mit Belastungen im Vordergrund.
Bei Demokratischer Resilienz geht es hingegen nicht primär um die psychische Gesundheit, sondern um die Herstellung oder den Erhalt von demokratischen Einstellungen und Haltungen. Diese können gestärkt werden in Formaten der politischen Bildung und der ethischen Reflexion. Im Fokus stehen hier die Entwicklung der eigenen Reflexionsfähigkeit und relevanter Wissensbestände.
Sicherlich ist die Stabilität demokratischer Einstellungen nicht völlig unabhängig vom psychischen Wohlbefinden (vgl. Decker/Brähler/Geißler 2006). Daher sind Formate, die beides in den Blick nehmen, wie etwa Supervision oder Coaching, durchaus sinnvoll.
Weiterhin ist demokratische Resilienz nicht zu verwechseln mit organisationaler Resilienz, wie sie häufig im organisationssoziologischen Sinne verwendet wird (vgl. Kaufmann dieser Band). Diese umfasst primär die Vorbereitung auf krisenhafte Ereignisse, die die Polizei in ihrer Aufgabenwahrnehmung einschränken würden. Beispielhaft sei hier die Besondere Aufbauorganisation Kritische Infrastruktur (BAO Kritis) genannt, die