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Perry Rhodan 149: Der Einsame der Tiefe (Silberband): 7. Band des Zyklus "Chronofossilien"
Perry Rhodan 149: Der Einsame der Tiefe (Silberband): 7. Band des Zyklus "Chronofossilien"
Perry Rhodan 149: Der Einsame der Tiefe (Silberband): 7. Band des Zyklus "Chronofossilien"
eBook572 Seiten7 Stunden

Perry Rhodan 149: Der Einsame der Tiefe (Silberband): 7. Band des Zyklus "Chronofossilien"

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Über dieses E-Book

Die Tiefe ist ein gigantisches Gebilde, das am "Rand des Universums" existiert und von dem die Menschen erst seit Kurzem wissen. Von dort ist vor Jahrmillionen der Frostrubin verschwunden, der offenbar einen Teil der Naturgesetze lenkt.
Dessen Rückkehr sollen der Arkonide Atlan und der Terraner Jen Salik vorbereiten. Scheitern sie, sind die Existenz der Menschheit und die gesamte Milchstraße aufs Äußerste bedroht. Unter anderem müssen die beiden Männer das Grauleben bezwingen, einen mächtigen Gegner, der sich unaufhaltsam in der Tiefe ausbreitet und bislang nie besiegt worden ist.
Als eine der letzten Bastionen erweist sich Kyberland. Das sogenannte Reich der Technotoren wird von einem undurchdringlichen energetischen Wall geschützt. Doch das Grauleben hat bereits einen der wichtigsten Verteidiger übernommen. Atlan und Jen Salik müssen sich auf einen waghalsigen Plan einlassen …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum5. März 2020
ISBN9783845331485
Perry Rhodan 149: Der Einsame der Tiefe (Silberband): 7. Band des Zyklus "Chronofossilien"

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    Buchvorschau

    Perry Rhodan 149 - H. G. Ewers

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    Nr. 149

    Der Einsame der Tiefe

    Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

    Cover

    Klappentext

    Kapitel 1-10

    1.

    2.

    3.

    4.

    5.

    6.

    7.

    8.

    9.

    10.

    Kapitel 11-20

    11.

    12.

    13.

    14.

    15.

    16.

    17.

    18.

    19.

    20.

    Kapitel 21-30

    21.

    22.

    23.

    24.

    25.

    26.

    27.

    28.

    29.

    30.

    Kapitel 31-40

    31.

    32.

    33.

    34.

    35.

    36.

    37.

    38.

    39.

    40.

    Kapitel 41-46

    41.

    42.

    43.

    44.

    45.

    46.

    Nachwort

    Zeittafel

    Impressum

    PERRY RHODAN – die Serie

    Die Tiefe ist ein gigantisches Gebilde, das am »Rand des Universums« existiert und von dem die Menschen erst seit Kurzem wissen. Von dort ist vor Jahrmillionen der Frostrubin verschwunden, der offenbar einen Teil der Naturgesetze lenkt.

    Dessen Rückkehr sollen der Arkonide Atlan und der Terraner Jen Salik vorbereiten. Scheitern sie, sind die Existenz der Menschheit und die gesamte Milchstraße aufs Äußerste bedroht. Unter an-derem müssen die beiden Männer das Grauleben bezwingen, einen mächtigen Gegner, der sich unaufhaltsam in der Tiefe ausbreitet und bislang nie besiegt worden ist.

    Als eine der letzten Bastionen erweist sich Kyberland. Das sogenannte Reich der Technotoren wird von einem undurchdringlichen energeti-schen Wall geschützt. Doch das Grauleben hat bereits einen der wichtigsten Verteidiger über-nommen. Atlan und Jen Salik müssen sich auf einen waghalsigen Plan einlassen ...

    1.

    Der Jascheme Caglamas Vlot flog zu seiner Schwerkraftfabrik. Er sah den oberirdischen Vitalenergiespeicher, in dem die Fremden unfreiwillig materialisieren würden, als Projektion auf der Innenseite seines Folienhelms. Eben hatte er eine Sperre in die Vitalenergieströme praktiziert. Im Tiefenland war einiges anders geworden, das glaubte er erkannt zu haben. Caglamas Vlot wollte seine Wissbegierde stillen. Wenigstens das, wenn er es schon nicht wagte, seine angestammte Heimat zu verlassen.

    Es war eine der Besonderheiten des Jaschemenreiches, dass die Vitalenergiespeicher nicht in Kavernen, sondern an der Oberfläche standen. Bei Bedarf zapften sie die Vitalströme außerhalb von Kyberland oder sogar das Potenzial des Vagendas selbst an und schleusten die benötigte Energiemenge herein. Das geschah automatisiert. Caglamas Vlot hatte diesen einen Speicher jedoch manipuliert.

    Er beachtete die Projektion kaum, weil er sich darauf verlassen konnte, dass alles in seinem Sinn reagierte. Wichtiger war für ihn, dass er sich auf die Fülle der unterschiedlichen Impulse konzentrierte, die Kyberland durchströmten, und vor allem auf seinen eigenen Kontrollbereich. Zufrieden stellte er fest, dass die Harmonie perfekt war.

    Vlot war stolz darauf, dass Kyberland von der Unordnung und den Unruhen freigehalten wurde, die sich seit Langem im Tiefenland ausbreiteten. Alles war die Schuld der pflichtvergessenen Raum-Zeit-Ingenieure. Die Jaschemen hingegen hatten ihre Kontrollbereiche im Griff und damit wenigstens die Lebensfunktionen des Tiefenlands. Praktisch waren sie Götter, denn ohne sie würde das Tiefenland nicht nur im Chaos versinken, es würde schlussendlich aufhören zu existieren.

    Das allein war aber nicht der Grund für Caglamas Vlots gewissenhafte Pflichterfüllung. Die anderen Tiefenvölker waren ihm gleichgültig – bis auf eine Ausnahme: die Grauen Lords und ihre schleichende Okkupation. Seit Jahrtausenden verfolgte Vlot diese Aktivitäten mit einer Mischung aus Ekel und Faszination.

    Er rührte zwar keinen Finger, um die Lords aufzuhalten, denn er fühlte sich erhaben über solche Dinge, dennoch hatte ihm sein Interesse an der Außenwelt bei den anderen Jaschemen Argwohn und Spott eingebracht. Vlot hatte sich deshalb immer mehr von ihnen abgesondert und war zum Eigenbrötler geworden.

    Bei seinen Beobachtungen der Außenwelt waren ihm vor Kurzem die seltsamen Aktivitäten von sechs Fremden aufgefallen. Sie hatten sich nicht wie Bewohner des Tiefenlands benommen und schienen in kein bekanntes Schema zu passen – vor allem hatten sie sich erfolgreich gegen Angriffe und Fallen behauptet, denen andere schnell zum Opfer gefallen wären.

    Das hatte Vlots Interesse geweckt und ihn zu dem Entschluss gebracht, diese Fremden in seinen Kontrollbereich zu holen und genau zu beobachten, wie sie sich verhielten.

    Der Jascheme ließ sich auf das in allen Schattierungen von Rottönen gehaltene Konglomerat seiner Schwerkraftfabrik absinken. Türme, Kuppeln, Dome, Brücken und sonstige Bauwerke waren zu einem gewaltigen Gemenge ineinander verschachtelt. Aus der Höhe wirkte die Fabrik verlassen, denn außerhalb der Gebäude waren nur wenige Kyberneten unterwegs. Innen pulsierte der Komplex vor Aktivität. Außerdem war permanent alles in Umwandlung begriffen, auch wenn die Veränderungen so langsam erfolgten, dass sie nicht sofort auffielen.

    Caglamas Vlot sank auf die 200 Meter durchmessende Blase aus Formenergie hinab, die sich im Mittelpunkt der Fabrik aufwölbte, zugleich kontrollierte er mental die zahllosen Funktionsimpulse.

    Unter ihm entstand eine Öffnung im Zenit der Energieblase. Vlot sank hindurch und schwebte in die mit technischen Gerätschaften vollgestopfte Zentrale.

    Interessiert musterte er in spiegelnden Flächen seine Aktivgestalt, die er wie so oft willkürlich gewählt hatte. Es war eine Mischkopie aus Elementen jener drei Fremden, die Vlot als besonders interessant eingestuft hatte. Sein KYRUN war äußerlich ebenfalls den Überlebenskombinationen dieser drei Wesen nachgebildet.

    Caglamas Vlot sah das Spiegelbild eines Muskelprotzes. Ein dreieinhalb Meter großer blauhäutiger Hominide mit enormer Schulterbreite und einem Kopf, dessen grob gehauenes Gesicht von einer goldfarbenen Haarmähne umweht wurde. Der ebenfalls blaue KYRUN barg in den Wülsten an Hals, Ärmeln, Unterschenkeln und Taille Überlebens- und Fortbewegungsaggregate sowie ein enormes Waffenarsenal.

    Die Sensokristalle in den Multibereichsaugen glitzerten vor Ärger, weil Vlot sich erinnerte, dass die Missgeburt ihn fast während seiner Manipulation an dem Speicher überrascht hatte. Immer versuchte diese Abfallkreatur, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Aber irgendwann würde sie begreifen, dass sie für ihn Luft war – und dann würde sie hoffentlich konsequent genug sein, sich aufzulösen.

    Der Ärger wühlte so tief in Vlot, dass er darüber die Ankunft der Fremden verpasste ...

    Atlan schnappte nach Luft, als er in einer Fülle goldfarbenen Lichts materialisierte und aus diesem Licht auf eine sanft hügelige Ebene katapultiert wurde. Ein irrsinnig bunter Himmel spannte sich über ihm.

    Für eine Weile war es ihm unmöglich, sich zu orientieren, weil sich alles um ihn herum drehte. Es dauerte vielleicht nur Sekunden, dennoch erschien es ihm viel zu lange, bis er seine Wahrnehmungen wieder sinnvoll verarbeiten konnte. Atlan sah sich in einem Meer gelber, roter und blauer Grashalme knien und auf ein eiförmiges, golden schimmerndes Riesengebilde starren, das etliche Hundert Meter hoch vor ihm aufragte.

    Ein Vitalenergiespeicher!, kommentierte der Extrasinn.

    Atlan zuckte unmerklich zusammen, weil ein wütender Aufschrei in seiner Nähe erklang: »Dieser Ort ist nie und nimmer das Vagenda!« Am rauchigen Klang der Stimme erkannte er Clio vom Purpurnen Wasser, die Spielzeugmacherin aus dem Volk der Chylinen. Das machte ihm bewusst, dass er keineswegs allein entstofflicht vom Speicher in Schatzen über die Vitalenergieströme zum Vagenda geschickt worden war.

    Atlan richtete sich vollends auf und sah sich nach den Gefährten um. Schräg hinter Clio erblickte er Jen Salik, und nur wenige Meter weiter Tengri Lethos-Terakdschan und dessen Orbiter, den jungen Abaker Bonsin. Domo Sokrat stand ein wenig abseits. Der Haluter kauerte sprungbereit auf Handlungs- und Laufarmen, verhielt sich jedoch abwartend ruhig.

    »Was hältst du davon, Sokratos?«, fragte Atlan seinen Orbiter und machte eine umfassende Geste.

    »Etwas hat uns aus dem Strom der Vitalenergie herausgefischt und hier ausgespuckt«, antwortete Sokrat grollend.

    »Und wo ist dieses ›hier‹?«, rief Jen Salik. »Das Vagenda ist es jedenfalls nicht, das war mir sofort klar.«

    »Es war auch unschwer zu erraten«, sagte eine arrogant klingende Stimme.

    Das war der Vitalenergiespeicher!, wisperte Atlans Extrasinn halb überrascht, halb spöttisch. Auch wenn er nicht sehr freundlich klang, kann er zweifellos sagen, wo ihr seid und wie ihr von hier zum Vagenda gelangt.

    Atlan legte den Kopf in den Nacken, um das Riesenei in seiner gesamten Höhe zu erfassen. Ihm gingen die vergangenen Monate im Tiefenland durch den Sinn. Der Fahrstuhl in die Tiefe, der Aufenthalt im Land Starsen, die vielen Abenteuer mit Jen Salik, sein Zusammentreffen mit Domo Sokrat, dem Haluter ...

    Bleib an der Realität, du Narr!, gellte die Stimme des Extrasinns. Du kannst im Augenblick keinen Erinnerungsschub gebrauchen.

    Atlan nickte stumm und wandte sich wieder dem Vitalenergiespeicher zu, in dem sie offenbar materialisiert und von dem sie sofort freigegeben worden waren.

    »Wo befinden wir uns hier?«, fragte er.

    »Da, wo hergelaufenes Pack nicht gern gesehen ist«, antwortete der Großspeicher.

    Atlan machte eine beschwichtigende Geste in Domo Sokrats Richtung. Das wütende Grollen tief in der Kehle des Haluters war nicht zu überhören.

    »Wie heißt dieser Ort?«, fragte er weiter.

    » ›Ort‹ ist gut«, spottete das Riesenei. »Dies ist Kyberland, das Reich der Jaschemen.«

    »Die Techniker der Tiefe ...«, flüsterte Jen Salik beeindruckt.

    Atlan schürzte die Lippen. Er und seine Gefährten hatten schon erfahren, dass die Jaschemen die Techniker der Tiefe waren. Von ihnen stammten unter anderem zahllose Konstruktionspläne, die sogenannten Blaupausen, in die DNS der Chylinen einprogrammiert, darunter solche für die Vitalenergiespeicher. Die Jaschemen mussten über eine bedeutende Macht verfügt haben – und vielleicht immer noch verfügen.

    Möglicherweise haben sie euren Transport unterbrochen!, meldete sich der Logiksektor.

    Atlan zog das in Erwägung. Ebenso, dass eine Sperrschaltung grundsätzlich verhinderte, dass jemand über die Vitalströme ins Vagenda gelangte.

    Ein Schrei erklang. Atlan fuhr herum. Er sah, dass Bonsin von einem Bein auf das andere hüpfte. Der Abaker stieß dabei immer neue spitze Schreie aus. Sein Anblick wirkte wegen der grotesken Gestalt und der schlackernden Schlappohren eher komisch als besorgniserregend. Atlan ließ sich davon aber nicht täuschen.

    Wegen der nackten Füße des Abakers und der spitz und stachelig aussehenden Grashalme lag die Vermutung nahe, dass Bonsin einfach nur unvorsichtig gewesen war. Ein Blick auf seine eigenen Füße verriet Atlan indes, dass die Wahrheit keineswegs so harmlos war. Die farbenprächtigen Halme bewegten sich zuckend und versuchten, ihn ebenfalls zu stechen. Es gelang ihnen nur deshalb nicht, weil die Fuß- und Wadenteile des TIRUNS, seines Tiefenschutzanzugs, nicht zu durchdringen waren.

    Bonsin verstummte, denn Lethos hatte ihn gepackt und hochgehoben. Blut klebte an den Fußsohlen des Jungen. Er starrte zornig auf den Boden.

    »Nein!«, rief Atlan scharf, weil er befürchtete, Bonsin könnte seine psionischen Fähigkeiten einsetzen.

    »Warum nicht?«, fragte der Abaker enttäuscht. »Das Gras hat angegriffen.«

    »Es ist kein echtes Gras«, wehrte Atlan ab. »Es sieht nicht einmal aus, als wäre es organisch. Solange wir nicht wissen, was es tatsächlich ist, sollten wir uns keinesfalls daran vergreifen.«

    »Atlan hat recht«, bestätigte Lethos-Terakdschan. »Wir müssen vorsichtig sein.«

    Der Hathor stutzte, blickte sich um und deutete mit dem ausgestreckten Arm in die Ferne. »Clio fliegt davon«, sagte er hastig.

    Die Spielzeugmacherin war schon gut einen halben Kilometer entfernt. Mit dem von ihr selbst erzeugten Flugaggregat auf dem Rücken näherte sie sich dicht über dem Boden einem kleinen Waldstück.

    »Was denkt sie sich dabei?«, fragte Jen Salik.

    »Keine Ahnung.« Lethos hob die Schultern. »Ich empfange nicht einen Gedankenfetzen von ihr.«

    »Da ist etwas faul«, grollte Domo Sokrat. Der Haluter schaltete sein Flugaggregat ein und jagte hinter Clio her.

    »Wir sollten den beiden folgen!«, drängte Jen Salik.

    »Warte noch!« Atlan sah sich aufmerksam um. Das Gras bewegte sich kaum mehr. Der Eindruck entstand, als wartete es auf eine bessere Gelegenheit für einen Angriff. Da die einzelnen Halme kaum intelligent sein konnten, musste ihr Verhalten von anderer Stelle aus gesteuert werden.

    Unter dem schreiend bunten Himmel erstreckte sich das Grasland in allen Richtungen bis zum Horizont. Es war sanft hügelig und wurde hier und da von kleinen Wäldern und Gehölzen unterbrochen. In einiger Entfernung mäanderte ein Fluss durch das Gelände. Nahe bei dem Wasserlauf erhob sich ein schwarz und hellblau gemusterter Schlackehaufen. Atlan sah zwar genauer hin, befasste sich aber nicht weiter damit.

    Jen Salik war wortlos gestartet und folgte dem Haluter und der Spielzeugmacherin, die soeben in das Wäldchen eindrang. Atlan fing einen fordernden Blick des Hathors auf und bejahte gedanklich dessen stumme Frage. Es war an der Zeit, den Gefährten zu folgen.

    Atlan und Lethos-Terakdschan starteten ebenfalls. Lethos hielt den jungen Abaker weiterhin fest. Die Kraftverstärkung seiner Kombination verhinderte, dass Bonsin ihm zur Last wurde.

    Der Wald wirkte eigenartig fremd, das war schon aus der Distanz deutlich. Die hoch aufragenden Nadelbäume waren in den unteren zwei Dritteln ohne Äste und weiteten sich dann zur Schirmform. Die Stämme und das spärliche Geäst schimmerten blutrot, die Nadeln hatten eine hellrosa metallische Färbung.

    Stirnrunzelnd musterte Atlan die Bereiche zwischen den Stämmen. Das Wäldchen bedeckte höchstens eine Fläche von 50 mal 30 Metern, und die Bäume standen durchschnittlich vier Meter auseinander. Clio konnte in diesem lichten Hain keinesfalls einfach untertauchen. Dennoch war die Spielzeugmacherin nicht mehr zu sehen.

    »Gib mir ein Ortungsbild der Chylinin!«, verlangte Atlan von seiner Anzugpositronik.

    »Clio befindet sich nicht im Erfassungsbereich!«, antwortete der Servo.

    »Sie scheint spurlos verschwunden zu sein«, sagte Lethos-Terakdschan gleichzeitig über Helmfunk.

    Der Haluter erreichte soeben den Waldrand. Atlan setzte zu einer Warnung an, verzichtete dann aber darauf. Wenn einer von ihnen am wenigsten gefährdet war, dann Domo Sokrat.

    »Den Haluter über die Ortung verfolgen!«, wies Atlan die Positronik an.

    Der dunkelhäutige vierarmige Koloss war deutlich zwischen den Bäumen zu sehen. Daran änderte sich auch nichts, als er auf der gegenüberliegenden Seite das Wäldchen verließ und nach einigen Hundert Metern umkehrte.

    Sekunden später drangen Atlan und Lethos-Terakdschan ebenfalls in den Wald ein. Jen Salik wartete bereits auf sie.

    »Negativ«, war das Erste, was der schmächtige Terraner sagte.

    »Clio ist hier eingeflogen, also muss sie hier irgendwo sein«, grollte Sokrat. »Ich werde sie finden, und wenn ich alle Bäume ausreißen müsste.«

    »Das wäre sinnlose Kraftvergeudung, Sokratos«, hielt Atlan dem Haluter entgegen.

    Lethos-Terakdschan stellte den Abaker wieder auf die Beine. »Clio scheint niemals wirklich in dieses Waldstück vorgedrungen zu sein«, stellte er fest. »Was wir zu sehen glaubten, war vermutlich nur eine Projektion.«

    Atlan blickte den Hathor überrascht an.

    »Ich kann weder Clios Gedanken noch die geringste emotionale Regung von ihr erfassen«, fuhr Lethos fort. »Und das ist nicht alles. Kurz bevor ich das Wäldchen erreichte, fing das Netzwerk meines Anzugs die schwache Strukturerschütterung eines Transmitters auf.« Er deutete zurück in Richtung des Vitalenergiespeichers. »Von dort. Ich musste erst darüber nachdenken, was das eine mit dem anderen zu tun haben könnte. Clio war womöglich nie hier zwischen den Bäumen. Das wurde uns vorgetäuscht, um von ihrer Entführung abzulenken.«

    »Eine Entführung?«, dröhnte der Haluter. »Clio müsste demnach schon irgendwo angekommen sein.«

    »Das ist sie!«, entfuhr es Bonsin, gleichzeitig verschwand er.

    »Er ist teleportiert«, sagte Salik. »Ich nehme an, er hat Clios Gedanken aufgefangen, den Ort angepeilt, an den sie verschleppt wurde ...«

    »... und hat unüberlegt gehandelt«, ergänzte Atlan.

    »Wo ist die Spielzeugmacherin?«, dröhnte Sokrat.

    »Ich weiß es nicht«, antwortete Lethos.

    »Also bleibt uns nichts weiter übrig, als den Transmitter zu suchen«, schlug Salik vor.

    Atlan nickte zustimmend.

    In dem Moment begann der Angriff ...

    2.

    Ein wahrer Hagelschauer prasselte gegen den TIRUN. Atlan erkannte schnell, dass nur die Bäume die Angreifer waren. Zu Tausenden schossen sie ihre hellroten »Kiefernnadeln« auf ihn und seine Gefährten ab. Mit einem Gedankenbefehl aktivierte er den Individualschirm – gerade noch rechtzeitig, denn jäh brach der Boden unter ihm ein. Atlan wurde gedankenschnell in die Tiefe gezogen, und über ihm schloss sich der Waldboden sofort wieder. Im Helmfunk hörte er Saliks Aufschrei.

    Notstart!, dachte Atlan.

    Die Flugaggregate in den Knöchelwülsten der Kombination reagierten prompt und rissen ihn gleich einer startenden Rakete empor. Weil der auf Körperkontur anliegende Schutzschirm alle Materie fernhielt, entstand für Atlan der Eindruck, als wühlte er sich durch lockeren Sand.

    Gleich darauf war er wieder frei. Wenige Meter neben ihm brach Jen Salik ebenfalls aus dem Untergrund hervor. Lethos-Terakdschan schwebte schon in der Luft. Nur Domo Sokrat war nicht zu sehen. Aber dort, wo der Haluter in die Tiefe gesogen worden war, wogte der Boden soeben Blasen werfend auf.

    »Brauchst du Hilfe, Sokratos?«, rief Atlan über Helmfunk. Ein wildes Grollen antwortete ihm; der Haluter schien vor Wut förmlich zu kochen.

    Vor verletztem Stolz!, korrigierte der Logiksektor.

    Atlan verstand die Bemerkung erst, als er sah, dass Lethos eine Art Wirbelfeld-Traktorstrahl einsetzte. Da war ein kegelförmiges Flimmern, das von einem kleinen Gerät an Lethos' Gürtel ausging und sich zum Boden hin weitete. Zweifellos ein Produkt porleytischer Technik, das der Hathor wie so vieles andere als Gedankenmuster aus dem Dom Kesdschan mitgenommen und aus der Formenergie der Starsenmauer memoriert hatte.

    Die aufgewühlte Bodenmaterie drehte sich kreiselnd und schraubte sich aufwärts, zugleich wuchs die Rotationsgeschwindigkeit an. Es dauerte nur Augenblicke, bis das hochgewirbelte Erdreich von der Zentrifugalkraft weggeschleudert wurde.

    Darunter kam Sokrat mit offenem Helm zum Vorschein. Sein Schutzschirm war nicht aktiviert. Deshalb hatte der Boden den Haluter trotz seiner gewaltigen Kräfte festhalten können, und das erklärte seinen verletzten Stolz.

    Atlan erkannte, was er schon vermutet hatte. Der Untergrund im Reich der Jaschemen hatte nichts, rein gar nichts mit Erdreich im ursprünglichen Sinn des Wortes zu tun. Alles setzte sich aus Myriaden von Mikromodulen zusammen, die sich koordiniert bewegen konnten, als gehorchten sie einem einzigen Willen.

    Der Haluter hatte das bislang nicht bemerkt. In seinem Zorn war ihm offenbar gar nicht in den Sinn gekommen, sein Planhirn zu bemühen. Das tat er erst, als Lethos den Wirbelfeld-Traktorstrahl abschaltete.

    »Kybernetischer Dreck!«, grollte Sokrat verächtlich und spie Tausende von Mikromodulen aus. Weit mehr davon hauchten im Mahlen seines Raubtiergebisses ihr robotisches Pseudoleben aus. Sokrat schluckte den Modulschrott in seinen Konvertermagen.

    »Wir sollten zusehen, dass wir Land gewinnen«, entschied Atlan. Nachdenklich musterte er den bunten Dunst, der überall zwischen den Bäumen aufzog. »Wahrscheinlich war das eben nur ein Vorgeschmack dessen, was uns hier erwartet.«

    »Dann kämpfen wir, Atlanos!«, verkündete Sokrat mit der Lautstärke eines wütenden Elefantenbullen. »Wir wissen, womit wir es zu tun haben. Damit werden wir allemal fertig.«

    »Wir haben nicht vor, gegen Windmühlenflügel anzutreten.« Jen Salik verließ das Wäldchen als Erster. Lethos folgte ihm, und das veranlasste den Haluter, ebenfalls umzudrehen.

    Sokrat wurde deshalb nur von den Ausläufern der Trombe berührt, die sich beinahe schlagartig bildete, als die Dunstschleier jäh auf ein gemeinsames Zentrum zustürzten. Ein rotierendes schlauchförmiges Gebilde entstand, dessen Wucht alle im Weg stehenden Bäume zu Staub zerrieb. Der Schutzschirm des Haluters flammte auf. Domo Sokrat wurde geradezu zwischen Salik und Lethos hindurchkatapultiert, pflügte eine glühende Rinne ins Grasland und stieg danach unter der Wirkung seines Flugaggregats steil empor, bevor er sich wieder fing.

    Etwas wie eine Windhose aus Milliarden und Abermilliarden rotierender Mikromodule raste auf Atlan und Jen Salik zu und verdichtete sich dabei durch zahllose weitere Module, die sie aus dem Boden aufsog. Die beiden Angegriffenen holten mit einem Gedankenbefehl ihre Waffen aus den Handgelenkswülsten ihrer TIRUNS. Die an Pfeilspitzen erinnernden Systeme schwärmten blitzschnell aus. Ihre Kampfstrahlen ließen ein Heer von Mikromodulen verglühen oder desintegrierten sie.

    Die Trombe verlor den Kontakt zum Untergrund, geriet ins Schlingern und blähte sich dennoch weiter auf, bis sie nicht einmal mehr einen Lufthauch verursachte. Kraftlos wirbelten ihre Überreste herum und lagerten sich allmählich irgendwo ab.

    Und schon wurde die nächste Bedrohung erkennbar. Etwa 300 Meter entfernt standen und schwebten Tausende kybernetischer Gebilde unterschiedlichster Form und Größe.

    Lethos-Terakdschan hob Einhalt gebietend die rechte Hand. »Nicht planlos schießen!«, mahnte er. »Die Bezeichnung als Kyberland für das Reich der Jaschemen scheint mehr als nur zutreffend zu sein. Ich denke, die Reaktion der Module auf unser Eindringen ist der Immunreaktion eines biologischen Organismus auf Fremdeiweiß vergleichbar. Wir haben es vermutlich nicht mit einem zentral gelenkten Angriff zu tun, sondern mit einem Automatismus. Was leider bedeutet, dass die Attacken schlimmer und massiver werden, je heftiger wir uns zur Wehr setzen.«

    »Sollen wir gleich aufgeben?«, grollte Sokrat.

    »Das nicht«, antwortete Lethos. »Wir dürfen eben nur Rückzugsgefechte führen«.

    Caglamas Vlot lehnte sich an die Konturwand seines Standplatzes und legte die Arme an beiden Seiten auf die Polsterstützen. Er beobachtete in dem Holo vor ihm die Auseinandersetzung zwischen den vier Fremden und den Kybermodulen. Etwas störte ihn, doch es dauerte eine Weile, bis er wusste, was.

    »Es sind nur vier Fremde. Wo sind die beiden anderen geblieben?« Vlot wandte den Kopf und fixierte das Wesen, das auf seiner zur Faust geballten linken Hand saß. »Schekar, weißt du es?«, fragte er fordernd.

    Das Wesen spreizte nacheinander beide Krallenfüße und zog sie wieder zusammen, dann schüttelte es sein rotbraunes Federkleid und legte den Kopf schief. Es musterte den Jaschemen mit einem großen blauen Auge und antwortete krächzend: »Im Speicher sind sechs Fremde angekommen. Folglich befinden sich sechs im Kyberland.«

    »Rechnen kann ich selbst«, gab Vlot verärgert zurück. »Ich will wissen, wo die fehlenden Fremden sind! Auf der Ebene sehe ich nur vier von ihnen.«

    Er wandte den Kopf nach rechts. »Teschon!«

    Das Wesen auf seiner ebenfalls zur Faust geballten rechten Hand gehörte zum gleichen Typ wie Schekar, nur handelte es sich um ein anderes Modell. Sein Federkleid war tiefschwarz, die beiden Augen an den Kopfseiten glühten rubinrot. Es musterte den Jaschemen indigniert, legte den Kopf in den Nacken, öffnete den Krummschnabel und gab eine Art Fanfarenstoß von sich.

    »Auf der Ebene sehe ich auch nur vier Fremde«, krächzte Teschon. »Und das sind schon zwei zu viel. Sie strengen sich überhaupt nicht an und kämpfen nur lustlos.«

    Caglamas Vlot vergaß die beiden Eindringlinge, die er vermisste, und widmete sich dem Holobild. Die Kybermodule rückten von allen Seiten auf die Fremden zu, von denen drei sich in der äußeren Erscheinung weitgehend glichen. Der vierte musste einem völlig anderen Volk angehören.

    Kampfstrahlen zuckten hin und her. Die Fremden wurden wiederholt getroffen, hatten sich aber mit Schutzschirmen umgeben, die jede Waffenwirkung absorbierten. Anders sah es bei den Kybermodulen aus. Sobald sie getroffen wurden, verloren sie an Substanz oder fielen vollständig aus. Vlot störte sich nicht daran, denn Verluste waren einkalkuliert. Im Jaschemenreich gab es kybernetische Module im Überfluss. Ein Aderlass konnte nicht schaden; er würde sogar Raum schaffen für die Fertigung neuartiger Module, die stets hinausgezögert worden war.

    Die Verluste waren indes kaum nennenswert, und das lag an der Kampftaktik der Fremden. Statt eine Rundumverteidigung aufzubauen und gegen die ganze Front der angreifenden Module loszuschlagen, beschränkten sie ihre Abwehr auf einen Bereich. Vlot ahnte, dass sie dort durchbrechen wollten, um zu fliehen.

    »Das ist eine Beleidigung«, grollte er. »Ich schicke ihnen eine halbe Armee von Kybermodulen entgegen, damit ich turbulente Kämpfe beobachten kann – und sie wagen es, mir dieses Vergnügen vorzuenthalten.«

    »Es ist eine Schande«, krächzte Schekar.

    »Diese Kränkung kann nur mit Blut abgewaschen werden!«, schrie Teschon, heftig mit den Flügeln schlagend.

    »Ein Ei!«, verlangte Vlot grimmig.

    »Verwünscht sei das Ei, aus dem die Fremden gekrochen sind!«, krächzte Schekar.

    »Rede keinen Unsinn!«, fuhr der Jascheme das rotbraun gefiederte Wesen an. »Ein Ei! Los!«

    Mit Bewegungen, die verraten sollten, dass das Wesen sich gekränkt fühlte, stieg es von Vlots linker Hand und krallte sich an seinem Unterarm fest. Als die Hand sich danach öffnete, drehte Schekar sich um.

    »Na, also!« Vlot seufzte, während die eiförmige Multischalteinheit in seine Hand glitt. »Manchmal stellt ihr euch an, als hättet ihr vergessen, dass ihr nur Kyberneten seid.«

    »Wir sind nicht nur Kyberneten, Schöpfer«, wandte Teschon ein. »Wir sind vor allem deine Berater.«

    »Meine Diener seid ihr!«, wies Vlot das schwarz gefiederte Wesen zurecht. »Und nun verschwindet! Sucht die beiden fehlenden Fremden!«

    Er wartete, bis die Kyberneten mit schwerfälligen Flügelschlägen wegflogen, dann konzentrierte er sich auf die Multischalteinheit in seiner Hand – und fühlte sich Sekunden später in allen Kybermodulen auf der Ebene gleichzeitig ...

    Atlan bemerkte die Veränderung als Erster: Die Module rückten schneller vor, die Atmosphäre war bedrohlicher geworden. Er aktivierte eine weitere seiner Waffen, einen Intervallstrahler. Die intermittierenden Hyperfelder zertrümmerten ein bungalowgroßes Modul.

    Zwei andere Kybermodule feuerten mindestens 20 Miniraketen auf ihn ab. Er konnte einige von ihnen mit Desintegratorschüssen auflösen, weitere wurden von Jen Salik abgeschossen. Nur fünf Raketen trafen. Atlans Schutzschirm flackerte, hielt der Belastung aber stand.

    Gleich darauf schlugen Dutzende kleiner schwarzer Werfergranaten ringsum ein. Sie schienen Blindgänger zu sein, denn sie blieben reaktionslos im Gras liegen. Erst ein Warnsignal seines TIRUNS belehrte Atlan eines Besseren. Die Granaten erzeugten intermittierende Hyperfelder wie sein Intervallstrahler, wenngleich auf einer Frequenz, die keine Materie angriff, sondern dimensional übergeordnete Energie – in diesem Fall die Energie der von den TIRUNS aufgebauten Individualschutzschirme.

    »Weg hier!«, rief Atlan seinen Gefährten zu.

    Salik reagierte wie er und hob ab. Nur Domo Sokrat und Lethos-Terakdschan trafen keine Anstalten zur Flucht. Der Hathor hatte einige der von ihm memorierten Geräte zerlegt, um daraus andere Waffen mit zerstörerischer Wirkung zu kombinieren. Beide ließen sich in ihren Bemühungen nicht unterbrechen.

    Ohnehin schien Lethos' Schutzschirm energetisch besonders strukturiert zu sein, denn er wurde von den Hyperfeldern nicht angegriffen. Sokrats Schirm hingegen brach zusammen, gleichzeitig traf ein Impulsschuss den Haluter.

    Atlan feuerte auf das angreifende Kybermodul und zerstörte es. Erst danach sah er sich nach Sokrat um. Er atmete erleichtert auf, weil er seinen Orbiter schon gegen die nächsten Module anrennen sah. Domo Sokrat hatte die Zellstruktur seines Körpers gerade noch verhärten können, bevor er getroffen worden war – und wie stets hatten die Molekularwandler seines Kampfanzugs das elastische Material ebenfalls zur Härte von molekularverdichtetem Stahl verstärkt.

    Atlan konnte nicht weiter auf die Gefährten achten. Strahlschüsse und Raketengeschosse zwangen ihn zu schnellem Zickzackflug.

    »Weißt du, wohin Tengri verschwunden ist?«, erklang Saliks Stimme im Helmempfang.

    Atlan flog soeben ein Ausweichmanöver, verlängerte es zur Parabel, schoss einige Salven ab und hielt nach dem Hathor Ausschau. Die Stelle, an der er Lethos zuletzt gesehen hatte, war leer. Auch alle Geräte waren verschwunden. Die Frage war nur, ob der Hathor weitergeflogen war, sich unsichtbar gemacht hatte oder ...

    ... tot ist?, empfing Atlan einen mild-ironischen Gedanken.

    Tengri?, dachte er erfreut zurück. Du lebst!

    Der Hathor lachte leise, diesmal akustisch über Funk. »Selbstverständlich, mein Freund. Du selbst solltest vorsichtiger sein: Ein Jagdgleiter hat es auf dich abgesehen. Bleib unten, nicht aufsteigen! Ich erledige die Sache. Halte dich dicht an das große Modul, um das du eben herumkurvst! Ich melde mich wieder.«

    »In Ordnung.« Atlan schwenkte zu einer zweiten Umkreisung des häuserblockgroßen Kybermoduls ein, auf dessen Oberseite schwere Strahlgeschütze montiert waren – harmlos für jeden, der sich in ihrem toten Winkel hielt.

    Er blickte sich zugleich sehr aufmerksam nach dem Jagdgleiter um, den Lethos erwähnt hatte. Schon nach wenigen Sekunden entstand eine Ortungsprojektion im Helmdisplay: ein tropfenförmiges Modul mit dreieckigen Stummelflügeln.

    Die Ortung erfasste den Jagdgleiter nur deshalb, weil er mit Sextadimenergie förmlich vollgepumpt wurde. Das konnte nur Lethos' Werk sein. Obwohl der Hathor nirgendwo zu sehen war. Zweifellos hatte er sich mit seiner Montur unsichtbar gemacht.

    Der Kybernet des Jagdgleiters flog aberwitzige Manöver. Dennoch entkam er der Sextadimenergie nicht; das Modul blähte sich scheinbar auf und verblasste zu einem schnell dahinschwindenden Schemen.

    »Da bin ich wieder!«, rief Lethos-Terakdschan. »Ich musste bis fast zur Tiefenkonstante aufsteigen, um mehr erkennen zu können. Es gibt in etwa zwanzig Kilometern Entfernung einen ausgedehnten Gebäudekomplex. Nach seinen Emissionen zu urteilen, dient er der schalttechnischen Kontrolle von Gravitation. Eine vermutlich empfindliche Anlage. Ich glaube, dass wir in dem Bereich vor massiven Angriffen sicher sein dürften. Suchen wir also dort fürs Erste Zuflucht.«

    »Einverstanden«, bestätigte Jen Salik.

    »Ich auch«, sagte Atlan. »Welche Richtung?«

    Schräg links von ihm blähte sich am bunten Himmel eine schwarze Sonne auf und verblasste schnell wieder.

    3.

    »Warum starrst du mich so an?«, fragte die Gefangene. »Was ist an einer alten Frau Besonderes zu sehen? Interessieren dich meine welke Haut und mein schlaffer Mund?«

    »Red keinen Unsinn!«, entgegnete Jato-Jato. »Du bist wunderschön. Sonst hätte ich dich niemals entführt, denn wenn Er dahinterkommt, wird Er zornig.«

    »Er?«, echote die Gefangene. »Wer ist das?«

    »Der Schöpfer von allem, was du siehst – und mein Vater«, antwortete Jato-Jato dumpf, während der Blick seiner goldbraunen Augen bewundernd auf der Gefangenen ruhte. »Willst du mir nicht endlich sagen, womit ich dir eine Freude bereiten kann? Außer damit, dass ich dich zurückbringen soll.«

    »Meine Freunde werden mich suchen und finden, vor allem mein Ritter.« So etwas wie eine Zungenspitze glitt aus ihrem blutroten Mund und befeuchtete die Lippen. »Er wird außer sich sein über meine Entführung.«

    »Es tut mir leid, aber ich musste diesem inneren Zwang gehorchen und dich entführen«, sagte Jato-Jato. »Außerdem werde ich dich niemals zurückbringen, denn du bist zu schön, als dass ich dich einem anderen Wesen überlassen würde – nicht einmal deinem Ritter. Wer ist das eigentlich?«

    »Er heißt Jen Salik und ist ein Ritter der Tiefe. Und ich bin Clio vom Purpurnen Wasser.«

    »Clio ...«, wiederholte Jato-Jato bewundernd. »Ein wunderschöner, eingängiger Name. Sag mir außerdem: Was ist ein Ritter der Tiefe?«

    »Ein Beauftragter der Kosmokraten.«

    »Kosmokraten.« Jato-Jato klang nachdenklich. »Mir ist, als hätte ich dieses Wort schon gehört. Ich glaube, ein Technotor erwähnte es irgendwann.« Über sein hell- und dunkelbraun gestreiftes Fell lief ein Zittern. Überhaupt bebte der ganze massige Leib, der ihm im Vergleich mit dem Körper der Spielzeugmacherin plump und wenig ästhetisch erschien, eben nur ein vier Meter großes bärenähnliches Geschöpf.

    »Technotor?«, fragte die Gefangene.

    Jato-Jato achtete nicht darauf; er schien das Thema bereits vergessen zu haben. Seine großen Augen bewegten sich in dem ausdrucksvollen, fellbedeckten Gesicht und musterten die Marmorwände seiner Residenz. Wie die Decke waren sie mit Reliefs aus getriebenem Kupfer geschmückt. Auf dem bunten Mosaikboden lagen dicke Teppiche, und von der Decke hingen, als wären sie aus dem Marmor herausgewachsen, armlange und ebenso dicke Stäbe aus kalter, goldfarbener Energie. Sie erfüllten den Saal mit weicher Helligkeit.

    »Mein Ritter wird mich finden und dich bestrafen!«, sagte die Gefangene heftig.

    »Meine Residenz ist so gut abgesichert, dass keiner hierher finden wird, solange ich es nicht will«, versicherte Jato-Jato. »Vielleicht können wir uns auf einen Handel einigen, schließlich bist du eine Spielzeugmacherin.«

    »Was?«, fuhr die Gefangene auf. »Das weißt du?«

    »Selbstverständlich«, bestätigte Jato-Jato stolz. »Ich weiß, wie ihr Chylinen ausseht. Als ich zu dem Vitalenergiespeicher kam, der euch ausgestoßen hat, wusste ich sofort, dass du eine Spielzeugmacherin bist. Trotzdem hätte ich dich nicht entführt, wenn du nicht so wunderschön wärst.«

    »Deine Wiederholungen sind stereotyp«, stellte Clio ärgerlich fest. »Das beweist, dass du nicht ehrlich bist. Du schmeichelst mir, weil du etwas von mir haben willst.«

    »Nein, das stimmt nicht. Ich bewundere deine Schönheit ehrlich. Aber – es ist zugleich wahr, dass ich gern deine Dienste beanspruchen würde.«

    »Damit kommen wir der Sache schon näher«, meinte Clio. »Was kann ich für dich tun?«

    Jato-Jato erschauderte. »Du würdest tatsächlich für mich arbeiten?«, fragte er ungläubig.

    »Warum nicht? Ich habe schon für viele Leute gearbeitet, da kommt es auf eine Person mehr oder weniger nicht an.«

    »Ach, so ist das.« Jato-Jato klang mit einem Mal bedrückt. »Das mag ich nicht, Clio. Da verzichte ich lieber.«

    Die Spielzeugmacherin seufzte. »Sei nicht so empfindlich! Wie heißt du eigentlich?«

    »Jato-Jato.«

    »Jato-Jota«, wiederholte Clio.

    »Nein, Jato-Jato.«

    »Jato-Jota würde besser zu dir passen. Trotzdem richte ich mich natürlich nach deinem Wunsch. Also, was kann ich für dich tun?«

    »Wenn du es nicht gern tust, verzichte ich«, wiederholte Jato-Jato trotzig.

    »Ich tue es gern, bestimmt. Ich kann gar nicht anders, denn meine DNS ist so programmiert. Beschreibe mir den Gegenstand, den ich für dich herstellen soll!«

    »Mit Worten kann ich das nicht«, sagte Jato-Jato. »Akustisch ist es unmöglich. Ich kann dir jedoch ein Bild ins Bewusstsein projizieren, Clio.« Seine goldbraunen Augen leuchteten so grell auf, als wären hinter ihnen starke Scheinwerfer eingeschaltet worden.

    Die Spielzeugmacherin ächzte entsetzt, als ihr Entführer abrupt seinen Geist für sie öffnete. Was sie in dem Moment in sich sah, war so ungeheuer fremdartig, dass es sogar ihr abartig erschien. Und sie hatte schon mit vielen Tausend andersartigen Intelligenzen zu tun gehabt.

    Clio wollte sich gegen diesen fremden Geist sperren, doch er fiel brutal über sie her und bedrängte sie, bis sie endlich verstand, was er von ihr wollte. Sie war weiterhin entsetzt, aber mit dem Verstehen verflüchtigte sich diese Empfindung zusehends und machte Bewunderung Platz. Clio vom Purpurnen Wasser erkannte, dass sich ihr die einmalige Gelegenheit bot, das Werk ihres Lebens zu schaffen – und sie war zu schwach, dem zu widerstehen ...

    4.

    Atlan und seine Gefährten konnten die Silhouette des von Lethos-Terakdschan entdeckten Gebäudekomplexes bereits sehen – ein gigantisches Konglomerat der unterschiedlichsten Gebäude und Baustile, ausnahmslos in Rotschattierungen gehalten –, da explodierte der Himmel. Zumindest war das der erste Eindruck, den sie von der Erscheinung hatten.

    Tatsächlich wurden gegensätzlich gepolte Energiefelder unter die Himmelswölbung projiziert und verursachten Entladungen, gegen die jedes natürliche Unwetter verblasst wäre. Innerhalb von Sekunden brach Atlans Schutzschirm zusammen. Ihm blieb gerade noch Zeit für eine leidlich passable Notlandung, bevor sein TIRUN flugunfähig wurde. In seiner Nähe sackten auch Jen Salik, Domo Sokrat und Lethos-Terakdschan zu Boden. Der Hathor wurde zwar weiterhin von seinem auf Kontur geschalteten Schirm geschützt, der Antrieb seines Anzugs schien allerdings versagt zu haben.

    »Seht zu, dass ihr die Gebäude erreicht!« Lethos war kaum zu verstehen, da sogar der Funk erheblich beeinträchtigt wurde. »Ich decke euren Rückzug.«

    Alles andere verbot sich von selbst, denn die Kybermodule sammelten sich in der Ebene bereits zu einem neuen Angriff.

    »Beeilt euch!«, drängte Lethos.

    Jen Salik rannte los, Atlan folgte ihm. Schließlich lief auch der Haluter los.

    Etwas explodierte mit schmetterndem Krachen. Atlan wollte sich noch abfangen, da wurde es schon schwarz um ihn herum.

    Als er wieder zu sich kam, lag er lang ausgestreckt auf hartem, von rötlicher Glut bestreutem Boden. Über ihm schwebte der mächtige schwarze Schädel des Haluters und zwei der drei Stielaugen neigten sich ihm entgegen.

    »Warte hier, Atlanos!«, grollte Domo Sokrat. »Das Energiegewitter hat aufgehört. Jen liegt irgendwo in der Umgebung, ich muss ihn finden.«

    »Was war los?«

    »Ein Blitz ist neben dir eingeschlagen. Die Entladung hat dich weggeschleudert und dein Bewusstsein ausgeknipst.« Sokrat verschwand.

    Atlan setzte sich benommen auf. Die Mikrofone des TIRUNS fingen ein fernes Grollen und Rauschen auf. Ansonsten war es still. Der Himmel hatte wieder die schreiend bunte Färbung. Atlan öffnete den Folienhelm. Die Luft roch intensiv nach Rauch und Asche. Die rötliche Glut auf dem Boden bestand aus schwach nachglühender Schlacke. Die Entladungen hatten das bunte Gras offenbar restlos verbrannt.

    Achte auf das Rauschen!, mahnte der Logiksektor.

    Atlan horchte auf. Das Rauschen war lauter geworden, nur das Grummeln veränderte sich anscheinend nicht. Langsam richtete er sich auf und sah sich um. Woher das Rauschen kam, war nicht zu erkennen. Atlan stellte überrascht fest, dass die Kybermodule sich entfernt hatten; sie waren nur mehr als Schemen am Horizont auszumachen. Als er sich umwandte, sah er die Silhouette der weitläufigen Stadt – und das Gelände bis zu diesem gigantischen Gebäudekonglomerat war frei.

    Der Haluter kam zurück, eine schlaffe Gestalt mit den Handlungsarmen an sich gedrückt. Jen Salik war bewusstlos.

    »Hast du Tengri auch entdeckt?«, fragte Atlan.

    »Nein«, antwortete Sokrat. »Ich nehme an ...«

    Lethos-Terakdschan meldete sich in dem Moment über Helmfunk. »Das Land wird von flüssiger Formenergie geflutet!«, warnte er. »Rettet euch in die Stadt!«

    Daher kam das Rauschen, das hatte der Logiksektor also gemeint. Atlan wurde schlagartig bewusst, dass das Geräusch nahezu kontinuierlich lauter geworden war. Er sah sich erneut um und entdeckte mindestens einen Kilometer entfernt ein vages Glitzern und Flimmern. Erst bei genauerem Hinsehen entpuppte es sich als meterhoher und viele Kilometer langer sichelförmiger Streifen – die Frontwelle einer unaufhaltsam näher kommenden Flut.

    Atlan versuchte ungefähr abzuschätzen, wie schnell die Formenergie näher kam und ob sie überhaupt eine Chance hatten, die Stadt rechtzeitig zu erreichen.

    »Wir brauchen nur die Schutzanzüge zu schließen und die Formenergie über uns hinwegfließen zu lassen«, stellte Sokrat fest. »Vielleicht reißt sie uns mit, dann sind wir umso schneller am Ziel.«

    »Ich glaube kaum, dass die Formenergie ihren flüssigen Zustand beibehält, sobald sie uns unter sich begraben hat«, entgegnete Atlan. »Sie wird erstarren und uns konservieren – wie Insekten, die von zähem Baumharz eingeschlossen werden.«

    »Dann werde ich rennen und euch tragen.« Der Haluter blickte dem Glitzern entgegen, das höchstens noch 600 Meter entfernt war. Aus dem Rauschen war bereits ein donnerndes und grollendes Tosen geworden.

    Der Haluter konnte seine beiden Reiter bis dicht vor einen schwarzroten Turm tragen, dann brandete die Flut heran. Die schimmernde, funkelnde Woge ragte mittlerweile gut vier Meter hoch auf. Optisch ähnelte die Formenergie dünnflüssigem Quecksilber, ihre Oberfläche war glatt, ohne Wellen oder Gischt. Der Anblick wirkte absolut unnatürlich und deshalb weit bedrohlicher, als wenn es sich um Wasser gehandelt hätte.

    Mit einem kräftigen Satz sprang Domo Sokrat den Turm an. Er bekam in knapp zehn Metern Höhe die Kante einer Art Erker zu fassen. Unter ihm verhärtete sich die Woge zur Konsistenz von Stahlplastik und riss ein an die vier Meter hohes und sehr viel breiteres Wandstück weg. Dicht gepacktes elektronisches Innenleben, in dem zahllose Kurzschlüsse tobten, kam unter der Verkleidung zum Vorschein.

    »Nicht hinein!«, wehrte Atlan ab, weil der Haluter den Kopf zum Rammstoß gegen die Wand senkte. »Für Jen und mich wäre es tödlich. Du musst höher hinauf!«

    Offenbar wollte Sokrat widersprechen, doch wurde nur zorniges Grummeln daraus. Mit Händen und Füßen schlug er Trittlöcher in die Turmwandung und stieg höher, während die Formenergie mit tentakelartigen Ausläufern nach ihm griff. Er hielt Salik mit den Zähnen an seinem Gürtelwulst fest; Atlan klammerte sich an die Schulterkreuzgurte der halutischen Kampfkombination. Mit knapper Not entkamen sie den Ausläufern der Formenergie. Bis sie die obere Plattform erreichten, schwankte das Bauwerk jedoch schon bedenklich.

    Wer immer die Formenergie lenkt, hat einen Fehler gemacht, meldete sich Atlans Logiksektor. Er ließ sie nach euch greifen, anstatt mit wenigen wuchtigen Stößen den Turm umzureißen. Dadurch hat er die entscheidende Zeitspanne verspielt.

    Verspielt?, gab Atlan grübelnd zurück. Vielleicht

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