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Ein Yankee an Kaiser Wilhelms Hof: Pataphysique
Ein Yankee an Kaiser Wilhelms Hof: Pataphysique
Ein Yankee an Kaiser Wilhelms Hof: Pataphysique
eBook388 Seiten4 Stunden

Ein Yankee an Kaiser Wilhelms Hof: Pataphysique

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Über dieses E-Book

Anfang der 1890er-Jahre feiern in Berlin selbstbestimmte Frauen und homosexuelle Männer eine Sexparty im Jagdschloss Grunewald. Die Teilnehmerinnen stammen aus den höchsten Kreisen, unter anderem sind der Kaiser und seine Schwester dabei sowie der amerikanische Schriftsteller Mark Twain. Niemals hätte jemand davon erfahren. Doch als in anonymen Briefen Einzelheiten der Orgie verbreitet werden, wird als erstes Mark Twain verdächtigt. Es kommt zu einer Staatskrise und zu tödlichen Konsequenzen.

Der neue Roman von Kult-Autor Falko Hennig (Alles nur geklaut, Rikscha Blues) lässt das Kaiserreich des späten 19. Jahrhunderts mit den Augen Mark Twains entdecken. Eine Collage aus historischer Realität und frivolen Erfindungen, mit einschlägigen Schauplätzen, niederträchtigen Charakteren und einem Protagonisten, der dem Jahrhundertskandal am Hof auf den Grund geht...

„Ich empfehle alle Sätze des fabelhaften Schriftstellers Falko Hennig zu lesen, sobald man diese in die Finger bekommt. Weil: lohnt sich immer.“ (Kirsten Küppers, Die Zeit)

„Das so kundige wie gewitzte Buch erklärt sich eingangs als frei erfunden, aber wer sich in der Haut von Mark Twain als wahrhaft authentischer Berliner Zeitgenosse des Kaiserreiches empfinden möchte, sollte es von A bis Z lesen!“ (Horst Bredekamp)

„Staunend lesend fügen sich Krimi, Zeitung und Porno zusammen und man weiß: Es ist alles wahr. Wie eine Collage von Kempowski mit dem Humor von Loriot in einem Thriller von Ferdinand von Schirach, allerdings im Zeitgeist der 1890er Jahre aus der Sicht von Mark Twain.“ (Ralf Sotscheck, die tageszeitung)
SpracheDeutsch
HerausgeberOmnino Verlag
Erscheinungsdatum31. Aug. 2023
ISBN9783958942479
Ein Yankee an Kaiser Wilhelms Hof: Pataphysique
Autor

Falko Hennig

Falko Hennig wurde 1969 in Berlin Friedrichshain geboren und lebt am Alexanderplatz. Er war Schriftsetzer, Taxifahrer und Bauarbeiter, heute arbeitet er als Touristenführer, Vortragskünstler und Schriftsteller. Seit 1995 liest und singt er jeden Sonntag in der Reformbühne Heim & Welt.

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    Buchvorschau

    Ein Yankee an Kaiser Wilhelms Hof - Falko Hennig

    Dieser Roman ist völlig frei erfunden.

    Impressum

    Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    ISBN: 978-3-95894-247-9

    © Copyright: Omnino Verlag, Berlin / 2023

    Cover: www.shutterstock.com, 2179272047, Mei Zendra

    Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

    Inhalt

    Prolog

    Von Setzmaschinen und Ballons

    ERSTER TEIL

    Ankunft in der Stadt der Evangelen

    ZWEITER TEIL

    Das Interview

    DRITTER TEIL

    Ausgelassene Sülze

    VIERTER TEIL

    Fern von Madrid

    Literatur

    Prolog: Von Setzmaschinen und Ballons

    Manhattan war die Zeitungshauptstadt der Welt. Die Zeitungsjungs riefen die verschiedenen Blätter aus, Redaktionen, Druckereien, Newspaper Row, Times Square. Die Zeitungen waren überall und durch Mark Twains Körper floss Druckerschwärze anstatt Blut. Er liebte die Zeitungen, die Setzereien, die Überschriften, die Druckmaschinen, die großen und die kleinen Journale. Samuel Langhorn Clemens, aus den Zeitungen bekannt als Mark Twain, war bester Laune. Hier oder nirgends würde sich die Setzmaschine vermarkten lassen, in die er schon so viel Geld gesteckt hatte. Es war so viel Geld, dass einem schwindlig werden musste. Es war so viel Geld, dass er pleitegehen könnte.

    Twain war aus Hartford nach New York City gekommen, um den Millionär Gordon Bennett in der Redaktion des New York Herald in der Fulton Street zu treffen. Er überquerte die Straße zwischen Pferdebahnen und Kutschen.

    Fast 30 Jahre war es her, dass er Bennett kennengelernt hatte. Der war damals noch ein junger Mann und gab den Herald aus einem Keller in der Wall Street heraus. Jetzt war er Mitte 50 und Twain 60. Twain schien es aber eher, als hätten ihre Lebensalter sich angeglichen. Bennett hatte sein dünnes Haar über seine Glatze gekämmt, Twains Haar war zwar voll, dafür war Bennetts Schnurrbart prächtiger. Grau wie die Esel waren sie beide.

    „Gordon Bennett!, rief Twain, „long time no see!

    „Na, wie sieht es aus mit neuem Gossip at the National Capital?", begrüßte Bennett seinen alten Korrespondenten. Unter dem Titel Tratsch in der Hauptstadt waren Twains Klatschartikel aus Washington vor Jahrzehnten im Herald erschienen. Damals bei ihrem ersten Treffen hatte Twain unter der Bedingung zugesagt, dass er die völlige Freiheit hätte, darin zu beleidigen, wen er wollte, und zwar mit den fiesesten Gemeinheiten und Bennett hatte gesagt:

    „All right!"

    Twain war Bennett auch dafür dankbar, dass im Herald seine ersten Berichte von der Quaker City gedruckt wurden, die später zum Bestseller Die Arglosen im Ausland wurden. Zeit war Geld und Bennetts Zeit war besonders wertvoll, er fragte direkt:

    „Was führt dich zu mir?"

    „Ich möchte dir ein Geschäft vorschlagen, eine Beteiligung." Twain erklärte die Vorteile, die seine und Paines Setzmaschine gegenüber Ottmar Mergenthalers Linotype hatte. Die war ja nicht einmal eine Setzmaschine, sondern eine Gießmaschine:

    „Anstatt die Zeilen zu setzen, werden sie aus Blei gegossen und dann wieder eingeschmolzen! Das kostet unnötig Geld. Paines Prinzip ist wirkliches Setzen, das hat Zukunft und wird allen, die sich an der Entwicklung beteiligen, viel Geld einbringen. Du weißt, dass Mergenthaler mir die Hälfte seiner Gesellschaft angeboten hat im Tausch gegen die Hälfte unserer Firma mit der Setzmaschine von Paine?" Bennett zeigte keine Begeisterung:

    „Ich bin mein eigener Verleger, Redakteur, Anzeigenwerber und Vertriebsleiter, das war ich von Anfang an. Aber ich bin nicht der Setzer und nicht der Drucker. Du bist Setzer gewesen, oder?" Twain bestätigt es:

    „Nach der Schule habe ich beim Missouri Courier als Setzer angefangen, eigentlich für Kost, Logis und Kleidung. Die Kleidung, das sollten eigentlich zwei Anzüge im Jahr sein, aber einer der Anzüge hat es nicht geschafft, sich zu materialisieren und der andere ist nicht gekauft worden, so lange die Anzüge des Chefs noch nicht in Fetzen auseinanderfielen. Die hatte ich dann auszutragen. Ich war nur halb so groß wie er. In seinen Hemden hatte ich das unangenehme Gefühl, in einem Zirkuszelt zu leben. Die Hosen dagegen musste ich mir bis zu den Ohren ziehen, damit die Füße herausgucken konnten." Das Klappern einer Linotype war aus der Setzerei zu hören.

    „Sam, ich sage es dir ganz ehrlich, ich habe unsere Setzerei mit der Simplex-Linotype ausgestattet, sie funktioniert und bis zum nächsten Jahr wird keine Zeitung mehr mit Hand gesetzt werden. Alle werden sich Simplex-Linotypes zulegen. Es war ein spannendes Rennen, welche Setzmaschine gewinnen würde, noch vor zwei Jahren wäre ich eingestiegen und hätte mein Geld verloren. Jetzt ist das Rennen gelaufen, Mergenthaler hat gewonnen. Mir scheint, er hat eine Art Arbeitspferd erfunden, nicht schön und elegant, aber es funktioniert. Paige wird bis zum jüngsten Tag an seinem Wunder tüfteln, das zwar ein großes Kunstwerk ist, schneller als die Linotype und eleganter, aber niemals im harten Zeitungsgeschäft bestehen kann. Paiges Maschine ist wie ein arabisches Rennpferd, das beim ersten Schlag mit einem Vorschlaghammer zusammenbricht." Twain hatte so etwas in der Art befürchtet, mehr und mehr Druckereien hatten sich mit der Linotype ausgestattet und sie gossen in Bleiwolken Zeitungszeile um Zeitungszeile. Bennett schloss:

    „Du hättest Mergenthalers Angebot annehmen sollen, dann wärst du jetzt ein gemachter Mann." Twain wusste, dass weiteres Bitten und Drängen keinen Sinn hatte. Er verdrängte die Sorgen über die finanziellen Konsequenzen für sich, für seine Frau, die Töchter, für sein Haus in Hartford. Dass er eigentlich pleite war.

    Er fachsimpelte mit Bennett über die neuesten Maschinen: Setzmaschinen, Schreibmaschinen. Bennett mochte Twains Begeisterung, auch wenn seine Leidenschaft mehr Automobilen und Flugmaschinen galt:

    „Sam, wir leben in der spannendsten Zeit der Menschheit, was für einen gewaltigen Weg sind wir in den letzten Jahren gegangen! Die Eroberung der Arktis, der Luft. Sieh dir dieses Hochhaus an! Denk an den Keller damals in der Wall Street, unseren einzigen Redaktions- und Geschäftsraum!" Twain erinnerte sich genau:

    „Das war eng und dunkel, eine Art Dunkelzelle."

    „Genau. Da habe ich immer die auswärtigen Meldungen gebracht, von der weder die Sun noch der Transcript auch nur eine Zeile drucken konnten. Die Sun hatte sowieso keinen blassen Schimmer. Die großen Blätter der 6-Cent-Presse haben zwar die Nachrichten veröffentlicht, aber ihre Redakteure waren einer wie der andere stinkfaule, dumme, schlappe Angeber und Trottel, von denen keiner, was draus gemacht hat. Nur wir haben unseren Lesern diese Köstlichkeiten serviert. Nur der Herald hat gut aufgemacht und die Sachen lesbar abgefasst. Deshalb war ich von deinem Gossip auch so angetan. Willst du nicht wieder für den Herald schreiben?" Da sich die Hoffnung auf Hilfe für die Setzmaschine in Luft aufgelöst hat, musste Twain an sein Tagesgeschäft denken. Er zündete sich eine Zigarre an:

    „Grundsätzlich gern, was kannst du mir anbieten? Soll es wieder anonymer Klatsch sein? Diesmal aus Hartford?" Nichts lag Bennett ferner, warum sollte er einen der wegen seiner Berühmtheit teuersten Autoren engagieren, um ihn dann zu verheimlichen? Und warum sollte sich jemand dafür interessieren, was in Hartford passierte?

    „Klatsch aus Hartford klingt nach Milchsuppe für die Wall Street. Der Herald war schon so gut, als wir uns kennenlernten, weil wir ganz anders geschrieben und gelebt haben als die verbummelten Wall-Street-Redakteure. Die sind erst zwischen zehn und zwölf in ihre Redaktionen gekommen und haben sich dann einen Glimmstängel angezündet und die Schere genommen. Die haben nichts anderes gemacht, als auszuschneiden, zu paffen, zu paffen und wieder auszuschneiden, stundenlang!" Mark Twain paffte an seiner Zigarre und wusste, dass er damit seinen Marktwert im Moment nicht erhöhte.

    „Dann sind sie zu Deloniko essen gegangen, trinken, schlemmen und haben die friedlichen Bürger verhetzt. Wir dagegen sind um fünf aufgestanden und haben die Leitartikel, Glossen, Übersichten, alles schon vor dem Frühstück geschrieben." Twain brachte nicht zur Sprache, dass er am liebsten gar nicht aufstand, sondern den ganzen Tag im Bett lag, rauchte und dort schrieb. Bennett erklärte weiter seine vorbildliche Arbeitsmoral:

    „Von neun bis eins haben wir alle unsere Zeitungen gelesen, die Originalberichte unserer Leute, von denen wir viel mehr hatten, als irgendjemand sonst. Das war unser Nachrichtenmaterial. Wir haben unsere Gedanken, Einfälle, Anspielungen, Plots notiert, um sie in eigenen Kolumnen zu veröffentlichen. Dann haben wir Besucher, Geschäftsleute und die schönsten Frauen New Yorks empfangen. Die wollten alle abonnieren! Gott segne sie!" Ergriffen schaut Bennett aus dem Fenster, als würde er genau dort die schönen Frauen sehen:

    „Um eins war ich dann draußen, habe von den Bankiers und Nichtstuern von der Börse den Stand der Kurse und des Geldmarktes erfragt und bin dann zurück zum Redaktionsschluss. Erst um vier sind wir essen gegangen, bescheiden und mäßig. Dann haben wir Korrekturen gelesen, Außenstände eingeholt, Anzeigen gesammelt. Es wurden immer mehr. Spätestens um zehn waren wir in der Klappe. So macht man eine Zeitung mit Geist, Witz und Erfolg!" Twain widersprach nicht, Bennett erinnerte sich weiter:

    „Die Konkurrenz hat mich für vogelfrei erklärt. Sie haben meinen Keller in der Wall Street mehrfach gestürmt und verwüstet. Sie haben mich auf der Straße verprügelt. Genau das waren die besten Geschichten, die ich schreiben konnte." Twain stimmte zu:

    „Das war in Tennessee genauso. In die Redaktion ist mal durchs Fenster geschossen worden und der Redakteur schoss zurück!" Twain schien das eine gute Geschichte zu sein, aber Bennett ließ sich nicht darauf ein:

    „Da kommt mir plötzlich Watson Webb entgegen, mault irgendwas Unverständliches und stößt mich eine Ladentreppe hinunter und prügelt auf mich ein, dass ich gegen ein eisernes Gitter fliege. Ich habe ihm einige Zähne ausgeschlagen.

    Aber mich kann man nicht einschüchtern. Ich sage in meinem Blatt die Wahrheit. Alles Übrige lege ich in Gottes Hand. Man kann mich überfallen, mir die Bude stürmen, mich töten, mich ermorden. Aber ich gebe nicht nach! Ich weiche nicht vom Weg der Tugend, der Wahrheit und des Rechts." Twain war kein großer Freund von Frömmlerei und Heuchelei, aber es gab keinen Grund, Bennett das wissen zu lassen. Der erzählte weiter:

    „Danach ist die Auflage von 6000 auf 9000 gestiegen! Ich habe mit Mutterwitz das rauflustige Volk vom Hafenviertel genauso versorgt wie die Händler und Kommis. Ich habe damals keine Milchsuppe im Herald haben wollen und will sie auch heute nicht. Mit genau dem richtigen Schuss Religion habe ich die Frömmler und Sektengläubigen mit ihren Predigten an den Straßenecken bekommen."

    „Der Herald hat die Konkurrenz weggefegt."

    „Ich habe immer Nachrichten gemacht, das hat schon mein Vater getan, ich mache sie in diesem Augenblick. Darum geht es: Die Nachrichten selber machen!" Mark Twain begann vorsichtig, auf seinen ja letztlich nicht so geringen Marktwert hinzuweisen:

    „Ich habe auch viele Nachrichten erfunden, den versteinerten Mann, das Massaker bei Carson, Kannibalismus in der Eisenbahn. Ich habe niemals gezögert, für die Zeitung auf dem Papier eine Familie abzuschlachten, wenn die Öffentlichkeit etwas Unterhaltung zum Frühstück brauchte. Die beschauliche Redaktion des Enterprise in Virginia City war damals eine Produktionsstätte von grauenhaften Blutbädern, Verstümmelungen bis hin zu allgemeiner Vernichtung." Bennett war nicht schockiert:

    „So macht man es! Schon viel zu viele gute Zeitungsgeschichten sind durch Überprüfen ruiniert worden! Meine größten Erfolge waren immer die Nachrichten, die ich selber gemacht habe. Ich habe Henry Morton Stanley nach Afrika geschickt, um Livingstone zu finden. Ich selber habe die Quellen des Nils entdeckt. Ich habe die Franklin-Expedition organisiert und die leider etwas unglückliche Rettungsexpedition für Nordenskiöld."

    Twain verkniff sich ein Lächeln: Etwas unglücklich war gut gesagt. Nach dem Verlust des Schiffs waren 20 Expeditionsmitglieder verhungert. Doch es stimmte, Bennett produzierte seit vielen Jahren die Nachrichten selbst und die anderen Zeitungen mussten seinen Sensationsmeldungen abgeschlagen hinterherhecheln:

    „Das erste Polo-Turnier habe ich in dieses von Gott gesegnete Land gebracht. Nachrichten muss man machen, nicht darauf warten, dass sie einen zufällig erreichen! Dafür habe ich den Gordon Bennett Cup gestiftet als Anreiz für Segel-Wettrennen und den Gordon Bennett Cup für Automobilrennen. Und natürlich den Coupe Aéronautique Gordon Bennett, das größte Ballonrennen der Welt von St. Louis aus. Sam, ich will, dass du davon berichtest!"

    Mark Twain exklusiv für den New York Herald! Pommern aus Berlin in Missouri

    Der Wind soll angeblich über die großen Seen wehen! Es entfaltet sich in den letzten Tagen vor dem Rennen in St. Louis eine fieberhafte Tätigkeit, um die Ballonkörbe mit Korkplatten auszuschlagen, damit für den Fall, dass ein Ballon ins Wasser fällt, der Korb die Insassen und Instrumente schwimmend tragen kann. Sie sind außer mit Schwimmgürteln auch jeweils mit Axt und Säge versehen, damit die Aeronauten im Falle einer Landung im Urwald sich und den Ballon aus dem Dickicht heraushauen können.

    Am Abend vor dem Rennen versammelt das Komitee alle Beteiligten zu einem großen Festbankett im Hotel Jefferson, wo zwischen Blumen- und Luftballon-Dekorationen die besten Speisen und Getränke gereicht werden. Der Abenteurer Gordon Bennett ist der großzügige Erfinder, Organisator und Finanzier des wichtigsten Ballonrennens der Welt.

    In der Frühe finden sich die Ballonführer bei ihren Ballons ein, die auf dem großen Füllplatz am Forest Park in St. Louis ausgebreitet und mit großer Sorgfalt zusammengesetzt werden. Die Ballonriesen, die bald einen harten Konkurrenzkampf gegeneinander zu bestehen haben, liegen so friedlich nebeneinander, der deutsche neben dem französischen und der amerikanische neben dem englischen, als hätte sich der Traum des Weltfriedens nun endlich erfüllt.

    Um zehn Uhr beginnt die Füllung der Ballons, eine Stunde später sind sie halb gefüllt und das Gas kann wieder abgedreht werden. In der Mittagspause bis um zwei Uhr stellen die Luftschiffer den Proviant für die Reise fertig und stärken sich mit warmen Speisen.

    Ich habe die Ehre mit Oscar Erbslöh im Ballon Pommern aus Berlin mitfahren zu dürfen, denn fliegen wie die Vögel können wir Menschen nicht. Wir fahren oder schweben im Luftmeer. So wie Schiffe über die Meere, so fahren Ballone durch das Meer der Luft.

    Der Frühstückskorb für den Pommern wird mit Butterbroten, Eiern, Kotelette, etwas kaltem Geflügel, Brot, Wurst und Schokolade gefüllt. Zwei halbe Flaschen Burgunderwein sollen uns Aeronauten in der Nacht wärmen, für den Morgen hat Oscar Erbslöh, der bescheidene Mann aus Wuppertal, warmen Kaffee in Thermosflaschen und für den Tag kalten Tee und Cider.

    Ich selber habe mich mit ausreichend Zigarren bevorratet. Zwei Uhr wird die Füllung fortgesetzt und vollendet, neun Ballons stehen im prachtvollen Sonnenschein unter ganz klarem Himmel nebeneinander. Der Ballon Pommern unterscheidet sich durch seine kugelrunde Form und die zitronengelben Farben von den gelben bis dunkelbraunen mit ihren birnenförmigen Hüllen. Dieser wunderschöne Anblick wird noch durch die eleganten Damen auf der Tribüne verstärkt.

    Vier Uhr gibt die Sportkommission das Zeichen zur Abfahrt. Sieger wird derjenige, mit dem am weitesten von St. Louis entfernten Landungsplatz sein. Die Fahrt des Pommern beginnt, mit 41 Sack Ballast steige ich mit Erbslöh auf. Deutschland, Deutschland über Alles erklingt, Hurrarufe der Menge, „Glück ab!"

    Mark Twain exklusiv für den New York Herald!

    Nach abgewendeter Katastrophe Explosionsgefahr!

    Die geringe Übung meiner amerikanischen Landsleute beim Abwiegen führt um ein Haar zu einer Katastrophe, der Pommern kollidiert fast mit einem Schornstein der Gasanstalt und droht, in Telefondrähte zu kommen. Nur der Geistesgegenwart von Erbslöh, der viel Ballast abwirft, ist es zu verdanken, dass es zu keinem Unglück kommt. Pommern schlägt mehr östliche Richtung ein, als die anderen Ballons. Er steigt schneller, als die anderen und kommt über eine Dunstschicht, die anderen Ballons geraten uns außer Sicht, wir steigen mit unserem Ballon, bis er eine Windströmung von Westen findet.

    Auf 1500 Meter dreht er in die gewünschte Richtung. Von St. Louis aus fährt er einen Halbkreis nach Westen, aber über Alton nimmt er den richtigen Kurs. Um 17.30 Uhr geht die Sonne mit herrlichen Farben unter und ich biete Herrn Erbslöh eine Zigarre an. Seine Begeisterung hält sich eher in Grenzen:

    „Sie werden doch nicht ernsthaft im Korb eines mit Leuchtgas befüllten Ballons Zigarre rauchen?" Ich erwidere:

    „Sie werden mir doch nicht ernsthaft das Rauchen verbieten wollen?"

    „Ist Ihnen die Explosionsgefahr bekannt? Wissen Sie, dass der Ballon mit einem explosiven Gas gefüllt ist? Es ist vergleichbar mit einem Pulverfass."

    „Ich bin aus einer Reihe von Gründen sehr beruhigt. Ich habe mich intensiv mit dem Prinzip des Ballonfahrens befasst. Sie wissen bestimmt, dass unser Gas leichter als Luft ist, also beim Ablassen nicht zu uns und meiner brennenden Zigarre hinuntersinkt, sondern im Gegenteil nach oben aufsteigt in Sphären, in denen ich keinerlei Lust habe, Zigarre zu rauchen. Es besteht also nur dann die Gefahr einer Explosion, wenn ich nicht rauchen darf. Denn in diesem Fall explodiere ich mit völliger Sicherheit." Oscar Erbslöh macht auf mich keinen zufriedenen Eindruck:

    „Mir scheint eine menschliche Explosion durchaus weniger lebensgefährlich als eine durch Gas."

    „Sie wissen vielleicht, dass ich Reporter aus dem Wilden Westen bin und dass ich schon für einen sehr harmlosen und kurzen Bericht von einer Kleintiermesse in Carson City drei Menschen erschießen und zwei erschlagen musste. Wie viel würde ich wohl massakrieren für einen sehr langen Bericht vom wichtigsten Ballonrennen der Welt?" Die Logik und Feinheit dieser Gedankenführung überzeugt Herrn Erbslöh und vielleicht auch der Anblick meines Revolvers. Schließlich verspürt er als normalerweise starker Raucher eine gewisse Solidarität mit mir:

    „Für die deutsch-amerikanische Freundschaft und dafür, dass nicht noch mehr Menschen für Ihre freiheitlichen Ideale sterben müssen, erlaube ich Ihnen das Rauchen, aber nur unter einer Bedingung!"

    „Mit Freuden, um welche Bedingung handelt es sich?"

    „Dass ich Ihnen bei der Vernichtung des gefährlichen Zigarrenvorrats beistehen kann." Gern gebe ich dem wackeren Luftschiffer eine Zigarre und bei völliger Windstille steigen unsere Rauchwolken auf. Der Mond erhebt sich und erhellt die Landschaft unter uns mit seinem silbernen Licht. Nur im Korb eines Ballons kann man dieses Schauspiel genießen.

    Mark Twain exklusiv für den New York Herald! Landarbeiter und Hunde

    Neben dem Mondlicht hat Erbslöh nur ein starkes elektrisches Flutlicht mit zwei Packungen Batterien für jeweils zwölf Stunden zum genauen Studium der Karten. Leider sind die amerikanischen Karten viel schlechter als die in Deutschland, klagt er, so dass die Navigation sehr schwierig wird.

    Er berechnet seinen Kurs und hofft in der jetzigen Richtung nach Nordosten Massachusetts oder Connecticut zu erreichen. Er muss aufpassen, nicht von diesem Kurs abzukommen. Da wir nicht sicher sind, wo wir uns befinden, sinken wir und rufen dem Bauern zu:

    „Wie heißt die nächste Stadt?" Doch der geistesschwache Landarbeiter fragt nur zurück:

    „Woher kommt Ihr?" Auch den nächsten Bauern rufen wir an:

    „Guter Mann, wo sind wir?" Der Bauer schaut nach rechts und links, nach vorn und hinten, dann von unten nach oben und antwortet:

    „Ihr seid genau 3 ½ Meter über meinem Kartoffelfeld." Erbslöh nickt und sagt zu Mark:

    „Korrekte Antwort." Nur ein einziges Mal bekommen wir so etwas wie eine hilfreiche Auskunft auf die Frage, aber wir verstehen den Hinterwäldler nicht. Als wir nochmal fragen und der Hillbilly etwas ruft, sind wir schon zu weit entfernt und wir können ihn nicht mehr hören. Bis zu einer Höhe von 500 Metern funktioniert unser Rufen sehr gut, besonders wenn wir ein Megaphon benutzen. Nur die Antworten können wir nicht verstehen.

    Wir schweben über eintönige Gebiete mit einer Farm neben der anderen. Am Nachmittag erreichen wir eine Hügelkette und eine malerische Landschaft mit Städten, Dörfern, Flüssen und Wäldern. Eine besondere Attraktion ist die Pracht der Herbstfarben der Wälder, wie ein getüpfeltes Gemälde aus Korallenrot, Strohgelb, Rosenrot, Blond, Fuchsrot, Magenta, Rostrot, Zinnober, Orange, Pink und Rosa präsentiert sich uns die Landschaft.

    Als wir um 19 Uhr Pittsburgh überschweben, ist es bereits völlig dunkel. In der Dunkelheit leuchtet diese riesige Industriestadt wie ein gigantisches Lichtmeer unter uns, die Feuer der großen Schmelzöfen blenden unsere Augen. Der Lärm der Fabriken kontrastiert zu der Stille der Stunden zuvor. Wir werfen, wie über allen Städten, die Telegramme des New York Herald mit Zeit, Höhe und Namen ab, damit so schnell wie möglich bekannt wird, welche Strecke unser Ballon genommen hat.

    Durch Aufstieg auf 1500 und 2000 Meter gelangen wir auf einen günstigeren Kurs und der Ballon bewegt sich in Richtung Nordosten. Unsere Geschwindigkeit beträgt am ersten Tag 18 Meilen pro Stunde und beschleunigt sich nun auf 28 Meilen. Bis zur zweiten Nacht kostet es etwa zwölf Säcke Ballast. Ein solcher Aufstieg ist eine der schwierigsten Operationen bei einer langen Ballonfahrt. Dank des guten Gases und des riesigen Ballastvorrats gelingt es uns recht gut, den Ballon oben zu halten.

    Mark Twain exklusiv für den New York Herald! Landung

    In der Nacht überqueren wir das Alleghanygebirge bei Altoona über Hängen, Tälern und Schluchten im hellen Licht des Mondes. Der Ballon darf nicht zu tief sinken, sonst könnte ein Berg den Wind abschneiden. Beim Manövrieren driftet er nach Südosten ab. Wir befürchten, dass wir in dieser Richtung zur Küste von New Jersey abkommen und versuchen alles, um zumindest den Bundesstaat New York zu erreichen. Schlafen dürfen wir nicht mehr, denn jetzt geht es um jede Meile, die wir noch zurücklegen können. Den Anbruch der Nacht kündigen Hunde durch ununterbrochenes Bellen an.

    Am Morgen des dritten Tages breitet sich unter uns eine sanfte Landschaft aus. Es ist die Gegend von Philadelphia mit einem hübschen Landhaus neben dem anderen. Hier hören wir die typische Musik des Morgens, das Krähen von Tausenden von Hähnen über eine Stunde lang.

    Es herrscht noch dichter Nebel über Philadelphia, als wir uns der Stadt in sehr geringer Höhe nähern, nur die Schlote der Fabriken ragen aus den Schleiern. Grauer Rauch steigt aus den Schornsteinen auf und vermischt sich mit dem weißen Nebel. Langsam erwacht die große Stadt aus dem Schlaf, und ein Horn nach dem anderen kündigt den Beginn der Schichten in den Fabriken an, so dass es bald ohrenbetäubend laut wird.

    Im Osten geht die Sonne mit einem unirdischen Funkeln auf. Die Wärme der Sonnenstrahlen müsste das Gas im Ballon aufheizen und ihn in größere Höhen steigen lassen. Aber als wir in den oberen Teil der Stadt kommen, muss Erbslöh doch wieder Ballast abwerfen, um eine Kollision mit der Spitze eines Kirchturms zu vermeiden.

    Wir wagen einen letzten Versuch, weiter nach Norden zu kommen und lassen den Ballon bis auf eine Höhe von 3200 Metern aufsteigen. Aber der Kurs ändert sich nur wenig nach Nordosten. Ungefähr zehn Meilen entfernt sehen wir den Atlantischen Ozean und ziehen das Ventil, in moderatem Sinkflug nähert sich unser Ballon Asbury Park.

    Herr Erbslöh versucht, einen geeigneten Landeplatz direkt am Ufer zu finden, aber weder er noch ich sehen einen. So beschließen wir, in der Innenstadt auf einem öffentlichen Platz zu landen. Aber eine Reihe von Stromleitungen versperrten uns den Weg, der Ballon verfängt sich darin. Durch Abwurf von Ballast gelingt es uns, den Korb zu befreien, er steigt wieder auf. Nach weiterem Ablassen des Gases landen wir sicher und unverletzt auf einer Kreuzung. Die Hülle fällt auf ein mit Büschen bewachsenes Feld.

    Mark Twain exklusiv für den New York Herald! Souvenirjäger und 10.000 Goldmark

    Als wir aus unserem kleinen Korb kriechen, der uns 40 Stunden lang beherbergt hat, ist bereits eine große Menschenmenge um uns geschart. Den Ballon zusammenzupacken ist erst möglich, nachdem Erbslöh und ich das Feld mit Seilen und der Hilfe von zwei Wachtmeistern abgeriegelt haben.

    Bei der Inspektion des Netzes stellen wir fest, dass ein Souvenirjäger einen Teil herausgeschnitten hat. Eine Fahne schenken wir einem deutschen Mitbürger, eine andere wird uns gestohlen.

    Eine Stunde brauchen wir, bis alles auf einen Expresswagen verladen ist. Wir werden durch einige liebenswürdige Herren in einer Kutsche zum nächsten Telegraphen-Büro gefahren, wo ich diese Zeilen an den Herald telegrafiere und Herr Erbslöh seine Telegramme aufgibt und durch eine amtliche Persönlichkeit die Landung bescheinigen lässt.

    Eine Gesellschaft von angesehen Bürgern der Stadt findet sich ein, sie lassen es sich nicht nehmen, uns zum Essen einzuladen. Der Bürgermeister von Asbury Park steigt auf den Tisch und heißt uns Luftschiffer in der Stadt willkommen.

    Um unseren Landungsplatz genau zu bezeichnen, fahren wir wieder dorthin und lassen durch Augenzeugen einen Holzpflock in die Erde rammen, auf dem wir Tag und Stunde der Landung bezeichnen.

    In New York erfährt Erbslöh, dass er mit einer Strecke von über 876 Meilen den Gordon-Bennett-Pokal gewonnen haben. Neben der silbernen Trophäe zahlt der großzügige und hochherzige Gordon Bennett ihm als Gewinner 10.000 Goldmark in bar und weitere 8.000 Goldmark aus den Eintrittsgeldern aus.

    Da der folgende Cup immer im Land des Siegers stattfindet, wird der nächste Coupe Aéronautique Gordon Bennett, das größte Ballonrennen der Welt in Berlin starten.

    ERSTER TEIL

    Ankunft in der Stadt der Evangelen

    Verglichen mit den Zügen in Amerika waren die in Deutschland erstaunlich langsam. Die Familie Clemens saß im Abteil Erster Klasse, keine 100 Meilen waren es mehr bis Berlin. Mark Twain las weiter im Berliner Lokal-Anzeiger und versuchte seiner Frau Livy den Artikel zu übersetzen:

    Der Deutsche Vegetarier-Bund hält derzeit in Berlin seinen 1. ordentlichen Bundestag ab. Er wird in Kürze sein eigenes Bundesorgans, die „Vegetarische Warte" herausgeben. Abgeschlossen wurde der Bundestag mit einem Festmahl folgender Speisen: Kraftbrühe mit Semmelflocken, Pilzragout mit Reis, Blumenkohl mit Petersilienkartoffeln, Linsenbratklößchen, Hirse-Milchpfanne, Apfelsinen- und Schokoladenspeise, Polentaflammerie, Apfelmus, Aprikosen, Birnen, Kartoffel- und grüner Salat, Pumpernickel und Käse, frisches Obst.

    „Sam, I only understand train station." Mark

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