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DIE ANDEREN: die harte Realität der Obdachlosigkeit
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DIE ANDEREN: die harte Realität der Obdachlosigkeit
eBook258 Seiten2 Stunden

DIE ANDEREN: die harte Realität der Obdachlosigkeit

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Über dieses E-Book

Stellen Sie sich eine Welt vor, die nur wenige Schritte von Ihrer eigenen entfernt ist, aber dennoch in einem anderen Universum zu liegen scheint. «DIE ANDEREN» ist kein Buch über eine Einzelperson, sondern eine eindringliche Erkundung einer verborgenen Gesellschaft, die mitten unter uns existiert. Janita-Marja Juvonen, die selbst über 14 Jahre die Straßen durchstreift hat, öffnet uns die Augen für die Realitäten der Obdachlosigkeit. Und sie tut dies aus einer Perspektive, die in der Literatur über dieses Thema selten zu finden ist: der der Frau.
In einer Welt, in der obdachlose Frauen oft weniger sichtbar sind, bringt Juvonen ihre Erfahrungen und die ihrer Leidensgenossinnen ins Rampenlicht. Dieses Buch ist ein Spiegel, der die verzerrten Vorurteile unserer Gesellschaft reflektiert. Es entlarvt die Klischees von »selber schuld» und «zu faul zum Arbeiten» und zeigt, dass Obdachlosigkeit jeden treffen kann, unabhängig von Bildung oder sozialem Status.
Erleben Sie den Alltag auf der Straße aus dieser selten beleuchteten Perspektive. Spüren Sie die quälende Unsicherheit, die verzweifelte Suche nach einem Schlafplatz und die fehlende Privatsphäre. Entdecken Sie die Solidarität in einer Welt, die von der Gesellschaft oft vergessen wird.
Juvonen geht keinem Thema aus dem Weg. Von der Rolle des Drogenkonsums als Überlebensstrategie bis hin zu den unsichtbaren Gefahren einer Lungenentzündung, wenn man keinen Ort zum Ausruhen hat. Sie spricht über Menstruation, sexuelle Gewalt und die kafkaeske Welt der Bürokratie, die für Obdachlose zum Labyrinth wird.
Doch «DIE ANDEREN» ist mehr als eine Sammlung von Schicksalsschlägen und Überlebenskämpfen. Es ist ein dringender Appell für einen Perspektivwechsel. Juvonen fordert uns auf, obdachlosen Frauen mit der Würde und dem Respekt zu begegnen, die jedem Menschen zustehen. Sie plädiert für innovative Lösungen.
Das Buch enthält aber auch praktische Ratschläge für den Umgang mit obdachlosen Menschen. Es soll Hemmschwellen abbauen und Vorurteile überwinden. Janita plädiert für mehr Verständnis, Empathie und Augenhöhe im Umgang mit von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen.
Lassen Sie sich von «DIE ANDEREN» dazu inspirieren, Ihre Berührungsängste abzubauen und die Nöte von Menschen am Rande der Gesellschaft zu verstehen. Es ist mehr als ein Buch; es ist eine Einladung zur Menschlichkeit. Ein berührendes und aufschlussreiches Buch, das dieses wichtige Thema aus einer persönlichen Perspektive beleuchtet.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum13. Aug. 2023
ISBN9783907442333
DIE ANDEREN: die harte Realität der Obdachlosigkeit
Autor

Janita-Marja Juvonen

Janita-Marja Juvonen, die in den offiziellen Papieren schlicht als Janita geführt wird, ist eine Frau mit vielen Namen und noch mehr Lebenserfahrungen. Geboren als Janita-Marja, wurde sie von ihren Adoptiveltern in Stefanie umbenannt und trug auf den Straßen den Spitznamen JJ. Trotz der vielen Identitäten und Herausforderungen in ihrem Leben, bleibt eines konstant: Sie ist und bleibt Janita-Marja Juvonen. Mit 43 Jahren hat sie mehr erlebt als die meisten Menschen in einem ganzen Leben. Es war keineswegs sicher, dass sie dieses Alter erreichen würde, nachdem sie 14 Jahre lang mit schwerer Drogenabhängigkeit und Obdachlosigkeit zu kämpfen hatte. Diese Jahre haben nicht nur physische, sondern auch emotionale Narben hinterlassen, die sie zur Frührentnerin gemacht haben. Doch Ruhestand bedeutet für Janita-Marja Juvonen keineswegs Untätigkeit. Sie engagiert sich leidenschaftlich in der Aufklärungsarbeit rund um die Themen Obdachlosigkeit und Sucht. Besonders am Herzen liegen ihr Schulbesuche, wo sie ihre Erfahrungen mit einer breiten Altersgruppe teilt, von 7 bis 109 Jahren. Darüber hinaus bietet sie Stadtführungen in Essen an, die sich dem komplexen Thema der Obdachlosigkeit widmen. Dank der sozialen Medien hat sie eine Plattform gefunden, um ihre Botschaft weiter zu verbreiten. Sie bloggt regelmäßig über ihre Erfahrungen und möchte damit die oft unsichtbaren Aspekte von Obdachlosigkeit und Sucht beleuchten. Ihr Ziel ist es, der Obdachlosigkeit ein Gesicht zu geben und Sichtbarkeit für die Menschen im Schatten der Gesellschaft zu schaffen.

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    Buchvorschau

    DIE ANDEREN - Janita-Marja Juvonen

    Du Opfer

    «Du bist bestimmt faul und willst auch nicht arbeiten gehen. Oder du nimmst Drogen, sicher nimmst du Drogen! Ach ja, selber dran schuld, sage ich nur, du Opfer. Du willst ja gar nicht anders. Du möchtest in Notunterkünften und auf der Straße schlafen!»

    «Mir, weißt du, mir kann so etwas nie passieren! Ich bin besser als du. Das sage ich dir natürlich nicht direkt, aber das weiß ja eh jeder. Solche Menschen wie dich braucht kein Mensch! Du belastest nur unsere Gesellschaft, die ehrlichen Steuerzahler!»

    «Ich dagegen… ich bin jemand, denn ich habe eine Wohnung! Ich gehe arbeiten. Ich habe eine Familie. Ich nehme keine Drogen. Ich lebe nicht auf der Straße! Ja, ich bin ein wertvolles Mitglied dieser Gesellschaft. Du hingegen, ach, wer braucht dich schon. Du lebst auf unsere Kosten! Du bist einfach faul! Du bist ein Nichts!»

    Was meinen Sie, gibt es ein «Selber dran schuld»? Wo ist die Grenze zwischen schuldig und unschuldig? Wer darf darüber richten?

    Ist es allenfalls einfach Angst, die da spricht, wenn Menschen solche Dinge sagen? Diese Angst – oder ist es gar Hochmut? – wahrnehmen zu müssen, dass auch ihr eigenes Leben jederzeit ganz schnell bergab gehen kann? Dass keiner von uns Kontrolle über sein Leben hat? Ist es diese Angst, das wahrzunehmen, die Menschen dazu veranlaßt, immer und immer wieder andere Menschen abzuwerten und diese schuldig zu sprechen?

    Bin ich selber daran schuld, dass ich schwer traumatisiert wurde, als ich mit sechs Monaten in der Wohnung meiner Eltern allein blieb, nur mit meiner Schwester, die gerade einmal zwei Jahre alt war?

    Bin ich selber daran schuld, dass ich bei den Menschen, die mich dann adoptierten, immer wieder vor Gewalt weggelaufen bin, um Hilfe zu bekommen? Hilfe, die ich bloß nie bekam. Ja, ich war sooo ein undankbares Kind. Ich konnte doch froh sein, dass ich überhaupt Eltern bekommen habe!

    Das wurde mir von vielen Seiten immer und immer wieder gesagt: vom Jugendamt, von den Lehrkräften, im Schwimmverein, von der Polizei und in der Verwandtschaft von den Personen, die mich adoptiert haben. Das sind nur ein paar Beispiele. Dabei wurde übersehen, dass ich keine Eltern gewonnen, sondern in erster Linie meine Eltern verloren hatte.

    Bin ich selber schuld, dass ich nach Mißbrauch und Gewalt auf der Straße zu Drogen griff, um die kalte und harte Welt der Straße erträglicher zu machen und mein Inneres zu schützen?

    Bin ich selber schuld, dass man mich unter meiner Brücke in meinem Bretterverschlag angezündet hat, mit den Worten «sterbt»?

    Für einige Menschen mag ich ein Opfer sein. Ich sehe mich nicht als Opfer, sondern als Mensch, der versucht hat, zu überleben, der viel stärker ist, als die Bevölkerung glaubt.

    Das Leben auf der Straße ist sicherlich eines nicht: Es ist nichts für faule Menschen!

    Da gibt es um 17 Uhr keinen Feierabend. Wochenende ist auch komplett gestrichen. Ach, und Urlaub können Sie auch vergessen. Sollten Sie krank sein, können Sie sich auch nicht krank melden und einfach mal zuhause bleiben, um gesund zu werden.

    Wissen Sie, wie es ist, wenn in Ihrem Leben plötzlich nichts mehr so ist wie vorher?

    Wenn Ihr Kind stirbt? Wenn Sie Ihre Arbeit verlieren? Wenn bei einem Unfall jeder im Auto stirbt, nur Sie nicht. Wenn sich Ihr Partner trennt oder Ihr Partner in Ihren Armen verstirbt? Wenn Sie einen für andere vielleicht auch scheinbar leichten Schicksalsschlag oder Trauma erleiden und alles wegbricht? Wenn Sie plötzlich nicht mehr aufstehen, nicht einfach zur Arbeit gehen können? Wenn Sie tagelang im Bett liegen und nicht wissen, warum Sie so kraftlos sind? Wissen Sie, wie es ist, wenn Sie viele Dinge, die für andere selbstverständlich und einfach sind, einfach nicht mehr schaffen zu leisten?

    Oder wenn Sie immer wieder gegen Wände rennen, um Hilfe zu bekommen? Wenn Sie nach einer Trennung keine eigene Wohnung finden oder Ihnen wegen Eigenbedarf gekündigt wird? Es muss noch nicht einmal ein Schicksalsschlag sein, heute geht es viel schneller, ohne Wohnung dazustehen, als viele in dieser Bevölkerung glauben wollen.

    Was für Sie einfach erscheint, ist für andere vielleicht unheimlich schwer. Was für andere einfach erscheint, ist für Sie dagegen unheimlich schwer. Lernen Sie, die Perspektive zu wechseln, sich in andere hineinzuversetzen, anstatt nur aus Ihrer Perspektive zu urteilen und nur in Ihrer Blase zu leben. Sehen Sie über den eigenen Tellerrand hinaus.

    Ich bin 100 km gelaufen. In meiner Wohnung. In 24 Stunden und 47 Minuten. Ja, 100 Kilometer! Was? Sie können das nicht?

    «Ey, du Opfer, du musst doch einfach nur loslaufen. Ist doch ganz einfach! Kann ich doch auch! Das weiß ich, weil es mir leichtfällt. Und wenn es dir nicht leichtfällt, dann bist ganz einfach du das Problem.»

    Wissen Sie, dass viele Menschen ohne Wohnung oder Obdach auch selber einmal gesagt haben, ihnen würde so etwas nie passieren? Die auch einmal gedacht haben, Menschen ohne Wohnung sind einfach selber daran schuld? Viele dachten, ihr Leben sei sicher, ihre Wohnung sei sicher. Ihre Wurzeln, ihr Umfeld, ihre Freunde, ihre Arbeit, ihre Gesundheit, ihr finanzieller Status, alles sei sicher.

    Nach unten geht es schnell, nach oben ist es so schwer. Selbst wenn Sie da rauskommen, dann ist es ein langer Weg zurück in die Gesellschaft. Diese Gesellschaft legt Ihnen immer noch einen Stempel auf, sobald sie von Ihrer Vergangenheit erfährt. Von Ihrem Versagen. Diese Gesellschaft vergißt nie, wo Sie einmal waren. Oft sehen die Menschen auch da nicht die Stärke, dass Sie das überlebt und es zurückgeschafft haben. Nein, sie erzählen Ihnen ständig, wie unverständlich es ist, überhaupt einmal dort gelandet zu sein.

    Bitte begegnen Sie den Menschen auf der Straße auf Augenhöhe. Immer! Jeder Mensch ohne Wohnung bzw. Obdach leistet jeden Tag Unglaubliches.

    Diese Menschen haben vielleicht keine Wohnung. Das ist kein Grund, sie wie unmündige Menschen zu bevormunden, zu beleidigen oder ihnen weniger als Menschen mit Wohnung zuzugestehen.

    Seien Sie froh und dankbar, dass Ihr Leben gerade gut läuft oder zumindest in einer eigenen Wohnung stattfindet. Wenn Sie Diskriminierung oder Beleidigung von wohnungslosen, obdachlosen Menschen sehen oder hören, schreiten Sie ein. Geben Sie den Menschen die Stimme, die ihnen die Gesellschaft genommen hat. Machen Sie sie stark, nicht, weil sie Opfer sind, sondern weil sie Menschen sind wie Sie und ich. Kein Mensch hat einen anderen Menschen zu diskriminieren oder zu beleidigen. Alle sollten sich dafür einsetzen, dass so etwas nicht passiert.

    An die Wand stellen… einfach verrecken!

    Sollen die doch in Notunterkünfte gehen… einfach verstecken!

    Selber dran Schuld… es ist so einfach «DIE» zu beflecken.

    Geschlagen!

    Getreten!

    Angezündet!

    Das geschieht jeden Tag, vor unseren Augen.

    Manche denken sich jetzt; «Ach sind nur die Menschen,

    die eh zu nichts taugen.»

    Auf den Mond schießen, dass ist das, was viele fordern.

    Währenddessen wird auf der Straße, mitten unter Uns,

    fleißig weiter gestorben.

    Ungesehen.

    Heimlich.

    Versteckt.

    Allein.

    Ohne Namen.

    Ohne Gesicht.

    Weil es interessiert die Meisten nicht.

    Menschlichkeit sie ist in uns allen.

    Menschlichkeit sie ist auch in dir.

    Bitte sieh hin.

    Ich danke dir.

    Mein Gedicht

    Baum fällt

    Diesen Text habe ich vor einigen Jahren auf meinem Blog geschrieben. Gerne möchte ich ihn in diesem, meinem Buch noch einmal veröffentlichen.

    Menschen groß & stark wie ein Baum werden einfach umgehauen. Von scheinbar kleinen Dingen. Groß, stark und scheinbar hart. Baumkenner werden das mit dem hart anders sehen, aber für Laien wie mich ist Holz wohl generell hart. Manche Bäume können bis zu 1.000 Jahre alt werden, wenn sie nicht vorher gefällt werden. Ich habe mal gelesen, das Fällen passiert bei manchen Baumarten schon mit 90 Jahren. Das sind sage und schreibe bis zu 910 Jahre weniger für den Baum. Das fand ich persönlich sehr traurig.

    Eines Tages kommt zu diesem scheinbar starken Baum ein kleines, weiches Menschlein daher. Ein Wesen, das viel kleiner, scheinbar weniger hart in der Substanz ist als dieser Baum. Ein Menschlein, das nicht einmal ansatzweise das Alter eines Baumes erreichen wird. Dieses scheinbar kleine Problem, der Mensch, nimmt jetzt die Axt. Haut zu. Beim ersten Mal verwundet es den Baum leicht, aber er fällt davon noch lange nicht um.

    Er bleibt stark. Knickt nicht ein. Er kippt auch beim zweiten Mal nicht um. Ist er aber schon durch andere Dinge wie Wassermangel oder Insektenbefall geschwächt, dann setzt ein scheinbar kleines Problem eine ganze Kettenreaktion in Gang. Hat er genug Wasser, können andere Dinge dem Baum nicht so gefährlich werden, wie wenn er schon durch einen Wassermangel geschwächt ist.

    Seine Wurzeln verankern den Baum tief im Boden. Wenn auch dieser einen Mangel hat, stört das seine Verankerung. Die Wurzeln haben dann nicht so viel Halt wie bei einem Boden, der gut in seiner Substanz ist. Der alles bereithält, was der Baum braucht.

    Die Wurzeln, diese Verankerung, machen es dem Baum natürlich auch erst möglich, so aufrecht und sicher zu stehen. Die Wurzeln von einem Baum können auch faulig und brüchig werden.

    Von außen betrachtet fällt der Baum mal eben um, ohne scheinbaren Widerstand zu leisten. Als Beobachter sieht man die Borkenkäferlarven unter der Rinde nicht. Und den vorangegangenen Wassermangel auch nicht. Nur der geübte Beobachter sieht, dass der Boden, auf dem der Baum stand, nur noch aus Sand besteht. Dass viele Wurzeln von ihm schon abgestorben oder mit Pilz befallen sind.

    Da ist nur noch ein Baum im Wald, der am Boden liegt. Sie sehen eine Momentaufnahme.

    Sie wissen nicht, was dieser Mensch, der da auf dem Boden sitzt, schon alles versucht und geändert hat, bevor er in diese Lage kam. Manchmal sind die Kräfte eines Menschen irgendwann aufgebraucht. Da ist es egal, ob es um Depressionen, Sucht, Jobverlust, Trennung, Unfall oder andere Lebenskrisen geht.

    Das Leben auf der Straße kostet so viel Kraft, dass dieser Effekt schnell eintritt. Dass die betroffenen Personen auch anfangen, ihre letzten Kräfte nur da hineinzustecken, wo es für sie Sinn ergibt. Resignation tritt irgendwann an die Stelle, wo einst auch einmal viel Kraft und Mut war.

    Bricht Ihnen die Lebensgrundlage weg, ist es gut, wenn Sie breite Unterstützung haben.

    Freunde, die zu Ihnen halten. Familie, die Sie unterstützt. Starke Wurzeln, die Sie stützen. Nicht jeder hat sie. Bei manchen brechen sie nach und nach weg. Manche hatten sie nie. Manchmal werden die Wurzeln weggesprengt durch einen nicht verkraftbaren Aufprall. Sie wissen nicht, was vorher geschah. Sie wissen rein gar nichts über diesen Menschen, der da sitzt. Alles, was Sie in diese Momentaufnahme hineininterpretieren, sind Vorurteile.

    Obdachlos

    Gibt es die eine richtige Bezeichnung für obdachlose Menschen? Warum schreibe ich über Menschen ohne Obdach und nicht einfach über «die Obdachlosen»?

    Ich selbst wurde häufig «die Obdachlose» genannt. Damit habe ich so meine Probleme, weil da der Fokus auf etwas gelegt wurde, was nur ein kleiner Teil von mir war. Dieser Teil hatte allerdings viele negative Folgen. Was mir dabei aber fehlt, ist die Bezeichnung Mensch.

    Ich bin nur noch eins, obdachlos. Obdachlos wird im Kopf gleichgesetzt mit hilfsbedürftig, schwach. Augenhöhe ade. So trägt auch die Sprache dazu bei, dass ich nur noch als hilfsbedürftig wahrgenommen werde.

    Weil ich selbst nicht will, dass so über mich gesprochen wird, nenne ich das Wort Mensch zuerst: Mensch ohne Obdach.

    Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass wir uns nicht ständig und lange mit Begrifflichkeiten aufhalten sollten. Das tun wir in vielen Bereichen, gerade auch ich in diesem Buch, und entfernen uns so vom eigentlichen Problem. So lösen wir es in diesem Moment nicht wirklich, sondern verbringen Ewigkeiten damit, erst einmal zu diskutieren und zu evaluieren, welche Begriffe wir für das Thema oder das Problem überhaupt verwenden. Trotzdem bin ich der Meinung, dass es hilft, Hemmschwellen abzubauen, wenn man den Wohnstatus nicht zuerst nennt, ihn am besten ganz wegläßt. Da ist aber jede Person anders. Deswegen kann man nie einen allgemeingültigen Begriff haben.

    Es gibt Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße, die das, werden sie so angesprochen, gar nicht schlimm finden. Mein Tipp ist: Fragen Sie die Menschen, welche Bezeichnung für sie ok ist. Erkundigen Sie sich, ob sie insgesamt Probleme mit bestimmten Bezeichnungen haben. Wäre es in meinen Erzählungen nicht wichtig, würde ich den Wohnstatus gar nicht nennen.

    Sobald jemand erfährt, dass ich obdachlos war, entsteht häufig ein Ungleichgewicht im Gespräch. Dabei ist der Umstand, ob eine Person in einer Wohnung lebt oder nicht, bei den meisten Begegnungen gar nicht wichtig.

    Klar, Obdachlosigkeit ist eine schlimme Situation. Sie sollten sich dafür einsetzten, dass das als Problem politisch und gesellschaftlich sichtbar wird und dass Lösungen nicht ständig ins Stocken geraten. Aber um ein Gespräch zu führen, eine Begegnung zu haben, ist es doch gar nicht wichtig.

    Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit – was ist der Unterschied?

    Da die Worte Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit im Sprachgebrauch oft verwechselt oder vermischt werden, erkläre ich den Unterschied. Die Menschen, um die es in diesem Buch geht, sind wohnungslos. Das Wort Wohnungslosigkeit ist der Überbegriff. Die Menschen in Obdachlosigkeit sind nur ein Teil der in Wohnungslosigkeit lebenden Menschen.

    Menschen, die als wohnungslos bezeichnet werden, sind diejenigen, die über keinen eigenen Mietvertrag, also über keinen eigenen Wohnraum verfügen. Sie kommen vorübergehend bei Verwandten oder Bekannten unter, oder auch in öffentlichen oder privaten Einrichtungen. In meiner Arbeit merke ich immer wieder, wie unsichtbar Menschen in Wohnungslosigkeit sind. Über sie wird selten berichtet. Sie sind unsichtbar hinter Türen. Türen, die aber nicht ihre eigenen sind. Das führt leider

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