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Zeitschrift Polizei & Wissenschaft: Ausgabe 1/2023
Zeitschrift Polizei & Wissenschaft: Ausgabe 1/2023
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eBook245 Seiten2 Stunden

Zeitschrift Polizei & Wissenschaft: Ausgabe 1/2023

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Über dieses E-Book

Kompetentes Handeln basiert allgemein auf der Kombination praktischer Erfahrung und wissenschaftlicher Erkenntnisse. Grundlage hierfür ist die Kommunikation und Diskussion zwischen Wissenschaftlern und Praktikern. Dies gilt ganz besonders für eine moderne Polizei.

Die Zeitschrift Polizei & Wissenschaft bietet die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Kommunikation polizeirelevanter Themenbereiche. Sie versteht sich als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Polizei. Durch ihre interdisziplinäre Ausrichtung werden unterschiedlichste wissenschaftliche und praktische Perspektiven miteinander vernetzt. Dazu zählen insbesondere die Bereiche Psychologie, Rechtswissenschaft, Soziologie, Politikwissenschaft, Medizin, Arbeitswissenschaft und Sportwissenschaft. Aber natürlich wird auch polizeirelevantes Wissen der Disziplinen genutzt, die nicht klassisch mit dem Begriff Polizei verknüpft sind, wie z.B. Wirtschaftswissenschaften, Sprachwissenschaften, Informatik, Elektrotechnik und ähnliche.

Polizei & Wissenschaft regt als breit angelegtes Informationsmedium zur Diskussion an und verknüpft Themenbereiche. Sie erscheint vierteljährlich und geht mit ihrer interdisziplinären Interaktivität über einen einseitigen und fachlich eingeschränkten Informationsfluss hinaus. Dazu nutzt sie die Möglichkeiten des Internets und fördert durch die Organisation von Veranstaltungen auch eine direkte Kommunikation.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum28. Feb. 2023
ISBN9783866767942
Zeitschrift Polizei & Wissenschaft: Ausgabe 1/2023

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    Buchvorschau

    Zeitschrift Polizei & Wissenschaft - Verlag für Polizeiwissenschaft

    Gewalt und Aggressionen gegen Bedienstete im hessischen Justizvollzug

    Eine empirische Untersuchung

    Franziska Kemperdiek

    1 Vorbemerkung

    Widerwärtige Attacken auf Beamte (dpa, 2019), „Häftling greift JVA-Beamte mit Scherben an (dpa, 2018), „‘Du Hurensohn‘ ist Standard (Fittkau, 2020). Schlagzeilen dieser Art sind in den Medien der jüngeren Vergangenheit präsenter geworden. Während bislang vermehrt exponierte Berufsgruppen wie Polizei oder Einsatzkräfte der Feuerwehr und Rettungsdienste sowie Notärzt*innen im Vordergrund standen, besteht Grund zur Annahme, dass auch Justizvollzugsbedienstete im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Aggressionen und Gewalthandlungen in besonderem Maße ausgesetzt sind.

    Diese Einschätzung bestätigte sich bereits im Rahmen der nicht repräsentativen Studie „Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst des Landes Hessen", welche im Auftrag des dbb beamtenbund und tarifunion, Landesbund Hessen durchgeführt wurde und einen ersten wichtigen Eindruck zur Gewaltbetroffenheit von im Öffentlichen Dienst tätigen Personen erbrachte (Bannenberg et al., 2020). Mit einer Beteiligungsquote von n = 2185 bei einer Grundgesamtheit von N = 45.000 war der Rücklauf zwar überschaubar, brachte aber dennoch signifikante Erkenntnisse, die ausschlaggebend für die Durchführung des hier beschriebenen Forschungsprojekts waren. Berufsübergreifend fiel auf, dass das Ausmaß von Beleidigungen, verbalen und körperlichen Bedrohungen oder gar wiederholten Angriffen enorm ist und für viele Betroffene nicht selten zum beruflichen Alltag gehört. Von den 50 teilnehmenden Mitarbeiter*innen aus dem hessischen Justizvollzug gaben 90 % an, in ihrem gesamten Berufsleben mindestens eine verbale oder körperliche Bedrohung erlebt zu haben, über 50 % innerhalb der letzten 12 Monate. 57 % der Bediensteten wurden in ihrer beruflichen Laufbahn im Justizvollzug mindestens einmal Opfer eines körperlichen Angriffs, bei über 30 % traf dies auf die letzten 12 Monate zu.

    Zusammenfassung

    Der Artikel berichtet über eine empirische Untersuchung zur Gewaltbetroffenheit von Bediensteten im hessischen Justizvollzug. Das Ziel der Untersuchung liegt darin, die objektive und subjektive Sicherheitslage der Bediensteten zu erfragen und einen besseren Überblick über die Situation von Gewalt und Aggressionen gegen Bedienstete im hessischen Justizvollzug zu gewinnen, um Gefahren im beruflichen Kontext künftig bestmöglich verringern zu können. Es wird geschlussfolgert, dass die im Justizvollzug tätigen Berufsgruppen eine unterschiedlich hohe Gewaltbetroffenheit mit spezifischen Besonderheiten aufweisen und diese u. a. von der Haftform abhängig ist.

    Gewalt, Aggression, Gefängnis, Justizvollzug, Beschäftigte.

    Abstract

    The report is based on a current, empirical survey on violence against staff in penal institutions in Hesse. The aim of this study is to inquire about the objective and subjective security situation of the employees and to gain a better overview of violence and aggressions against employees in Hessian prisons. Based on this data, risks in a professional context should be reduced as best as possible. It is concluded that employees working in the penal institutions are exposed to different levels of violence with specific characteristics depending on the form of imprisonment.

    Violence, aggression, prison, correctional system, staff.

    Nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Gesellschaft, wird insbesondere über Gewalttaten gegen Polizei und Rettungskräfte diskutiert. Dabei darf jedoch keinesfalls außer Acht gelassen werden, dass unter anderem diese Gewalttäter*innen nach schweren Übergriffen einen Teil der Inhaftierten in den Justizvollzugsanstalten ausmachen und es damit Aufgabe der Justiz ist, diese sowohl sicher unterzubringen als auch zu resozialisieren. Nicht nur aus diesem Grund dürfen Übergriffe auf Bedienstete im Justizvollzug keinesfalls als selbstverständliche Begleiterscheinung hingenommen werden. Dass sich Bedienstete im Justizvollzug berufsbedingt zwangsläufig mit einer gewaltbereiten oder zumindest delinquenten Klientel auseinandersetzen, kann nicht zur Rechtfertigung oder gar Akzeptanz von Aggressionen und körperlichen Übergriffen führen. Dem stehen neben dem Schutzauftrag staatlicher Institutionen auch die Vollzugsziele der Resozialisierung und Legalbewährung klar entgegen (vgl. § 2 HStVollzG). Ein Erreichen der Vollzugsziele wird insbesondere dann scheitern, wenn Personal aufgrund von körperlichen Verletzungen, psychischen Belastungserscheinungen oder fehlender Unterstützung durch die Führungsebene ausfällt (Knispel, 2021, S. 191; Pfalzer & Wirth, 2020, S. 166). Dies kann durch einen hohen Krankenstand, den Wechsel der Dienststelle oder gar dem Abwenden vom Justizvollzug deutlich werden, was angesichts des ohnehin schon knappen Personals besonders gravierend ist.

    Im Jahr 2017 reagierte der deutsche Gesetzgeber mit dem 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften auf die genannte Problematik. Die Annahme, dass Gewaltvorfälle gegen Vollstreckungsbeamte – und damit auch gegen Bedienstete im Justizvollzug – in den letzten Jahren gestiegen sind, ist nicht nur auf die mediale Berichterstattung zurückzuführen, sondern lässt sich auch statistisch belegen. Während die Anzahl der in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) unter dem Schlüssel 621100 erfassten Straftaten „Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen, §§ 113 - 115 StGB" bundesweit bereits im Jahr 2018 von 33.260 auf 36.126 Fälle im Jahr 2019 angestiegen ist, lässt sich auch in den darauffolgenden Jahren eine Steigerung feststellen (BKA, 2019; BKA, 2020). Im Jahr 2020 nahmen die Widerstandsdelikte um weitere 634 registrierte Taten zu (BKA, 2021). Im Jahr 2021 stieg diese Zahl sodann auf insgesamt 37.933 Fälle an (BKA, 2022). Auch hessenweit hat die Anzahl der registrierten Straftaten gegen Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen gem. §§ 113 - 115 StGB zugenommen und lag zuletzt bei 2295 (BKA, 2022). Während seit 2018 bundesweit ein Anstieg um 14,1 % zu verzeichnen ist, liegt dieser in Hessen sogar bei knapp einem Viertel (24,8 %). Der Statistik der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) zum Arbeitsunfallgeschehen ist überdies zu entnehmen, dass Gewalt, Angriffe und Bedrohungen am Arbeitsplatz seit 2017 ebenfalls stetig gestiegen, seit 2020 jedoch – möglicherweise pandemiebedingt – leicht rückläufig sind (vgl. DGUV, 2021, S. 88). Über die bereits sichtbar wachsenden Zahlen hinaus, muss selbstverständlich berücksichtigt werden, dass der PKS weder das Dunkelfeld noch die Ursachen der Übergriffe entnommen werden können. Die Phänomenologie ergibt sich grundsätzlich nicht aus nackten Zahlen. Ebenso kann aus keiner der genannten Statistiken gefolgert werden, inwieweit sich die Gewaltbetroffenheit von Bediensteten im Justizvollzugsdienst im Speziellen in den letzten Jahren entwickelt hat. Dass im Justizvollzug pandemiebedingt ein Rücklauf der Gewaltbetroffenheit zu verzeichnen ist, kann aufgrund des zwangsläufig fortlaufenden Betriebes der Anstalten nicht von vornherein angenommen werden.

    An die ausgeführte Problematik knüpft die vorliegend dargestellte empirische Untersuchung an: Ziel des Forschungsprojektes ist nicht nur eine systematische Erhebung der Prävalenz von Gewalt- und Aggressionsvorkommen gegen die Bediensteten aller Justizvollzugsanstalten sowie der Jugendarrestanstalt in Hessen, sondern auch die Analyse von Entstehungsbedingungen und Wirkungszusammenhängen dieser Vorfälle. Es wurden daher umfangreich verschiedene Formen von Gewalt sowohl physischer und psychischer Natur als auch Mobbing in Form einer besonderen Ausprägung interner, meist psychischer Gewalt am Arbeitsplatz untersucht, um einen möglichst breiten Erkenntnisgewinn zu erzielen. Dabei geht es explizit nicht nur um verbale oder körperliche Übergriffe durch Gefangene, sondern auch um solche, die von Kolleg*innen, Vorgesetzten oder externen Beschäftigten ausgegangen sind oder ausgehen. Im Ergebnis soll ein möglichst realitätsnahes und differenziertes Abbild der Problematik generiert werden. Aus diesem Grund fand eine umfassende, landesweite Erhebung statt, welche Aussagen darüber ermöglichen soll, welche der im Vollzug tätigen Berufsgruppen in welchem Maße belastet sind und ob unterschiedliche Vollzugsformen bzw. -einrichtungen spezifische Besonderheiten aufweisen.

    2 Stand der Forschung im Überblick

    Gewalt im Vollzug wird seit vielen Jahren erforscht. In dem Zusammenhang ist auf diverse Studien unterschiedlicher Art zu verweisen, welche im Ergebnis jedoch eines gemeinsam haben: Sie befassen sich nicht explizit oder nur mittels Hellfeldstudien mit dem Phänomen Gewalt gegen Bedienstete im Justizvollzug. Während in den meisten Fällen Gewalt unter Gefangenen breit erforscht wird, sowohl in Form von Langzeitstudien als auch durch einzelne Hell- und Dunkelfeldbefragungen (vgl. Hartenstein et al., 2017, S. 179 ff.; Chong, 2014; Wirth, 2006; Baier & Bergmann, 2013; Häufle et al., 2013, S. 20 ff.), befassen sich einzelne Studien zumindest mit Arbeits- und Gesundheitsbelastungen der Bediensteten (vgl. Lehmann & Greve, 2006; Schwarz & Stöver, 2010). Eine Ausnahme bildet der Kriminologische Dienst des bayerischen Justizministeriums: Dieser wertete die seitens der Anstalten an die Aufsichtsbehörde gemeldeten „besonderen Vorfälle" der Jahre 2015 und 2016 aus und diskutierte Überlegungen zur Prävention (Haas et al., 2018, 213 ff.). Die Autoren stellten fest, dass Bedienstete in der Untersuchungshaft verstärkt von Übergriffen betroffen waren, womit der Haftart hier ein wesentlicher Faktor in Bezug auf die Gewaltbetroffenheit von Bediensteten im Justizvollzug zugeschrieben wurde. Den Auswertungen zufolge handelten inhaftierte Täter*innen überwiegend allein, ohne Planung, ohne den Einsatz von Waffen oder Gegenständen. Meist ging dem Angriff ein Eskalationsprozess voraus. Als mögliche Motive und Anlässe eines Übergriffes wurden insbesondere eine psychische Erkrankung der*des Angreifenden und die persönliche Belastung durch eine auferlegte Maßnahme genannt.

    Die wissenschaftliche Qualität, das Phänomen aussagekräftig zu erforschen und die Gewaltreduktion bzw. Sicherheitsmaßnahmen für Bedienstete intelligent umzusetzen, bleibt im Ergebnis steigerungsfähig. Im Bundesland Hessen gibt es bislang kein Forschungsprojekt zum genannten Thema.

    3 Die empirische Untersuchung

    3.1 Der Hessische Justizvollzug

    Das Land Hessen verfügt über 16 Justizvollzugseinrichtungen sowie eine Jugendarrestanstalt. Die Aufsichtsbehörde aller Justizvollzugsanstalten bildet das Hessische Ministerium der Justiz. Eine Justizvollzugsanstalt ist zweckbestimmt. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der jeweiligen Anstalten richtet sich nach dem Vollstreckungsplan des Landes Hessen (HMdJ, 2019). Gem. § 71 HStVollzG legt dieser für das Bundesland Hessen fest, in welcher Anstalt eine festgenommene bzw. verurteilte Person durch das zuständige Gericht bzw. die Vollstreckungsbehörde untergebracht wird.

    3.2 Die Methodik

    Um das Phänomen der Gewalt gegenüber Beschäftigten im hessischen Justizvollzug umfassend zu untersuchen und am Ende entsprechende Präventionsmöglichkeiten herausarbeiten zu können, wurde ein Mixed-Methods-Design gewählt und eine Kombination aus einer quantitativen und einer qualitativen Erhebungsmethode verwendet. Die im Rahmen einer Vollerhebung durchgeführte Befragung beschränkte sich folglich weder auf eine Vollzugsform noch auf eine Art der Unterbringung.

    Parallel zur quantitativen Befragung mittels Papierfragebogen fanden zusätzlich vertiefende Telefon- bzw. persönliche Interviews statt, die einem besseren Verständnis der Situation, in der es zu Gewalt kommt, dienten.¹

    3.2.1 Die quantitative Befragung

    Neben der größten Gruppe der Bediensteten im Allgemeinen Vollzugsdienst (AVD), wurde allen anderen Berufsgruppen gleichermaßen die Möglichkeit zur Teilnahme an der Befragung eingeräumt. So wirkten an der quantitativen Befragung auch Personen in Leitungsfunktion, Psycholog*innen, Ärzt*innen, Mitarbeiter*innen in der Verwaltung und der Sozialdienste oder Bedienstete, die zwar regelmäßig, aber nicht täglich in der jeweiligen Anstalt beschäftigt sind, mit. Der tatsächliche Befragungszeitraum innerhalb einer Anstalt betrug sechs Wochen und fand aus organisatorischen und logistischen Gründen etappenweise statt. Nach drei Wochen wurden die Bediensteten der Justizvollzugsanstalten mittels Erinnerungsschreiben nochmals auf die Befragung hingewiesen und erneut um ihre Teilnahme gebeten.

    Zum Einsatz kam ein Fragebogen, mit dem das Ausmaß von Aggressions- und Gewaltbetroffenheit retrospektiv erhoben wurde. Zur Erfassung weiterer zentraler Befragungsziele (u. a. Erkenntnisgewinn zu Kontext- und Entstehungszusammenhängen von Gewaltvorfällen, Täter*innen und Prävention von Gewalt und Aggressionen) umfasste der Fragebogen 82 Items, bestehend aus vier Teilen (A. Allgemeine Angaben zur Person, B. Gewaltbetroffenheit im gesamten Berufsleben, C. Gewaltbetroffenheit innerhalb der letzten 12 Monate, D. Präventionsund Schutzmaßnahmen). Ganz überwiegend beinhaltete der Fragebogen geschlossene Fragen. Um Gewalterfahrungen jedoch tiefgehender erheben und kriminologisch einordnen zu können, bestand im Rahmen einer offenen Frage die Möglichkeit, Angaben zur gravierendsten Gewalterfahrung zu machen. Diese Option eröffnete sich auch im Rahmen einer Frage zur Erfassung von Bedürfnissen der Teilnehmenden im Hinblick auf Präventionsangebote am Arbeitsplatz, um die berufliche Sicherheit künftig verbessern zu können. Neben gesundheitlichen Auswirkungen bzw. psychischen und physischen Folgen des Übergriffs wie ärztliche Behandlungen, Dienstausfälle oder Dienstunfähigkeit sowie möglicher Folgewirkungen, wurde die Anzeigeerstattung des jeweiligen Vorfalls abgefragt. Damit können im besten Fall Aussagen darüber getroffen werden, wie viele Vorfälle angezeigt wurden und welche Vorfälle aus welchen Gründen im Dunkelfeld verblieben sind.

    3.2.2 Qualitative Interviews

    Durch eine Information auf dem Anschreiben des erhaltenen Fragebogens hatten die Bediensteten im hessischen Justizvollzug die Möglichkeit, sich freiwillig und anonym zu melden, wenn sie zu einem ergänzenden Gespräch bereit waren. Die Interviews zielten insbesondere auf ein tiefergehendes Verständnis der Details der als besonders schwerwiegend empfundenen Vorfälle ab. Es interessierten die konkreten Umstände der Gewaltvorfälle und Einzelheiten zu dem oder der Täter*in. Auch die körperlichen, psychischen und beruflichen Folgen der Erlebnisse waren von Interesse. Mithilfe der qualitativen Interviews sollen nun genauere Risikofaktoren gravierender Übergriffe ermittelt werden.

    3.3 Untersuchungspopulation

    Im Zeitraum der Erhebung waren 3009 Mitarbeiter*innen im hessischen Justizvollzug beschäftigt. Das ergab die vor Umfragebeginn erfolgte Abfrage in der jeweiligen Anstalt. Aufgrund von Krankheits- oder Urlaubsabwesenheit, Abordnung in eine andere Anstalt oder ins Justizministerium oder aus anderen Gründen, die auf den internen Ablauf der Verteilung in der jeweiligen Anstalt zurückzuführen sind, wurden insgesamt 2513 Fragebögen verteilt. Im Juli 2021 konnte die Befragung mit einem zufriedenstellenden Rücklauf von ca. 30 % abgeschlossen werden. Es wurden 20 – pandemiebedingt und aufgrund räumlicher Entfernung meist telefonische – Interviews mit Bediensteten geführt. Ein solches Gespräch dauerte zwischen 60 und 120 Minuten.

    Es ist festzuhalten, dass die Verteilung der einzelnen Berufsgruppen, die im hessischen Justizvollzug tätig sind, durch den Rücklauf zufriedenstellend wiedergegeben werden kann. Dass der Allgemeine Vollzugsdienst (AVD) die größte Berufsgruppe im Justizvollzug darstellt, spiegelt sich auch in der Befragung wider: Knapp die Hälfte der Teilnehmer*innen gaben als berufliche Tätigkeit den Allgemeinen Vollzugsdienst an. Mit etwas mehr als 60 % ist ein Großteil der Teilnehmenden männlichen Geschlechts. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer*innen liegt bei 42,5 Jahren.

    4 Ergebnisse

    Die Auswertung der Befragung zeigte, dass sowohl Beleidigungen als auch verbale oder körperliche Bedrohungen tatsächlich zum Alltag eines Justizvollzugsbediensteten gehören. Beide Delikte wurden bei der abgefragten Gewalt- und Aggressionsbetroffenheit am häufigsten genannt. Das trifft gleichermaßen auf die Prävalenz der letzten 12 Monate sowie des gesamten Berufslebens zu. Von den teilnehmenden Mitarbeiter*innen aus dem hessischen Justizvollzug gaben 65,9 % an, in ihrem gesamten Berufsleben mindestens eine verbale oder körperliche Bedrohung erlebt zu haben, 29,2 % innerhalb der letzten 12 Monate. 83,3 % wurden in ihrer gesamten beruflichen Laufbahn im Justizvollzug mindestens einmal beleidigt, bei 54,4 % traf dies auf die letzten 12 Monate zu. Vielen Teilnehmenden fiel es offensichtlich schwer, die erlebten Vorfälle einer Beleidigung oder einer Bedrohung zu beziffern, sodass die Häufigkeit dieser beiden Delikte vielfach mit Adverbien, wie „oft, „ständig oder „regelmäßig", statt in absoluten Zahlen angegeben wurde. Während im Hinblick auf die Gewaltbetroffenheit im gesamten Berufsleben der körperliche Angriff mit 19,9 % am häufigsten als der nach ihrer subjektiven Einschätzung gravierendste Vorfall² angegeben wurde, trifft dies auf die 12-Monats-Prävalenz nicht zu. Hier wird ersichtlich, dass eine körperliche oder verbale Bedrohung in der Gesamtbetrachtung häufiger als der körperliche Angriff genannt wurde. 13,7 % der Befragungsteilnehmenden gaben an, dass es sich bei der als am gravierendsten empfundenen Gewalterfahrung innerhalb der letzten 12 Monate um eine verbale oder körperliche Bedrohung gehandelt hat. Aus diesen Angaben lässt sich jedoch nicht ableiten, ob die Anzahl der körperlichen Angriffe auf Bedienstete im hessischen Justizvollzug im letzten Jahr grundsätzlich gesunken ist. Es ist lediglich erkennbar, dass verbale Aggressionen innerhalb der letzten

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