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Das Herrenhaus im Moor: Roman
Das Herrenhaus im Moor: Roman
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eBook402 Seiten5 Stunden

Das Herrenhaus im Moor: Roman

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Über dieses E-Book

Schatten über Lynybrook Hall
Ein gefühlvoll erzählter Frauen- und Liebesroman

- Zwei Zeitebenen beleuchten das Schicksal von Laura und Victoria
- Das südenglische Exmoor bildet die düster-stimmungsvolle RomankulisseEin verfallenes Herrenhaus wird für Laura Milton zum Schlüssel in die Vergangenheit. Denn das Schicksal der Lady Victoria Milton wirft seine Schatten bis in die Gegenwart ... Exmoor, Ende des 19. Jahrhunderts: Die 20-jährige Victoria wird bald ein ansehnliches Vermögen erben. Doch ihr Vormund Richard hat seine eigenen Pläne mit ihrem Geld und verbannt sie in eine Anstalt für Geisteskranke – aus der Arthur, einer von Richards Bediensteten, ihr zur Flucht verhilft. Als sich Victoria, fest entschlossen, ihr Erbe wiederzuerlangen, nach Jahren aus der Deckung wagt, ist ihr Schicksal besiegelt.
»Romantischer, spannender Schmöker.« Bild + Funk
SpracheDeutsch
Herausgeberdtv
Erscheinungsdatum30. Nov. 2018
ISBN9783423434324
Autor

Felicity Whitmore

Felicity Whitmore, Jahrgang 1977, hat vier große Leidenschaften: England, ihre Hunde und Katzen, das Theater und das Schreiben. Sie reist regelmäßig nach England und schreibt, wann immer sie Zeit dafür findet. In ihren Bestsellerromanen beschäftigt sie sich am liebsten mit den Geheimnissen alter Häuser.

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    Buchvorschau

    Das Herrenhaus im Moor - Felicity Whitmore

    Für Mama

    Prolog

    Düsseldorf, Deutschland

    12. Mai 2017

    Es gab Nächte, in denen leuchteten die Sterne heller als in anderen. Laura blieb mitten auf der Rheinuferpromenade stehen und sah zum Himmel. Aus den Bars drang Musik zu ihr heraus. Von den Terrassen klangen fröhliche Stimmen. Der Rhein funkelte in der Dunkelheit. Es roch nach frisch gebratenem Fisch, Curry und Zigarettenrauch. Laura machte einer Gruppe junger Frauen Platz, die lachend an ihr vorbeigingen. Sie trat an die Rheinmauer und schloss einen Moment lang die Augen. Die Steine waren noch warm von der Schwüle des Frühsommertages. Laura lächelte. Sie war glücklich. Nach den letzten Monaten, in denen sie so viel auf ihren Mann hatte verzichten müssen, würden sie heute endlich wieder einen romantischen Abend verbringen. Ein Geburtstagsessen zu zweit. Das war das schönste Geschenk, das er ihr hatte machen können. Es schien Jahre her zu sein, dass Frank Zeit zum gemeinsamen Ausgehen gefunden hatte. Er hatte hart dafür gearbeitet, Leiter des Privatkundengeschäftes in seiner Bank zu werden, und war anschließend sogar in den Vorstand gewählt worden. In den ersten Monaten nach seiner Beförderung hatte er genug zu tun gehabt.

    Umso mehr freute es Laura, dass er ihrem Vorschlag zugestimmt hatte und sich mit ihr beim kleinen Italiener am Burgplatz treffen wollte, wo sie sich vor dreizehn Jahren kennengelernt hatten.

    Langsam schlenderte sie weiter. Es war noch früh, er hatte einundzwanzig Uhr gesagt. Eher konnte er es nicht einrichten. Doch es war ihr recht. So hatte sie sich den ganzen Tag auf den Abend freuen können. Am Nachmittag waren ihre Freundinnen und ihre Schwester Nora zum Kaffee vorbeigekommen. Dann hatte sie sich für den Abend umgezogen und war mit der Bahn von Köln nach Düsseldorf gefahren. In der Nacht würden sie dann zusammen in Franks Wagen zurückfahren. Es war schön, endlich mal wieder Zeit mit Frank zu verbringen. Sie zuckte zusammen, als zwei Skateboarder von hinten an ihr vorbeischossen. Auf einer der Bänke an der Promenade saß ein Liebespaar. Laura lächelte wieder und hielt inne. So hatten sie an ihrem ersten Abend auch hier gesessen. Damals waren die Straßen mit Sternen gepflastert gewesen und der Mond hatte nur für sie beide geschienen.

    Laura hatte den Burgplatz erreicht. Hier hatten sie sich zum ersten Mal getroffen – vor dreizehn Jahren. Es war eine Aprilnacht gewesen, nicht ganz so warm wie heute. Sie war gerade von der Arbeit gekommen und wollte nicht gleich nach Hause fahren. Dazu war der Abend zu schön gewesen. Also war sie die Treppe zum Rhein hinuntergegangen und hatte gerade darüber nachgedacht, eine Freundin anzurufen und zu fragen, ob sie sich spontan auf ein Glas Wein treffen sollten, als sie jemand von hinten ansprach.

    Laura sah sich um und in diesem Moment blieb ihre Welt stehen. Sein Lachen veränderte ihr ganzes Leben. Die braunen Augen, in denen sich die Sterne spiegelten, hielten sie fest. Sie war gefangen von der Wärme seines Blickes, der alles über sie zu wissen schien. Das Lachen, das eben noch auf seinem Gesicht gelegen hatte, war mit einem Mal verschwunden. Niemand von ihnen sprach ein Wort, beide verharrten in ihren Bewegungen. Sie sahen sich nur an, mitten auf der Rheinuferpromenade, umgeben von kichernden Mädchen und Liebespaaren, von Einsamen, Freundescliquen und Touristen. Lange hatten sie so dagestanden, bevor sie aus ihrer Starre erwacht waren. Er hatte seine Hand nach ihrer ausgestreckt und war langsam auf sie zugekommen, das Jackett lässig über die Schulter geworfen. Sie hatte seine Hand ergriffen, ohne auch nur ein einziges Wort mit ihm gesprochen zu haben. Sie wusste nicht, woher er kam, wohin er wollte und wer er war. Sie wusste nur, dass sie ihn wollte, und zwar für den Rest ihres Lebens.

    Laura seufzte und sah auf die Uhr. Sie hatte noch zehn Minuten Zeit, und wie sie Frank kannte, würde er sowieso nicht pünktlich sein. Sie setzte sich einen Moment auf die Stufen und sah auf den Rhein. Die Lichter der Schiffe und Straßenlaternen spiegelten sich auf dem Wasser. Damals waren sie zu dem kleinen Italiener gegangen und danach hatten sie hier gesessen und sich unterhalten. Frank war Engländer, er hatte kaum ein Wort Deutsch gesprochen. Laura musste ihre dürftigen Englischkenntnisse aus der Schule hervorkramen. Irgendwann hatten sie nicht mehr geredet. Sie waren die ganze Nacht zusammengeblieben, und als die Sonne aufging, hatte Frank sie angesehen und gefragt: »War das ein Traum? Oder gab es diese Nacht wirklich?«

    Laura hatte gelacht und sich eng an ihn geschmiegt. Sie hatte es in diesem Augenblick gespürt: Dieser Mann war ihr Traummann, der Mensch, für den sie geboren worden war, und sie wusste, dass er genauso empfand. Nicht einmal ein ganzes Jahr später hatten sie geheiratet.

    Sie streckte die Beine aus und sah zur anderen Rheinseite hinüber, wo zwei Hunde hinter einem Ball herliefen. Was Frank ihr wohl zum Geburtstag schenken würde? Lauras Herz schlug vor Aufregung etwas schneller. Ob er ihr rote Rosen schenken würde? Damals hatte er ihr jeden Tag Blumen geschenkt. Wann hatte das aufgehört? Laura konnte sich nicht mehr genau erinnern. Sie atmete tief ein. Das war wohl der Preis, den man zahlte, wenn das erste Verliebtsein allmählich in Liebe überging. Die Gefühle wurden tiefer, aber die gegenseitige Aufmerksamkeit nahm ab. Wie oft hatte er sie früher mit einer Einladung in ein besonderes Restaurant überrascht, mit einer Halskette oder einem außergewöhnlichen Konzertabend.

    Laura betrachtete ein junges Pärchen, das Hand in Hand an der Rheinmauer entlangschlenderte. Hoffentlich bewahrten sie sich die Frische und ihre junge Liebe möglichst lange. Sie stand auf und klopfte sich den Staub von ihrem kurzen schwarzen Rock. Über der grünen Bluse trug sie eine Strickjacke aus schwarzem Kaschmir. Sie wusste, dass Frank es gern hatte, wenn sie sich elegant kleidete. Sie selbst hätte manchmal lieber zu bequemeren Stücken gegriffen, aber sie wollte Frank gern gefallen.

    Langsam ging sie den Burgplatz hinauf und stellte erstaunt fest, dass Franks Wagen schon in einer Seitenstraße nahe dem kleinen Restaurant geparkt war. Gerade als sie sich näherte, löste sich ein dunkler Schatten, der dicht an dem Auto gekauert haben musste. Laura fuhr erschrocken zurück. Was war das? Hatte sich etwa jemand an dem teuren Wagen zu schaffen gemacht? Bestimmt war er interessant für Autodiebe. Sie dachte kurz darüber nach, der Gestalt hinterherzulaufen, ließ den Gedanken aber wieder fallen. Wenn irgendjemand wirklich versucht hätte, den Wagen zu stehlen, wäre die Alarmanlage losgegangen. Außerdem hatte sie extrem unbequeme Pumps an. Und der Wagen schien unversehrt zu sein. Ob die Diebe wohl zurückkommen würden? Sie sah sich um. Hier herrschte viel Betrieb, jeder Verbrecher musste damit rechnen, überrascht zu werden. Also war es äußerst unwahrscheinlich, dass es sich bei dem Schatten überhaupt um einen Autodieb gehandelt hatte. Bestimmt hatte sie sich nur getäuscht.

    Laura suchte in ihrer Handtasche nach der Haarbürste, kämmte sich und steuerte auf den Italiener zu. Der Inhaber hatte gewechselt seit ihrem ersten Besuch hier, aber das Restaurant war unverändert. Als sie das Lokal erreicht hatte, sah sie schon durchs Fenster, dass es gut gefüllt war. Natürlich, es war schließlich Freitagabend. Gläserklirren, heiteres Stimmengewirr und leise Musik empfingen sie. Es duftete herrlich nach Gebratenem, Tomaten und Kräutern. Ein Kellner begrüßte sie lächelnd und fragte nach ihrem Namen. Dann führte er sie zu ihrem Tisch, in den hinteren Bereich des Lokals.

    Laura stutzte. Es lag offensichtlich ein Irrtum vor. Der Mann wies auf einen Tisch, an dem bereits eine Gruppe gut gelaunter Menschen saß. Sie wollte ihn gerade auf seinen Fehler aufmerksam machen, als sie plötzlich Frank erkannte. Er saß am Kopfende und lachte über etwas, das offenbar der Mann zu seiner Rechten gesagt hatte. In diesem Moment hatten die anderen am Tisch sie entdeckt und die Unterhaltung verstummte. Frank sah auf.

    »Ah, Laura.« Er stand auf, kam um den Tisch herum und küsste sie auf die Wange. »Schön, dass du da bist.«

    Sie sah ihn irritiert an und sagte leise: »Wer ist das alles? Wollten wir nicht zu zweit …?«

    »Natürlich, ihr kennt euch ja noch nicht …« Frank drehte sich zu den anderen Gästen am Tisch um. »Hört mal her, Leute! Das hier ist meine Frau, Laura.«

    Laura nickte in die Runde. Was hatte Frank vor?

    »Das ist Colin, mein Vorstandskollege, und das seine Frau Gabriele und mein Kollege Rainer.« Frank wandte sich an den Kellner, der abwartend hinter Laura stehen geblieben war. »Bitte, bringen Sie uns Champagner.«

    Laura nahm zögernd Platz. Warum waren Franks Kollegen hier? Sie hatte mit ihm allein feiern wollen. Es war schließlich ihr Geburtstag.

    Frank hatte sich inzwischen wieder an den Tisch gesetzt und strahlte sie an. »Laura, möchtest du die Menükarte? Wir haben schon gegessen, aber wir haben extra mit dem Dessert auf dich gewartet.«

    »Wie lange seid ihr schon hier?« Die Verwirrung, die Laura eben noch gespürt hatte, ging in Verärgerung über. »Du hättest mich anrufen können. Ich bin schon länger in Düsseldorf und hätte auch früher herkommen können.«

    »Das konnte ich ja nicht ahnen.« Frank lachte. »Ah, da kommt der Champagner!«

    Sie stießen auf Laura an. Alle gratulierten ihr zum Geburtstag.

    Der Champagner schmeckte Laura nicht und sie hatte auch keinen Appetit mehr. Also bestellte sie einen Kaffee, als die anderen ihre Dessertwünsche nannten, und hörte der oberflächlichen Unterhaltung am Tisch auch nur mit halbem Ohr zu. Zwanzig Minuten später löste sich die Runde auf. Jetzt würden sie endlich Zeit füreinander haben.

    Vor dem Restaurant verabschiedeten sie sich von den anderen. Laura hakte sich bei Frank unter. Noch immer herrschte reger Betrieb auf dem Burgplatz. Eine Gruppe Jugendlicher sprang lachend über die Stufen. Auf dem Rhein fuhr gerade ein Partyschiff vorbei. Die laute Musik dröhnte zu ihnen herauf. Ein Straßenmusiker hatte sich vor dem italienischen Restaurant postiert und sang eine Schnulze aus den Achtzigern.

    »Und? Was haben wir jetzt vor?« Laura sah Frank fragend an. »Ehrlich gesagt habe ich noch ziemlichen Hunger.«

    »Warum hast du denn nichts gegessen? Ich hab dir doch die Karte bringen lassen.« Frank wich einer Bierflasche aus, die jemand mitten auf dem Platz hatte stehen lassen.

    »Nachdem ihr alle schon fertig wart? So hatte ich mir mein Geburtstagsessen nicht vorgestellt.«

    Frank gähnte. »Ich weiß, das ist alles ein bisschen ungünstig gelaufen. Aber Colin hat spontan ein gemeinsames Essen vorgeschlagen. Was hätte ich da sagen sollen?«

    Laura zog die Augenbrauen hoch. »Vielleicht: Ich kann heute nicht, ich möchte den Abend mit meiner Frau verbringen?«

    Frank lachte. »Es ist Freitag, da hängt man doch nicht mit seinem Ehepartner herum.«

    Laura schluckte. »Ich hatte mich darauf gefreut. Du warst einverstanden.« Sie spürte, wie Tränen der Wut in ihr aufstiegen. »Ich verstehe einfach nicht …«

    »Genau das ist es.« Franks Augen funkelten plötzlich vor Zorn. »Du verstehst einfach nicht, dass so ein Treffen mit Kollegen zwingend nötig ist. Das bringt mein Job mit sich. Aber Leute wie du können das nicht verstehen. Weißt du, was? Du behinderst meine Arbeit. Du bist mir immer im Weg.«

    Laura sah ihn fassungslos an. Ihr war eiskalt. Sogar die Tränen in ihrem Inneren schienen erfroren zu sein.

    Frank zog den Autoschlüssel aus der Tasche. »Ich bin total erledigt und muss jetzt ins Bett. Komm, wir besorgen dir an der Tankstelle was zu essen.«

    Laura erwachte aus ihrer Starre. »Wie bitte? Ich habe mich wirklich auf den Abend gefreut. Wir sind seit Ewigkeiten nicht mehr gemeinsam ausgegangen – und du willst jetzt schon nach Hause fahren?«

    »Treib es nicht auf die Spitze, Laura!« Frank drückte auf seinen Schlüssel und die Blinklichter des BMW leuchteten auf.

    Laura zitterte. »Ich? Ich bin, wie verabredet, um neun Uhr ins Restaurant gekommen. Du bist es doch, der sich nicht an unsere Abmachung gehalten hat.«

    Eine Gruppe junger Frauen, die T-Shirts mit der Aufschrift »Betty kommt unter die Haube – aber noch nicht heute!« trugen, gingen laut singend an ihnen vorbei.

    Frank verdrehte die Augen. »Ich habe es dir doch schon erklärt. Das war eine spontane Entscheidung, ich konnte es nicht ablehnen. Du hättest ruhig etwas freundlicher sein können.« Frank öffnete den Kofferraum und legte seine Jacke hinein.

    »Das ist nicht dein Ernst, oder?«, erwiderte Laura. »Du verdirbst mir meinen Geburtstag – und dann war ich nicht freundlich genug zu diesen Menschen, die ich nicht einmal kenne?«

    »Steig ein und schrei hier nicht so herum. Das ist ja peinlich.« Er schloss beinahe geräuschlos den Kofferraum.

    »Weißt du, was? Ich verzichte. Fahr ruhig nach Hause. Ich bleibe noch ein bisschen hier und feiere meinen Geburtstag allein.« Laura verschränkte die Arme vor der Brust. Es war, als hätte sich ein großer Schraubstock um ihren Oberkörper gelegt.

    Frank zuckte mit den Schultern und stieg ein. Er startete den Motor und fuhr davon.

    Laura starrte ihm fassungslos nach. Er konnte sie doch nicht allen Ernstes mitten in der Nacht hier stehen lassen? Bestimmt würde er gleich zurückkommen. Sie blickte eine Weile in die Richtung, in der Franks Wagen verschwunden war. Dann fluchte sie laut. Frank würde nicht zurückkommen. Das hier war seine übliche Strategie, einem Streit aus dem Weg zu gehen. Er verschloss sich, lief davon oder wurde so böse, dass Laura sich nicht traute, auch nur ein einziges weiteres Wort zu sagen.

    Irgendjemand rempelte sie an. Doch sie bemerkte es kaum. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie hatte sich so sehr auf diesen Abend gefreut. Wütend wischte sie sich die Tränen von den Wangen. Sie hätte wissen müssen, dass nichts daraus werden würde, denn Frank hatte immer etwas Wichtigeres zu tun. Und heute waren es eben seine Kollegen aus dem Vorstand gewesen, die er nicht hatte enttäuschen wollen.

    Aber warum hatte er sie nicht rechtzeitig informiert? Sie atmete tief durch und machte sich auf den Weg zum Bahnhof. Natürlich! Frank hatte geahnt, dass Laura enttäuscht und sauer sein würde, und hatte sie sicher deshalb nicht angerufen. Sie wäre vermutlich gar nicht erst gekommen und das wäre ihm vor seinen Kollegen unangenehm gewesen. Aber er wusste genau, dass Laura ihm, wenn sie einmal da war, keine Szene machen würde.

    Als sie in der S-Bahn nach Köln saß, sah sie blinkende Lichter auf der A 59. Notarztwagen, Feuerwehr und Polizei hatten die Autobahn abgesperrt. Ob Frank es noch vor dem Stau geschafft hatte? Jetzt tat es ihr schon fast wieder leid, dass sie so böse geworden war. Frank arbeitete wirklich viel und sie sollte ihm das Leben nicht noch schwerer machen. Aber manchmal wünschte sie sich den Frank zurück, der er zu Anfang ihrer Beziehung gewesen war.

    Laura warf noch einen letzten Blick auf das Meer aus Blaulichtern und sah dann hinauf in den Nachthimmel. Die Sterne leuchteten nicht mehr so hell wie zu Beginn dieses Abends. Sie ahnte nicht, dass in diesem Augenblick ein Stern für immer verglüht war, dessen funkelndes Licht in Wirklichkeit schon vor langer Zeit erloschen war.

    Kapitel 1

    Milton Castle, Dartmoor, England

    15. April 1898

    Auf Victoria!«

    »Auf Victoria!«, wiederholten die Gäste und prosteten ihr zu. Das Kerzenlicht fing sich in dem Kristall der Champagnergläser, den Diamanten, Saphiren und Rubinen im Schmuck der Damen.

    Victoria nickte freundlich und trank einen Schluck Champagner. Obwohl das Gaslicht dafür sorgte, dass der Saal hell ausgeleuchtet war, brannten zusätzlich zahlreiche Kerzen in großen Kandelabern auf dem Esstisch, dem Kamin und den Kommoden aus schwarzem Ebenholz. Ihr Schein warf tanzende Schatten auf die Gesichter der festlich gekleideten Gäste. Die Unterhaltungen plätscherten wie das Wasser eines Baches in Victorias Ohren. Müde schob sie die kandierten Früchte auf ihrem Teller hin und her und betrachtete gelangweilt die Auswahl an Herren und Damen, die Richard zum Abendessen geladen hatte. Neben einigen Nachbarn der angrenzenden Anwesen befanden sich ausschließlich Verwandte der Greens am Tisch. Victoria zog die Stirn in Falten und unterdrückte einen Seufzer, als sie daran dachte, wie viel Freude und Spaß ihr früher ihre Geburtstagsfeste bereitet hatten.

    Ihr Blick wanderte zu dem Porträt ihres Vaters, das an der Stirnseite des Esszimmers hing. Sie musste lächeln, als sie sich an die roten Rosen erinnerte, mit denen er an ihrem Geburtstag immer die Vasen hatte füllen lassen. Ihr zu Ehren hatte er jedes Jahr einen großen Geburtstagsball gegeben.

    Victoria schloss die Augen und sah ihren Vater wieder vor sich. Sein Blick war voller Stolz und Liebe gewesen, wenn er sie die geschwungene Treppe zum Ballsaal hinuntergeführt hatte. In diesem Moment hatte Victoria gewusst, dass es das größte Glück der Welt für sie war, als Tochter von Edward Trollope, dem dritten Lord of Milton, geboren worden zu sein.

    Sie zwang sich, den Blick von dem Porträt ihres verstorbenen Vaters abzuwenden, und betrachtete stattdessen die Gaslampen. Sie konnte sich gut daran erinnern, wie die Leitungen hier installiert worden waren. Damals war sie noch ein kleines Mädchen gewesen und hatte auf dem Arm ihres Vaters den Arbeitern zugesehen. Wie stolz ihr Vater auf die neue Errungenschaft gewesen war!

    Victorias Augenbrauen zogen sich zusammen, als ihr Blick ihren Onkel traf. Richard zwinkerte ihr zu, anscheinend hochzufrieden mit seinem Toast auf Victoria, und setzte sich wieder auf den Platz am Kopf der Tafel. Victoria biss sich auf die Unterlippe und ballte unter dem Tisch die Hand zur Faust. Sie beobachtete, wie Richard sich Lord Houston zuwandte. Zu gern hätte sie gehört, worüber sich die beiden Männer unterhielten. Doch in diesem Moment vernahm sie die Stimme ihres Cousins Charles.

    »Victoria, wie fühlst du dich als frisch gebackene Zwanzigjährige?« Sein feistes Gesicht war vom Wein gerötet.

    »Danke, gut«, antwortete Victoria und unterdrückte ein Gähnen, während sie darüber nachdachte, wie ungerecht das Leben sein konnte. Nach dem Tod ihres Vaters war ihr Onkel Richard zu Victorias Vormund ernannt worden, und er hatte sich sofort mit seiner Frau Mary und seinem Sohn Charles auf Milton Castle eingenistet. Victoria spießte etwas Obst auf ihre Gabel.

    »Du siehst heute Abend bezaubernd aus.« Charles zerdrückte ein Stück Torte, zermanschte es in der Schokoladensoße und stopfte sich den Brei in den Mund.

    Victoria wandte sich angewidert ab. Irgendetwas hatte dieser Mann an sich, das sie innerhalb weniger Minuten gegen ihn aufbrachte. Glücklicherweise lebte er die meiste Zeit in Cambridge und sie musste ihn nur einige Wochen im Jahr auf Milton Castle ertragen. Sobald sie volljährig war und ihr Erbe antreten durfte, hatte sie vor, den Kontakt zu Richard, Mary und Charles abzubrechen. Aber ein Jahr lang musste sie es noch erdulden, dass sich Richard hier wie der Hausherr aufspielte, dass er mit ihrem Geld um sich warf, Teile ihres Besitzes verkaufte, sie von all ihren Freunden isolierte und ihr immer wieder die Gesellschaft seiner eigenen Bekannten aufzwang.

    Victoria seufzte und legte Gabel und Löffel auf den Teller, als Zeichen dafür, dass sie diesen Gang beendet hatte. Ihr Blick wanderte wieder über die dreizehn Gäste, die ihr Onkel eingeladen hatte. Nicht eine ihrer früheren Freundinnen war zu ihrem Geburtstagsdinner geladen worden.

    »Das Kleid steht dir ausgezeichnet.« Charles beugte sich zu ihr hinüber, sodass sie seinen säuerlichen, nach Alkohol stinkenden Atem riechen konnte.

    Victoria wurde übel, aber sie nickte höflich und wandte sich dann demonstrativ in die andere Richtung. Doch Charles gab nicht so schnell auf.

    »Ich finde, du solltest öfter mintfarbene Kleider tragen. Das passt wunderbar zu deinem braunen Haar.« Charles starrte auf den mit Perlen und Spitze besetzten Ausschnitt von Victorias Kleid. Sie wusste, dass ihre Toilette ihre leuchtend grünen Augen unterstrich und den Kontrast ihrer hellen Haut zu den kastanienbraunen Haaren betonte. Wieso hatte sie heute Nachmittag, als die Zofe ihr Abendgewand herausgesucht hatte, nicht daran gedacht, ein anderes zu wählen, das ihre Vorzüge nicht so stark herausstellte?

    »Vielen Dank«, sagte Victoria und sah sich Hilfe suchend nach einem anderen Gesprächspartner um. Doch Gerald Smith, der Verwalter ihres Onkels, der zu ihrer Linken saß, befand sich in einer angeregten Unterhaltung mit Diana Franklin, Marys Nichte. Victoria strich abwesend über den Seidenstoff ihres Abendkleides und konzentrierte sich wieder auf die Unterhaltung zwischen ihrem Onkel und Lord Houston am Kopfende der Tafel. Sie versuchte mitzubekommen, warum sich der alte Landherr derart echauffierte. Der kahlköpfige, kugelrunde Mann fuchtelte in der Luft herum und schien ihrem Onkel einige Zahlen zu nennen.

    Wut stieg in ihr auf. Richard würde doch nicht schon wieder Teile ihres Landes verkaufen? Sie hatte sich erst in der letzten Woche lautstark mit ihm gestritten, nachdem sie von ihrem Anwalt, Mr Hobbs, erfahren hatte, dass Richard die Wälder im Norden von Milton Castle veräußert hatte. Sie brauchte das Land, schließlich wollte sie die Pläne ihres Vaters verwirklichen. Er hatte immer vorgehabt, dort eine Baumwollfabrik zu bauen.

    Sie spürte einen Stich in ihrem Inneren. Warum hatte ihr Vater so früh sterben müssen? Er war Victoria immer so stark erschienen, er hatte ihr stets einen Rat geben können und sie getröstet, wenn sie traurig gewesen war. Sein tödlicher Unfall war unfassbar für sie gewesen. Angeblich hatte ein Bild mit dem wunderschönen Namen »Morgentau« seinen Kopf zertrümmert. Der schwere Rahmen war nachts von der Wand gefallen, während ihr Vater darunter geschlafen hatte. Victoria hob die Augenbrauen und trank einen Schluck Wein. Obwohl sein schrecklicher Tod mittlerweile zwei Jahre zurücklag, konnte sie immer noch nicht begreifen, wie sich das Bild, das seit Jahrhunderten über dem Bett gehangen hatte, lösen konnte.

    Die Tage danach waren ein einziger Albtraum gewesen. Als Richard, Mary und Charles plötzlich auf Milton Castle eingezogen waren, war das Leben für Victoria unerträglich geworden. Der Schmerz über den Verlust ihres Vaters hatte sich bald mit der Wut auf Richard gemischt, der Victoria in allen Punkten bevormundete und das Regiment über ihre Besitztümer an sich riss. Richard, der zwar weitläufig mit Victoria und ihrem Vater verwandt war, trotzdem aber gesellschaftlich nie auf ihrer Stufe gestanden hatte, war hellauf begeistert, plötzlich über so viel Macht und Einfluss zu verfügen. Unter normalen Umständen wäre er nie in den Genuss gekommen, über ein derart großes Vermögen und Anwesen bestimmen zu können. Darüber schien er vollkommen zu vergessen, dass er diese Position nur vorübergehend, nämlich bis zu Victorias Volljährigkeit, innehatte.

    Victoria griff nach ihrem Glas, fuhr mit den Fingern über das Kristall und schwenkte den Wein darin hin und her. Niemand wusste, wo das Testament ihres Vaters geblieben war, in dem er bestimmt hatte, dass Mr Hobbs Victorias Vormund sein sollte, bis sie einundzwanzig wurde. Oder hatte ihr Vater sie angelogen, als er ihr selbst davon berichtet hatte, nur wenige Monate vor dem tragischen Unfall? Victoria schüttelte den Kopf und stellte das Glas zurück. Warum hätte ihr Vater das tun sollen? Ihr Blick wanderte wieder zu ihrem Onkel. Als nächster Verwandter stand Richard nur zu gern bereit, Milton Castle und das gesamte Vermögen zu verwalten. Er war ein Cousin ihres Vaters und vor dessen Tod nur selten Gast hier gewesen.

    Victoria lehnte sich zurück und beobachtete, wie sich Richard und Lord Houston die Hände schüttelten. Offenbar waren sie sich einig geworden. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Wie viel Land würde sie noch verlieren, bis sie endlich selbst über ihr Erbe bestimmen durfte?

    Es ärgerte sie, dass Richard sie aus allen geschäftlichen Angelegenheiten heraushielt. Dabei war Victoria von ihrem Vater bestens vorbereitet worden und hätte sich mit Sicherheit besser um Milton Castle kümmern können, als Richard es zurzeit tat. Sie hatten so große Pläne gehabt. Nur wenige Wochen vor dem Tod ihres Vaters waren sie beide nach Manchester gereist und hatten sich die Baumwollfabriken dort angesehen, um Informationen für den Bau ihrer eigenen Fabrik zu erhalten.

    Mary stand auf. Victoria musste es erdulden, dass sich Richards Frau als Hausherrin aufspielte und die Tafel aufhob. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter war das jahrelang Victorias Platz und ihre Aufgabe gewesen. Doch mit dem Unfall ihres Vaters hatte sie zunächst auch ihr Recht verloren, Hausherrin auf Milton Castle zu sein. Während sie den anderen Damen in den Salon folgte, tröstete sie sich mit dem Gedanken, dass sie mit ihrem nächsten Geburtstag endlich die lang ersehnte Freiheit gewinnen würde. Dann konnte sie mit dem Wiederaufbau ihres Vermögens beginnen und versuchen, die verlorenen Ländereien zurückzukaufen.

    Während sie Mary und den anderen Damen durch die Gemäldegalerie in den Salon folgte, dachte sie an all die Kunstwerke, die im Laufe der letzten zwei Jahre von hier verschwunden waren. Es waren viele alte Meister darunter, ihr Vater war immer sehr stolz auf die Sammlung gewesen. Richard hatte die wertvollen Kunstwerke durch Bilder unbekannter Maler ersetzen lassen. Das Klappern der Absätze hallte von den Wänden wider. Die teuren Teppiche, die früher hier gelegen hatten, waren ebenso verschwunden wie das antike chinesische Kabinett. Die aufwendig geschnitzten Holzstühle aus dem Mittelalter waren modernen Sesseln gewichen. Victoria seufzte leise. Sie würde versuchen, all die verlorenen Kostbarkeiten nach und nach zurückzukaufen. Sie sah an die leere Wand in der Gemäldegalerie, wo früher »Die letzte Rose«, eines ihrer Lieblingsbilder, gehangen hatte. Warum verkaufte Richard so viele ihrer Besitztümer? Victoria konnte nur Vermutungen darüber anstellen, und eine war unbefriedigender als die andere. Wollte Richard sich durch den Verkauf persönlich bereichern? Hatte er vielleicht eine Möglichkeit gefunden, Teile des Erlöses zu hinterziehen, um sie nach Victorias Volljährigkeit behalten zu können? Eigentlich müsste er in einem Jahr all das Geld, ihr Herrenhaus und alle Ländereien Victoria überlassen. Oder brauchte Richard dringend Geld, weil er Spielschulden hatte?

    Victoria blieb hinter den Frauen zurück. Wie gern wäre sie auf ihr Zimmer gegangen, statt sich das oberflächliche Geplauder der Damen anhören zu müssen. Aber das hätte Richard niemals geduldet.

    Als sie den Salon betraten, warteten die Diener bereits mit dem Kaffee auf die Damen. Victoria setzte sich auf das taubenblaue Brokatsofa neben dem Kamin. Diana Franklin und Lady Lychester, eine Nachbarin der Greens aus dem Exmoor, waren in ein Gespräch über verschiedene Teesorten vertieft und nahmen ihr gegenüber Platz. Florence, Marys andere Nichte, ging zum Klavier und begann »Oh! Mr Porter« zu singen. Während Victoria die kokette junge Frau am Flügel beobachtete, dachte sie an die vergangenen Feste, die sie hier gefeiert hatten. Sie und die anderen Mädchen hatten die halbe Nacht getanzt, gelacht und waren erst gegen Morgen müde ins Bett gefallen. Ihre Freundinnen hatten in den Gästezimmern übernachtet, ihr Vater hatte einige seiner Londoner Bekannten für ein paar Tage ins Dartmoor geholt, und so waren auch die Tage vor und nach dem großen Geburtstagsfest voller schöner Unternehmungen und immer ein aufregendes Ereignis gewesen.

    Wie anders war es heute. Die Handvoll Gäste, die Richard eingeladen hatte, interessierten sich so wenig für Victoria und ihren Ehrentag wie für eine Tasse Milchsuppe. Seit dem Tod ihres Vaters versuchte Richard, sie zu isolieren. Victoria spürte, wie sich ihre Stirn kräuselte, als sie wieder nach einer Erklärung für Richards seltsames Verhalten suchte und nach wie vor keine schlüssige finden konnte. Dabei war ihr durchaus bewusst, dass er ihr Briefe vorenthalten hatte und die ihren abgefangen haben musste. Ob er versuchte, sie von ihm abhängig zu machen, indem er andere Kontakte unterband? Victoria atmete tief ein. Es musste ihrem Onkel doch bewusst sein, dass sie niemals darauf hereingefallen wäre. Aber was konnte sie im Augenblick tun? Solange sie unter seiner Vormundschaft stand, war es sein Recht, ihre Korrespondenz zu überwachen.

    Victoria seufzte leise. Wenn ihr Vater doch noch hier wäre! Richard hatte bereits angekündigt, dass er morgen wieder nach London fahren werde. Einerseits freute sich Victoria darauf, ihren schrecklichen Onkel für ein paar Wochen nicht sehen zu müssen, aber andererseits befürchtete sie, dass er während seines Aufenthalts in der Stadt wieder viele Tausend Pfund verspielen würde. Und dieses Geld würde er vermutlich von ihrem Vermögen nehmen. Entweder Richard verkaufte ein weiteres Gemälde, eine antike Statue, ein Stück Land, oder er nahm einfach etwas von den Reserven, die auf ihrem Konto lagen.

    Victoria applaudierte höflich, als Florence ihre Darbietung beendet hatte und die nächste Melodie anstimmte. Einer der Diener schenkte ihr Kaffee nach, und sie überlegte, sobald Richard morgen aufgebrochen wäre, noch einmal in sein Büro zu schleichen und seine Korrespondenz durchzusehen. Sie musste wissen, wie schlimm die Lage war, auch wenn sie nichts dagegen tun konnte. Und sie musste endlich die wahren Beweggründe ihres Onkels herausfinden. Wenn er tatsächlich versuchte, sich auf Victorias Kosten zu bereichern, würde sie später, wenn sie selbst Herrin über ihr Vermögen war, Mr Hobbs damit beauftragen, einen Prozess gegen Richard zu führen. Schließlich war er verpflichtet, das Anwesen und Vermögen von Milton Castle in Victorias Sinne zu verwalten.

    Die Herren hatten es heute offenbar eilig, zu den Damen in den Salon zu kommen, denn Florence hatte ihr drittes Lied noch nicht beendet, als die Tür geöffnet wurde und die Männer den Raum betraten.

    Victorias Augenbrauen zogen sich zusammen, als sie Charles auf sich zukommen sah.

    »Florence«, rief er seiner Cousine am Piano zu, »spiel einen Walzer!«

    Victoria wich seinem Blick aus. Vielleicht würde er sich ja Lady Lychester oder einer anderen Dame zuwenden. Doch ihre stille Bitte wurde nicht erhört. Seine fleischige Hand streckte sich ihr entgegen.

    »Liebe Victoria«, schon seine nasale Stimme verursachte Übelkeit bei ihr, »darf ich bitten?«

    Nichts auf der Welt wollte Victoria in diesem Moment weniger, als mit Charles zu tanzen. Sie schüttelte den Kopf. »Es tut mir sehr leid, aber es geht mir nicht gut. Der Fisch liegt mir schwer im Magen. Ich bin nicht in der Lage zu tanzen.«

    »Ach was.« Charles griff nach ihrer Hand und zog sie vom Sofa hoch. »Ich lasse keine Ausreden gelten.«

    Dann drückte er sie so eng an sich, dass sie seinen warmen Atem im Gesicht spüren konnte. Victoria hielt die Luft so lange wie möglich an und wandte dann den Kopf zur Seite. Sie spürte seine feuchte Hand auf ihrer Haut im tiefen Rückenausschnitt ihres Kleides. Die andere Hand hatte sich fest um ihre eigene gekrallt. Sein stattlicher Bauch presste

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