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Quantumtod
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eBook480 Seiten6 Stunden

Quantumtod

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Über dieses E-Book

Das Geheimnis des Big-Five-Systems ist gelöst. Doch zu welchem Preis? Eine dunkle Bedrohung zieht herauf, der alles Leben zum Opfer fallen könnte. Sam und seine Gefährtin Lariana wollen den drohenden Untergang unbedingt verhindern. Einst gehörten sie verfeindeten Kräften an, doch diese Kategorien zählen für sie nicht mehr. Mit der Aktivierung des Quantumschreins tritt eine Macht auf den Plan, die die gesamte Galaxis auslöschen könnte. Während sie verzweifelt versuchen, einen Kontakt zu den Geheimnisvollen herzustellen, werden sie von ihren ehemaligen Verbündeten gejagt. Kann Sam die Katastrophe noch rechtzeitig verhindern? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

Dies ist der dritte und letzte Teil der Quantumreihe.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum27. Sept. 2023
ISBN9789403706894
Quantumtod

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    Buchvorschau

    Quantumtod - Tilo Linthe

    Impressum

    Copyright: Tilo Linthe

    Jahr: 2023

    ISBN: 978-9-403-70689-4

    Verlagsportal: meinbestseller.de

    Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig

    Kapitel 1

    Eine Erschütterung weckte Lariana. Sie stemmte sich aus ihrem Kontursessel hoch. Sam stand mit dem Rücken zu ihr und bewegte sich nicht. Der Bildschirm, auf dem sie vor wenigen Stunden noch die rötliche Silhouette Slivvers gesehen hatte, war verschwunden. Es wirkte leicht verstörend, Sam reglos in der Mitte der goldenen Sphäre stehen zu sehen, die sie wie ein schützender Kokon umgab. Sie wusste, dass er sie mit seinen Gedanken steuerte. Trotzdem war seine Reglosigkeit unheimlich.

    „Wie lange habe ich geschlafen?", fragte sie und rieb sich die Augen. Ihre Glieder fühlten sich schwer an, als hätte sie gerade einen Marathonlauf hinter sich. Die letzten Tage waren nicht nur mental anstrengend gewesen.

    Sam drehte seinen goldenen Kopf zu ihr. „Du bist wach, konstatierte er das Offensichtliche. Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen wie ein Sonnenstrahl, der sofort wieder hinter dicken Wolken verschwand. „Wir sind fast da.

    Unmut regte sich in Lariana. Sam hatte ihre Frage nicht beantwortet. Tod und Auferstehung auf Slivver hatten ihn verändert. Seine Unsicherheit war verschwunden und er beantwortete Fragen selten direkt. Von seiner träumerischen Art, seinen Selbstzweifeln und der Unbeholfenheit, die sie so süß gefunden hatte, war nichts geblieben.

    Wieder ging eine Erschütterung durch den Boden, heftiger diesmal. Es prasselte wie Hagel auf ein Autodach.

    „Was ist das?", fragte Lariana beunruhigt.

    „Wir werden beschossen."

    „Von wem?"

    Noch so eine Eigenschaft, die ihr nicht gefiel: Neuerdings musste sie ihm jede Antwort aus der Nase ziehen. Sam wirkte so, als wäre er abgelenkt und müsste sich auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren.

    „Die Vinculan haben immer noch Schiffe bei der Konvergenzstation. Sie wollen verhindern, dass wir anlegen. Aber sie können es nicht. Dazu ist ihre Technik nicht in der Lage."

    „Kannst du mir ein Sichtfenster machen?", fragte Lariana. In ihrer Stimme klang Unmut mit: Darauf hätte Sam eigentlich selbst kommen können, aber bemerkte er diese zwischenmenschlichen Feinheiten überhaupt noch?

    Er drehte ihr seinen Kopf zu. Lag Irritation in seinem Blick? Lariana hatte den Eindruck, dass er wie aus weiter Ferne zurückkehrte in die vielleicht sieben Meter durchmessende Sphäre. Seine Augen wurden klar. „Natürlich. Entschuldige." Er richtete seine Hand wie beschwörend auf die makellos goldene Wand. Die Oberfläche kräuselte sich – und verschwand. Dahinter erschien die rötliche Oberfläche Slivvers. Der gekrümmte Horizont erstreckte sich über das gesamte Sichtfeld des Fensters. Sie mussten dem Planeten bereits sehr nahe sein. Eine Schlucht kam in Sicht, die sogar aus dem Weltraum gigantisch wirkte und am Äquator den gesamten Planeten in zwei Hälften zerschnitt. Am Boden der abfallenden Wände zog sich ein milchig weißer Streifen entlang. Darunter befand sich eine dschungelartige Welt, die an das altehrwürdige Zeitalter erinnerte, als die Saurier die Erde beherrschten. Der wichtigste Unterschied war der Quantumschrein, der sich inmitten der endlosen Farnwälder befand.

    „Sam!"

    Er schaute sie an, antwortete aber nicht.

    Wieder fühlte Lariana Ärger in sich aufsteigen. „Was ist auf Slivver geschehen?"

    „Du warst doch dabei…"

    „Ich habe gesehen, wie McQuire dich erschossen hat…"

    „…und die Femtonen haben mein Selbst gerettet."

    „Aber wie? fragte Lariana. „Das grenzt doch an Zauberei.

    Sam seufzte. Es war die erste menschliche Regung, seit die Femtonen seinen Körper wieder zusammengesetzt hatten. „Die transzendentale Technik der Thlox nutzt Gesetzmäßigkeiten, die unterhalb der Quantenebene im Femtometerbereich gültig sind. Die menschliche Wissenschaft weiß bisher noch sehr wenig darüber."

    „Aber du weißt Bescheid?", fragte Lariana voller Ironie.

    „Nein. Ich verstehe die Technik nicht. Ich kann die Femtonen nur ein wenig steuern. Mehr nicht."

    „Und diese Femtonen sind kleine Maschinen, die eine Art Schwarmbewusstsein haben."

    Sam nickte. „Sie umgeben, bewegen und durchdringen alles." Seine Stimme klang salbungsvoll, als würde er einen Glaubenssatz rezitieren.

    Plötzlich wirkte Sam abgelenkt. Ein schwarzes Raumschiff mit langen Stacheln zog am Sichtfenster vorbei. Ein Lichtblitz blähte sich zu einer rötlichen Kugel auf. Die goldene Kapsel flog eine enge Kurve. Lariana spürte, wie sie durch die Fliehkraft zur Seite gedrückt wurde. Zum Glück war sie im Kontursessel angeschnallt, fragte sich aber, warum Sam nicht gegen die runde Innenwand geschleudert wurde. Irgendein Effekt verhinderte das. Die rötliche Kugel blähte sich immer weiter auf. Obwohl Sam versuchte auszuweichen, gelang es ihm nicht ganz. Die Kapsel vibrierte, als sie durch die anbrandende Energie flog.

    „Was ist passiert?"

    „Die Vinculan haben eine Rakete in unserer Flugbahn zur Explosion gebracht. Wie schon gesagt: Ihre Technik kann uns nichts anhaben."

    „Diese insektenartigen Wesen, die du in deinen Visionen gesehen hast …"

    „Die Thlox", unterbrach Sam.

    „… die haben die Femtonen geschaffen?", kam Lariana wieder auf ihr ursprüngliches Thema zurück.

    Sam nickte. „Die Thlox hatten den unstillbaren Drang, die dunklen Abgründe zu überwinden. Sie erschufen die Femtonen, die die Lebensinseln auf der Quantenebene miteinander verschränken. Sie ermöglichen den SPRUNG."

    „Was ist aus ihnen geworden?"

    „Ich weiß es nicht."

    Plötzlich gab es einen Knall. Die Sphäre wurde hin- und hergeworfen und dröhnte wie ein angeschlagener Gong. Lariana krallte sich an ihrem Kontursessel fest. Sam blieb in der Mitte des Raumes stehen wie festgewachsen.

    Endlich stabilisierte sich die Kapsel wieder.

    Was war das?, fragte Lariana scharf. Es fühlte sich nicht so an, als könnten die Vinculan ihrer Transportkapsel nichts anhaben.

    „Eine Rakete hat uns getroffen, der ich nicht rechtzeitig ausweichen konnte. Das ist aber nicht unser Problem."

    Bevor Lariana fragen konnte, änderte sich das Bild im Fenster. Die rötliche Wölbung des Planeten kam rasend schnell näher. Ein goldener Punkt erschien, wurde immer größer und nahm die Form einer Raumstation an. Von einem großen Rad gingen vier s-förmig gewölbte Speichen aus und verbanden es mit einem kleineren Rad, das ein wenig abstand. Die Station drehte sich um die eigene Achse und erzeugte auf diese Weise künstliche Schwerkraft. Es gab viele dieser Raumstationen. Sie waren überall im Big-Five-System verteilt. Die meisten waren in der Umlaufbahn über einem Planeten platziert, manche in der Nähe von Asteroidenfeldern. Eine Station befand sich sogar innerhalb des Sterns, der mit seinem Licht diesem System Wärme und Leben schenkte. In ihnen gab es Portale, die den SPRUNG ermöglichten.

    Normalerweise glänzten die Konvergenzstationen in makellosem Gold, doch der goldene Tempel um Slivver, wie die Vinculan die Stationen nannten, war übersät von hässlichen dunklen Flecken.

    „Ist Synthmetall nicht nahezu unzerstörbar?", fragte Lariana. Das Gefühl drohenden Unheils senkte sich auf sie herab, während sie zuschaute, wie die Flecken sich wie hässlicher Rost in eine blanke Metallplatte fraßen.

    Sam nickte. „Das dachte ich auch. Da haben wir uns wohl geirrt."

    „Als wir von der Oberfläche losgeflogen sind, um der Flotte des Konsistoriums zu helfen – war die Station da auch schon befallen?"

    „Ich weiß es nicht. Ich war zu sehr damit beschäftigt, die beiden Flottenverbände zu verfolgen. Ich habe nicht auf die Station geachtet."

    Sams Stimme klang angespannt, was Larianas innere Unruhe nur verstärkte. An einer Stelle brach ein großes Stück aus dem Rumpf und verstärkte die Trümmerwolke, die sich wie ein Schild um die Raumstation gelegt hatte. Ein Teil des kleineren Rads hatte sich von den Verbindungsstreben gelöst und hing schief. Auf der Innenseite des großen Rads war ein großes gezacktes Loch, durch das man in die Räume und Hangars hineinsehen konnte wie in die Innereien eines halb verwesten Tiers.

    „Die Station stirbt", sagte Sam.

    „Wo ist der Portalraum?", fragte Lariana.

    Wortlos zoomte Sam mit einem Gedankenbefehl näher an die sterbende Station heran. Ein Ausschnitt des größeren Rads füllte nun das Sichtfenster aus. Ein roter Punkt leuchtete am Rumpf auf und begann zu pulsieren.

    „Das ist ziemlich nah an diesem großen Loch."

    Immer wieder lösten sich Fragmente und segelten davon. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Zerstörung den pulsierenden Punkt und damit den Portalraum erreichen würde.

    „Wir müssen uns beeilen, bevor das Portal versagt", sagte Sam.

    Wieder ging ein heftiger Ruck durch die Sphäre, der Lariana fast aus ihrem Sitz warf. Der Innenraum verkleinerte sich. Kurz musste Lariana einen klaustrophobischen Anfall unterdrücken, als die Wände näher rückten. Sie wusste, dass Sam mit einem Gedankenbefehl die Form und Größe der Kapsel verändern konnte. Tief in ihr drinnen schrie ihr eine Stimme zu, die Flucht zu ergreifen. Sie schloss kurz die Augen und atmete tief ein und aus. Sie spürte, wie sich ihr Herzschlag etwas verlangsamte und sie ruhiger wurde. Als sie wieder aufsah, bewegten sich die Wände nicht mehr. Die ovale Form der Kapsel war geblieben. Sie hatte allerdings nur noch einen Durchmesser von vielleicht drei Metern. Es war ziemlich eng.

    „Du ziehst besser den Raumanzug wieder an", sagte Sam.

    Sie schaute sich um, sah aber nur ihren eigenen. „Und was ist mit dir?"

    „Ich brauche keinen. Die Femtonen schützen mich."

    Lariana konnte das Lächeln auf seinen Lippen nicht recht einordnen. War er froh, weil sie sich Sorgen um ihn machte oder fand er es belustigend, weil sie so wenig über die Femtonen wusste? Resolut stand sie auf und legte den Anzug an. Das lenkte sie wenigstens von ihren fruchtlosen Gedanken ab. „Was hast du mit den Wänden gemacht? Warum ist die Kapsel plötzlich so klein?"

    „Ich habe eine zweite Halbschale vor uns ausgebildet."

    „Wozu?"

    „Als zusätzlichen Schutz: Wie wir bei der Station sehen können, haben die Vinculan die Möglichkeit, Synthmetall zu beschädigen."

    Lariana sah wieder aus dem Fenster. Vor ihr wurde die Station immer größer. „Wieso sehe ich die Halbschale nicht? Sollte sie nicht die Sicht vor uns verdecken?"

    „Ich habe sie ausgeblendet, damit du bessere Sicht hast. Schau!"

    Eine große Anzahl Vinculanschiffe kam in Sicht. Die Ellipsenschiffe mit ihren charakteristischen Stacheln am Heck hatten sich locker um die sterbende Station verteilt.

    „Da müssen wir durch?"

    Sam nickte. „Die Schiffe sind nicht das Problem, aber das da." Er zeigte mit dem Zeigefinger auf die Armada. Gleichzeitig zoomte das Bild in sie hinein und eine Plattform wurde sichtbar, die zwischen den Schiffen schwebte. Sie sah aus, als hätte ein Modellierer versucht, einen Kegel zu formen, was ihm aber mehr schlecht als recht gelungen war. Die Oberfläche wirkte rissig und unregelmäßig, als hätte der Modellierer die Form nur grob aus dem schwarzen Material herausgemeißelt. Über der Oberfläche waren unzählige Antennen verteilt, die an ihren abgerundeten Spitzen jetzt violett aufleuchteten.

    „Das ist gar nicht gut", kommentierte Sam die plötzlich zum Leben erwachte Plattform.

    „Was ist das für ein Ding?"

    „Das scheint die Hauptwaffe der Vinculan zu sein. Eine kleinere Version davon hat ‚Rote Grütze‘ schon einmal angegriffen. Ich bin nicht scharf darauf, diese Erfahrung zu wiederholen."

    Inzwischen begannen zwischen den Antennenspitzen Lichtbögen hin und her zu tanzen. Die gewaltigen Energien flossen über die Spitze des Kegels in eine Kugel, die immer intensiver leuchtete.

    „Kannst du nicht ausweichen wie den Raketen?", fragte Lariana.

    „Diese Kugel ist viel zu schnell, erwiderte Sam nur. „Wir können nur hoffen, dass das Synthmetall uns besser schützt als die Metallhüllen die Schiffe des Konsistoriums.

    Auf dem Bildschirm sah Lariana, wie sich die letzten Lichtbögen über die Kegeloberfläche zur Spitze hocharbeiteten und in der Energiekugel verschwanden. Dann schoss sie auf die goldene Kapsel zu. Sam wich zur Seite aus, aber es nützte nichts. Selbst seine gedankenschnelle Reaktion konnte nicht verhindern, dass sie getroffen wurden. Wie von einer Faust gerammt, wurde die Kapsel zur Seite geschleudert. Es knisterte, als violette Entladungen über die Innenseite des goldenen Materials tanzten. Die Wände ächzten und knackten, als wären sie viel zu hohem Druck ausgesetzt. Endlich ließ das violette Leuchten nach, aber Lariana erschien es, als hätte der goldene Innenraum einen Teil seines Glanzes verloren. Es roch nach Ozon. Die Kapsel begann unmerklich zu vibrieren.

    „Was geschieht hier?", fragte Lariana.

    „Wir wurden getroffen, antwortete Sam lapidar. „Die Halbkugel vor uns hat die meiste Energie abgefangen, aber nicht alles.

    „Was heißt das?"

    „Die Halbkugel ist verschwunden. Sie hat sich einfach aufgelöst. Unsere Kapsel ist auch in Mitleidenschaft gezogen worden. Einen weiteren Treffer überleben wir nicht."

    Die Kapsel ruckelte immer stärker. Die Beschleunigung ließ nach, um kurz wieder einzusetzen und wieder auszufallen, wie bei einem Auto mit Motorschaden.

    „Wir müssen es unbedingt zur Station schaffen", rief Lariana.

    „Ich tue mein Möglichstes, presste Sam zwischen den Lippen hervor. Lariana sah an der Anspannung in seinem Gesicht, dass es ihm alles abverlangte, die Kapsel unter Kontrolle zu halten. An den Antennenspitzen bildeten sich wieder die ersten violetten Leuchtpunkte. „Was ist das für eine Waffe, die sogar Synthmetall zerstören kann?, fragte sie.

    „Ich vermute, das ist Technik der Geheimnisvollen. Damit haben sie auch die Raumstation beschossen."

    Die Luft begann verbraucht zu riechen und es wurde kälter.

    „Das Synthmetall kann die lebenserhaltenden Funktionen nicht länger aufrechterhalten. Ich empfehle, dass du deinen Raumanzug schließt", sagte Sam.

    „Was du nicht sagst", erwiderte Lariana mit ironischem Unterton. Wie konnte er angesichts ihrer möglichen Vernichtung nur so ruhig bleiben? Mit zitternden Fingern zog sie die Kapuze über den Kopf. Das Materialgedächtnis ordnete die Moleküle so um, dass ein transparenter Helm daraus wurde, der luftdicht mit dem Rest abschloss. Sobald die Umformung und Versteifung abgeschlossen waren, aktivierte sich das Head-up-Display und zeigte das Ergebnis der Selbstdiagnose. Viele grüne Lichter signalisierten, dass alles in bester Ordnung war. Die Lüftung sprang an und blies ihr warme Luft ins Gesicht.

    Inzwischen hatte sich ein weiterer violetter Energieball über dem Kegel gebildet. Sam steuerte die Kapsel scharf zur Seite, kurz bevor der Feuerball sich löste und auf sie zuschoss. Er hatte gut geschätzt – und das rettete ihnen das Leben. Die violett lodernden Energien verfehlten die Kapsel. Lariana glaubte es unheilvoll knistern zu hören, aber das konnte auch Einbildung sein, ein Resultat ihrer überstrapazierten Nerven. „Puh, das war knapp!", kommentierte sie.

    Sam antwortete nicht. Sein Gesicht war eine einzige Grimasse aus Anspannung und Konzentration.

    Lariana keuchte auf, als die Kapsel nach unten wegsackte. Sie klammerte sich unwillkürlich an die Lehnen ihres Kontursessels, obwohl sie angeschnallt war. Für einen kurzen Moment hatte sie das Gefühl zu fallen, dann legte sich das Gewicht umso schwerer auf ihren Körper, als sich ihr Gefährt wieder fing. Das Stottern des Antriebs nahm zu. An den Rändern des Bildschirms bildeten sich dunkle Flecken, die schnell größer wurden. Ein helles Knacken und Knirschen begleitete die Veränderung des Synthmetalls, als würden sich Risse durch ein Glasfenster fressen.

    Etwas rieselte vor Larianas Sichtfeld vorbei, ein kleines Teilchen und landete zu ihren Füßen. An dieser Stelle trübte sich der Boden ein und verlor seine Makellosigkeit. Lariana hob den Kopf und sah, dass die dunklen Flecken auch die Decke übersäten. Von dort lösten sich immer mehr kleine Teilchen und rieselten wie Schuppen zu Boden. Auch die Wände begannen sich einzutrüben. Sie schaute nach unten. Das goldene Netz, das sie festhielt, verfärbte sich ebenfalls und begann einzelne Schuppen abzusondern.

    Es knallte, als ein Stück der Wand unterhalb des Sichtfensters herausbrach und in der Dunkelheit verschwand. Ein orkanartiger Wind zerrte an Lariana und wollte sie durch das gezackte Loch herausblasen, aber das Netz hielt sie auf ihrem Sessel fest – noch. Dann verebbte der Wind so schnell, wie er entstanden war. Eine Anzeige ihres Raumanzugs sprang von Grün auf Rot und blinkte kurz, um ihre Aufmerksamkeit zu wecken. Sie zeigte an, dass es keine Atmosphäre mehr gab und die Temperatur rapide sank.

    „Wir stürzen ab", hörte sie Sams Stimme in ihren Lautsprechern. Immer noch klang er so ruhig, als hätte er gerade verkündet, dass sie mit ihrem Kreuzfahrtschiff planmäßig im nächsten Hafen einlaufen würden. Ihm machte die fehlende Atmosphäre nichts aus. Er stand in der Mitte der Kapsel und versuchte sie auf Kurs zu halten, nicht im Mindesten davon irritiert, dass es keine Luft zum Atmen mehr gab und der Innenraum so kalt war wie der Winter in der Antarktis. Lariana empfand eine paradoxe Erleichterung darüber, dass es Sam sichtbar anstrengte, die Kapsel zur Raumstation zu steuern. Es zeigte ihr, dass er weder allwissend noch allmächtig war. Trotz seiner Fähigkeiten gab Dinge, die ihm etwas anhaben konnten. Ob die kleinen Maschinen eine Plage wie ein Virus waren oder eine Hilfe wie Antibiotika, mochte Lariana nicht entscheiden. Es regte sich aber eine Ahnung von Unheil in ihr, wenn sie an die Femtonen dachte.

    „Achtung, festhalten!", zischte Sam.

    Kurz wunderte sich Lariana, wie die Schwingungen seiner Stimme durch das Vakuum ihren Weg zu ihren Lautsprechern fanden. Sie drängte den Gedanken beiseite, als auf dem Bildschirm die fleckige und von Löchern gesprenkelte Oberfläche der Raumstation immer schneller vorbeizog, während sich ihre Kapsel näherte. Das Bild bekam Aussetzer und schließlich verschwand das Sichtfenster und der arg in Mitleidenschaft gezogene Rumpf wurde sichtbar. Ein kleines Loch blieb. Lariana stellte sich vor, wie der Rumpf unter der Belastung ächzte und knarrte und kurz vor dem Auseinanderbrechen stand, aber ohne Luft als Trägermedium der Schallwellen, konnte sie natürlich nichts hören. Fragend schaute Lariana zu Sam, aber der schüttelte nur den Kopf. Er hatte offenbar nicht veranlasst, dass das Fenster verschwand. Ob es eine Fehlfunktion oder eine automatische Sicherheitsmaßnahme der Kapsel war, konnte Lariana nicht sagen.

    Wieder sackte die Kapsel durch. Diesmal fing sie sich nicht wieder ab. Das Gefühl des Fallens blieb. Lariana krallte sich so fest, dass es schmerzte. Irgendetwas knirschte, dann gab es einen Schlag, der Lariana in ihrem Haltenetz hin- und herriss. Seltsam lautlos wegen der fehlenden Atmosphäre, löste sich ein großes Stück der runden Decke über ihr. Durch das so entstandene Loch konnte sie deutlich das Schwarz des Weltraums mit seinen funkelnden Sternen sehen. Sie fragte sich, wie eine sich anbahnende Katastrophe mit einer solchen Erhabenheit und Majestät verbunden sein konnte, die durch das Loch auf sie einstrahlte. Die Kapsel hüpfte auf und ab und Larianas Kopf schlug immer wieder hart gegen die Kopfstütze.

    Mit einem heftigen Schlag prallte die Kapsel auf die Oberfläche und rutschte einige Meter weit über den Rumpf der Raumstation, bis sie endlich zum Stehen kam.

    Die unnatürliche Ruhe, die das Chaos begleitete, ließ in Lariana ein Gefühl der Unwirklichkeit entstehen. In ihren Ohren fiepte es. Benommen hob sie ihren Kopf. Sam stand neben ihr und schaute sich um. Das Gefühl von Unwirklichkeit verstärkte sich, als sie ihn ohne jeden Schutz gegen das Vakuum und die Kälte des Weltraums dort stehen sah.

    „Wir müssen hier weg", sagte er. Seine Stimme klang zwar immer noch ruhig, aber eindringlich. Mit einer Handbewegung versuchte er das Haltenetz verschwinden zu lassen, aber nichts passierte. Es hatte sich mittlerweile komplett eingetrübt.

    Lariana versuchte sich aus eigener Kraft zu befreien, aber das Netz war zu stark. Sie kam nicht los. Panik stieg ihre Kehle hinauf und drohte sie zu überwältigen. Das klaustrophobische Gefühl kam wieder hoch, als ihr klar wurde, dass aus dem Schutz plötzlich Gefangenschaft geworden war. Die Beunruhigung auf Sams Gesicht besänftigte ihre Gefühle auch nicht. Kurz schloss Lariana die Augen und atmete einige Male tief ein und aus. Das half ein wenig. Als sie ihre Augen wieder öffnete, sah sie, wie Sam abermals seine Finger ausstreckte. Diesmal berührte er das Haltenetz sogar und seine Anstrengungen erzielten einen Effekt: Die Maschen kräuselten sich und ein Teil des Netzes verschwand. Das so entstandene Loch reichte aus, damit sich Lariana aus dem Kontursessel zwängen konnte.

    Erleichtert drehte Sam sich um und konzentrierte sich auf die gekrümmte Wand. Durch das Synthmetall ging eine träge Bewegung als würde ein leichter Wind es wie eine Wasseroberfläche kräuseln. Dann erstarrte es wieder, ohne eine Öffnung gebildet zu haben.

    „Wir müssen hier raus. So schnell wie möglich", sagte Sam und blickte Lariana ratlos an.

    „Dann lass es uns auf die herkömmliche Weise versuchen." Sie deutete nach oben. Das Sichtfenster war verschwunden, aber das Loch war immer noch da und bot nun einen Ausweg.

    Sam nickte und stieß sich vom Boden ab. Er klammerte sich am Rand des gezackten Lochs fest, aber das Material war zu porös, um ihn zu tragen. Es brach unter seinen Händen einfach ab und Sam fiel in einer Wolke aus Trümmern wieder zu Boden. Er stand auf und klopfte seinen nackten, makellos goldenen Körper ab. Die Geste wirkte so beiläufig und banal, dass Lariana lächeln musste. „Was nun?"

    „Vielleicht ist der gesamte Rumpf so porös, dass wir ein Loch hineinschlagen können."

    Sam ging zu einer Stelle, wo der Rumpf seine Makellosigkeit großflächig eingebüßt hatte. „Hier ist der Verfall am weitesten fortgeschritten. Wenn wir irgendwo durchbrechen können, dann hier." Sam schlug mit der Faust dagegen. Ganze Teile brachen heraus und ein großes Loch entstand.

    Lariana wollte ihm helfen, aber Sam hielt sie zurück: „Die Zacken sind scharf wie Glassplitter, warnte er. „Daran könntest du dir den Schutzanzug aufschlitzen.

    Unwillig trat Lariana einen Schritt zurück. Sie wusste, dass Sam nur besorgt um sie war. Dennoch empfand sie es als Bevormundung. Noch weniger gefiel ihr, dass sie untätig blieb und nur zuschauen konnte, wie Sam das Loch allmählich vergrößerte, während die Kegelplattform eine weitere Energiekugel produzierte. Immer wieder gab es Stellen, die zu fest waren und durch Muskelkraft allein nicht nachgeben wollten. Dann probierte Sam es an einer anderen Stelle. Schließlich war das Loch groß genug, dass er sich hindurchzwängen konnte und streckte ihr von außen eine Hand entgegen. „Wir müssen uns beeilen. Der Kegel ist fast wieder aufgeladen."

    Lariana musterte die scharfkantigen Ränder misstrauisch. „Das Loch ist zu klein. Mit dem Anzug passe ich nicht da durch."

    „Doch, du schaffst das."

    „Glaub mir: Das ist zu eng."

    Sam seufzte und streckte seine Hand aus. Sein Gesicht verzerrte sich in Konzentration, aber nichts passierte. „Das Synthmetall ist tot. Ich kann es nicht mehr hören und das Loch zu vergrößern bleibt nicht genug Zeit. Jetzt komm schon!"

    Lariana zögerte. „Verschwinde von hier. Warum sollen wir beide draufgehen?"

    Sam schüttelte heftig den Kopf. „Ich lasse dich nicht im Stich!"

    Es war das erste Mal, dass Sam mit Leidenschaft in der Stimme sprach, seit sie vom Planeten Slivver aufgebrochen waren. Es schmeichelte ihr, dass sie der Grund dafür war.

    „Der Anzug hat doch eine Reparaturfunktion. Du musst es versuchen." Sam streckte ihr seine Hand entgegen, fordernd und verzweifelt zugleich.

    Lariana schlug das Herz bis zum Hals. Wann feuerte die Kegelplattform endlich? War nicht schon viel zu viel Zeit vergangen? Aber wie zuverlässig war schon ihr Zeitgefühl?

    „Los! Du musst dich beeilen!", rief Sam.

    Sie sah, dass er sich nicht ohne sie zur Flucht bewegen lassen würde und ergriff seine Hand. Sofort begann Sam sie mit unwiderstehlicher Kraft herausziehen. Sie spürte, wie ihr Anzug irgendwo hängenblieb. „Warte!", rief sie und schaute kurz an sich herab. Eine messerscharfe Spitze bohrte sich in den Anzug. Sofort sprangen rote Lichter in ihrem Head-up-Display an und blinkten heftig. Eine Alarmsirene ertönte, aber Sam zog sie weiter nach draußen.

    Ein heißer Schmerz durchzuckte Lariana, als sich das spröde, aber scharfe Material in ihre Seite bohrte. Es war ein eigenartiges Gefühl, gleichzeitig die Hitze des Schmerzes und die Kälte des Weltraums zu fühlen. Ihre Gedanken vernebelten sich, während der Luftdruck in ihrem Anzug abfiel. Wie aus weiter Ferne sah sie die roten Lichter immer hektischer blinken.

    So viel zum Thema Selbstreparatur, dachte sie. Allein dem Schmerz war es zu verdanken, dass sie nicht in Ohnmacht fiel. Oder war es diesen goldenen Körpern geschuldet, die ebenfalls der Femtonentechnik entstammten und widerstandsfähiger waren als jeder menschliche Körper?

    Dann war das Messer plötzlich verschwunden. „Selbstreparatur eingeleitet" ertönte eine Automatenstimme in ihrem Helm.

    Immer noch benommen schaute Lariana wieder nach unten. Der Anzug war über einen beachtlichen Teil aufgerissen. Jetzt bildete sich Schaum, der über das aufgerissene Material quoll und schnell aushärtete. Die Anzeigen im HUD wechselten von Rot auf Orange und hörten auf zu blinken.

    „Schnell!", rief Sam. Lariana hörte seine Stimme nur gedämpft wie durch Watte und spürte, wie sie fortgezerrt wurde. Sie stolperte, aber der eisenharte Griff von Sams Hand riss sie hoch und zog sie weiter, fort von der Kapsel. Lariana blickte nach oben. Zwischen den funkelnden Sternen sah sie einen weiteren aufleuchten. Er war violett und wurde immer heller, formte sich zu einer Kugel, die schnell größer wurde.

    Endlich klärten sich Larianas Gedanken. Sie liefen über ein goldenes Band, das sich vor ihnen nach oben krümmte und immer schmaler wurde. Es war übersät von unzähligen dunklen Flecken und Löchern. Sie waren auf der Innenseite des großen Außenrings notgelandet. Hinter ihnen lag die Transportkapsel. Sie hatte sich verformt, sah aus wie ein Ball, dem ein Teil seiner Luft entwichen war. Risse zogen sich über ihre Oberfläche. Der zerstörerische Effekt fraß sich immer schneller in das Material. Ein Kanal der Verwüstung zog sich über die Ebene, wo die Kapsel über den Ring gerutscht war. Lariana wunderte sich, dass sie nicht auseinandergebrochen war.

    „Vorsicht!", rief Sam und warf sich auf den Boden, riss sie mit sich hinab.

    Lariana erhaschte einen kurzen Blick nach hinten. Die zerstörerischen violetten Energien schlugen in die Kapsel ein und verwandelten sie in Staub. Als nichts mehr von der Kapsel übrig war, fraßen sie sich wie Säure in den Rumpf der Raumstation. Bald war ein Krater entstanden, deren Ränder brodelten und schäumten. Violette Blitze zuckten über die glatte Oberfläche und sprengten goldene Stücke heraus. Die zerstörerische Energie senkte sich immer tiefer in das Synthmetall hinein. An den Rändern trübte sich die einst makellose Oberfläche ein und begann zu bröckeln.

    Sam richtete sich wieder auf und zerrte Lariana mit sich, aber es war zu spät. Der Krater wurde immer größer, während der Rand wie Treibsand absackte. Lariana trat plötzlich ins Leere und schrie überrascht auf, als sie durch die Oberfläche brach wie durch morsche Bretter. Sie fiel in die Eingeweide der sterbenden Station hinab, vorbei an zerbröckelnden Korridoren, deformierten Räumen und Lagerhallen. Immer mehr Trümmer und Staub begleiteten ihren Sturz, als sich die Station in ihre Bestandteile auflöste. Es war das reinste Chaos.

    Eine Ebene beendete jäh ihren Sturz, die offenbar noch nicht von diesem merkwürden Zerfall betroffen war. Lariana kam hart auf. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihre Beine. Sie kauerte sich zusammen und legte schützend die Arme über ihren Helm. Ein Regen aus Schutt prasselte auf ihren Raumanzug. Das meiste Zeug war harmlos, aber manche Brocken bohrten sich schmerzhaft in ihren Rücken und ihre Seite. Konnten sie so scharfkantig sein, dass die Stücke das Material ihres Raumanzugs aufschlitzten? Lariana ächzte unter dem schmerzhaften Schlag eines besonders großen Brockens. Allmählich bedeckte sie ein Berg aus Schutt und der Raumanzug gab wieder Warnsignale von sich, die schnell wieder verstummten. Vermutlich war die Elektronik so sehr beschädigt, dass die Signale nichts zu bedeuten hatten. Noch konnte sie jedenfalls atmen und hatte nicht das Gefühl, dass die Luft dünn wurde.

    Endlich ließ der Regen aus Schutt und Staub nach. Vereinzelt rieselten noch kleine Stücke herab. Vorsichtig hob Lariana den Kopf. Ächzend stemmte sie sich hoch und blickte sich um. Es sah aus, als hätte ein Abrissbagger in der Lagerhalle gewütet. Der Boden war von Geröll übersät. Die Wände stachen wie anklagende Ruinen in den schwarzen Sternenhimmel. Sie befand sich am tiefsten Punkt eines Kraters, deren Wände aus den Resten bestand, die von den Räumen, Hallen und Korridoren übriggeblieben waren. Überstehende Fragmente lösten sich ab und zu und fielen in die Tiefe.

    Lariana nahm aus den Augenwinkeln eine Bewegung war. Etwas regte sich unter einem Trümmerberg und brachte ihn ins Rutschen. „Sam!"

    Ungeduldig wollte sie über die Brocken steigen, um so schnell wie möglich zu Sam zu kommen, aber der Schutt rutschte unter ihren Füßen weg und brachte sie aus dem Gleichgewicht. Lariana hielt inne und zwang sich, tief durchzuatmen. Wenn sie hinfiel, schlitzte eines der scharfkantigen Brocken womöglich ihren Raumanzug auf und bei dem Gepiepe war keineswegs klar, ob die Selbstreparatur noch funktionierte.

    „Sam! Hörst du mich? Geht es dir gut?"

    Wieder geriet der Trümmerhaufen in Bewegung. Eine Gestalt schälte sich daraus hervor. Mit schwerfälligen Bewegungen befreite sich Sam und blickte sich um. Statt auf ihre Frage zu antworten, sagte er nur: „Wir müssen unbedingt den Portalraum erreichen."

    Lariana runzelte die Stirn, schluckte ihren Ärger aber herunter. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. „Woher willst du wissen, dass er noch da ist und funktioniert?"

    Sam zuckte mit den Schultern. „Hast du eine bessere Idee?"

    Lariana blickte an sich herab. Ihr Raumanzug sah aus wie ein Flickenteppich aus Stoff und Reparaturschaum. Ihre Anzeigen blinkten rot. „Sam!"

    Die Dringlichkeit in ihrer Stimme ließ ihn aufhorchen.

    „Mein Sauerstoffvorrat reicht nur noch für ein paar Stunden. Ich habe zu viel Luft verloren."

    Sam fixierte das Synthmetall, auf dem Lariana stand. Es kräuselte sich schwach, mehr geschah nicht. „Verdammt, murmelte er, stolperte über den Schutt, der unter seinen nackten Füßen wegrutschte und ergriff Larianas Hand. „Komm!

    Sie kamen nur langsam voran. Überall versperrten ihnen Trümmerteile und abgeknickte Wände den Weg. Sam versuchte das Synthmetall dazu zu bewegen, sich vor ihnen zu öffnen, aber es gelang ihm nicht. Das Material zerfloss wie heißes Eisen und erstarrte zu bizarren Formen, die an Skulpturen eines modernen Künstlers erinnerten. Meistens geschah aber nicht einmal das, wenn Sam seine Hand wie beschwörend auf eine Wand richtete, die sich urplötzlich vor ihnen auftat und den Weg versperrte. Dann mussten sie wieder zurückgehen und einen anderen Weg suchen.

    „Wie lange reicht dein Sauerstoff noch?", fragte Sam nach einer Weile.

    Lariana hatte bisher bewusst vermieden, die Anzeigen zu checken. „Er reicht noch für eine knappe Stunde." Als hätte der Raumanzug ihre besorgten Worte gehört, wechselte die Sauerstoffanzeige auf Rot.

    „Wäre das Synthmetall nicht krank, könnte ich Sauerstoff und Wärme erzeugen, murmelte Sam, „aber so?

    „Was machen wir, wenn das Portal nicht mehr aktiv ist?", fragte Lariana.

    „Erstmal müssen wir dorthin kommen. Dann sehen wir weiter", erwiderte Sam, während er herabgefallene Synthmetallbrocken beiseite räumte, die einen Durchgang blockierten.

    Lariana hielt sich abseits, um ihren Anzug nicht an den scharfen Kanten zu beschädigen und noch mehr ihres schwindenden Sauerstoffvorrats zu verlieren. Endlich war der Durchgang groß genug, dass sie ihn passieren konnten.

    „Komm, es ist nicht mehr weit", sagte Sam, während er Lariana über den Berg aus Trümmern half. Es war gar nicht leicht, in dem sperrigen und verschlissenen Anzug, die vielen Hindernisse zu überwinden ohne ihn noch mehr zu beschädigen. Sie war mit ihren Kräften am Ende.

    Dann verschwand der Korridor vor ihnen einfach und sie standen vor einem Abgrund. Es war kein Krater, sondern es fehlte einfach ein Teil des gesamten Stationsrings. Es war, als hätte jemand ein ganzes Segment mit brachialer Gewalt herausgebrochen. Wie ein Gerippe konnte man die Korridore, Reste von Lagerhallen und Räumen sehen. In der Schwärze trieben unzählige Trümmerstücke unterschiedlicher Größe und Form.

    „Die Zerstörung breitet sich immer schneller aus. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Station auseinanderbricht."

    „Lass mich raten: Wir müssen da rüber", vermutete Lariana.

    Sam nickte und zeigte nach unten.

    „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?"

    „Wenn du eine bessere Idee hast, bin ich für alle Alternativen offen."

    Etwa einen Meter unterhalb ihrer Position ragte ein schmaler Träger aus der Wand, der wie durch ein Wunder die geheimnisvolle Auflösung des Stationsmaterials überstanden hatte. Er führte bis hinüber zu den Resten einer ehemals sehr großen Halle. Unter dem Träger gähnte ein dunkler Abgrund, in den vereinzelte Gerüstelemente und Gestänge hineinragten.

    „Das sieht nicht sehr Vertrauen erweckend aus. Lariana checkte ihren Luftvorrat. Ihr blieb noch etwa eine halbe Stunde. Dann überprüfte sie ihren Jetpack. Das Icon war rot. „Mein Jetpack funktioniert nicht mehr. Der Anzug ist inzwischen genauso tot wie die Station. Was ist mit deinen Kräften? Kannst du nicht irgendwas herbeizaubern, das uns hilft?

    Sam schüttelte nur den Kopf.

    Lariana seufzte und ergab sich in ihr Schicksal.

    „Ich gehe als Erster rüber und du folgst mir, wenn ich drüben bin", schlug Sam vor.

    „Also gut", stimmte Lariana mit zitternder Stimme zu.

    Vorsichtig ließ Sam sich auf den Träger hinab und schob einen Fuß vor den anderen. Das über den Abgrund ragende Stück trug sein Gewicht, ohne sofort nachzugeben oder zu zerbröseln. Langsam arbeitete er sich bis zur Mitte des Abgrunds vor, die Hände nach rechts und links ausgestreckt, um das Gleichgewicht auf dem vielleicht zehn Zentimeter breiten Träger zu halten. Dann endete der Träger ein gutes Stück, bevor Sam die gegenüberliegende Seite erreicht hatte. „Na toll, murmelte er. „Das hat mir gerade noch gefehlt.

    Mit einem beherzten Sprung erreichte Sam den Boden der maroden Halle. Als er aufkam, rieselte Staub von der Abbruchkante. Kleine Stücke lösten sich, aber die Fläche hielt. Sam drehte sich um und rief: „Jetzt du!"

    Lariana nahm einen tiefen Atemzug und ließ sich vorsichtig auf den Träger hinab. Sie spürte die Unebenheit durch das feste Anzugmaterial, als sie die Wand herunterrutschte. Hoffentlich wurde der Stoff nicht wieder durch eine scharfe Kante aufgeschlitzt. Vielleicht würde der Raumanzug auch diesen Riss schließen können, aber sie konnte sich einen weiteren Verlust von Sauerstoff nicht mehr leisten. Die Luft roch bereits verbraucht – oder bildete sie sich das nur ein?

    Endlich spürte sie die ebene Fläche unter ihren Fußsohlen. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen.

    Sam winkte ihr ermutigend zu. „Du schaffst das!"

    Lariana war sich nicht so sicher. Sie blickte nach unten und sah tief unter sich einige Gestänge wie Messerspitzen nach oben ragen. Wenn sie nun abstürzte und genau auf …

    „Nicht nach unten sehen! Schau zu mir!", rief Sam zwischen ihre panischen Gedanken.

    Lariana hob den Blick. Ihre Beine fühlten sich an wie Pudding, aber tapfer schob sie nun einen Fuß vor den anderen. Es fiel ihr nicht leicht, das Gleichgewicht in dem sperrigen und steifen Material ihres Raumanzugs zu halten. Sie hielt ihren Blick

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