Liebe bleibt jung: Geschichten um Sehnsucht und Partnerschaft von Menschen über sechzig
Von Anne Stabrey
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Buchvorschau
Liebe bleibt jung - Anne Stabrey
Anne Stabrey
Liebe bleibt jung
Geschichten um Sehnsucht und Partnerschaft
von Menschen über sechzig
Impressum:
Liebe bleibt jung
Deutsche Erstausgabe
Copyright © 2013 by Gatzanis Verlag, Stuttgart
www.gatzanis.de
Titelfoto:
© LWA-Dann Tardif/zefa/Corbis
Lektorat:
Tobias Büscher, Köln
Gestaltung und Satz:
Christine Meves, Berlin
Projektbetreuung:
Sabine Hellebrand, Stuttgart
eBook-Konvertierungen:
Nadine Werkmeister, Baienfurt
Alle Rechte vorbehalten, auch die der fotomechanischen und elektroniscen Wiedergabe sowie der Übersetzung auch einzelner Teile.
ISBN:
978-3-932855-53-5
Anne Stabrey, Jahrgang 1941, absolvierte 1973 ihr Regiestudium an der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR. Nach mehreren Jahren als Autorin und Regisseurin beim DEFA-Studio für Dokumentarfilme zog sie 1982 nach Westberlin. Dort arbeitet sie seitdem freiberuflich als Autorin und Politik-Journalistin. Zu ihren Veröffentlichungen im Printbereich zählen unter anderem „Das große Berlin für kleine Leute und „Courage ist weiblich
. Mit Anfang 60 begann sie - in Besinnung auf ihr eigenes Leben - sich mit dem Thema Liebe und Partnerschaft im Alter journalistisch auseinanderzusetzen. Daraus entstand ihr erstes Buch im Gatzanis Verlag „Liebe bleibt jung".
Sie ist Herausgeberin von WOLKE 9 - dem Buch zum Film von Andreas Dresen.
Inhalt
Vorwort
Die Lebenssituation
Niemand ist gerne allein
Nicht mehr jung, aber auch nicht ›alt‹
Zwei Leben hat der Mensch
Die Tage werden länger, das Leben kürzer
Vital altern heißt Neues beginnen
Weiter leben ohne Partner
Mehr Trennungen, mehr Singles
Die Sexualität
Die christliche Moral und das Recht auf Lust
Oswald Kolle und die Antibabypille
Die Lust auf Sex
Wenn sexuelle Aktivität nachlässt
Die Entdeckung der Zärtlichkeit
Eine neue Art von Nähe
Die Partnersuche
Bindungswillig ja, bindungsfähig nein
Ist ›Starrsinn‹ ein Hindernis?
Single-Frauen in der Überzahl
Etwa lesbisch werden?
Heirat muss nicht sein
Den Partner pflegen?
Wo finde ich jemanden?
Vorsichtige Annäherung
Ältere geben schnell auf
Beate, 65
Wir haben unsere Falten lieben gelernt
Alois, 65
Lesen Sie Esther Vilar!
»Sagen Sie, haben Sie zufällig ein Kätzchen?«
Mogeln bei den Kontaktanzeigen
Eva-Maria, 74
Dieses Alleinsein ist Gift
Eine neue Liebe? Was würde Willi dazu sagen?
Hut ab vor diesem Herrn
Jens, 62
Ich hatte Angst vor der Sexualität mit einer anderen Frau
Werner, 79
»Was, du gehst noch mit einer ins Bett?«
Hedda, 64
Er war 29 und ich 53
Klaus, 71
Ich glaube nicht, dass es überzeugte Singles gibt
Karla, 65
Ich möchte mir das Seelische nimmer aufladen
Verehrer hatte ich noch und noch
Wenn mein altes Auto verreckt, dann kaufe ich mir kein neues
Britta, 62
Ich wusste gar nicht, was in mir schlummert
»Also, wenn Sie einer küsst, dann bin ich das«
Ein Professor M. fragt nur einmal
Josefine, 65
Weil ich blind bin, wollen sie mich gleich betätscheln
Christine, 64
Dass mir in diesem Alter noch mal so was Schönes passiert
Norbert, 77
Bis 35 habe ich wie ein Mönch gelebt
Claudia, 69
Von einer 60jährigen wird kaum einer sagen, die ist sexy
Quellen
Literatur-Empfehlungen
Vorwort
»Alles, was kommen wird, liegt im Ungewissen, darum lebe jetzt!«
SENECA
Das Zitat schrieb mir ein Freund zu meinem sechzigsten Geburtstag. Ich überprüfte mich. Tue ich das? Lebe ich? Mit allem, was mir möglich ist? Oder lasse ich mich von dieser schrecklichen Zahl beeindrucken? Sechzig! Ein Alter, von dem an es nur noch rasant bergab geht, wie viele meinen! Man sieht es doch! An Haut und Haaren. Schlaff und grau. Am Tempo. Als entdeckte man für sich die Langsamkeit. Es nagt eben der Zahn der Zeit an einem. Zu schweigen von all dem anderen, das man nicht auf den ersten Blick erspäht. Ich will das nicht weiter beschreiben, nicht den Finger auf all die Stellen legen. Das wäre schmerzhaft. Die anderen entdecken sie schnell genug, und dann ist das Stigma da: Alter. Und es ist nie wieder wegzukriegen. Ein Makel, der nur noch schlimmer wird. Freilich ist es zwecklos, sich dagegen zu wehren und sowieso dumm, es ignorieren zu wollen. So ist nun mal der Verlauf unseres Lebens, es kommt und vergeht. Dem müssen wir uns fügen.
Aber auf welche Weise wir dem Ende entgegengehen, darüber wollte ich nachdenken. Auf jeden Fall, so meine ich, – aktiv! Und jeder so individuell wie möglich, nach seinen eigenen Intentionen! Keinesfalls nach dem Diktat ›dem Alter angemessen‹! Wer definiert denn überhaupt, was Alter ist? Und wer schreibt vor, was man in dieser Lebensphase zu tun und zu lassen hat? Wer hat das Recht dazu? Irgendwelche religiösen oder gesellschaftlichen Moral-Institutionen?
In erster Linie steht das nur mir selbst zu! Nur ich weiß, was ich will und was ich kann. Dazu bin ich schließlich alt genug. Ich kenne meine Bedürfnisse und meine Sehnsüchte. Und wo ich an Grenzen stoße, werde ich es spüren. Nur so kann es gehen. Ich halte Ausschau und greife zu, wenn sich mir etwas Neues bietet, und sollte mir neuerdings irgend etwas zu schwer werden, dann lasse ich es eben sein. Vielleicht kommen mir sogar noch verrückte Ideen! Selbstverständlich realisierbare. So, wie der »unwürdigen Greisin« von Brecht, die ihre Umwelt schockiert mit einem Autokauf und einer jugendlichen Freundin.
Jedenfalls werde ich weiterhin hohe Absätze tragen, solange mir das nicht weh tut. Ich werde – vielleicht sogar mehr als früher – neugierig und tolerant auf andere zugehen. Auf keinen Fall darf ich stehen bleiben! Das wäre tödlich. Ich will offen sein für alles, was mir gut tut. Meinem Geist und meinem Körper. Und wenn mir danach sein sollte, werde ich mir auch wieder einen Mann suchen. Wenigstens ihn suchen. Denn ihn zu finden ist ja nicht leicht.
So viel zu mir.
Nun wollte ich auch wissen, wie andere darüber denken, insbesondere über eine neue Partnerschaft in unserem Alter. Eine Neugestaltung des Lebens! Deshalb habe ich mich mit vielen unterhalten. Mit Gleichaltrigen und Älteren, Frauen und Männern. Sie zu finden, war nicht leicht. Zuerst habe ich an Leute geschrieben, die eine Kontaktanzeige aufgegeben hatten. Immerhin haben mir davon einige wenige geantwortet. Manche von ihnen verhalfen mir dann zu einer weiteren Adresse. Und nachdem ich auch hier und da von meinem Projekt erzählt hatte, kamen schließlich rund vierzig Einzelgespräche zustande. Freilich wollten meine Interviewpartner anonym bleiben, die Namen sind deshalb geändert und die Berufe zumeist nicht näher bezeichnet.
Worauf ich allerdings gar nicht gern verzichtete, sind die vielen Gespräche, die ich nicht in das Buch aufnehmen konnte, hätten alle zusammen doch den Buchdeckel gesprengt. Um wenigstens auch einige von ihnen zu Wort kommen zu lassen, habe ich ihre interessantesten Zitate in meine einführenden Kapitel übernommen. So hat im übrigen jeder, auch wer seine Geschichte hier nicht gedruckt vorfindet, zum Buch beigetragen, zu meiner Meinungsbildung, zu meinem Text.
Diese Frauen und Männer haben mir aus ihrem Leben erzählt, von glücklichen und zerbrochenen Beziehungen, von Liebe, Schmerz und Verlust, von Hoffnungen und Sehnsüchten, und davon, ob sie zur Zeit erneut nach einem Partner suchen, auf welchem Weg, mit welchem Erfolg. Ein Schatz an Erfahrungen kam da zu Tage.
Man sagt, ältere Menschen scheuen sich, offen über Partnerschaft und Sex zu sprechen. Das mag allgemein stimmen. Denn sie sind in einer Zeit aufgewachsen, in der andere Vorstellungen galten, andere Normen von Ethik und Moral. Ich hatte wohl Glück, denn sie teilten sich mir gerne mit. Sie trugen mir ihre Geschichten vor wie aus einem offenen Buch. Sie haben dieses Buch gründlich gelesen, ist es doch eine der reizvollsten Beschäftigungen, wenn man älter wird, sein Leben zu reflektieren und darüber nachzudenken, wie es damit weitergehen könnte. Sicherlich finden sich viele Leser in diesen Geschichten wieder. Und vielleicht machen sie auch manchem Mut, in seinem Leben noch einmal etwas ändern zu wollen.
Auch Prominente kommen – mit Zitaten – zu Wort. Einige davon bekam ich persönlich zugeschickt, die meisten entnahm ich Sekundär-Quellen. Darunter sind Namen wie Alice Schwarzer, Udo Jürgens, Uschi Glas, Dieter Hildebrandt, Beate Uhse, Wolfgang Joop, Hans-Dietrich-Genscher, Gisela May und Gesine Schwan.
Allen, die sich beteiligt haben, gilt mein Dank!
Anne Stabrey
Die Lebenssituation
Niemand ist gerne allein
Jeder von uns weiß, wie sehr unser Wohlbefinden leiden kann, wenn wir längere Zeit allein sind. Und dennoch leben immer mehr Menschen als Singles, ungewollt oder gewollt. Sie riskieren, zu vereinsamen und depressiv zu werden. Denn Einsamkeit macht krank, nicht jeden, aber viele. Soziale Isolation ist ein sehr ernst zu nehmendes Symptom unserer Gesellschaft, das sich zusehends verschärft. Jeder Mensch braucht ein soziales Umfeld, in dem er sich austauschen kann und Bestätigung findet. Der Mangel an zwischenmenschlichen Beziehungen kann durch moderne Kommunikationsmittel ein wenig gelindert, aber nicht ersetzt werden. In seine Wohnung zurückgezogen, unterhält sich der Alleinlebende mit seinem Fernsehgerät. Besonders trostlos für ihn sind die Feiertage und Wochenenden, für den Ruheständler ist es jeder Tag.
Klaus (71): Es ist so, dass hier manchmal drei Tage lang kein Telefon klingelt. Der Song »Kein Schwein ruft mich an« trifft voll auf mich zu.
Gerd (63): Die Entwicklung der Menschheit hat doch gezeigt, dass keiner alleine bestehen kann. Eremiten sind Sonderlinge. Die sollen ihr Dasein pflegen, meinetwegen. Aber ansonsten ist der Mensch ein soziales Wesen.
Ich habe zweifellos mehr Frauen zum Freund. (wenn es um ›Freundschaft‹ geht!) Ich habe oft darüber nachgedacht, warum das so ist. Frauen können besser zuhören, Männer dagegen sind eigentlich immer mit sich selbst beschäftigt.
Mario Adorf
Fast alle meiner Gesprächspartner sagten, dass sie sich einen engen Vertrauten wünschen, mit dem sie reden und sich auseinandersetzen können. Dieser Wunsch nach Austausch wurde oft an erster Stelle genannt, vor allem von den Frauen und manchmal mit dem Hinweis, das müsse nicht unbedingt eine Liebesbeziehung sein, sondern auch reine Freundschaft sei willkommen. Sie alle wünschen sich das gemeinsame Erlebnis, von der Reise bis zum Kinobesuch. Sie wollen erfahren, was der andere dazu meint, ob er sich über etwas Bestimmtes ebenfalls freut oder ärgert.
Brigitte (59): Das denke ich durchaus, dass mir da etwas fehlt. Durch das Alleinsein. Das Diskutieren über eine Sache zum Beispiel. Sich austauschen in allen Fragen. Es bleibt so vieles auf der Strecke. Es versandet so manches. Und man bewegt sich nicht weiter.
Damit ist etwas sehr Wesentliches gesagt, was bei engen Freundschaften und mehr noch in einer guten Partnerschaft gegeben ist: Im Austausch mit dem andern erfährt man von dessen Sicht der Dinge und macht sich diese gegebenenfalls zu eigen. Das kann auf die Dauer eine wertvolle Bereicherung der eigenen Persönlichkeit bedeuten. Indem der Mensch kommuniziert, entwickelt er sich weiter.
Für das Gefühl geborgen zu sein in einer Zweierbeziehung mit Kindern gibt es keinen Ersatz.
Wolfgang Joop
Freunde, Nachbarn oder Arbeitskollegen können einem zwar vieles, aber eben nicht alles geben. Ideal wäre eine enge, aber nicht einengende Bindung. Wer hat denn nicht wenigstens einmal im Leben von einer Beziehung geträumt, die möglichst harmonisch verläuft, weil in ihr Aufrichtigkeit, ein Austausch ohne Vorbehalte und absolute Intimität gegeben sind, trotz aller zu respektierenden Unterschiede? Eine solches Ideal verwirklicht sich leider viel zu selten. Aber gerade in unserer immer anonymeren Welt wächst die Sehnsucht, sich in eine Nische zurück zu ziehen, zu einem Partner, bei dem man sich sicher und geborgen fühlt, und wo man Liebe findet. Auch mit dem Älterwerden erlischt der Wunsch nach einem Partner keinesfalls.
Gudrun (59): Ich habe viele sehr gute Freunde, die ich über 30 Jahre kenne und die jeden Winkel meiner Seele kennen. Und trotzdem ist das was anderes als ‘ne Partnerschaft. Ich möchte einfach gern mit einem Mann zusammen sein.
Eva-Maria (74): Eine Freundin ersetzt keinen Freund. Das ist ... Ach, es ist so banal, darüber zu reden. Wir sind nun mal geschaffen als Männer und Frauen, das muss doch einen Sinn haben. Und ich mag auch noch die körperliche Nähe. Es ist nicht so, dass ich da nun ganz kalt bin, überhaupt nicht.
Insofern haben Menschen, die ohne Partner leben, ein besonderes Defizit. Es fehlt ihnen das Erotisch-Emotionale und Sexuelle in einer liebevollen Beziehung. Wem wäre denn die Liebe in einer Partnerschaft kein wesentliches Bedürfnis? Auch wenn jeder weiß, dass sie zu erlangen und zu erhalten nicht leicht ist. Die Sehnsucht nach dem anderen ist ewig, und die Zweierbeziehung kann durch nichts ersetzt werden, nicht in ihrer besonderen Erotik und Intimität.
Ich glaube, dass die Sehnsucht nach Liebe nie aufhört, und dass man auch, wenn man über 60 ist, eine intensive Liebe genießen kann.
Gesine Schwan
Luise (63): Ich glaube, wenn ich heute einen Mann treffen und mich in den verknallen würde, wär’ das wahrscheinlich nicht viel anders als vor 40 Jahren. Ich würde bestimmt genau so aufgeregt, so verrückt und überschießend und rot und rosa im Kopf herumlaufen.
Das ist auch für den 90-Jährigen nicht anders. Wenn Liebe Erfüllung findet, kann sie in höherem Alter sogar umfassender empfunden werden, als sie der jüngere Mensch wahrzunehmen vermag. Mit dem Älterwerden verändert sich die Gefühlswelt, wir werden besinnlicher, wir leben bewusster. Auch die Liebe nehmen wir intensiver wahr – und ganzheitlich, mit Körper, Seele und Verstand, mit unserer gesamten Lebenserfahrung.
Die Erotik wird intensiver mit den Jahren.
Peter Alexander
Gerd (63): Was ich bei einer Partnerin suche, ist Zusammengehörigkeitsgefühl, Vertrauen und Zärtlichkeit, auch eben körperliche Nähe, – und um diesen Begriff mal zu benutzen, die ›Verschmelzung‹, also das Sexuelle. Und die geistigen Interessen sind wichtig. Dass man da auch Berührungspunkte hat und sich die Partnerschaft nicht nur auf das Gefühlsmäßige beschränkt.
Paracelsus sagte, Liebe sei die beste Medizin. Das ist sehr komplex zu verstehen, und trifft auf jede menschliche Beziehung und jedes Lebensalter zu. Schon allein eine zärtliche körperliche Berührung entspannt wohltuend und regt außerdem die Hormonproduktion an. Man hat festgestellt, dass bei Verheirateten das Krankheitsrisiko geringer und speziell das Risiko für einen Herzinfarkt nur halb so groß ist. Demnach lebt ein harmonisches Paar gesünder als Singles.¹ Letztere sollten also, so Ihnen daran liegt, als Ausgleich besonders viel für ihre Gesundheit tun. Von meinen Gesprächspartnern achten tatsächlich die meisten darauf.
Zu einer Partnerschaft gehört nicht nur Liebe, sondern genauso auch Vertrauen, Toleranz und Verantwortung.
Vicky Leandros
Luise (63): Ich fahre Rad, schwimme und gehe zu einem KörperTraining. Es ist eine Mischung von Gesundheitsund Körperbewusstsein. Also, die Eitelkeit spielt auch eine wichtige Rolle. Es ist doch so, wenn dir dein eigener Körper noch gefällt, dann kuckst du anders in die Welt, wirst wiederum anders angekuckt, und hast dadurch auch einen Lustgewinn am Leben. Zu merken, du bist keine graue Maus, du gehst aufrecht und siehst gut aus.
Leistungsfähigkeit und gepflegtes Aussehen befördern die gegenseitige Anziehung zwischen Mann und Frau.² Das kann jeder feststellen, der zum Beispiel an einem Fitness-Training teilnimmt. Grundsätzlich hemmt genügend Bewegung das Altern! Somit verfehlen öffentliche Gesundheitsauf klärung und Werbung ihre Ziele nicht. Ausgeschieden aus dem Beruf, haben Ruheständler ausreichend Zeit und oft auch das nötige Geld, um einige der vielfältigen Angebote wahrzunehmen: Ausdauersport, Yoga, Gehirnjogging, ausgewogene Ernährung und vieles mehr. Eine liebevolle Partnerschaft wäre natürlich die ideale Gesundheitsmaßnahme. Und außerdem macht Liebe bekanntlich schön! Bei älteren Menschen sieht man das besonders! Wenn sie aus ihrem Inneren heraus strahlen, ist es, als würden ihre Gesichtsfalten unsichtbar.
Erfüllte Liebe äußert sich körperlich als wohltuendes Lustgefühl mit Glühen und Strömen, mit Freude und wohliger Entspannung. Sie schafft Nähe, Vertrauen und ermöglicht Hingabe und Aufopferung
Hans-Joachim Maaz
Nicht mehr jung, aber auch nicht ›alt‹
Ab wann ist man eigentlich alt? Mit 60 oder erst mit 80? Darüber könnte man streiten. Denn da ist zum einen die offizielle Zuordnung und zum anderen die persönliche Sicht.
Mit der wachsenden durchschnittlichen Lebenserwartung haben sich die Relationen gewaltig verschoben. Vor 100 Jahren galt man mit 50 als alt, man befand sich ›im Alter‹. Heute kann man das nicht mehr so sehen. Was man Alter nennt, tritt erst später ein. Die Forschung hat sich auf folgende Definition geeinigt: 60- bis 80-Jährige gehören zum ›jungen Alter‹, danach gehört man zum ›hohen Alter‹.³
Was bedeutet Älterwerden? Mit dem Kopf hat es jedenfalls nichts zu tun.
Ulrich Wickert
Wie alt man ist, das ist aber auch eine sehr individuelle Sache. Die einen altern schneller, die anderen langsamer. Interessant ist, dass die meisten älteren Leute, sofern sie relativ gesund sind, sich als rund zehn Jahre jünger empfinden! Auch die, mit denen ich gesprochen habe.
Carl (90): Also, die 90 kommt an mich gar nicht ran, die kann ich einfach nicht wahrhaben. Ich fühle mich etwa wie Ende 70. Ich sehe ja auch nicht so alt aus.
Alter? Ein mühsamer deprimierender Prozess. Nichts ist schön daran.
Gisela May
Dieses subjektive Empfinden beziehen Alternsforscher durchaus in ihre Untersuchungen ein. Denn wie langsam oder wie schnell jemand altert, ist nur aus mehreren Befunden zu erkennen, und zwar anhand der körperlichen, seelischen, mentalen und auch sozialen Entwicklung. Wer Genaueres über sich wissen will, kann immerhin sein ›biologisches Alter‹ in medizinischen Instituten prüfen lassen. Ich jedenfalls spreche hier lieber von ›älteren‹ Menschen, vom ›Älterwerden‹ und von ›höherem‹ Alter. Diese relativierende Betrachtung scheint mir nicht aus Gründen der mangelnden Messbarkeit geboten, sie entspricht auch meiner persönlichen Abneigung, das vernichtende Wörtchen ›alt‹ zu früh zu gebrauchen. Das einzige, was wir als absolut und unabänderlich akzeptieren müssen, ist die Tatsache, dass wir altern.
Thorsten (62): Du merkst, dass du dich körperlich veränderst. Wenn ich in die Oper gehe, dann kann ich nicht mehr mit angewinkelten Knien anderthalb Stunden sitzen. Oder neuerdings, wenn ich aufstehen will, tue ich das nicht kraft meiner Beine, sondern stütze mich auch mal mit der Hand ab. Vergesslich bin ich auch manchmal. Und die berühmte Geschichte: die Suche nach der Brille!
So stellt man sich gemeinhin das Älterwerden vor. Aber es wäre ziemlich einseitig, nur noch von einem »kontinuierlichen Verfallsprozess« zu sprechen⁴, bei dem alle Fähigkeiten und Fertigkeiten, körperliche wie geistige, radikal nachlassen und zielsicher in Gebrechen und Demenz münden. Die Amerikanerin Betty Friedan⁵ hat mit diesem »Mythos Alter« gründlich aufgeräumt. Sie konnte nach umfassenden Befragungen feststellen, wie ältere Menschen neue Qualitäten und Stärken entwickeln. Freilich muss man unterscheiden, welche Veränderungen einerseits im körperlichen und andererseits im geistigen Bereich vonstatten gehen, wo also mit dem Altern die Verluste und wo die Gewinne liegen. Wissenschaftler haben festgestellt, dass ältere Menschen im Geistigen besonders gut abschneiden. Zum Beispiel sind sie auf dem Gebiet der emotionalen und sozialen Intelligenz meist besser als Jüngere. Das zeigt sich unter anderem in ihrem größeren Verständnis für menschliche Konflikte. Auch geht ihnen ihr Fachwissen kaum verloren, zumal, wenn sie geistig aktiv bleiben.
Das Alter ist nicht einfach gleichzusetzen mit Plage und Pflege. Intelligenz, auch Kreativität sind nicht länger Privilegien der Jugend. Mit Ende Zwanzig verfügt man wohl über eine erhebliche intellektuelle Beweglichkeit, doch die zunehmende Lebensund Berufserfahrung kommt erst mit fortschreitendem Alter eine wertvolle geistige Ressource. ... Ältere Menschen, die ihre Lebensneugier bewahrt haben, bieten den nachwachsenden Jüngeren einen Reichtum an Erfahrung und Ratschlägen. Und sie lernen von den Jungen, wie sich die Welt verändert, welche neuen Gesichtspunkte man berücksichtigen muss, wenn man sich ein haltbares Urteil bilden will.
Gesine Schwan
Und dennoch! Trotz aller Auf klärungsversuche gilt man in der Gesellschaft mit dem Eintritt in den Ruhestand prompt als ›alt‹. Diese Einstufung stößt vermutlichbei jedem der Betroffenen auf inneren Protest. Wer will denn schon als »der Alte« oder »die Alte« stigmatisiert werden!
Langsam haben wir Verhältnisse wie in Amerika: Da drehen die Frauen hysterisch durch und wollen sich am liebsten eine Kugel durch den Kopf jagen, weil sie über 40 sind. Was ist das bloß für eine verblödete Gesellschaft, in der nur noch Zwanzigjährige interessant sind!
Hannelore Hoger
Wenn man nicht alt werden will, muss man vorher sterben. So einfach ist das.
Hannelore Elsner
Auch wenn sie ihr Älterwerden realistisch sehen (vielleicht auch aus einer gewissen Protesthaltung heraus), umgeben sich viele ältere Menschen gerne mit jüngeren. Vorausgesetzt, diese verhalten sich ihnen gegenüber aufgeschlossen und tolerant. Die meisten fühlen sich unter Gleichaltrigen wohl. Es gibt aber auch besonders vitale ›Senioren‹, die ihr Alter nicht wahrhaben wollen und in eine Scheinjugend flüchten. Sie ignorieren das Altern, vertreten extrem jugendliche Trends und beteuern gern lauthals, wie wohl sie sich dabei fühlen. Das kann bis zum letzten Tag gut gehen, muss aber nicht. Sie erlegen sich mit diesem Verhalten einen gewissen Leistungszwang auf und verzichten damit auf die Gelassenheit, die ihnen das Alter bietet. So sind Konflikte zumindest vorprogrammiert. Konflikte mit sich selbst und möglicherweise mit dem Partner, insbesondere mit einem jüngeren. Das gegenseitige Verständnis und nicht zuletzt auch die sexuelle Beziehung können gestört sein. Einer Zeitungsnotiz zufolge haben britische Forscher entdeckt, dass die Lebenserwartung von Menschen mit einem wesentlich jüngeren Partner geringer ist. Der Jüngere verkürze die Lebensdauer des Älteren, indem er ihn – und derjenige sich selbst – permanent unter Druck setzt.
Ich stehe zu meinen Augenringen und Stirnfalten. Meine Haare färbe ich schon lange nicht mehr ... Es ist ungeheuer wichtig, sich das Altwerden zu gestatten. Furchtbar finde ich die Angst vor dem gelebten Gesicht und diese Versuche, sich durch chirurgische Eingriffe eine Scheinjugend zu verschaffen.
Erika Pluhar
Walter (77): Manche Männer sagen, sie sollte 25 sein! Das ist ja lachhaft. Ich sehe es doch, wenn ich mit Jüngeren zusammen bin. Es ist ‘ne andere Generation, ‘ne andere Denkweise, andere Erfahrungswerte. Und wir haben ja auch schon bestimmte Eigenarten. Und so kleine Beschwerden. Nein, ich sehe das ganz realistisch.
Auch die körperliche Beziehung zwischen Frau und Mann verändert sich mit dem Älterwerden. Der Geschlechtsakt wird weniger wichtig, dafür eröffnen sich der Erotik neue Bereiche (mehr dazu später). Dieser Entwicklung sollte vor allem der Mann ins Auge sehen, auch wenn es selten so drastisch endet, wie Jens erzählt:
Jens (62): Ich hab ‘ne Nachbarin, die hat ihren Lebensgefährten verloren. Der hat probiert, noch mal mit ‘ner Nutte zu schlafen. Das hat nicht geklappt, trotz Viagra, da hat er sich ‘ne Kugel durch den Kopf gejagt.
Zwei Leben hat der Mensch
Diejenigen, um die es in diesem Buch geht, befinden sich sozusagen in der zweiten Hälfte ihres Lebens. Denn gewöhnlich lässt sich unser Dasein in eine erste und in eine zweite Phase unterteilen. Es sind zwei Lebensabschnitte, die auf natürlichen wie sozialen Gesetzmäßigkeiten beruhen und die den Menschen vor jeweils besondere Aufgaben stellen.
In der ersten Hälfte ist eine Lebensform üblich, die man expansiv nennen kann: Der Mensch verlässt das Elternhaus, wird selbstständig und passt sich seinem gesellschaftlichen Umfeld an. In der Regel sucht er nach einer Erwerbstätigkeit und gründet eine Familie oder Partnerschaft. Kurz gesagt, er stellt sich ›auf eigene Beine‹.
Da die meisten von uns älter werden als unsere Vorfahren und auch durchaus nicht immer gebrechlich sind, sollten wir uns auf