BERLIN anders ENTDECKEN: Eine kurze Geschichte der Hauptstadt in 81 kuriosen Kapiteln
Von Travis Elling
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Über dieses E-Book
Die Antwort ist auch in der durchgesehenen Neuausgabe des Buchs Berlin anders entdecken wieder: Berlin.
Präsentiert wird die über die Jahrhunderte gewachsene Verbindung der deutschen Hauptstadt zur Welt, zur Weltkultur. Launisch, anregend und zuweilen auch amüsant präsentiert das Werk die faszinierende Welt Berlins.
„Berlin anders entdecken“ verspricht ein einzigartiges Erlebnis für alle, die nicht nur (aber auch) an den üblichen Anziehungspunkten Berlins interessiert sind.
Tauchen Sie abseits der ausgetretenen Pfade in verborgene Schätze ein, erkunden Sie auf eigenen Spaziergängen oft weniger bekannte Orte und Geschichten und erleben Sie die Stadt aus einer anderen Perspektive heraus.
Die Neuausgabe wurde aktualisiert, gestrafft sowie um einige Kapitel und Farbillustrationen erweitert.
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Buchvorschau
BERLIN anders ENTDECKEN - Travis Elling
Berlin anders entdecken
Eine unvollständige Liste an Dingen, Menschen und Entwicklungen, die durch Berlin kamen und/oder kommen. Wie du und ich. Eine Art Stadtcollage in chronologisch-chaotischer Reihenfolge.
Zusammengesucht von:
Travis Elling
Impressum
© Text: travis elling
© Coverbild: iStockphoto - bluejayphoto
© Fotos: Teufelsberg, Charlottenburg, Flensburger Löwe, Bode-Museum, Haus der Kulturen, Kirschblüte: Nicole und Christian Almesberger
Kaffeewerbung, Statur im Park mit rotem Gesicht, cube-Gebäude, Humboldt, Skulpturen gegen den Krieg (ungarischer Stein), Kueka: Stein der Liebe, Räuberrad/Rosa-Luxemburg-Str., Der Rufer (Berlin): Sven Holly Nullmeyer
Für weitere Fotos (alle mit Lizenz CC0) vielen Dank an: Blaue Stunde Berlin (Gendarmenmarkt): Corinna Lichtenberg (Pixabay); Brandenburger Tor: wal_172619 (Pixabay); Berliner U-Bahn-Schacht: rejectedbythissite (Pixabay); Gaslampe: Michael Kauer (Pixabay); Funkturm: Michael Kauer (Pixabay); Hungerkralle: Achim Scholty (Pixabay); Mauer: Peggy und Marco Lachmann-Anke (Pixabay)
E-Book-Konvertierung, Satz und Layout: Volker Dannenmann, dannenmann.foto@gmail.com
© Reisebuch Verlag 2023
Parkstraße 16
D-24306 Plön
Alle Rechte vorbehalten
Reisebücher in Print und Digital - Reisecontent
www.reisebuch-verlag.de
verlag@reisebuch.de
Haftung für Inhalte
Unsere Bücher werden mit großer Sorgfalt erstellt. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der Inhalte können wir jedoch keine Gewähr übernehmen!
ISBN: 978-3-98911-358-9
Verlag GD Publishing Ltd. & Co KG, Berlin
E-Book Distribution: XinXii
www.xinxii.com
An der Stelle des heutigen Teufelsbergs sollte einst ein Hochschulkomplex der Naziwelthauptstadt Germania entstehen; stattdessen wurde der teilweise bereits bebaute Bereich nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem guten Teil der Trümmer Berlins zur aktuell zweithöchsten Erhebung der Stadt aufgeschüttet. Ganz oben fand ab Anfang der 1960er eine ikonische US-Abhöranlage Platz, die Field Station Berlin. Nach Abzug der amerikanischen National Security Agency 1991 und einer kurzen Zwischennutzung durch die deutsche Luftüberwachung wurden Berg und Anlage ein Paradies für Sprayer, Mountainbiker, Drachenflieger und Ruinenromantiker. In den 2000ern wollten der Regisseur David Lynch und die Maharishi-Stiftung dort eine Friedensuniversität samt „Turm der Unbesiegbarkeit" errichten. Das lief schief. Inzwischen gibt es professionelle Führungen durch die alte Abhörstation. Diese Geschichte wird hier leider nicht erzählt. Seinen Namen erhielt der neuzeitliche Berg übrigens einfach nach dem benachbarten Teufelssee. Um den herum soll der Teufel allerdings, alten Geschichten zufolge, sein Unwesen getrieben haben ….
[Die Jahreszahlen weißen auf die für den jeweiligen Stadtbezirk relevanten Kapitel hin]
Inhaltsverzeichnis
Ein Wort zuvor …
1700-1871: Berlin als preußische Königsresidenz
1701 Berlin wird Königsstadt in Königsberg
1704 Berliner Blau
1734 Ein Ire am Hof des Soldatenkönigs
1737 Protestanten aller Länder…
1740 Der„Anti-Friedrich"
1750 Der Kartoffelbefehl
1764 Am heimischen Stubensparofen
1773 Das „House of One" – Erster Anlauf
1780 Musika marschierta um die Welta
1797 Ein Botschafter des Sultans …
1806 Die Quadriga geht auf Reisen
1812 Die Sternwarte für kleine Leute
1819 Faust. Quasi eine Preview
1836 Industrie 1.0: Die Schlesier kommen
1844 Die Krolloper eröffnet
1848 Die europäische Revolution scheitert
1851 Spielen verboten
1851 Der Entropie-Tango beginnt
1870 Preußen kriegt eine Deutsche Bank
1871-1918: Berliner Kaiserjahre
1871 Berlin wird Kaiserstadt
1879 Siemens elektrisiert die Bahn
1880 Da staunste Bauklötze
1883 Der Staat, Arbeiters Freund und Helfer
1883 Die Elektrizität wird allgemein
1884 Ein Platz an der Sonne
1887 Breaking Bad
1888 Wie ein Banker den Himmel nach Berlin brachte
1889 Der Mensch, ein seltsamer Vogel
1895 Was wir von der Laterne lernten …
1895 Im Wintergarten: Spaß mit der Kurbelkiste
1897 Der steinige Weg zur sexuellen Freiheit
1904 Kurz Kurz Kurz – Lang Lang Lang
1912 Das moderne Kondom
1913 Die schönste Berlinerin zieht zu
1917 Charlottenburg wird Charlottengrad
1917 Der neue Standard
1918-1933: Berlin in der Weimarer Republik
1918 Der Code, der die Welt verbarg
1918 Allgemeines Wahlrecht
1919 Die neue Stadt
1920 Welt = Unsinn: Jetzt auch in Berlin!
1921 Berlin kriegt kein Wolkenkratzerlein
1921 Aus Völkermord wird Mord
1922 Ich bieg dir noch’n Regenbogen
1922 Dracula besucht Berlin
1925 Der König der Indiskretion
1927 Die ganze Welt ist wie verhext
1927 Der lachende Mann
1929 Zu den Sternen!
1932 A. Hitler erhält die deutsche Staatsbürgerschaft
1933-1945: Berlin-Germania, das Herz des Bösen
1934 A. Göring erhält die österr. Staatsbürgerschaft
1934 Berlin glotzt TV
1936 Völkerverständigung à la Nazi-Berlin
1937 Das Fenster in die Welt des Kleinsten
1938 Der leise Urknall
1939 Die Wasserstraße
1941 Die Ungnade der frühen Geburt
1941 Der Feind meines Feindes
1945-1989: West-Berlin und Ostberlin
1948 West-Berlin wird zur Inselstadt
1949 Was macht dich satt – Ne Currywurst
1955 Wir riefen Arbeitskräfte…
1957 Eine Vihâra für Berlin
1957 Jedes Haus eine Diva
1964 Die deutschen Beatles rocken Berlin
1968 Die Chausseestraße spielt auf
1972 Döner zum Zoo
1972 Der singende Cowboy zieht nach Ostberlin
1974 Das Studio an der Mauer
1985 Ein nicaraguanisches Dorf
1985 Ein Wasserbett in der Fremde
1988 All Tomorrow‘s Parties
1989-?: Das wiedervereinte Berlin
1989 Die Kirschblüte der Hoffnung
1989 Ene Mene Muh
1995 Prima Klima im Anthropozän
1999 Die Entführung der Großmutter…
2002 Wer zugibt, dass er Unrecht hat…
2005-8 Die Welt staunt über Berlin-Deutschland
2009 Paris is always Paris…
2017 Rosa Parks’ Haus zieht um
Ein Wort danach …
[DDR-Kaffeewerbung am Haus der Statistik, Otto-Braun-Str. 70-72; wo einst u. a. die Zentralverwaltung für Statistik der DDR sowie die Gaststätte Mocca-Eck untergebracht waren, findet eventuell bald das Rathaus Berlin-Mitte ein neues Zuhause.]
Ein Wort zuvor
„Berlin ist abstoßend, laut, dreckig und grau,
Baustellen und verstopfte Straßen, wo man geht und steht –
aber mir tun alle Menschen leid, die nicht hier leben können!"
(Anneliese Bödecker)
Zitate wie das oben gibt es zu allen großen Städten – meist Stars, Sternchen oder zumindest Gelehrten zugeordnet, also Personen, die in der Hackordnung der Welt ein bisschen weiter oben stehen. Frau Bödecker, heißt es, war Sozialarbeiterin. Wann und wo das Zitat das Licht der Welt erblickte, ist mir nicht bekannt. Aber es drückt ein (inzwischen historisches?) Gefühl zur Stadt Berlin treffend aus. Irgendwie ist Berlin anders, aber so richtig weiß man nicht, warum. Richtig hübsch ist es nicht, und funktional, naja. 2017 erklärte ein ZEIT-Artikel die Metropole zur „Hauptstadt des Versagens" – weil die Müllabfuhr nicht funktioniert, die Verwaltung zu langsam ist, Korruption und höchste Kompetenz im Abweisen von Zuständigkeit als Berliner Tugenden gelten, und selbst Leichen teils wochenlang auf Beerdigungsscheine warten müssen. Motto? „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein." Schon Goethe schlug ähnliche Töne: „in Berlin… lebt ein so verwegener Menschenschlag… dass man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muss. Ob das heute noch so stimmt? Berlin hat sich stark verändert. Es wurde internationaler, was aber nicht unbedingt mehr das bedeutet, was einst mit „bunt
bezeichnet wurde. Menschen aus aller Welt kommen durch, bleiben eine Weile oder länger, legen ihre Ideen und Tendenzen auf den Berliner Tisch, und nehmen Ideen und Tendenzen aus Berlin mit zu ihrem nächsten Ziel. Hm. Das war, irgendwie, schon immer so.
Die Idee für diesen Text war, nachzusehen, welche Ideen, Kunst- und Politikbewegungen, dazugehörige und sonstige Personen, welche Entwicklungen oder bekannten Geschichten durch Berlin, eine Stadt irgendwo am Rande der Bedeutung, durchgezogen sind, hier anfingen oder endeten. Ein Text wie dieser kann über viele bis alle größeren Städte geschrieben werden. Oftmals sind dabei sicher sogar die Themen gleich oder ähnlich. Metropolen vereinen eben gerne alles in ihren Mägen, beanspruchen „alles" für sich. Sie sind kulturchemische Reaktionen mit unsicherem Ausgang.
Ich möchte hier kurz Hel’s Pfuhl erwähnen, am Alboinplatz in Schöneberg. Alten Legenden zufolge war dies einst ein Eingang zur Hölle. Hier soll in vorchristlichen Zeiten ein Priester der Hel, der germanischen Göttin der Unterwelt und der Gebieterin über Helheim, geopfert haben. Für seine Dienste ließ Hel bei Bedarf einen schwarzen Stier aus der Tiefe steigen, um den Mann beim Bestellen der Felder zu unterstützen. Irgendwann übernahm ein christlicher Mönch Ort und Heiligtum, opferte aber nicht mehr der Hel. Diese schickte, zürnend, wie nur germanische Göttinen zürnen können, wieder ihren schwarzen Stier – der nun aber nicht das Land bestellte, sondern den Mönch mit in die Tiefe zerrte (oder, je nach Version, einfach verschlang). Opfer erbracht, Christianisierung – gescheitert? Ganz kann die Geschichte nicht stimmen, der während der Nazizeit mit Staatsgeldern 1934 ein Denkmal errichtet wurde. Nun. Der steinerne Stier am Rande des Pfuhls ist einen Blick wert. Einer moderneren Legende zufolge soll der Künstler antifaschistische Pamphlete in den Stier gegeben haben. Die Geschichte ist, wie Berlin selbst, ein heilloses Durcheinander.
[Kunststatue in einem öffentlichen Park; in Berlin werden Objekte im öffentlichen Raum häufig … kommentiert.]
1700-1871:
Berlin als preußische Königsresidenz
1701
[Das Schloss Charlottenburg wurde ab 1695 errichtet und gab dem heutigen Stadtteil Charlottenburg seinen Namen. Der Schlosspark ist eine der letzten barocken Gartenanlagen Deutschlands.]
Berlin wird Königsstadt in Königsberg
Am 18.01.1701 ist es soweit: Brandenburgs Markgraf Friedrich III krönt sich in Königsberg, der Hauptstadt des Herzogtums Preußen, selbst zum König Friedrich I in Preußen. Die Rangerhöhung hat sich der Potentat einiges kosten lassen: Sowas lief damals mit jeder Menge Zahlungen und Garantien an Kaiser, Klerus und Fürstenkollegen ab. Interessant ist vor allem, dass er die Königswürde für ein Gebiet außerhalb des Heiligen Römischen Reichs erhielt; Berlin/Brandenburg lag im fraglichen Bereich, als König in Preußen (und nicht im Heiligen Römischen Reich) konnte er freier handeln, da er nicht direkt dem Kaiser unterstellt war. Die preußische Königswürde ist auch der Grund, warum Preußen irgendwann zum Namen für das Reich der Berliner Herrscher wurde. Dass Friedrich I gedachte, seinen eigenen Weg zu gehen, machte er auch durch die Selbstkrönung klar¹.
Ausschlaggebend dafür, dass der in Wien residierende damalige Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Leopold I, der Erhebung zum König zustimmte, war, neben Finanzleistungen, der Tod des spanischen Königs Carlos II im Jahr 1700. Mit ihm sollte die Herrschaft der Habsburger, zu denen auch Leopold I zählte, in Spanien enden, da er seinen Thron testamentarisch einem Bourbonen vermacht hatte. Leopold I wollte sich, den kommenden Spanischen Erbfolgekrieg vor Augen, in Friedrich I, König in Preußen, einen Verbündeten heranziehen. Tatsächlich gelang es Friedrich I, sein Herrschaftsgebiet aus den internationalen Metzeleien seiner Zeit weitgehend herauszuhalten.
Der später oft als schwächlich (da nicht allzu kriegslustig) dargestellte Adlige, aufgrund einer verkrüppelten Schulter auch „Schiefer Fritz" genannt, legte den Grundstein für einige Institutionen. So gründete er 1696 die Bild- und Baukunst-Academie, die spätere Preußische Akademie der Künste, und 1700 die Kurfürstliche-Brandenburgische Societät der Wissenschaften (Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften), deren erster Präsident der Philosoph Leibnitz wurde. Zudem liebte er den Prunk, ließ das Bernsteinzimmer für sein Berliner Stadtschloss anfertigen und baute im nahen Dorf Lietzow eine prächtige Sommerresidenz für seine zweite Frau Sophie-Charlotte auf. Das Schloss Lützenburg hatte bald, dank des Interesses Sophie-Charlottes an Wissenschaft und Kultur, den Ruf eines Musenhofs. Nach ihrem Tod wurde die Lützenburg in Charlottenburg umbenannt und wurde zum Keimpunkt einer neuen Stadt.
Nach dem Tod Friedrich I im Jahr 1713 vertrieb sein Sohn, der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I, jeglichen Prunk aus Berlin. Militär und Arbeit waren seine Ziele, und auch das Bernsteinzimmer, für den Soldatenkönig leerer Tand, kam weg (siehe 1734). An den Friedrich I des Prunks kann man sich gut in der Hohenzollerngruft im Berliner Dom erinnern, wo er neben Königin Sophie Charlotte ruht².
¹ Als Inspiration mag ihm der schwedische König Karl XII gedient haben, der durch seine Selbstkrönung zum Herrn des damaligen schwedischen Riesenreichs im Jahr 1697 in Europa in aller Munde war.
² Aber nicht nur; in der Gruft fand auch die erste Frau Friedrich I, Elisabeth Henriette, ihre letzte Ruhe. Es heißt, die beiden hätten eine Liebesehe geführt – für Aristokraten ihrer Zeit eher ungewöhnlich. Elisabeth-Henriette starb 1683, nach nur vier Jahren Ehe, an den Pocken. Ihr Ehemann durfte sie während ihres Sterbens nicht mehr besuchen – die Ansteckungsgefahr war zu groß.
1704
Berliner Blau
Pigmente wurden seit prähistorischen Zeiten als Färbemittel verwendet, wobei man allerdings lange auf natürlich vorkommende Grundsubstanzen angewiesen war. Als Spaniens Conquistadores Lateinamerika erkundeten, fanden sie auch neue Färbemittel, die eine kleine Revolution für die europäische Kunst und Mode bedeuteten und mehr Farbe in die Kultur der Europäer brachten. Die nächste Revolution folgte um 1704, als ein Berliner Chemiker durch Zufall das erste moderne synthetische Pigment entdeckte. Die Entdeckung wird im Allgemeinen dem nach Berlin gezogenen Schweizer Johann Jacob Diesbach zugeschrieben, der im Labor des Alchemisten Dippel aus dem Odenwald arbeitete und, richtig, eigentlich einen Weg suchte, künstlich Gold herzustellen. Diese Alchemisten. Dippel gilt übrigens als eine mögliche, aber nicht sichere Inspiration für den „Wissenschaftler" Frankenstein aus Mary Shelleys fantastischem Roman.
Dieses erste moderne synthetische Pigment wird bis heute „Berliner Blau, „Preußisch Blau
oder „Stahlblau" genannt. Inzwischen ist es auch für seinen medizinischen Nutzen bekannt, ja es steht sogar auf der Liste der essentiellen Medikamente der Weltgesundheitsorganisation: Berliner Blau/Preußisch Blau bindet im Körper Schwermetalle, wie beispielsweise das radioaktive Caesium. Caesium kann nach Unfällen in Atomkraftwerken in die Umwelt und so in Menschen gelangen. In Berlin kommt das synthetische Pigment heute von einer kleinen Firma bei der Herstellung des Medikaments Radiogardase zum Einsatz; die Kunden sind international. Man will auf den Fall der Fälle vorbereitet sein.³
Als Erinnerung an die Entdeckung des ersten modernen synthetischen Pigments empfiehlt sich ein Besuch der Bildergalerie des Schlosses Sanssouci; hier findet sich Pieter van der Werffs Bild Die Grablegung Christi von 1709 – das Werk des Holländers ist das erste bekannte Gemälde, das den neuen Farbstoff nutzte. Ein weiteres bekanntes Bild, das seine Wirkung teilweise dem heilsamen Pigment verdankt, ist Vincent van Goghs Sternennacht, das man im New Yorker Museum of Modern Art bewundern kann.
Eine weitere Einsatzoption für Berliner Blau fand der britische Ingenieur Joseph Withworth, einer der Väter der Massenproduktion, um 1830; mittels einer öligen Berliner-Blau-Lösung („Engineer’s Blue") konnte er die Ebenheit eines Werkstücks bestimmen und gegebenenfalls verbessern. Das Verfahren wird noch heute bei der Werkzeugherstellung eingesetzt.
³ In der Literatur kommt auch ein Berliner Blau-Hersteller vor: Der Familienvater in Theodor Fontanes Roman Frau Jenny Treibel stellt das Färbemittel her.
1734
Ein Ire am Hof des Soldatenkönigs
Friedrich Wilhelm I, der „Soldatenkönig, zeichnete für eine recht eigenwillige Untergruppe Urberliner Vorfahren verantwortlich: Die „Langen Kerls
. Schon als junger Prinz zelebrierte der angehende Potentat seine Leidenschaft für hochgewachsene Männer. Auf über sechs preußische Fuß (1,88 m) sollten sie es bringen, und das war ihm dann auch eine Stange Geld wert – irgendwie waren die „Kerls" die preußischen Supermodels ihrer Zeit. Für seine besondere Einsatztruppe ließ er im Ausland Werbung machen. Soldaten mit den entsprechenden physischen Eigenheiten winkte ein hoher Lohn, manchmal sogar ein Grundstück für die weitere Lebensplanung in