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Ein Bruder kam zu Gast
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eBook135 Seiten1 Stunde

Ein Bruder kam zu Gast

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Über dieses E-Book

In meinem Buch geht es um die Kindheits- und Jugenderinnerungen eines jungen Mannes, der im Alter von 19 Jahren in den Zweiten Weltkrieg geschickt wird.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum9. Okt. 2023
ISBN9783384036858
Ein Bruder kam zu Gast
Autor

Daniel Schick

Daniel Schick war bislang nur in seiner Freizeit künstlerisch aktiv. Hauptsächlich beschäftigt er sich mit Kalligraphie und dem Verfassen von Gedichten und Kurzgeschichten. Seit kurzem beschäftigt er sich auch mit der Malerei. Gebürtig aus einem kleinen Ort im Landkreis Neu-Ulm, ist Daniel Schick hauptberuflich seit Juli 2006 in Stuttgart als Projektkaufmann tätig. Nach mehreren Jahren zeitintensiver Pflege seiner demenzkranken Mutter begann er im Sommer 2021 damit, eine Geschichte, die er schon seit einiger Zeit in kurzen Notizen zusammengetragen hatte, als Manuskript auszuarbeiten.

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    Buchvorschau

    Ein Bruder kam zu Gast - Daniel Schick

    ERSTER TEIL

    Früher war alles besser. Ein Satz, der unabhängig von der Tages- oder Jahreszeit immer wieder zu hören ist. Es wurde wohl irgendwann zur Normalität, dass die alte Generation, die voll zu sein scheint mit Lebenserfahrung und der gottgegebenen Meinung, niemals eine falsche Entscheidung getroffen zu haben, immer wieder dieses eine Argument vorbringt. Früher war alles besser. Ein Satz, der von den Alten immer wieder zu hören ist, wenn sie sich über junge Leute ärgern. Dass die Jugend von heute das Alter nicht mehr achte und ein ungepflegtes Äußeres zeige, konnte man schon auf einer 3.000 Jahre alten Tontafel der Sumerer entziffern. Trotzdem glaubt die ältere Generation gerade in der heutigen Zeit, dass früher alles besser war.

    War früher denn wirklich alles besser?

    Manches war schön. Meine Kindheit war schön. Oft musste ich daran zurückdenken. Immer wieder kam es ganz plötzlich in meine Erinnerung, wie ich von meiner Großmutter aus dem Kindergarten abgeholt wurde. Oder wie ich mit meinem besten Freund Willi manchmal den Nachmittag außerhalb der Stadt in einem alten verlassenen Burgturm verbracht habe. Wir hatten uns damals wie Ritter gefühlt. Stolze Ritter mit englischen Namen. Die Geschichten von Robin Hood und Richard Löwenherz haben wir damals gierig aufgesogen. Willi war William, später nur noch Bill, ich war Henry.

    Bill und Henry.

    Henry und Bill.

    Unerschrocken herrschten wir in unseren kindlichen Fantasien über unser infantiles Königreich. Beschützer der Menschen. Hüter des Reichs. Heinrich und Wilhelm, die Schüler. Henry und Bill, die Helden.

    Mein wirklicher Name ist Heinrich Bader. Wir sind in Memmingen aufgewachsen. Mein Vater hatte eine Schlosserei, die später von meinem ältesten Bruder übernommen wurde. Ursprünglich war diese Schlosserei ein Bauernhof am Memminger Stadtrand. Mein Großvater hatte irgendwann die Landwirtschaft aufgegeben und eine Schlosserei gegründet. Wenn man von der Straße aus zu uns kam, stand man auf einem riesigen Hof. Links war unser Wohnhaus. Mama, Papa, meine beiden Brüder Alfred und Max und ich. Oma und Opa hatten im ersten Stock eine eigene Wohnung. Auf der rechten Seite des Hofes war die Schlosserei. Ein Schmiedefeuer, ein schwerer Amboss und alle möglichen Maschinen standen dort, wo viele Jahre lang täglich Kühe gemolken worden waren. Auf der Stirnseite unseres riesigen Hofes stand die alte Scheune. Ein riesiges Abenteuerland für meine beiden großen Brüder. Ein riesiges Abenteuerland für Bill und mich. Die Scheune unsere Burg. Die Obstwiese hinter den Gebäuden unser Reich.

    Der Vater von Bill arbeitete im Rathaus. Unsere Väter kannten sich nicht, aber sie hatten eines gemeinsam: Sie waren streng, wenn es um die Schule ging. Sie kam zuallererst, danach die Hausaufgaben. Wir hielten uns daran, auch wenn es nicht immer leicht war. Gerade im Sommer schien die Zeit nicht vergehen zu wollen, bis wir endlich fertig waren. Aber sobald wir unsere Hausaufgaben gemacht hatten und von zuhause fort waren, waren wir nur noch Bill und Henry. Unsere Nachmittage damals waren teils ausgefüllt mit Fußballspielen. Andere Kinder fanden sich dazu schnell. Oder wir nahmen die Fahrräder unserer Eltern und sind losgefahren, raus aus der Stadt. Am liebsten sind wir zum Römerturm gefahren, dem alten verlassenen Turm einer nicht mehr vorhandenen Burg. Mit den Römern hatte dieser Turm keinen Zusammenhang, er war lediglich der Rest der Burg Altenschönegg. Und dort fühlten wir uns wie Ritter, die hoch zu Ross über ihr Reich herrschten. Ja, diese Zeit war vielleicht früher schöner im Vergleich zu dem, wie die Kinder heute leben. Zumindest war diese Zeit damals grundlegend anders. Wir hatten ja nicht mal ein Fernsehgerät. Ein Radio war das absolute Luxusgut, und selbst das hatten damals nicht alle Menschen.

    Aber manches war früher nicht besser oder gar schöner, ganz im Gegenteil. Manche Dinge sind heute schöner als damals, als ich noch ein Kind war.

    Welcher junge Mensch, der sich in diesem Augenblick gerade auf sein Abitur vorbereitet oder eine Ausbildung macht, musste zum Beispiel einen Krieg miterleben? Keiner von ihnen. Keiner von euch. Ihr alle seit heute gesegnet mit der Gnade der späten Geburt. Zu viele von denen, die so alt waren wie Bill und ich, mussten in einen Krieg gehen. Und zu viele von ihnen kamen nicht mehr zurück. Auch Bill. Er war zuletzt in Breslau. Fast hätte er Glück gehabt und wäre zurückgekommen. Zurück nach Hause. Zurück zu seinen noch unerfüllten Träumen. Aber am 6. Mai 1945, zwei Tage vor der Kapitulation, zwei Tage, bevor alles zu Ende war, wurde er von einer Granate getroffen. Mein bester Freund, mit dem ich meine Kindheit und Schulzeit verbrachte, er kam nicht mehr zurück. Seine Träume blieben unerfüllt. Nur zwei Tage hatte dieser Irrsinn noch gedauert. Aber eine Granate hatte ihn ausgelöscht und nichts mehr von ihm übrig gelassen. Er wurde zwanzig Jahre alt. Ein ungelebtes Leben.

    Wenn die Alten heute sagen, früher wäre alles besser gewesen, sollten sie vielleicht an eine Zeit denken, als junge Leute in Uniformen gesteckt wurden. An eine Zeit, als menschliche Wracks aus einem sinnlosen Krieg heimkehrten in ein Land, das einer Trümmerwüste glich. Und sie sollten vielleicht auch mal auf einen der zu vielen Soldatenfriedhöfe gehen, die es in Europa gibt. Ein Meer steinerner Kreuze, unter denen junge Männer begraben sind. Söhne und Familienväter.

    Bill und ich waren bis zum Abitur zusammen. Damals konnte man bereits in der zwölften Klasse das Abitur machen. Oder anders gesagt: Man musste! Es war ein Notabitur. Im Sommer 1943, als wir noch Pläne und Träume hatten, wurden wir erst in den Reichsarbeitsdienst eingezogen, danach begann die Ausbildung in der Wehrmacht. Wir dachten noch, auch in dieser Zeit zusammenbleiben zu können. Aber in diesem Sommer, nachdem wir unser Abiturzeugnis bekommen hatten, trennten sich unsere Wege. Ich wurde ins Allgäu geschickt, nach Oberjoch, Bill musste nach Gunzenhausen. All das Militärische, was uns dort erwartete, war uns bei weitem nicht mehr neu. Denn unsere ganze Kindheit und Schulzeit war stark geprägt von der Hitlerjugend.

    Beim Jungvolk waren Bill und ich nicht. Dafür gingen wir bereits mit zwölf Jahren in die HJ. Die Hitlerjugend. Wie ein Fischer sein Netz über den See warf, wurden wir eingefangen von einer Einrichtung, die den Namen des damals Höchsten trug. Es war ohnehin abzusehen, dass dieser Dienst bald zur Pflicht wurde, der man nicht mehr entgehen konnte. Aber auch so mancher Lehrer sorgte mit seinem Verhalten dafür, dass wir Schüler zur HJ gingen. Sie war eine Organisation, in der alle Jungen und Mädchen waren. Wir Jungen hatten mittwochs und samstags HJ-Tage. Am Mittwoch war Heimnachmittag, am Samstag Sportnachmittag, immer zwei Stunden. Wer nicht in der HJ war, musste samstags in die Schule, der Rest durfte am Samstag zuhause bleiben und hatte, von den beiden Stunden bei der HJ abgesehen, frei. Dass das so manchem Lehrer nicht passte, war im Nachhinein logisch. Sie hielten den Unterricht so streng ab, dass jeder von uns irgendwann freiwillig hinging. Ohne es zu merken, wurden wir dort bereits auf den kommenden Krieg getrimmt. Es waren keineswegs harmonische und lustige Treffen. Bereits an diesen Sportnachmittagen ging es eher militärisch zu. Das Besondere daran war, dass unsere einzelnen Gruppen von anderen Jungs geführt wurden, die nur zwei oder drei Jahre älter waren als wir. Und sie hatten ihre Machtstellung genossen. Bill und ich hatten anfangs Spaß, sowohl an den Heimabenden als auch an den Sporttagen am Samstag. Aber regelmäßig wurden auch Schießübungen mit Holzgewehren abgehalten oder lange Wanderungen durchgeführt, im Gleichschritt und mit schwer befüllten Rucksäcken. Die Pausen dieser Wanderungen waren gefüllt mit Liegestützen, Kniebeugen und, falls es die Möglichkeit gab, Klimmzügen an irgendwelchen Stangen. Die älteren Jungs, die uns „führten", konnten nie genug davon bekommen, uns zu quälen, wenn wir keine Kraft mehr hatten und eine Pause machen wollten. Einer von ihnen war besonders schlimm: Werner. Er war ausgerechnet der Sohn eines Polizisten, der, wie wir alle wussten, bei der Gestapo war. Er war nur zwei Jahre älter als Bill und ich. Werner hatte sich den Jüngsten in unserer Gruppe ausgesucht, den er bis zur Erschöpfung trieb: Rudi. Bill und ich kannten ihn noch aus der Grundschule.

    An einem Samstag im Sommer, es war drückend heiß, mussten wir mittags um eins auf einer Wiese am westlichen Stadtrand von Memmingen auf diesen Kerl warten. Werner war Oberrottenführer, das war sein Dienstgrad. Wir waren nur normale Hitlerjungen. Als er kam, mussten wir uns alle in einer Reihe aufstellen, in Reih und Glied, wie bei der Wehrmacht. Er hatte von Anfang an nur laut geschrien und wollte, dass wir an diesem Nachmittag einmal rund um Memmingen laufen. Keiner von uns wagte es, etwas dagegen zu sagen. Auf seinen Befehl hin drehten wir uns nach rechts und marschierten los. Im Gleichschritt. In Begleitung eines Liedes, das wir singen mussten. Rudi war an diesem Tag ohnehin noch geschwächt von einer Krankheit, was allerdings jeder wusste. Auch Werner. Aber es war ihm völlig gleichgültig. Von Anfang an trieb er uns dazu, immer schneller zu laufen. Vor allem auf Rudi hat er immer wieder eingeschrien. Keiner von uns hatte das Marschieren gelernt, keiner von uns hatte die Kondition, über eine längere Zeit im Gleichschritt zu laufen. Dafür waren wir zu jung und zu ungeübt. Und so kam es natürlich, dass immer wieder mal einer von uns aus dem Tritt kam. Auch Rudi. Doch während er bei uns nie etwas sagte, wurde Rudi für jeden falschen Schritt gnadenlos schikaniert.

    Begonnen hatte es mit zwanzig Liegestützen, die er machen musste, während wir zusahen. Beim zweiten Mal hatte dieser Polizistensohn Rudi erst 100 Meter zurückrennen und danach wieder auf uns zu rennen lassen. Mit dem Rucksack auf dem Rücken. Rudi stolperte natürlich. Jeder wäre gestolpert. Auch unser Oberrottenführer. Was tat dieser? „Du bist wohl zu blöd zum Laufen!, schrie er Rudi entgegen. „Wahrscheinlich bist du auch noch zu blöd zum Pissen! Wir schwiegen alle, als Rudi wieder bei uns in der Reihe stand. Wir konnten ihn keuchen hören. Ich blickte kurz zu ihm. Er tat mir leid. Aber der Polizistensohn gönnte uns keine Pause, erst recht nicht Rudi. Weiter ging es, wieder im Gleichschritt, wieder mit einem Lied, das wir singen mussten. Irgendwann lief Werner direkt neben Rudi, den immer mehr die Kräfte verließen und der

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