Runder Kopf: Arno Widmann zum 70. Geburtstag
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Buchvorschau
Runder Kopf - Edition fotoTAPETA
ROSTEK
CHRISTIANE PEITZ
Meine Journalistenschule
Das erste, was ich von Arno zu hören bekam, war sein schallendes Lachen. Es muss im Frühsommer 1984 gewesen sein, ich war zum Vorstellungsgespräch in die taz gekommen, eine große Runde fragte mich aus. Sie suchten jemanden für die Kulturredaktion, ich hatte keine Ahnung vom Zeitungmachen, aber dass ich Noten lesen konnte, freiwillig in klassische Konzerte ging und trotzdem einen Kinderladen im besetzten Haus mitgegründet hatte, gefiel den künftigen Kollegen. Sie hielten es wohl für eine gute Kombi von linker Gesinnung und Hochkultur. Arno lachte so laut (er hat auch ein spezielles Lächeln in seinem Repertoire, siehe den Beitrag von Christian Bommarius), weil ich den Einheitslohn beeindruckend fand. 1.200 Mark plus 400 Mark Kindergeld, so viel hatte ich noch nie verdient, der geringe Betrag erschien mir wie eine fürstliche Summe.
Geld ist relativ – und immer ungerecht: Diese erste Lektion vom Kollegen Widmann galt den Regeln des Kapitalismus. Für die Texte auf seinen taz-Magazin-Seiten zahlte er nichts oder höchstens die Hälfte des ohnehin lächerlichen Zeilenhonorars. Weil, so sagte er, seine Autorinnen und Autoren es nicht nötig haben, als Professoren, Schriftsteller, Wissenschaftler verdienen sie schon genug. Als Arno Anfang der Neunziger von der taz zur Vogue ging, verzehnfachte sich sein Gehalt von einem Tag auf den anderen. Seinen Lebensstil änderte er nicht.
Eines Tages sagte Arno zu mir: Weißt du, warum du ganz gut über Filme schreiben kannst? Weil du keine Ahnung davon hast. Ich war tief gekränkt, er meinte es nicht ironisch. Arno schickte einen gern mal in die Schule der Grausamkeit – als ich bei der taz aufhörte, schenkte er mir Balzacs Verlorene Illusionen. Erst Jahre später verstand ich die Wahrheit, die in seiner drastischen Bemerkung steckte: dass Journalismus nicht in erster Linie Expertentum und Bescheidwissen bedeutet, sondern Neugier und Begriffsstutzigkeit. Arno, ausgerechnet Arno mit seinem unfassbaren Wissen der Welt- und Kulturgeschichte, hat mich gelehrt, den Weltbildern zu misstrauen: Wissen kann blind machen, Wissenwollen öffnet die Augen.
Arno ist der Idealfall eines Journalisten: einer, der immer noch mehr wissen will. Seine Lust auf die Welt und die Menschen ist immer unbändig gewesen, bis heute. Und seine Bescheidenheit, mit der er so manchen Wichtigheimer vom Sockel holte. Journalismus, betonte er gerne, bedeute nichts anderes, als hingehen und den anderen erzählen, wie es war. Egal, ob es sich um eine Parlamentssitzung, eine Opernpremiere oder den Mauerfall handelt. Als die Mauer fiel, saß Arno jeden Tag im Café Adler am Checkpoint Charlie und schaute zu, wie die Mauerspechte sie nach und nach zum Verschwinden brachten. Und öfter meinte er: Ist es nicht toll?! Wenn wir Lust haben, einen berühmten Menschen zu treffen oder jemanden, dessen Werk wir verehren, können wir das einfach tun. Wir brauchen nur ein Interview anfragen. Klappt nicht immer, aber oft.
Arno ist meine Journalistenschule gewesen. Sieben Jahre arbeiteten wir in einer Redaktion, ich war mit zwei, drei Kollegen für die Kulturseiten zuständig, er für seine Magazin-Seite. Er verantwortete sie allein (wenn er alle paar Jahre für ein, zwei Wochen in Urlaub fuhr, hinterließ er mengenweise druckfertige Texte), er wollte unabhängig sein, für Hierarchien taugte er nicht. Wir holten tatsächlich die Hochkultur ins Blatt. Neben der Literatur gab es nun auch Ausstellungskritiken und Berichte über Opern- und Theaterpremieren, nachdem Arno mit Frank Berberich ein paar Jahre vorher Originaltexte von Pierre Boulez und Patrice Chéreau über deren Bayreuther Jahrhundert-„Ring" in der taz veröffentlicht hatten – obwohl der taz der Zugang zu Bayreuth damals verwehrt wurde. Gemeinsam bauten wir die Film- und Berlinale-Berichterstattung auf; die taz war die erste deutsche Zeitung, die ein Filmfestival mit mehrseitiger täglicher Berichterstattung begleitete und bald auch tägliche Kolumnen von den Festivals in Venedig und Cannes präsentierte. Aus Venedig berichtete Arno selbst, er tippte seine Berichte direkt in das dortige Telex-Gerät (nachdem er die Damen vom Pressezentrum becirct hatte). Manchmal tippten wir hin und her, kommunizierten per Fernschreiber in Echtzeit. Es war wie Mails schicken, Jahre, bevor das Internet erfunden wurde.
Ob Film, Literatur, Kunst, Theater, Auslandspolitik: Arno kann alle Genres und mengenweise Sprachen, ist belesen wie nichts. Noch einmal: Er ist der einzige Universalgelehrte, den ich je kennengelernt habe. Trotzdem gibt er einem nie das Gefühl, selber ungebildet zu sein. Im Gegenteil, in Arnos Gegenwart fühlt man sich klüger – und schreibt im Zweifel sogar besser. Keine Ahnung, wie er das anstellt.
Irgendwann gab es eine Layout-Reform in der taz. Wir radikalisierten die Textlängen auf den Kulturseiten, erstritten eine eigene Aufschlagseite mit einem großen, halbseitigen Foto und einem ebenso großen Text (oft mit Überlauf), daneben die kleine „Berichtigung als täglichen Beichtstuhl und Mini-Kolumne. Mein katholischer Beitrag zur deutschen Mediengeschichte, es war allerdings Arno, der die Witzelei in eine Format-Idee verwandelte. Hans-Jürgen Syberberg schrieb die Kolumne „Neues vom Berg
(die jedesmal länger wurde), wir holten großartige, damals weitgehend unbekannte Autorinnen wie Eleonore Büning oder Verena Lueken ins Blatt, Elke Schmitter war kurzzeitig Theater-Redakteurin, als Gabriele Goettle vom radikal-feministischen Magazin Die schwarze Botin sich auf eine Stelle bewarb, hatte Arno die Idee, sie lieber als Autorin anzuheuern und sie einmal im Monat um einen längeren Text zu bitten. Bis heute schreibt Goettle in der taz ihre Reportagen, die in der deutschen Medienlandschaft einzigartig sind (und mit der Zeit auch immer länger wurden). Gemeinsam mit ihr und dem Kultur-Kollegen Mathias Bröckers organisierte Arno 1987 die Schriftsteller-taz