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Generation Hoffnung: Wie junge Menschen zwischen Klimawandel, Krieg und Selfie-Sucht die Zukunft gestalten
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eBook304 Seiten3 Stunden

Generation Hoffnung: Wie junge Menschen zwischen Klimawandel, Krieg und Selfie-Sucht die Zukunft gestalten

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Über dieses E-Book

Klima-Krise, Corona-Krise, Ukraine-Krieg – dazu Smartphone-Sucht, Sexismus-Skandale und ein kollektives Burnout. Innerhalb kurzer Zeit ist die heile Welt einer ganzen Generation ins Wanken geraten. Amelie Marie Weber beschreibt auf einfühlsame und persönliche Weise, welche Umstände junge Erwachsene in Deutschland heute prägen. Wie schaffen sie es, optimistisch zu bleiben? Welche Ziele können sie sich setzen? Und wie verändern sie die Welt? Auf der Suche nach Lösungen spricht die Autorin mit Experten, Aktivistinnen und Influencern – und findet Zeichen der Hoffnung in Zeiten der Krise.
Im Interview: Sophia Thiel, Nadine Breaty, Louisa Dellert, Fabian Grischkat, Annahita Esmailzadeh, Valeria Shashenok, Dario Schramm.
SpracheDeutsch
HerausgeberKlartext Verlag
Erscheinungsdatum10. Okt. 2023
ISBN9783837525700
Generation Hoffnung: Wie junge Menschen zwischen Klimawandel, Krieg und Selfie-Sucht die Zukunft gestalten

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    Buchvorschau

    Generation Hoffnung - Amelie Marie Weber

    KLIMA

    „Hoffnung ist nichts, was einem geschenkt wird. Sie ist etwas, was man sich verdienen, was man schaffen muss. Sie ist nicht passiv zu bekommen, indem man da steht und darauf wartet, dass jemand anderes etwas unternimmt."

    Greta Thunberg

    Ich beginne dieses Buch mit dem Klimakapitel. Das ist riskant, vielleicht auch taktisch unklug, weil ich weiß, dass sehr viele Leute sehr wenig Lust auf dieses Thema haben. Die Klimakrise macht uns Angst. Und wenn Menschen Angst haben, reagieren sie nach psychologischen Erkenntnissen auf drei unterschiedliche Weisen: sie kämpfen, erstarren oder flüchten. Viele von uns entscheiden sich für die Flucht. Das Thema ist nicht sexy, macht schlechte Laune und darauf haben wir keinen Bock. Also schalten wir ab und verdrängen es so gut wir können.

    Das Verdrängen funktioniert bei der Klimakrise – zumindest in unseren privilegierten Breitengraden – recht gut, weil sie uns noch selten das Gefühl einer akuten Gefahr vermittelt. Wir sehen Berechnungen und Prognosen und Graphen und denken: „Oh, das sieht aber nicht gut aus." Doch wir Menschen müssen oft erst etwas fühlen, damit wir es wirklich begreifen. Unser Gehirn ist nicht gut darin, langfristige Entwicklungen zu erkennen und ernst zu nehmen. Um in Aktion zu treten, also um zu kämpfen statt zu flüchten, braucht es in der Regel räumliche, zeitliche oder soziale Nähe. Potenziell tödliche Viren im Supermarkt, Geflüchtete vor der eigenen Haustür, eine riesige Summe auf der Heizkostenabrechnung: Das bringt Menschen in Bewegung. Aber die neueste Publikation von Klimaforscherinnen und -forschern? Ein Foto von einem schmelzenden Eisberg?

    Die meisten von uns wissen theoretisch, dass die Klimakrise eine existenzielle Bedrohung unserer Zukunft bedeutet. Aber wir fühlen es nicht. Und deshalb schieben wir sie von uns weg. Das Problem: Wenn wir ihre Auswirkungen wirklich spüren, wird es wohl zu spät sein, um noch etwas ändern zu können.

    Es gibt – vor allem junge – Menschen, die das kapiert haben. Sie entscheiden sich für den Kampf statt für die Flucht. „Die Jugend muss noch viel länger mit den Konsequenzen des Klimawandels leben als die Älteren, sagt der Jugendforscher Simon Schnetzer. „Auch deshalb ist das Thema für sie so wichtig. Ich komme also nicht drumherum, in diesem Buch über die existenziellste aller Krisen zu schreiben. Denn ja, ich habe Angst. Aber Angst verschwindet nicht von alleine, sondern nur, indem man sich ihr stellt und nach einer Lösung sucht. Fangen wir also an.

    Fakten: Irgendwann gibt es kein Zurück mehr

    Manchmal bin ich fast schon froh, nicht über Spezialwissen zur Klimakrise zu verfügen, denn wäre ich eine Expertin, die wirklich verstünde, wie viel gerade schiefläuft, würde ich wahrscheinlich vollkommen durchdrehen. Dieses Buch ist nichts für Leugnerinnen und Leugner des menschengemachten Klimawandels. Auf was wir uns also einigen sollten: Die Klimakrise ist real und gefährlich. Wir Menschen sind die Ursache.

    Und noch ein bisschen mehr Grundwissen ist wichtig. Der umfassende Bericht des Weltklimarats IPCC hat die Ergebnisse von sechs Klimaberichten und drei Sonderberichten aus den vergangenen Jahren gebündelt. Insgesamt basiert er auf ungefähr 80.000 Studien. In dem Bericht heißt es: „Das Fenster der Möglichkeiten, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu schaffen, schließt sich schnell."¹ Was wir dringend begreifen müssen: Es wird dann auch für immer verschlossen bleiben. Die Erde hat Grenzen. Wir zerstören ein System, das wir nicht einfach so wiederherstellen können. Vielleicht ist es das, was mir am meisten Furcht einjagt: Dass unsere Versäumnisse eines Tages nicht mehr gutzumachen sind. Dass ein „Ups, sorry, das wollten wir nicht" keinen Unterschied machen wird, weil es dann einfach zu spät ist.

    Um das besser zu veranschaulichen, gibt es das Konzept der Klimakipppunkte. Dabei handelt es sich um kritische Schwellenwerte, deren Überschreitung zu irreversiblen Veränderungen des globalen Klimas führt. Kipppunkte sind zum Beispiel das Schmelzen des Grönlandeises, die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes oder das Absterben der Korallenriffe. Sollten diese Dinge geschehen – und das werden sie, wenn wir tatenlos zusehen – hätte das dramatische Auswirkungen auf den gesamten Planeten. Eine lebenswerte Existenz wäre dann kaum mehr möglich.

    Louisa Schneider ist Klimaaktivistin und reist mit der Umweltorganisation Greenpeace zu verschiedenen Orten der Erde, an denen diese Kipppunkte sichtbar werden. Als ich sie zum digitalen Interview erreiche, sitzt Louisa gerade vor ihrem Laptop in einem kleinen Apartment mit Blick über São Paulo. Am Tag zuvor ist die 24-Jährige aus dem Amazonasgebiet zurückgekehrt. „Du fährst kilometerweit durch ausgedörrte Felder, die einst florierender Regenwald waren, beschreibt sie einen der eindrücklichsten Momente ihrer Reise. „Und dann steigst du aus und du stehst mitten im Rauch. Du kannst nicht richtig atmen. Deine Augen beginnen zu tränen. Überall zischt und knackt es. Ein Baum stürzt um. Die letzten Wildschweine rennen aus dem rauchenden Wald. Über dir schreien brennende Vögel. Es seien Eindrücke wie diese, die ihr immer wieder bewusst machten, was wir verlieren, wenn wir nicht endlich handeln.

    Eigentlich haben sich fast alle Länder der Welt zum Handeln verpflichtet: Im Pariser Klimaabkommen von 2015 verständigten sie sich unter anderem darauf, das sogenannte 1,5-Grad-Ziel zu verfolgen, also den globalen Temperaturanstieg auf maximal 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Gelänge dies, könnte man das Überschreiten der Klimakipppunkte möglicherweise verhindern. Dann würde das Grönlandeis nicht weiter abschmelzen, die Korallenriffe bunt bleiben und der Regenwald nicht zur Savanne werden. Kurz gesagt: Das Leben auf diesem Planeten wäre weiterhin möglich. Die 195 teilnehmenden Länder verpflichten sich unter anderem, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren und regelmäßig über ihre Fortschritte zu berichten. Das Pariser Abkommen gilt als Meilenstein im globalen Kampf gegen den Klimawandel, doch die Verpflichtungen sind freiwillig und die bisherigen Emissionsreduktionen unzureichend. Bleibt es beim aktuellen Kurs, so die Autorinnen und Autoren des IPCC-Berichts, steuert die Welt auf einen Temperaturanstieg von bis zu 2,6 Grad Celsius zu. „Wir haben 16 Klimakipppunkte weltweit und zehn davon sind eventuell schon überschritten, sagt Louisa. „Dadurch gerät immer mehr ins Wanken. Es kann so nicht weitergehen.

    Während ich mit Louisa spreche, fällt immer wieder ein Begriff: Kapitalismus. Man kann einfach nicht über das Klima reden, ohne auf die Wirtschaft zu blicken. Es geht im kapitalistischen System eben vordergründig darum, dass die Wirtschaft läuft, und solange Menschen mehr Geld damit verdienen, die Umwelt zu zerstören, als sie zu bewahren, wird sich nicht viel ändern. Wir müssen uns also fragen, warum fossile Energien noch immer so lukrativ sind und was wir dagegen tun können. Denn was bringt eine laufende Wirtschaft, wenn sie den Untergang der Menschheit bedeutet? Und warum sorgen wir nicht dafür, dass die Wirtschaft läuft, indem wir Dinge schaffen, die dem Klima zuträglich sind? Ökonomie und Ökologie schließen einander nicht aus. Im Gegenteil: Klimaschutz und Nachhaltigkeit können wirtschaftliche Wachstumstreiber sein. Wir brauchen wissenschaftliche und technologische Entwicklungen, um grüne und zugleich günstige Energien herzustellen. Wenn es uns gelänge, mehr effiziente, klimaneutrale Technologien zu entwickeln, könnten wir zugleich Arbeitsplätze und damit letztlich sogar einen Wettbewerbsvorteil schaffen. Dabei geht es nicht nur um Ansätze, die zur Reduktion von CO2-Äquivalenten beitragen, sondern auch um solche, die CO2 aus der Atmosphäre entfernen und speichern. Es muss darum gehen, effektive Lösungen zu finden und sie in die ganze Welt zu exportieren. Ich bin überzeugt, dass wir Wohlstand bewahren und trotzdem – oder sogar erst recht – ambitionierten Klimaschutz vorantreiben können, indem wir arbeiten, erfinden, erschaffen. Und zwar für das Klima. Nicht dagegen.

    „Es ist wichtig, dass wir jetzt auf Technologien setzen, die dazu führen, dass unser Wohlstand in Zukunft größer ist als heute. Und dass wir gleichzeitig dazu beitragen, dass das Klima und die Umwelt geschützt werden. (…) Denn ich bin für Wachstum, um das ganz klar zu sagen. Aber ich finde, Wachstum muss nicht so sein, dass man gewissermaßen dann schlechter lebt. (…) Für uns in Deutschland ist das übrigens eine gute Chance. Denn wenn wir es sind, die die Technologien [beherrschen], dann können wir sie auch verkaufen."

    Olaf Scholz, Bundeskanzler²

    Je länger wir warten, desto teurer und unbequemer wird es für uns alle. Eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesumweltministeriums zeigt, dass die Schäden, die bis 2050 durch die Klimakrise entstehen, das Land bis zu 900 Milliarden Euro kosten könnten. Ein schwacher Klimawandel würde dagegen „nur" 280 Milliarden Euro kosten. Wer also Angst vor Wohlstandsverlust hat, muss erst recht jetzt tätig werden. Und wer Angst vor Veränderungen hat, sollte sich vor Augen führen, dass diese nicht unbedingt einen Verzicht, sondern oft sogar einen Zugewinn an Lebensqualität bedeuten. Zum Beispiel weil sich ohne Kohle und Öl die Luftqualität verbessert oder weil durch eine fleischfreie Ernährung die Lebenserwartung steigt.

    Der Arzt und Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen schreibt in seinem Buch „Mensch Erde: „Die nächsten zehn Jahre entscheiden darüber, wie die nächsten 10.000 Jahre verlaufen.³ Diesen Satz muss man einfach noch mal lesen, um ihn wirklich zu begreifen: Die nächsten zehn Jahre entscheiden darüber, wie die nächsten 10.000 Jahre verlaufen. Wie krass ist das? Mit den Maßnahmen, die wir jetzt treffen, beeinflussen wir, ob die menschliche Spezies langfristig überlebt – oder eben nicht.

    Manche mögen jetzt vielleicht sagen: „Mir doch egal, was nach mir kommt. In hundert Jahren bin ich sowieso tot. Aber selbst wenn einem die Zukunft der eigenen Kinder und Enkelkinder egal ist, muss klar sein, dass die ersten Auswirkungen der Klimakrise bereits hier und jetzt spürbar sind. Das überflutete Ahrtal, Waldbrände, Wasserknappheit, Ernteausfälle, Dürreschäden und geschätzt mehr als 8.000 Hitzetote in Deutschland allein im Sommer 2022. All das sind nur Vorboten dessen, was sich noch entwickeln könnte. „Es sind so viele Klimakatastrophen vorprogrammiert, dass wir mit Sicherheit davon ausgehen können, dass dieses Thema junge Menschen noch sehr lange beschäftigen wird, sagt Jugendforscher Schnetzer. Wir gehören zur ersten Generation, die wirklich spürt, welche Folgen die Erderwärmung hat. Und wir gehören zur letzten, die sie aufhalten kann.

    Diese Verantwortung lastet schwer auf unseren Schultern. Studien zeigen, dass sich die unfassbare Tragweite der Klimakrise und das Gefühl, sie quasi allein aufhalten zu müssen, negativ auf die mentale Gesundheit auswirkt.⁴ Inzwischen gibt es sogar ein psychologisches Phänomen, das diesen Umstand beschreibt: Klimaangst oder Climate Anxiety. Sie reicht von Stress, Schuldgefühlen und allgemeiner Sorge bis hin zu intensiven emotionalen Reaktionen wie Panikattacken, Schlafstörungen oder Depressionen. Auch Louisa kennt diese Klimaangst: „Nach all den Jahren, in denen ich mich schon mit diesen Themen beschäftige, versinke ich manchmal immer noch in Verzweiflung und breche in Tränen aus", sagt sie. Das gehöre zur aktivistischen Arbeit wohl einfach dazu. Die Klimakrise ist zum Heulen.

    Globalisierung: Alles hängt mit allem zusammen

    93 Prozent der EU-Bürger sehen im Klimawandel ein „ernstes Problem".⁵ Das ist ein beachtlicher Konsens. Doch viele tun bisher wenig bis nichts, um ernsthaft zu einer Lösung beizutragen. Ich schließe mich da ganz bewusst mit ein: Obwohl ich die Klimakrise sehr ernst nehme, ignoriere ich sie meist so gut es geht. Das ist untypisch für mich, denn normalerweise versuche ich, Problemen im Leben immer konstruktiv zu begegnen. Ob bei akutem Liebeskummer oder schockierenden AfD-Umfragewerten – ich frage selten: „Wie konnte es so weit kommen?, und viel lieber: „Wie können wir es ab jetzt besser machen?. Bei der Klimakrise ist die Beantwortung dieser Frage jedoch alles andere als leicht, denn alles hängt mit allem zusammen. Das Klima ist global. Deshalb müssen wir es global denken.

    Wirtschaftsnationen wie Deutschland tragen eine historische Verantwortung. Weil sie bereits zu Zeiten des Kolonialismus andere Regionen und Völker ausgebeutet haben. Weil sie seit der Industrialisierung hohe Emissionen verursachen. Und weil sie nach wie vor überdurchschnittlich viele Treibhausgase ausstoßen.

    Doch es wäre keinem geholfen, wenn Deutschland nun im Alleingang strengere Auflagen oder höhere Preise einführte, um beispielsweise CO2 einzusparen. Im Gegenteil: Die inländische Produktion würde teurer werden und stattdessen könnten Wettbewerber in anderen Ländern die Ware günstiger produzieren und nach Deutschland exportieren. Deutsche Unternehmen müssten womöglich schließen und das CO2 wäre trotzdem in der Luft. Dem weltweiten Klima wäre kein bisschen geholfen und der deutschen Wirtschaft zugleich massiv geschadet. Dieses Phänomen wird als Carbon Leakage bezeichnet und macht deutlich, warum klimapolitische Entscheidungen unbedingt auf internationaler Ebene koordiniert werden müssen.

    Welchen Unterschied kann unser kleines Heimatland überhaupt machen? Laut dem „Global Carbon Atlas" beträgt der Anteil Deutschlands an den weltweiten CO2-Emissionen gerade mal zwei Prozent. Ganz Europa ist für etwa zehn Prozent verantwortlich.⁶ Selbst wenn Deutschland oder sogar ganz Europa über Nacht CO2-neutral werden würde, würde die Welt wohl trotzdem überhitzen. Asien, der bevölkerungsreichste und größte Kontinent, trägt dagegen zu mehr als 50 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen bei. Bei diesem Gedanken bin ich direkt frustriert, weil ich mir einfach nicht zutraue, den chinesischen Staatschef Xi Jinping persönlich davon zu überzeugen, doch bitte endlich was fürs Klima zu tun.

    „Wenn sich in Asien nichts tut, bringt unser Einsatz doch sowieso kaum etwas, sage ich zu Louisa. Sie entgegnet: „Wir machen es uns viel zu leicht, indem wir unsere Klamotten und Handys in Asien produzieren lassen und uns dann darüber beschweren, dass da so viel CO2 ausgestoßen wird. Diese Emissionen werden bewusst von Konzernen in diese Länder ausgelagert, um dann mit dem Finger auf sie zu zeigen. Auch das muss uns bei unseren eigenen Konsumentscheidungen bewusst sein. Aha! Ich muss also gar nicht persönlich mit Xi Jinping sprechen, um ein kleines bisschen Einfluss zu nehmen. Die Emissionen in anderen Ländern sind weder deren alleinige Schuld noch ihr alleiniges Problem. Solange wir immer nur möglichst viele, möglichst billige Sachen kaufen wollen, die Produktionsbedingungen ignorieren und Kosten externalisieren, wird sich das weltweite System nicht ändern. Es bleibt dabei: Alles hängt mit allem zusammen.

    Die Länder des Globalen Südens, die genau betrachtet am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, haben am stärksten mit dessen Folgen zu kämpfen, während die Länder des Globalen Nordens, die historisch am meisten profitieren, eher in der Lage sind, sich anzupassen. Deutschland zum Beispiel befindet sich in einer gemäßigten Klimazone. Doch in den Ländern des Globalen Südens leiden die Menschen jetzt schon unter Trinkwasserknappheit, Hitzewellen und Dürren. Landwirtschaft, auf die sie häufig angewiesen sind, wird auf Dauer nicht mehr möglich sein. Früher oder später werden diese Menschen in kühlere Regionen der Erde flüchten müssen. Es ist also weder moralisch vertretbar, noch klug, die Sorgen anderer Länder zu ignorieren.

    Wie schaffen wir es, dass die einen Menschen nicht hungern und leiden, während andere vollkommen über ihre Verhältnisse leben? Die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth hat das Konzept der „Donut-Ökonomie entworfen. Den Namen finde ich schon mal sehr verlockend. Raworth stellt die Wirtschaft darin wie einen Donut dar. Es gibt einen inneren und einen äußeren Ring. Der innere Ring steht für das gesellschaftliche Fundament des Wohlbefindens. Wenn Menschen diesen Ring nach innen überschreiten, leiden sie unter Wassermangel, Nahrungsknappheit, Bildungsdefiziten, Gesundheitsproblemen – kurz: Es geht ihnen schlecht. Der äußere Ring symbolisiert dagegen die ökologische Grenze. Wenn wir ihn nach außen überschreiten, kommt es zu Luftverschmutzung, dem Verlust der Artenvielfalt, der Versauerung der Meere und all den anderen dramatischen Folgen der Klimakrise. Der Raum zwischen den beiden Ringen – also der Donut selbst – ist der Ort, an dem die Bedürfnisse aller Menschen auf dem Planeten erfüllt werden können, ohne die verfügbaren Ressourcen überzustrapazieren. Hier sollten wir alle leben, denn im Donut selbst, so Raworth, „liegt ein sicherer und gerechter Raum für die Menschheit.⁷ Im Augenblick überschreiten wir jedoch sowohl die innere als auch die äußere Grenze. Raworth schreibt in ihrem Buch: „Was wäre, wenn wir unser eigenes Leben nach dem Donut ausrichten und uns die Frage stellen würden: Wie beeinflusst die Art, wie ich einkaufe, esse, reise, meinen Lebensunterhalt verdiene, wähle, meine Bankgeschäfte erledige und mich generell verhalte die sozialen und planetaren Grenzen?" Oder anders gesagt: Wie werden wir zur leckeren Schokoglasur des Donuts?

    Verantwortung: Unser schlechtes Gewissen ist kein Zufall

    Bewusster einkaufen, die Heizung herunterdrehen, das Auto stehen lassen – seien wir ehrlich, wir wissen inzwischen alle, was wir im Alltag für das Klima tun können. Doch es ist echt nicht so leicht: Ich kaufe Shampoo in der Glasflasche und stelle dann fest, dass die Ökobilanz aufgrund des hohen Transportgewichts viel schlechter ist als bei einer Plastikverpackung. Ich kaufe ein teures Kleid mit Nachhaltigkeits-Schildchen und erfahre dann, dass es in der gleichen Fabrik hergestellt wurde wie meine H&M-Jeans. Ich entscheide mich für einen nachhaltig gelabelten Fonds und finde dann heraus, dass er in Kernenergie und Massentierhaltung investiert. Wer soll da bitte noch durchblicken? Warum ist es so verdammt kostspielig und kompliziert, klimafreundlich zu leben? Und wie sollen weniger wohlhabende Menschen überhaupt umweltfreundliche Entscheidungen treffen? Klar: Nachhaltigkeit ist nichts, was man sich kauft, sondern das, was man sich nicht kauft. Aber wer heute wirklich an der Gesellschaft teilhaben möchte, ist fast gezwungen, dem Klima auf die eine oder andere Weise zu schaden. Es bräuchte viel mehr Transparenz und klare Standards, um Greenwashing aufzudecken und Verbraucherinnen und Verbrauchern fundierte Entscheidungen zu ermöglichen.

    Naja, und dann gibt es auch noch die Dinge, von denen wir ziemlich genau wissen, dass sie nicht förderlich fürs Klima sind – und die wir trotzdem tun. Fliegen, zum Beispiel. Obwohl uns allen bewusst ist, dass Flüge schädlich sind, wählen immer mehr Menschen in Deutschland das Flugzeug als Verkehrsmittel. Vor allem in der Altersgruppe der unter 29-Jährigen.⁸ Wir sind daran gewöhnt, schnell und günstig um die Welt zu jetten und die große Mehrheit meiner Generation wird sich Flugreisen wohl auch nicht mehr abgewöhnen. Selbst wenn dabei permanent das schlechte Gewissen mitfliegt.

    Das schlechte Gewissen ist in meinem Alltag ohnehin zum ständigen Begleiter geworden. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich Klamotten online bestelle und sie danach wieder zurückschicke. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich meinen To-Go-Becher ständig daheim vergesse und deshalb den aus Plastik nehmen muss. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich hin und wieder einen Döner esse, statt immer auf Fleisch zu verzichten. Ich habe so oft ein schlechtes Gewissen, dass ich mich schon daran gewöhnt habe, ein schlechtes Gewissen zu haben. Das führt in den meisten Fällen dazu, dass ich nicht mein Verhalten ändere, sondern denke, ich könne es eh nicht richtig machen – und weiterhin den Döner bestelle. Macht ja sowieso keinen Unterschied mehr, denke ich dann. Und blende mein schlechtes Gewissen wieder einmal aus. Ich bin inzwischen erschreckend gut darin.

    „Der beste Scam aller Zeiten ist, dass man uns eingeredet hat, dass Klimaschutz eine individuelle Entscheidung wäre. So konnte man uns 1. ‘grüne’ Produkte verkaufen und 2. damit beschäftigen, einander vorzuwerfen, dass der Planet stirbt, weil die Zahnbürste nicht aus Bambus ist."

    El Hotzo, Comedian

    Mein schlechtes Gewissen ist weder Zu- noch Einzelfall. Vielen geht es ähnlich und das nicht ohne Grund. Für Politik und Wirtschaft scheint es schlicht leichter, an unsere individuelle Leistungsbereitschaft zu appellieren, statt selbst die wirklich wichtigen und notwendigen Schritte zu

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