Schlangensommer
Von Dorte Roholte
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Buchvorschau
Schlangensommer - Dorte Roholte
Dorte Roholte
Schlangensommer
Übersetzt von Rebecca Jakobi
Saga Kids
Schlangensommer
Übersetzt von Rebecca Jakobi
Titel der Originalausgabe: Slangesommer
Originalsprache: Dänisch
Copyright © 2023 Dorte Roholte und SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788728259849
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung des Verlags gestattet.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Die Schmetterlingsreihe richtet sich an Mädchen zwischen neun und vierzehn Jahren. Da diese Zielgruppe recht weit gefasst ist, werden die Titel in zwei Gruppen eingeteilt. Ein Schmetterling zeigt, dass sich das Buch an den jüngeren Teil der Zielgruppe (9-11 Jahre) richtet, Bücher mit zwei Schmetterlingen richten sich an den älteren Teil (12-14 Jahre). Die Geschichten für die Reihe wurden sorgfältig nach Qualität ausgewählt; Thema, Sprache und Gefühle sind auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten.
1. Kapitel
Die Kobra hatte sich aufgestellt.
Mit gespreiztem Nackenschild fixierte sie den blonden Jungen mit ihren schwarzen, perlenartigen Augen. Wenn sie sich bedroht, gestört oder genervt fühlte, so wie jetzt, nahm ihr Kopf durch den Schild beinahe die Größe der Hand eines erwachsenen Mannes an.
Es war ein furchteinflößender Anblick.
Der Junge war wie zu Stein erstarrt. Wie hypnotisiert erwiderte er den Blick der Kobra.
Dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Mit einem Finger tippte er gegen die dicke Glasscheibe des Terrariums, und die Schlange reagierte im Bruchteil einer Sekunde. Der Kopf schoss nach vorne und schlug laut gegen das Glas, sodass der Junge einen schrillen Schrei ausstieß und zurücktaumelte.
»Bertram! Was ist los?«, rief eine Frau, die seine Mutter sein musste.
Sie stürzte herbei, gerade als Terne ihr Handy hinter dem Kassenschalter ablegte. Sie hatte den Jungen im Auge behalten und gewusst, was passieren würde.
»Äh, er hat gegen die Scheibe geklopft. Das provoziert die Schlangen«, sagte sie und nickte zu einem Schild, auf dem stand: Berühren der Glasscheiben verboten!
»Hast du dich erschreckt, mein kleiner Schatz?«, kam es von der Frau.
Sie war in die Hocke gegangen und nahm den Jungen in die Arme, während sie ihm tröstende Worte ins Ohr flüsterte. Nun tauchte auch der Vater auf. Er hielt ein etwas größeres Mädchen an der Hand.
»Sag mal, ist das Glas denn überhaupt sicher genug?«, fragte er und sah Terne anklagend an.
Sie nickte lächelnd, obwohl sie dachte, die beiden sollten lieber ihre Kinder besser im Blick behalten. Doch ihr Vater schärfte Terne und ihrem großen Bruder Bjørn oft ein, dass sie den Besuchern des Terrariums um Himmels willen freundlich und zuvorkommend begegnen sollten.
»Ja, vollkommen bruchsicher«, erklärte sie. »Da kann nichts passieren. Mein Vater hat alle Genehmigungen von den Behörden und so weiter.«
Der Mann schaute sie an. »Dein Vater? Dann ist das also nicht nur ein Ferienjob für dich? Siehst auch nicht gerade so aus, als wärst du schon alt genug zum Arbeiten.«
»Ich bin dreizehn«, antwortete Terne. »Und doch, das hier ist mein Ferienjob.«
Das war die Wahrheit, denn sie bekam Geld für ihre Arbeit. Zwar nur fünfundzwanzig Kronen die Stunde, aber das war besser als nichts.
Sie öffnete die kleine Klappe am Schrank neben dem Schalter, nahm die Dose mit den Lutschern heraus und ging damit zu dem Jungen und seiner Schwester, um ihnen einen anzubieten. Auch dazu war sie angewiesen worden, sollten Kinder Angst vor den Schlangen bekommen. Das kam relativ oft vor.
Terne lächelte, obwohl die Kobra ihrer Meinung nach mehr Mitleid verdient hatte als der blonde Junge.
»Wollt ihr einen? In einer Viertelstunde gebe ich der Schlange Futter, falls ihr Lust habt, dabei zuzuschauen?«
»Du gibst der Schlange Futter?«, fragte das Mädchen, das sich den Lutscher schon in den Mund gestopft hatte.
»Ja«, nickte Terne. »Zweimal die Woche bekommt sie eine Maus, und die verschlingt sie an einem Stück.«
»Lebendige Mäuse oder was?«
»Nein, eine tote Maus. Mein Vater … naja, er hat sie heute Morgen vorbereitet.«
Die tote Maus wartete im Kühlfach.
»Warum stinken Schlangen so?«, wollte das Mädchen wissen.
»Das sind nicht die Schlangen«, erklärte Terne. »Das ist ihr Futter, also die Mäuse und Ratten.«
»Fasst du die Schlangen auch an?«
»Mhm, die fühlen sich toll an. Manche glauben ja, dass Schlangen schleimig und kalt sind, aber das stimmt überhaupt nicht, sie sind ganz warm und glatt. Wenn ihr am Wochenende nochmal herkommt, wenn mein Vater hier ist, dürft ihr auch mal eine Schlange anfassen.«
»Okay«, nickte der Mann und schaute auf sein Handy. »Wir bleiben noch eine Weile und schauen zu, wie du die Schlange fütterst. Wir machen Urlaub in einem Ferienhaus ganz in der Nähe … wir haben da übrigens so ein Schild gesehen, irgendwas mit Minigolf. Fårup Fjord Minigolf, stand da. Gehört das auch euch? Ich meine nur, weil das Terrarium ja auch Fårup Fjord heißt.«
Terne schüttelte den Kopf und sah das Schild lebhaft vor sich. Insgesamt gab es drei Wegweiser, die zum Minigolfplatz führten. Auf einem davon hatte jemand das r mit einem schwarzen q übersprüht, sodass dort nun Fåqup stand. In der Schule in Holsted wurde die Gegend von allen nur Fuck-up-Fjord genannt.
»Nein. Mit dem Minigolfplatz haben wir nichts zu tun«, antwortete sie. »Das Ferienhausgebiet heißt so. Der Platz wurde erst vor wenigen Monaten eröffnet, aber mein Vater hat das Terrarium schon seit ein paar Jahren.«
Die Familie machte sich nun auf den Weg zu den drei Anakondaterrarien im hinteren Teil des Gebäudes, und Terne setzte sich wieder an die Kasse. Sie legte die Füße auf die Theke und griff erneut nach ihrem Handy, während sie über die Kobra nur den Kopf schütteln konnte. Die hatte den Nackenschild wieder zusammengefaltet, den Kopf aber immer noch aufgestellt.
»Børge, du Wahnsinniger«, murmelte sie mit leiser Stimme.
Børge war zehn Jahre alt und die erste Schlange, die Ternes Vater sich gekauft hatte. Recht zügig hatte er weitere angeschafft, und wo andere Kinder mit Hunden, Katzen oder Pferden aufwuchsen, waren Terne und Bjørn mit Schlangen aufgewachsen. Vor drei Jahren hatte ihr Vater, Ulf, damit angefangen, das kleine Nebengebäude ihres alten Hofes zu einem Terrarium umzubauen, und vor zwei Jahren hatte er die Erlaubnis erteilt bekommen, es für Besucher zu öffnen. Es war sein großer Traum, eines Tages davon leben zu können und das Terrarium vielleicht um Schildkröten und Krokodile zu erweitern, aber bis auf Weiteres deckten die Einnahmen laut Ternes Mutter Vibe kaum die Ausgaben, weshalb Ulf nach wie vor in der Wäscherei in Holsted arbeitete.
Ternes Handy war auf lautlos gestellt.
1 neue Nachricht, stand auf dem Display.
Sie öffnete die Nachricht. Sie war von Emma, ihrer langjährigen besten Freundin.
Was machst du?
Mich langweilen und auf die Schlangen aufpassen, schrieb Terne.
Kann ich heute Abend zu dir? Keinen Bock auf zu Hause, meine Mutter bekommt Besuch. Sie hat mir ‘nen Hunderter gegeben. Sollen wir mal die Minigolfbahn bei euch ausprobieren?
Ja, komm einfach, kannst mir auch helfen …
Terne wollte »Wursteintopf zu kochen« schreiben, denn sie hatte ihren Eltern versprochen, sich darum zu kümmern. Ihre Mutter arbeitete im Supermarkt in Holsted und kam erst um Viertel nach sieben nach Hause. Doch Terne kam nicht mehr dazu.
Sie war so von ihrem Handy eingenommen gewesen, dass sie gar nicht gehört hatte, dass jemand vollkommen lautlos durch die offenstehende Tür gekommen war. Und zwar der Junge, der nun direkt vor ihr stand und sie anglotzte.
Er hatte eine Schirmmütze tief über seine dunklen Haare gezogen, in einem seiner Ohrläppchen funkelte ein Stein.
Terne zuckte so heftig zusammen, dass es fast an ein Wunder grenzte, dass ihr das Handy nicht aus der Hand fiel.
»Hey«, lächelte er. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
»Schön, hast du aber trotzdem«, sagte Terne mit quäkender Stimme.
Der Bürostuhl war ein Stück nach hinten gerollt, wobei ihre Beine in den abgeschnittenen Jeans vom Tisch gerutscht waren. Während sie versuchte, die Kontrolle zurückzuerlangen, hämmerten die Gedanken gegen die Innenseite ihres Schädels.
Shit, warum hab‘ ich kein sauberes Top angezogen anstatt dem gelben mit dem Joghurtfleck?
Das ist Austin Mahone!
Aber seit wann spricht der Dänisch?
Nein!
Nein, nein, das muss jemand sein, der ihm einfach nur verdammt ähnlichsieht!
Mann, wie süß ist der denn!
Er muss mich wirklich für blöd halten!
Ein Glück, dass ich mir heute Morgen die Haare geglättet habe!
Ob er wohl denkt, dass es hier stinkt?
Ob er wohl denkt, dass ICH stinke?
»Ähm … was ist jetzt, kann ich ein Ticket kaufen?«
»Ein Ticket?«, wiederholte Terne und merkte selbst, dass sie sich anhörte wie ein Idiot. Oder ein Papagei. Oder beides.
»Ja, ein Ticket, damit ich mir die Schlangen angucken kann.«
Er lächelte, und Ternes Kopf wurde so warm, dass sie fürchtete, er könnte explodieren.
»Das macht fünfzig Kronen, wenn du über zwölf Jahre alt bist«, sagte sie und knetete die Hände in ihren Hosentaschen.
»Ich bin fünfzehn. Kostet das extra?«
»Für dich nicht«, bekam sie heraus und hoffte, dass es ein bisschen cool klang. Sie hatte den Typ noch nie gesehen, aber er sprach mit Kopenhagener Dialekt, so ähnlich wie die Familie im hinteren Teil des Terrariums.
»Nice.«
Er fischte einen zerknitterten Schein aus seiner Hosentasche und legte ihn auf die Theke. Zeitgleich tauchte die Familie wieder auf.
»Wolltest du nicht die Schlange füttern?«
»Doch … doch, das hatte ich vor.«
Terne hatte einen ganz