1 %: Phänomene japanischen Christentums
Von Stephan Johanus
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Stephan Johanus
Pfr. Dr. Stephan Johanus, Dipl. theol. von der Humboldt-Universität Berlin, Dr. theol. von der Universität Heidelberg, Pfarrer der reformierten Kirche des Kantons Zürich (Schweiz).
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Buchvorschau
1 % - Stephan Johanus
Inhalt
Vorwort
1 Franz Xavier (1506-1552) – der Beginn der Mission in Japan
2 Die „Kakure Kirishitan" – 隠れキリシタン – die verborgenen Christen
3 Samurai werden Christen – die Meiji Restauration 1868-1912
4 Uchimura Kanzo 内村鑑三 (1861-1930) und die Mu-Kyokai (無教会)
5 KAGAWA Toyohiko 賀川豊彦 (1888-1960)
6 Die moderne japanische Theologie
6.1 KITAMORI Kazoh 北森嘉蔵 (1916-1998)
6.2 KOYAMA Kosuke 小山 晃佑 (1929-2009)
6.3 TAKENAKA Masao 竹中正夫 (1925-2006)
6.4 MIYATA Mitsuo 宮田光雄 (1928)
7 Die inkulturierte Kunst
7.1 WATANABE Sadao 渡辺禎雄 (1913–1996)
7.2 WATANABE Soichi 渡辺総一 (1949)
8 Die Hauskirche
9 Das Kansai Seminar House (Kyoto)
10 Das NCC Center zum Studium der japanischen Religionen (Kyoto)
11 Christliche Hochzeiten für Nicht-Christen
12 1 %
13 Literaturverzeichnis
14 Abkürzungen
Vorwort
So undurchdringbar und mystisch, so fremd und unnahbar die japanische Kultur und Sprache uns mitunter erscheinen mag, so stellen sich uns bei näherer Betrachtung auch einige Formen des Christentums in Japan als überraschend anders und einzigartig heraus.
Ob wir es mit Sumo zu tun haben, mit einem Besuch in einem Shinto-Schrein oder einem Sushi-Restaurant, oder ob wir einfach erleben, dass Japaner sich im Alltag so gut wie nie berühren oder umarmen – es gibt immer wieder Phänome, die uns das Land fremd und unnahbar erscheinen lassen. Wenn wir einen Blick auf das Christentum in Japan werfen, nehmen diese überraschenden Beobachtungen nicht ab. Unter dem uns gut Vertrauten, dem christlichen Glauben als solchem, finden wir in der Gestaltwerdung der Kirchen und des christlichen Lebens genauso überraschende Phänomene wie in der Kultur Japans allgemein. Die Missionsgeschichte Japans beginnt mit einer Sackgasse und einem scheinbaren Ende. Bevor sich das Christentum im 16. Jahrhundert ausbreiten konnte, wird es gestoppt, und es kommt zu Verboten, Verfolgungen und zur Ausrottung des für Japan neuen Glaubens. Es kommt zur existenziellen Bedrohung jener kleinen Schar, die später immer unter jenem „1 % bekannt werden soll. Der Anteil der Christen an der Bevölkerung überstieg um 1600 jenes eine Prozent bei Weitem. Die erste Mission war erfolgreich und sollte doch bald ein jähes Ende finden. Der Anfang war ein Ende – jedenfalls vorläufig. Dass sich die christlichen Gemeinden als „verborgene Christen
im Untergrund dann 250 Jahre lang weiter am Leben halten konnten, ist genauso überraschend, wie die Tatsache, dass das Christentum bis heute in manchen Teilen unsichtbar und verborgen geblieben ist in Form von Hauskirchen, die man nur mit geschärftem, geübtem Blick bei einem Spaziergang durch eine japanische Stadt entdecken kann – manchmal fallen sie einem gar nicht auf.
Ich schreibe als jemand, der sich 17 Mal aufgemacht hat, Japan zu besuchen und zu erkunden. Ich habe die Städte Tokio, Kyoto, Hiroshima, Nagasaki, Kagoshima, Shimabara, Osaka, Kobe, Fukuoka, Fukushima u. a. besucht. Zweimal habe ich an der Weiterbildung des ISJP (Interreligious Studies in Japan Program, EMS) in Kyoto teilgenommen, einmal als „research visitor" im Jahr 2006, ein anderes Mal als Student des ISJP am NCC Center for the Study of Japanese Religions (2019).
Ich kann mich bei meinen Ausführungen auf zahlreiche Besuche von Kirchen in Japan, auf Begegnungen mit japanischen Christen, Theologen und Künstlern und auf die angeführte Literatur berufen.
Meinen ersten, dreimonatigen Aufenthalt in Kyoto als „research visitor nutzte ich dazu, um Forschungen zu Werk und Leben von Prof. TAKENAKA Masao zu betreiben, den ich 2006 noch persönlich kennenlernen durfte. TAKENAKA Masao war 41 Jahre lang als Theologieprofessor an der christlichen Doshisha-Universität tätig. 2016 konnte ich meine Dissertation unter dem Titel „Kultur, Mission und Ästhetik – Die Missionstheologie von TAKENAKA Masao
veröffentlichen.
Im Jahr 2015 hatte ich eine längere Urlaubszeit. Ich nutzte sie, um Japan weiter zu bereisen, für das Christentum wichtige Stätten zu erkunden und erneut an einem Sprachkurs teilzunehmen. Im selben Jahr reiste ich nach Kyushu und besuchte Kagoshima, den Geburtsort der katholischen Mission. Ich wollte wissen, ob und wie am Landungsort des ersten Japanmissionars, des Ereignisses des ersten Eintreffens von Pater Franz Xavier auch heute noch gedacht wird.
Ich konnte die vermutliche Landungsstelle Xaviers am Strand tatsächlich finden, und ich entdeckte ein interessantes Denkmal für den Jesuitenpater in Form einer Gedenktafel und eines beeindruckeden Kunstwerkes. Es erinnert von der Form her an das Denkmal der 26 Märtyrer von Nagasaki. Die römischkatholische Kirche hat dem ersten Japanmissionar in Kagoshima auch eine Kirche gewidmet, ein Denkmal errichtet, ein Park wurde angelegt, und sogar eine Straße ist nach ihm benannt worden.
In meiner Schrift geht es mir nicht um eine vollständige Darstellung der Kirchengeschichte, der Theologie- oder Missionsgeschichte Japans oder um eine voll ständige Aufzählung japanischer Theologien. Japan hat viele interessante christliche Intellektuelle hervorgebracht, ich beschränke mich auf jene, die nach meiner Meinung als Phänomen des japanischen Christentums gelten können und die deshalb besonders hervorzuheben sind.
Doch neben der Theologie haben mich auch immer die Hauskirchen beschäftigt oder die christlichen Hochzeiten für Nicht-Christen. Damit subsumiere ich die Theologen und soziologische Formen des japanischen Christentums unter das Thema der Kultur.
Bei einem meiner Aufenthalte in Japan wurde ich von einem japanischen Theologen darauf aufmerksam gemacht, dass man das japanische Christentum nicht verstehen könne, wenn man sich nicht mit den Hauskirchen beschäftigt. Also musste ich sie mit aufnehmen und versuche hier zu interpretieren, was sie für das Christentum in Japan bedeuten und warum sie ein Phänomen dieser Form des Christentums sind. Bei der Literatur bin ich kompromisslos inklusiv, d. h. ich greife auf katholische, freikirchliche und der Landeskirche nahestehende, auf amerikanische, japanische oder deutsche Quellen gleichermaßen zurück. Wenn man sich nur auf die der Landeskirche nahestehenden Quellen konzentrieren würde, erhielten wir ein für Japan einengendes Bild.
Wir müssten die Kultur der Freikirchen in Japan, auch jene innerhalb des Kyodan, ausklammern.
In dieser Schrift versuche ich also meine Beobachtungen und Erfahrungen für die Gemeindearbeit, die Japanreisenden und Liebhaber ¹ der Kultur und der Sprache Japans, auch für Theologen und Pfarrer fruchtbar zu machen – zur Orientierung und zum Nutzen aller. Mein Bemühen begleite ich mit dem Gebet, dass Gott den Weg der Kirche in Japan weiter segnen möge, den Religionsfrieden für alle bewahre und uns weiter in den Dialog miteinander führt.
Pfr. Dr. Stephan Johanus
¹ Die Damen sind hier immer mit gemeint.
1 Franz Xavier (1506 - 1552) – der Beginn der Mission in Japan
Seit Franz Xavier, Jesuitenpater und Freund von Igantius von Loyola, in Kagoshima in Kyushu japanischen Boden betreten hatte (1549)², sprechen wir in der Literatur vom Beginn der christlichen Mission. Später nennt man die Ära, die mit der christlichen Mission begonnen hatte, sogar das „christliche Zeitalter" (1549-1639).³ Die Mission des Jesuitenpaters war die erste systematische Bemühung, das Christentum nach Japan zu bringen. Vorher hat es wohl einzelne Begegnungen mit Händlern aus Europa gegeben, die aber keinen nennenswerten Einfluss auf die Inseln ausgeübt haben sollen.⁴ 736 kamen nestorianische Christen aus China als Missionare nach Japan, aber über ihre Mission ist zu wenig bekannt.⁵
Franz Xavier war Mitbegründer der „Gesellschaft Jesu (Societas Jesu), der Jesuiten, und ein ausgesprochen begabter Missionar, der später auch „Patron der Missionen
genannt werden sollte. Bei seiner Ankunft waren einzelne Daimyos⁶ und auch Bauern aus den niederen Schichten von seinem Charisma und seiner Persönlichkeit tief beeindruckt. In der kurzen Zeitspanne von zwei Jahren und drei Monaten (1949-52),⁷ in denen er in Japan gewirkt hat, hatte er in Bezug auf die gesamte Missionsgeschichte Japans vergleichweise großen Erfolg. Für das „christliche Zeitalter" werden unterschiedliche Zahlen, zwischen 2 und 8 % Christen an der Gesamtbevölkerung, angegeben.