Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Von des Daseins Offenheit: autobiographisch gefärbte philosophisch-theologische Betrachtungen über das Geheimnis des Lebens und die Welt des Glaubens
Von des Daseins Offenheit: autobiographisch gefärbte philosophisch-theologische Betrachtungen über das Geheimnis des Lebens und die Welt des Glaubens
Von des Daseins Offenheit: autobiographisch gefärbte philosophisch-theologische Betrachtungen über das Geheimnis des Lebens und die Welt des Glaubens
eBook413 Seiten5 Stunden

Von des Daseins Offenheit: autobiographisch gefärbte philosophisch-theologische Betrachtungen über das Geheimnis des Lebens und die Welt des Glaubens

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Das Buch ist ein Ruf zu verantwortlichem Handeln, getragen von der Hoffnung auf die Möglichkeit einer globalen Durchsetzung der Menschenrechte. Der Autor kommt von der eigenen Erfahrung im nationalsozialistischen Deutschland her und schildert wie nachhaltig eine lebensfeindliche Ideologie eine Gesellschaft beeinflussen kann; gleichzeitig zeigt er Wege zur einer Gewinnung der Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Lebens und einer Humanisierung des gesellschaftlichen Miteinanders. Das geschieht im Gespräch mit der einschlägigen Literatur.
Mit Hilfe der Geschichtenphilosopie Wilhelm Schapp's werden die Verstrickungen aufgedeckt, denen wir uns nicht entziehen können. Verstrickt sind wir in unterschiedliche politische wie auch philosophische Richtungen, z.B. den Existenzialismus, in Weltanschauungen und Religionen. Solche Verstrickungen können uns in Systeme einbinden und Sicherheit geben, dadurch aber auch unsere Freiheit beschneiden.
Wir können uns aber auch in Erzählungen, die weit zurückreichen verstricken lassen, z.B. in die Bibel. Die Erzählungen der Bibel öffnen uns eine Welt des Glaubens. In dieser treffen wir Jesus von Nazareth, der unserem Leben eine neue Grundlage und Richtung gibt. Durch Jesus werden wir aus der Religion herausgenommen, treten in den Kreis seiner Freunde ein und werden durch das Gespräch mit ihm, der uns in den Geschichten des Neuen Testaments begegnet, zum Tun des Gerechten motiviert.
Der Leser begleitet den Autor auf dem Weg, seine Biographie philosophisch zu hinterfragen; und die Art, wie sich persönliche Erfahrungen in den brennenden Fragen und Problemen der Gegenwart widerspiegeln macht die Lektüre lebendig.
Das Buch besticht durch die im Motto genannte Offenheit. Besonders ermutigend und erquickend sind die Kapitel über die Liebe, den Glauben und die Hoffnung, den Trost und die Versöhnung. Man erfährt, dass kritisches Hinterfragen zu einer neuen befreienden und wegweisenden Frömmigkeit führen kann.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum29. Okt. 2021
ISBN9783754357927
Von des Daseins Offenheit: autobiographisch gefärbte philosophisch-theologische Betrachtungen über das Geheimnis des Lebens und die Welt des Glaubens
Autor

Carl Osterwald

Carl Osterwald: Als Lehrersohn 1927 in einer Moorkolonie in Ostfriesland geboren und aufgewachsen; kurze Soldatenzeit am Ende des Krieges an der Oder. Abitur 1947 in Aurich, danach Hafen- und Landarbeiterarbeiter. Studium der Theologie ab Winter 1948 in Mainz, Tübingen und Göttingen. Vikar im Seemannsheim Bremen. Erste Pfarrstelle in Arle/Ostfriesland (7 Jahre,) danach 9 Jahre Pfarrer an der deutschen evang.-luth. St. Martini Kirche in Kapstadt, SA; dann Seemannspastor in Hamburg und leitender Geistlicher der Deutschen Seemannsmission, Bremen (11 Jahre), als solcher 5 Jahre Chairman der International Christian Maritime Associon (Zusammenschluss aller Seemannsmissionen der Welt). Dann 6 Jahre Pastor in zwei Dörfern in Ostfriesland. Nach der Pensionierung 10 Jahre in der Flüchtlingsarbeit, zuletzt als Ausländerbeauftragter des Landkreises Aurich und Mitglied des Sprecherrates für Kirchenasyl in der hannoverschen Landeskirche. 2009 Gründungsmitglied und I. Vorsitzender des Gedenkvereins KZ-Engerhafe. Während des Ruhestandes Vorträge, Predigten, Aufsätze, 2001 ein Buch; "Verwurzelungen". Ist verheiratet, erfreut sich mit seiner Frau zusammen einer großen Familie und wohnt in Münkeboe, einem kleinem Dorf in der Nähe Aurichs mit Haus und großem Garten.

Ähnlich wie Von des Daseins Offenheit

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Von des Daseins Offenheit

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Von des Daseins Offenheit - Carl Osterwald

    Gewidmet meiner Frau, Gertrud,

    und

    unseren Kindern,

    Enkeln und Urenkeln

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Hinführung

    Über unsere gegenwärtige Lebensweise

    Die Menschenrechtserklärung von 1948 als Grundlegung

    „O Deutschland hoch in Ehren" Deutschland vor 1914 –

    Pazifistische Bestrebungen als Gegenbewegungen und ihr Scheitern

    Nachdenken über mein Dasein (Existenzialismus)

    Über mein Verhältnis zu Religion und Kirche

    Auf der Suche nach einer eigenen Identität

    Gottesbilder und ihre Konsequenzen

    Wer spricht im Gewissen?

    Geschichten als Hilfe zur Orientierung

    Meine Schulzeit in Aurich

    Von der Verführung zum Antisemitismus

    Mein philosophischer Ansatz in der Geschichtenphilosophie

    Verstrickung entlässt nicht aus der Verantwortung

    Menschen auf der Flucht – Menschen in Not

    Vom Umgang mit dem Leid der Heimatlosigkeit

    Integration als Voraussetzung für eine neue Gesellschaft

    Heimat als identitätsstiftender Sehnsuchtsort

    Vom Leben mit der Angst

    Vom Streben nach einem kontrollierbaren Gott

    Was macht den Menschen „wesentlich"?

    Geschichten als Zugangsweg zum Phänomen Liebe

    Liebe und Lust

    Liebe und moralisches Verhalten – die 10 Gebote

    Die Bibel als Gesprächspartner

    Die freimachende Begabung des Menschen mit der Fähigkeit zu glauben

    Die Bedeutung des Glaubens für die Moral

    Die offenhaltende Begabung des Menschen mit der Hoffnung

    Die ermutigende Kraft des Trostes

    Prägungen durch Autoritäten und Vorbilder

    Von der Leere des Existentialismus und der Offenheit der Welt des Glaubens

    Ethik und Moral in der Welt des Glaubens

    Das Amt der Versöhnung

    Die Mitte

    Anhang

    Anmerkungen

    Vorwort

    Es ist Frühling. Vor meinem Fenster steht ein blühender Birnbaum. In den knorrigen Ästen und Zweigen springen, zwitschern und picken Vögel, die Sonne scheint: strotzendes Leben! Ein leichter Wind spielt mit den Zweigen einer hinter dem Birnbaum stehenden Trauerweide in frischem Grün, abgehoben vom dunklen Efeu am Stamm: Eine Harmonie aus Formen, Farben und Bewegung!

    Es drängt mich, ich schreibe und lasse meine Gedanken laufen. Vor mir liegt mein 94. Geburtstag. Warum drängt es mich und wen habe ich als Adressaten vor Augen? Ein Grund für das Schreiben ist die tiefe Erschütterung, die mich im Frühling 1945 traf und nicht mehr losgelassen hat. Am Ufer der Oder zwischen den blühenden Bäumen lagen die zerrissenen Körper meiner Freunde vermischt mit den Leibern von uns umgebrachter russischer Soldaten. Dieses Bild und die Erinnerung an die toten Freunde ist nicht auszulöschen; beides verpflichtet mich. Ich kann und will es nicht vergessen: die Kämpfe, die brennenden Dörfer, die hastenden Menschen auf der Flucht, alte Männer und Frauen und Mütter mit ihren Kindern, Leichen an den Straßenrändern und tote Tiere; Bilder des Schreckens und Entsetzens. Dieses Erleben teile ich mit vielen, die Ähnliches erlebt ha ben und heute erleben. Nie und in keinem Zusammenhang darf verherrlicht werden, was Menschen anderen Menschen im Kriege angetan haben und weiter antun, weiter und weiter und es hört nicht auf, wir rüsten zu auf neues Töten und Vernichten. Wenn das Überleben solcher Katastrophen einen Sinn haben soll, dann liegt er für mich darin, alles mir Mögliche zu tun, Wege der Versöhnung und Verständigung zu suchen, und zu einer Kultivierung menschlichen Zusammenlebens beizutragen.

    Was ich im Folgenden aufschreibe, sind meine eigenen Erfahrungen, die allesamt die Prägungen durch eine Kindheit und Jugend in einer totalitären und diktatorischen Weltanschauung widerspiegeln. Diese Prägungen haben mein ganzes Leben mit allen Höhen und Tiefen bestimmt, waren immer gegenwärtig. Aus ihnen erwuchs eine skeptische Grundhaltung allen an mich herangetragenen Angeboten und Anforderungen gegenüber, ein leidenschaftlicher Einsatz für die Einhaltung und weitere Verwirklichung der Menschenrechte und gegen jede Form von Rassismus und Unterdrückung.

    Als Mensch fühle ich mich eingebunden in die Geschichte der Menschheit und des Lebens; nicht nur, um mich daran zu erfreuen, sondern auch, um es zu erhalten und zu fördern. Ich stehe staunend vor dem Wunder des Lebens und versuche sein Geheimnis mit Hilfe philosophischen und theologischen Nachden kens zu ergründen, um ihm gerecht zu werden. Dabei möchte ich nicht so sehr von der Vergangenheit her, sondern auf die Zukunft hindenken. Ich will mich nicht vor meinen Vätern verantworten, sondern vor meinen Urenkeln. Und diese Verantwortung ist der dritte Grund für mein Schreiben.

    Wem schreibe ich? Wahrscheinlich irgendwie gleichgesinnten Leserinnen und Lesern, Menschen, mit denen ich gern im Gespräch bin und die die gleichen oder ähnliche Intentionen haben wie ich. Vielleicht greift aber auch jemand nach dem Buch, der im Ungewissen ist über den Sinn seines Lebens und des Lebens überhaupt. An manchen Stellen führe ich auch eine Art Selbstgespräch zur eigenen Vergewisserung; dann hole ich mir auch Gesprächspartner aus der Literatur – besonders der Bibel – setze mich mit ihnen auseinander und freue mich, wenn wir übereinstimmen. So soll und kann dieses Buch nicht mehr sein als ein Gesprächsbeitrag aus einer besonderen, nämlich meiner Sicht. Als solches schicke ich es auf den Weg mit meinem Lebensmotto: Alles ist immer offen. Ich weiß nichts, aber ich frage.

    Münkeboe, im Mai 2021

    Hinführung

    Alles Ist Immer Offen

    „Ist" – das ist das Sein. „Immer" – das ist die Zeit. „Offen" – das ist der Raum. „ Alles" – das ist alles: die toten Dinge ebenso wie alles Lebendige, ja, darüber hinaus möchte ich die Gedanken ins Grenzenlose laufen lassen nach einer Formulierung von Maurice Sendak: „Es muss im Leben doch mehr als Alles geben. Und Alles ist miteinander in Beziehung, selbst dieses das „Alles Übergreifende „mehr". Es gibt nichts, das ohne Beziehung zu einem Anderen ist. Ich kann auch nichts denken, das von mir absieht. Immer ist von mir Gedachtes von mir gedacht, und das heißt, es hat meine Erlebnisse und Erfahrungen, meine Geschichte aufgenommen. Jeder Satz, jeder Text ist einmal von mir aufgenommen worden und konstituierend in mein Denken eingeflossen. Wenn ich im Folgenden zitiere, habe ich das Zitierte vorher in meine Betrachtung aufgenommen. Es ist in mir und spricht aus mir.

    Ich beginne mit einem Satz Albert Schweitzers: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will". In dieses Leben bin ich unlösbar eingebunden, noch stärker: ich lebe auch von diesem Leben und habe die Möglichkeit, dieses wahrzunehmen:Ich kann mich als „Leben also gewissermaßen von außen wahrnehmen und ich kann „Ich sagen und das Leben wahrnehmen als Über-greifendes, Eigenständiges, in dem ich gleichsam schwimme. Ich lebe nur, wenn ich in diesem Übergreifenden bin, das ich „Leben" nenne. Das Übergreifende erscheint als prinzipiell unergründbar. Ich kann auf Fragen nach dem Beginn von Leben, nach dem Grund, der Ursache, warum Leben ist, nach der Qualität, also nach dem, was Leben ist und ob Leben endlich ist, keine Antwort finden. Wo auch sollte ich diese Antwort suchen? Wahrnehmen kann ich, dass auf dem Planeten Erde Leben ist. Ebenso kann ich wahrnehmen, dass dieses Leben an Bedingungen geknüpft ist. Leben kann gefördert und zerstört werden.

    Das Geheimnis „Leben ist – wie mir scheint – nur in einem Zusammenhang möglich, der in einzelnen konkreten lebendigen Teilen also etwa in Pflanzen und Tieren erforschbar und einsichtig gemacht werden kann. Jedes einzelne Teil birgt dabei die Fülle und das Geheimnis des Ganzen. Ich kann Teile aus diesem Zusammenhang herausreißen und reiße sie dann auch aus ihrem Leben; auch mein Leben habe ich als solche Konkretisierung von Leben in der Hand: Ich kann Lebensbedingungen verändern. Ich kann sie sogar in eine Richtung verändern, die meinem eigenen Leben förderlich und nützlich ist. Bei der Entscheidung darüber, wohin ich verändern will, bin ich aber auf eine Antwort auf die Frage nach dem, was Leben eigentlich ist, angewiesen, denn ohne eine solche Antwort bin ich nicht nur in Gefahr, mein Leben zu verfehlen, sondern auch das Leben im Ganzen zu schädigen; ich muss also versuchen, fragend in das einzudringen, was wir „Leben nennen.

    Ich beschränke mich – auch im Folgenden – auf das, was für mich wahrnehmbar ist. Die Erkenntnisse der traditionellen Wissenschaft, auch ihre Begrifflichkeit möchte ich bei meinen Überlegungen nur begrenzt nutzen. Ich beziehe aber Autoren aus verschiedenen Wissensgebieten als Gesprächspartner ein. Eine Gliederung habe ich nicht im Kopf, sondern sammle Eindrücke, die sich beim Schreiben ergeben, folge ihnen, lasse mich ablenken; auch das Tagesgeschehen, soweit es sich aufdrängt und mich bewegt, beziehe ich ein. Ich hoffe, dass dadurch eine Art von Gespräch mit mir und meiner Geschichte entsteht.

    Über unsere gegenwärtige Lebensweise

    Wir Menschen der Gattung Homo sapiens haben uns heute eine Welt geschaffen, in der die menschliche Lebensordnung wesentlich bestimmt ist durch kapitalistisches und imperialistisches Streben, immer noch weithin verbunden mit einer paternalistischen Gesellschaftsordnung. Das uns antreibende Wort heißt: „mehr" und ist ausschließlich auf eine Steigerung menschlicher Lebensqualität bezogen, wobei der Maßstab für die Lebensqualität durch eine bestimmte Lebensauffassung vorgegeben ist; so z. B. bei der heutigen Denkfigur der „Selbstoptimierung von einer Optimierbarkeit des eigenen Lebens. Nach einer solchen Vorstellung müsste das Leben in Stufen einteilbar sein, es gäbe eine schlechte und eine gute Qualität des eigenen Lebens. Man spricht ja auch von der „Fülle des Lebens oder vom „Leben aus dem Vollen, auch sagt man, um seine Niedergeschlagenheit auszudrücken: „Das ist kein Leben mehr. Offenbar wird Leben dabei einer Wertung unterzogen, als ob man den Grad von Leben messen können müsste. Wir müssen uns dann der Frage stellen, was „erfülltes Leben" ist und ob etwa der Besitz von Geld oder Gütern Gradmesser für Leben sein könnte.

    Spätestens seit dem Beginn der industriellen Revolution leben wir unter einem uns selbst auferlegten Konsumzwang und leben dabei deutlich über unsere Verhältnisse. Wir haben die Lebensbedingungen auf der Erde einseitig so zu Gunsten unserer menschlichen Auffassung von lebenswertem Leben verändert, dass der gesamte Zusammenhang von Leben empfindlich gestört ist. Wir haben das Leben nicht offengelassen, uns ihm angepasst und hingegeben, sondern drängen es in eine von uns bestimmte Richtung

    Ob unsere Art zu leben die Zukunft auch noch für kommende Generationen offenhält, d.h. kommenden Generationen noch Möglichkeiten zu freier Lebensgestaltung lässt, ist heute keine philosophische, theologische oder soziologische Frage mehr, ist überhaupt keine Frage der Wissenschaft mehr, sondern hinsichtlich des Ressourcenverbrauchs, der Klimaveränderung, der Anhäufung von Müll und des Artensterbens allein zu einer Frage der Buchführung geworden. Die Antwort ist: „Nein. Ich verzichte darauf, dieses „nein hier zu begründen; es ist eindeutig und dies dringt auch mehr und mehr ins öffentliche Bewusstsein. Wir Menschen, zu denen auch ich gehöre, lenken unsere immer rascher wachsenden Möglichkeiten und Kräfte stärker in Richtung auf unmittelbare Befriedigung eigener Bedürfnisse, die wir von Zeit zu Zeit jeweils neu schaffen, als dass wir sie zur Erhaltung und Förderung des Lebens im Ganzen einsetzen. Fast wie Getriebene rasen wir auf den Eisberg zu, wissend, dass wir einer Katastrophe entgegensteuern, aber die dringend nötige und vielfach angemahnte Kursänderung bleibt aus. (Wer sollte sie auch vornehmen oder anordnen?)

    Wenn es so ist, muss gefragt werden, ob, und wenn „ja", wie die Katastrophe zu überleben ist. Hinter dieser Frage steht wieder die Frage nach dem, was Leben eigentlich ist, ob mein Leben unter ganz anderen äußeren Lebensbedingungen immer volles Leben ist und sein kann. Mein Leben drängt ja auf Erhaltung: Ich will leben! Und wieder stehen wir vor der Frage: „Was ist das: Leben? Bevor ich dieser Frage nachgehe, möchte ich den Punkt finden und etwas näher beschreiben, an dem ich stehe und von dem aus ich meine Fragen stelle. Ich frage nach meiner Geschichte.

    Die Menschenrechtserklärung von 1948

    als Grundlegung

    In einem Aufsatz über die „Entwicklungsgrundlagen eines freien Sozialismus" schreibt Alexander Mitscherlich im Jahre 1946, also unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg, gegen „eine sich ausbreitende Welle der Resignation: „Sie ist nicht berechtigt, denn im Zeitalter des Imperialismus – sowohl des antiken wie des modernen – wird immer wieder verkannt, wer in der Geschichte untergeht. Nicht der nämlich, der keine Gewaltmittel, sondern der, der keinen historischen Auftrag besitzt. Dann fährt er fort: Diesen historischen Auftrag führen die Sozialisten mit sich. Nach seiner Auffassung sind sie „die einzige Menschengruppe, die bereits in einer künftigen Lebensordnung der Gesellschaft Fuß gefasst hat." Grundsatz dieser Lebensordnung ist: „Die mitmenschlichen Verhältnisse auf dem Boden der gegenseitigen Achtung zu ordnen."

    In gewisser Weise wurde dies damals durchaus als historischer Auftrag gesehen: Der „2.Weltkrieg" war zu Ende. Das Deutsche Reich hatte mit 67 Ländern im Krieg gelegen. Die Anzahl der durch den Krieg Getöteten lässt sich nur grob schätzen: durch direkte Kriegseinwirkungen sind es 60 - 65 Millionen, rechnet man die Verbrechen und Kriegsfolgen hinzu, liegt sie bei 80 Millionen. Der Einsatz der Atombomben durch die USA setzte den Schlusspunkt auch hinter den Krieg im Osten Asiens. Unter dem Eindruck dieser Katastrophe kamen im Juni 1946 die Vereinten Nationen in San Franzisko zusammen und bildeten eine Menschenrechtskommission. Diese erarbeitete eine Erklärung der Menschenrechte, die am 10. 12. 1948 verkündet wurde. Der Artikel I lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen." Diese Konvention sollte dazu helfen, Konflikte gewaltlos zu lösen.

    Es soll also in allen Völkern, die als in einer „menschlichen Familie" lebend wahrgenommen werden, darum gehen, die Grundlegung der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens für jeden festzuschreiben. Darin war man sich einig in der Weltversammlung der Völker. Einig war man sich auch in der Weltversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen, der – ebenfalls 1948 – in Amsterdam erklärte: „Die Kirche verkündet den Frieden Gottes allen Menschen mit ihrem Wort und ihrem Tun und Lassen – oder sie hört auf, Kirche Jesu Christi zu sein. Die Kirche muss eindeutig sagen: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein."

    Das Entsetzen über den Krieg, die Verführbarkeit von Menschen zur Grausamkeit und zur Vernichtung der eigenen Artgenossen, zur Zer-störung und Auslöschung von Leben wurde als Weckruf wahrgenommen und sollte zu Konsequenzen und gewissermaßen zu einem neuen Anfang führen. Heute wissen wir, dass es großartige Schritte in diese Richtung gibt, dass aber trotz aller Ächtung der Krieg doch nicht aufgehört hat, eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zu sein. Man muss also – so sagt man – auf Gewaltanwendung eingestellt und vorbereitet sein; deshalb kann auf Rüstung nicht verzichtet werden. Und so werden täglich wieder Menschen in Krieg, Not, Tod und Elend gestoßen; das Leid schreit zum Himmel.

    Wie kommt das? Warum ist das so? Mitscherlich weist auf den Imperialismus als Quelle für dieses zerstörerische Handeln hin. Imperialistisches Verhalten ist keine Möglichkeit, eine Friedensordnung zu schaffen. Die Geschichte reiht Beispiel an Beispiel. Die viel gerühmte „pax Romana" z.B. war ebenso ein auf Unterdrückung aufgebautes Gewaltsystem wie alle Vorgänger und alle nachfolgenden Welt- und Kolonialreiche. Trotzdem sind imperialistische Tendenzen bis heute unausrottbar und bedrohlich. Sie scheinen schicksalhaft als Verhängnis über der Menschheit zu liegen.

    Noam Chomsky sagt: „Wenn ihr nicht aufhört zu siegen, ändert ihr die Welt nicht. Sind wir so? Leben wir – als Exemplare des Homo sapiens – jeder Ein zelne unter dem Zwang, besser sein zu müssen als andere, stärker, reicher, schneller; sind wir immer noch nicht weiter als im Überlebenskampf des Steinzeitmenschen? Anders gefragt: Gelingt es uns einfach nicht, trotz Vernunft und Aufklärung, diesen steinzeitlichen Apparat in uns zu kultivieren und gegebenenfalls zu klären, ob er auch heute als maßgebliche Handlungsmaxime taugt und – dies vor allem – ob er veränderbar ist, u.U. durch Einsicht. Yuval Noah Harari schreibt: „Die Vertreter des neuen Gebiets der Evolutionspsychologie nehmen an, dass unsere Gesellschaft und Psyche vor allem während der langen Phase vor der Erfindung der Landwirtschaft geprägt wurden. Bis heute sind unsere Gehirne daher auf ein Leben als Jäger und Sammler programmiert. Nach Harari hat diese Welt der „Wildbeuter uns ihren Stempel aufgedrückt „...denn das ist die Welt, in der wir unbewusst bis heute leben.¹ Das heißt: Wir sind gefangen in dieser vertikalen, zielgerichteten Orientierung, überall und immer der Erste sein zu wollen. Dagegen setzt die Menschenrechtserklärung eine Familienstruktur, in der einer für den anderen einsteht.

    „O Deutschland hoch in

    Ehren" Deutschland vor 1914 –

    Ein ganz kurzer Rückblick auf einen Abschnitt in der deutschen Zeitgeschichte zeigt den Verlauf des Weges, auf den man durch eine vertikale nationalistisch ausgerichtete Orientierung gerät. 1871 war Frankreich nach kurzem Krieg in die Knie gezwungen, Deutschland feierte einen Triumph als 2. Reich, hatte einen Kaiser, der „ideale Deutsche Bürger trug als Titel und Namen: „General Dr. von Staat ². Da lag das Ziel, der Glanz: Beim Militär, in der Universität und in adeliger Herkunft: oben sein! Mein Vater wurde 1898 geboren. Seine Prägungen sind prägend in meine Erziehung eingeflossen. Im Dezember 1897 sagte der Staatssekretär v. Bülow im deutschen Reichstag zur Kolonialpolitik: „Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne. Das klingt bescheiden; das „wir verlangen hat aber den doppelten Sinn von Sehnsucht und – vielleicht noch stärker – von Anspruch. Denn dieser „Platz an der Sonne – wie soll es anders sein – ist natürlich nur zu haben, wenn niemand anders dort einen Schatten wirft, also heißt das für diesen anderen: „Geh da weg!; die unausgesprochene Fortsetzung heißt: … und wenn du es nicht tust, werde ich keine Scheu oder Hemmungen haben, dich – auch mit Ge walt – zu vertreiben. Christoffer Clark³ meint ja, die Völker Europas seien 1914 wie Schlafwandler in den Krieg getaumelt, das mag man so beschreiben können; es ging 1914 darum, als der Reichste und Mächtigste dazustehen, und Krieg war damals als Mittel zum Zweck durchaus noch tolerabel; man zog also in den Krieg und kämpfte für sein Vaterland; auch mein Vater stand als Soldat an der Front und „tat seine Pflicht". Am Ende des Gemetzels, 1918, stand der Friedensvertrag von Versailles und der führte schnurstracks in die Gewaltorgie des 2. Weltkriegs.

    Das war vorauszusehen und wurde von einsichtigen Leuten auch früh erkannt, denn für die Deutschen war es kaum zu ertragen, trotz aller Stärke und Rüstung, trotz aller soldatischen Tugenden, trotz Mut und Heldentum, trotz aller Opfer, den Krieg verloren zu haben, also der Schwächere zu sein. Obendrauf kamen dann noch die Schuldzuweisung, die Gebietsabtretungen, die alles vernünftige Maß überschreitenden Reparationsforderungen; das war für die überwältigende Mehrheit der Deutschen eine so tiefe Demütigung und Kränkung, dass sie förmlich nach Revanche schrie. Hitler mit seinen Genossen hatte leichtes Spiel, diesen Schrei in ein Thema umzuformen, ihn so zu artikulieren, dass er genügend offene Ohren fand und es möglich wurde, wieder aufzurüsten, sich wieder stärker als alle anderen zu machen, die dann als „Feinde" hingestellt wurden. Und Feinde müssen schließlich besiegt werden mit Gewalt und Krieg, damit wir Sicherheit und Ordnung gewinnen. So war es schon immer und so geht es weiter und weiter und weiter und nimmt kein Ende. Die imperialistische Gewalt-Orientierung führt in Zerstörung und Elend. Immer.

    Ich schreibe dieses im Jahre 2020. Gerade ist ein Buch herausgekommen mit dem Titel: „Zeitenwende"⁴. Es ist heute nicht nur die Corona-Pandemie, die uns in Atem hält, sondern auch in Politik und Gesellschaft drängen sich beängstigende Entwicklungen nach vorn, deren Wurzeln deutlich in der Vergangenheit liegen und die so virulent waren, dass ich ihren Einfluss noch in mir habe und als eigene Erfahrung abrufen kann. Ich nenne: Während meiner Kinder- und Jugendzeit war kolonialistisches Denken und Verhalten so selbstverständlich, dass wir es für uns einklagten. („Deutschland braucht seine Kolonien!") Auch Rassismus, Antisemitismus, vor allem Nationalismus waren selbstverständlich und durchweg positiv besetzt. Ein Kinderlied: Vers 1: „Töff töff, töff. Wer kommt denn da gefahren? / Töff, töff, töff, mit einem Kinderwagen? / Töff, töff, töff, wo will der Jude hin? / Er will ja nach Jerusalem, wo alle Juden sind. – Vers 2: „Schmeißt sie raus, die ganze Judenbande, / schmeißt sie raus aus unserm Vaterlande / schmeißt sie wieder nach Jerusalem / und haut se beide Beine ab, / sonst komm´se wieder rin.⁵

    So etwas wurde fast in ganz Deutschland gesungen und in die Kinderseelen eingesenkt. Und zu Weihnachten brachte meine Großmutter (väterlicherseits) mir bei: „Morgen kommt der Weihnachtsmann, kommt mit seinen Gaben: / Trommeln, Pfeifen und Gewehr, / Fahn´ und Säbel und noch mehr, / ja, ein ganzes Kriegesheer möcht´ ich gerne haben." Das Militaristische konnte nicht früh genug eingeprägt werden. Und nun sitzt es alles drin.

    In Hitler-Deutschland konnte man damit gut leben; Es wurde stets und ständig wiederholt und gab nicht nur einen festen Referenzrahmen, sondern wirkte wie ein Sog. Der Schulunterricht begann mit dem „Heil Hitler! der Lehrerin oder des Lehrers und – wie es sich gehörte – antwortete die Klasse mit erhobenem, rechten Arm: „Heil Hitler! Alles selbstverständlich. Die Frage ist: Wann und wie wurde dieser Referenzrahmen, wurden seine tiefsitzenden Prägungen bewusst gemacht? Wann wurde er kritisch hinterfragt? Wann dankten seine Vertreter und Protagonisten ab oder wurden wenigstens demaskiert? Nichts wurde wirklich bearbeitet. Es wurde – wie Hermann Lübbe sagte – „beschwiegen". Wahrscheinlich noch nicht einmal verdrängt. So kann es heute wieder hochkochen und alle Modernisierung hintertreiben. Ich komme später noch einmal darauf zurück. Jedenfalls ist verständlich: Auf solchem Fundus lässt sich keine freiheitliche, rechtsstaatliche Demokratie auf bauen und auf Dauer leben.

    Wir leben in der Bundesrepublik Deutschland in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat mit einem an den allgemeinen Menschenrechten orientierten Grundgesetz. Das ist keine Frage; aber es steht auch außer Frage, dass sich zunehmend rassistische, antisemitische und nationalistische Kräfte, Parteien, Personen nach vorn drängen und an Einfluss gewinnen, ja es deutet sich an, dass immer noch ein Sumpf da ist, mit einer Besorgnis erregenden ziehenden Kraft. Hass breitet sich aus, wird ausgestreut und entlädt sich in Terrorakten. Die Sorge ist umso größer, als sie in einen merkwürdigerweise plötzlich um sich greifenden globalen Trend passt – davon später mehr. Der Wahnsinn erreicht seinen Gipfel mit der Überschrift in unseren lokalen „Ostfriesischen Nachrichten: „Nato bald startklar für die Verteidigung im Weltraum mit der Unterzeile: „Ramstein soll zum Space Center werden. Feinde überall! Man malt uns eine Bedrohung in der Nähe und an den Grenzen! Die Konsequenz kann nur sein: Abschotten bis in den Weltraum! Wahrscheinlich soll eine solche Nachricht, die allen gesunden Menschenverstand und alle dringend anstehenden Probleme hinter sich lässt, den Zweck haben, die Bevölkerung zu beruhigen und in Sicherheit zu wiegen. Nach dem Motto: „Mundus vult decipi, ergo decipiatur (Die Welt will betrogen werden, also möge sie betrogen werden!).

    Pazifistische Bestrebungen als

    Gegenbewegungen und ihr Scheitern

    Sucht man in der Geschichte Europas nach Gegenbewegungen, also nach grundlegenden Friedensbewegungen, findet man beachtenswerte Beispiele: Bei Wikipedia ist zu lesen, dass bereits im antiken Griechenland des 4. Jahrhunderts v. Chr. die Idee der „Koine Eirene" (allgemeiner Friede) propagiert wurde, um den Frieden als den Normalzustand durch völkerrechtlich verbindliche Verträge dauerhaft zu sichern. Im 10. nachchristlichen Jahrhundert entstand in Reaktion auf das um sich greifende Fehdewesen des niederen Feudaladels im Süden Frankreichs die „Gottesfriedensbewegung", die aufgrund der Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten als Vorläufer der modernen Friedensbewegungen gelten kann.

    In unserer jüdisch-christlichen Religion, in der Bibel wird an vielen Stellen Verzicht auf Gewalt bis hin zur Feindesliebe Jesu als göttliches Gebot gefordert. Ich verzichte jetzt hier auf Stellenhinweise, möchte aber doch belegen, dass es auch in unserer abendländischen, christlich geprägten Kultur eindeutige Stellungnahmen für – es gab das Wort noch nicht – „pazifistisches Denken und Verhalten gab, so zum Beispiel im Mittelalter bei dem großen Humanisten Erasmus von Rotterdam, der 1521 in „Ein Klag´ des Frydens schrieb:

    „Es ist jetzt schon soweit gekommen, dass man den Krieg allgemein für eine annehmbare Sache hält und sich wundert, dass es Menschen gibt, denen er nicht gefällt [...] Wie viel gerechtfertigter wäre es dagegen, sich darüber zu wundern, welch’ böser Genius, welche Pest, welche Tollheit, welche Furie diese bis dahin bestialische Sache zuerst in den Sinn des Menschen gebracht haben mag, dass jenes sanfte Lebewesen, das die Natur für Frieden und Wohlwollen erschuf, mit so wilder Raserei, so wahnsinnigem Tumult zur gegenseitigen Vernichtung eilte. Wenn man also zuerst nur die Erscheinung und Gestalt des menschlichen Körpers ansieht, merkt man denn nicht sofort, dass die Natur, oder vielmehr Gott, ein solches Wesen nicht für Krieg, sondern für Freundschaft, nicht zum Verderben, sondern zum Heil, nicht für Gewalttaten, sondern für Wohltätigkeit erschaffen habe? Ein jedes der anderen Wesen stattete sie mit eigenen Waffen aus, den Stier mit Hörnern, den Löwen mit Pranken, den Eber mit Stoßzähnen, andere mit Gift, wieder andere mit Schnelligkeit. Der Mensch aber ist nackt, zart, wehrlos und schwach, nichts kann man an den Gliedern sehen, was für einen Kampf oder eine Gewalttätigkeit bestimmt wäre. Er kommt auf die Welt und ist lange Zeit von fremder Hilfe abhängig, kann bloß durch Wimmern und Weinen nach Beistand rufen. Die Natur schenkte ihm freundliche Augen als Spiegel der Seele, biegsame Arme zur Umarmung, gab ihm die Empfindung eines Kusses, das Lachen als Ausdruck von Fröhlichkeit, Tränen als Symbol für Sanftmut und des Mitleids.

    Der Krieg wird aus dem Krieg erzeugt, aus einem Scheinkrieg entsteht ein offener, aus einem winzigen der gewaltigste [...] Wo denn ist das Reich des Teufels, wenn es nicht im Krieg ist? Warum schleppen wir Christus hierhin, zu dem der Krieg noch weniger passt als ein Hurenhaus? So mögen wir Krieg und Frieden, die zugleich elendeste und verbrecherischste Sache vergleichen, und es wird vollends klar werden, ein wie großer Wahnsinn es sei, mit so viel Tumult, so viel Strapazen, so einem großen Kostenaufwand, unter höchster Gefahr und so vielen Verlusten Krieg zu veranstalten, obwohl um ein viel geringeres die Eintracht erkauft werden könnte."

    So weit Erasmus.⁶ Dieser von Erasmus beschriebene Mensch trägt die Wesensmerkmale des von Harari beschriebenen Wildbeuters,⁷ der in kleinen Gruppen als Jäger und Sammler durch ein weites Land zog. Mit dieser emotionalen Ausstattung kam er zurecht und konnte in Frieden leben. Das war zur Zeit von Erasmus längst vorbei. Da schrieb Martin Luther z.B. fast zur selben Zeit wie Erasmus, nämlich 1526 in seiner Schrift „Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können":

    „Es ist eine verdammte, verfluchte Sache mit dem tollen Pöbel. Niemand kann ihn so gut regieren wie die Tyrannen. Die sind der Knüppel, der dem Hund an den Hals gebunden wird. Könnten sie auf bessere Art zu regieren sein, würde Gott auch eine andere Ordnung über sie gesetzt haben als das Schwert und die Tyrannen. Das Schwert zeigt deutlich an, was für Kinder es unter sich hat, nämlich nichts als verdammte Schurken, wenn sie es zu tun wagten."

    Die beiden Zitate zeigen, dass die Einstellung eines Menschen zu Gewalt und Krieg entscheidend von seinem Menschenbild abhängt. Sind – wie bei Luther – Menschen wie die „Räuberischen Bauern und ihre Rotten nichts als „toller Pöbel und „verdammte Schurken, dann müssen sie mit Gewalt in Ordnung gebracht und durch ihre Herren in Ordnung gehalten werden. Ist der Mensch indessen „jenes sanfte Lebewesen, das die Natur für Frieden und Wohlwollen erschuf, dann ist die eindeutige Konsequenz: „dass die Natur, oder vielmehr Gott, ein solches Wesen nicht für Krieg, sondern für Freundschaft, nicht zum Verderben, sondern zum Heil, nicht für Gewalttaten, sondern für Wohltätigkeit erschaffen" hat. Es fragt sich, welche Faktoren das Menschenbild bestimmen. Offenbar leben die beiden hier beschriebenen Menschentypen in sehr unterschiedlichen Gesellschaften.

    Sowohl Erasmus als auch Luther fußen auf der Bibel. Den von Luther beschriebenen Menschen treffen wir in der Bibel in unzählig vielen Geschichten. Es ist zu fragen, ob auch der von Erasmus beschriebene Mensch in der Bibel anzutreffen ist. Die Frage möchte ich an dieser Stelle zurückstellen und später wieder aufnehmen. In meiner Kinder- und Jugendzeit war jeder Anhauch von Pazifismus nicht nur verpönt, sondern verboten. Bei allem Verständnis für die Gefühle der Demütigung für die ehemaligen Frontsoldaten im ersten Weltkrieg, ist es mir heute unverständlich, dass sich so viele nach dem Ende dieses furchtbaren Gemetzels wieder im Frontkämpfer-Bund „Stahlhelm zusammenfanden und das „Soldatische als positiven Wert hochhielten. Erklärbar ist dies nur dadurch, dass der nationalistische Referenzrahmen nicht in Frage gestellt wurde. Die Geschichte des Pa zifismus ist bis in unsere Tage eine traurige Geschichte.

    Tucholsky machte seinem Leben selbst ein Ende, Carl v. Ossietzky starb an den Folgen der KZ-Haft unter den Nazis. Wolfgang Borchert ist heute fast vergessen, sein „Sag nein! wurde nicht befolgt. So lassen sich manche leidenschaftlichen pazifistischen Aufschreie nennen, die ins Leere gingen. Einer sei noch genannt, der des großen Denkers und Wissenschaftlers Albert Einstein (1879 – 1955): „Mein Pazifismus ist ein Instinkt, ein Gefühl, das sich mir aufdrängt, weil Menschenmord so etwas widerwärtiges ist. Mein Verhalten entspringt nicht irgendwelchen theoretischen Überlegungen, sondern beruht auf meiner tiefen Abscheu gegen jede Grausamkeit und allen Hass. Man hat nicht gehört und hört bis heute nicht. Man wollte und will es anders. Sicher auch, weil das Bild des starken männlichen Helden, der für seine Sache in den Kampf zieht, bei vielen Zeitgenossen immer noch positiv besetzt ist, tief in den Knochen sitzt.

    Wir leben heute in einer Welt rasanten Wandels: Wirtschaftliche Interdependenz z.B. überschreitet alle nationalen Grenzen, auch die Klimaveränderungen kennen solche Grenzen ebenso wenig wie die modernen Medien und Massenkommunikationsmittel. Alle Anstrengungen müssten auf ein friedliches Miteinander in der „menschlichen Familie" gerichtet sein, stattdessen erscheint Aufrüstung als gebotenes Programm. In einem Interview mit der ZEIT vom 27. 9. 2018 beklagt der deutsche Außenminister Heiko Maas: „Eigentlich müssten wir in einer globalisierten und digitalisierten Welt, in einer Welt des Klimawandels großräumig und langfristig denken. Alle diese Themen kennen keine nationalen Grenzen mehr. In der Realität aber ist das kurzfristige und kleinräumige Denken auf dem Vormarsch." Wir „müssten, aber wir tun es nicht. Vielleicht einfach aus Angst, denn Angst hängt etymologisch mit Enge zusammen. Und unser Sicherheitsstreben steht jeder Form von Weite und Großzügigkeit entgegen. Langfristiges und großräumiges Denken ist immer auch offenes Denken. Das aber ist ein Denken, das für den auf seine kleine überschaubare Gruppe beschränkten „Wildbeuter nicht nur fremd, sondern auch unangepasst ist. Die gegenwärtigen politischen Entwicklungen – im Großen wie im Kleinen – lassen den Eindruck zu, dass der Homo sapiens nicht nur nicht friedfertig, sondern auch nicht friedensfähig ist.

    Es ist mir auch ein Rätsel, warum Kriegshelden immer noch einen so hohen Stellenwert haben. Hohe Militärs zeigen sich immer noch gern mit ordensgeschmückter Brust. Es gibt ja heute Auszeichnungen und Medaillen für im zivilen Leben herausragende Leistungen; es gibt Friedenspreise und Träger solcher Friedenspreise, die wahrhaft aller Ehren wert sind, dennoch sind die Kriegshelden in manchen Kreisen immer noch anerkannt, besonders dann, wenn sie im Kampf ihr Leben verloren. Für uns – ich betone: mich eingeschlossen – waren Kriegshelden, Träger hoher Orden, die erstrebenswerten Vorbilder. Günter Prien z.B. war Kapitänleutnant und U-Boot Kommandant. Ihm gelang ein Husarenstück: Er drang am 14. Oktober 1939 mit seinem Boot in den vielfach gesicherten und

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1