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Goethe und Tschechow – Kühler Kopf und warmes Herz: Zwei Erzählungen
Goethe und Tschechow – Kühler Kopf und warmes Herz: Zwei Erzählungen
Goethe und Tschechow – Kühler Kopf und warmes Herz: Zwei Erzählungen
eBook173 Seiten2 Stunden

Goethe und Tschechow – Kühler Kopf und warmes Herz: Zwei Erzählungen

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Über dieses E-Book

Goethe und Tschechow – als Schriftsteller sind sie uns wohlbekannt. Die beiden Nationaldichter, die zu Recht auch heute noch die Bühnen der literarischen Welt beherrschen. Aber was für Menschen waren sie?

In zwei kompakten Erzählungen blicken wir hinter die Kulissen der Applaus gewohnten Dichter. Wir verfolgen Goethes innerfamiliären Kleinkrieg mit der Trivial-Literatur seiner Zeit und wundern uns über Tschechows pfadfinderhafte Anstrengungen für eine bessere Welt: seine Exkursion auf die Sträflingsinsel Sachalin. Mit viel Augenzwinkern zeigt Laufenberg die Dichterfürsten als Menschen mit ihren Stärken und Schwächen. Geschichten, die so nah an der Wahrheit bleiben, dass sie die beiden Berühmtheiten in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen.
SpracheDeutsch
HerausgeberDittrich Verlag
Erscheinungsdatum23. Mai 2022
ISBN9783947373864
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    Buchvorschau

    Goethe und Tschechow – Kühler Kopf und warmes Herz - Walter Laufenberg

    Walter Laufenberg

    Goethe und Tschechow – Kühler Kopf und warmes Herz

    Zwei Erzählungen

    © Dittrich Verlag ist ein Imprint

    der Velbrück GmbH, Weilerswist-Metternich 2022

    Printed in Germany

    ISBN 978-3-947373-79-6

    eISBN 978-3-947373-86-4

    www.dittrich-verlag.de

    Satz: Gaja Busch, Berlin

    Covergestaltung: Helmi Schwarz-Seibt, Leverkusen

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

    Inhalt

    Goethe versus Vulpius, Vulpius, Vulpius und Vulpius

    Tschechow zu Gast beim Doppelmörder

    Nachwort

    Literatur

    Die Deutschen schmeicheln sich selbst – ob zu Recht oder nicht, soll einmal dahingestellt bleiben – mit der Verehrung eines Großdichters, der das schöne Leben im Übermaß genossen hat, und das besonders lange. Ein Heros in Sachen Liebe, Macht, Geld und Ruhm mit dem Dauer-Abo auf Erfolg. Beinahe ein teutonischer Teufel, viel zu groß, um als Vorbild zu dienen, der sich jedoch umso besser als der werte Herr Kollege eignet – wenn nicht sogar als Neidobjekt.

    Die Russen schmeicheln sich selbst – ob zu Recht oder nicht, soll hier ebenfalls dahingestellt bleiben – mit der Verehrung eines Großdichters, der die Armut, Unfreiheit, Hilflosigkeit sowie das Ertragenmüssen jeglicher Pein freiwillig auf sich genommen und durchlitten hat. Ein russischer Jesus, jedoch einer, der zuletzt über das Kreuz triumphieren konnte und eine Berühmtheit wurde, wenn auch kein Erlöser – aber das wurde offensichtlich auch Jesus nicht.

    Goethe versus Vulpius, Vulpius, Vulpius und Vulpius

    Bewunderer, kommst du nach Weimar, verkündige dorten – nein, du brauchst nichts zu verkünden, wenn du vor den beiden Heroen Goethe und Schiller stehst. Und vor denen stehst du, weil du sie auf hohem Sockel vor dem Staatstheater findest, ob du sie gesucht hast oder nicht. Dann brauchst du nur die Augen nach oben zu verdrehen, denn diese beiden Großen repräsentieren die Stadt, die du zu betreten gewagt hast.

    Ja, die beiden Herren sind die Stadt. So glaubt man zumindest in Weimar. Und auch andernorts. Du wirst dich diesem Glauben anschließen müssen, ob du magst oder nicht. So viel sei aber schon vorweg verraten: Dem Geheimrat Goethe hätte diese bronzene Darstellung von »Dichter-Heroen im Doppelpack« ganz sicher nicht gefallen.

    Denn Goethe und Schiller, dieses Paar von Superautoren auf Tuchfühlung und überlebensgroß, mit Goethes Hand auf der Schulter des Kollegen, ein Duo, so erhöht und einsam vor dem Weimarer Theater, beide nach dem kleinen Lorbeerkranz vor dem Bauch grabschend, dieses Bild, Ehrfurcht heischend – es täuscht.

    Johann Wolfgang von Goethe war kein Typ für den Paarlauf. Er war ein echter Künstler, und geben wir es doch zu: Künstler sind Egomanen, also Einzelkämpfer. Jeder Künstler strebt für sich den größtmöglichen Erfolg an Renommee und Einnahmen an. Dabei erscheinen ihm die Erfolge der anderen als Kuchenstücke, die ihm entgangen sind. Und weil man zu Lebzeiten noch nicht weiß und wissen kann, dass man einmal als der größte Künstler verehrt wird, lässt einen jedes so entgangene Kuchenstück nach neuen Erfolgen hungern.

    Das gilt ganz sicher auch für Goethe. War der doch schon von Kindheit an wie auch in seinen produktivsten Zeiten und noch als Greis eindeutig ein Solist. Er musste immer im Mittelpunkt stehen, und er musste stets der Größte sein. Was damals nicht gerade als schicklich galt. Aber nur so wurde er der Solitär der deutschen Dichtung. Unter dieser narzisstischen Eigenart Goethes hatten die Menschen, die ihm nahestanden, zu leiden. Charlotte von Stein, Friedrich Schiller, Bettine von Arnim und Marianne Willemer werde ich für diese Behauptung in den Zeugenstand rufen, obwohl diese vier in dem hier vor allem zu betrachtenden Kleinkrieg »Goethe gegen die Vulpiusse« nur auf Nebenschauplätzen aktiv wurden.

    Die Lebenssituation des Großpoeten Goethe sah ganz anders aus, als das Weimarer Doppeldenkmal uns weismachen will. Schon dieses Seit-an-Seit auf Augenhöhe übertreibt. Galt das doch höchstens für eine sehr kurze Zeitspanne in Goethes ungewöhnlich langem Leben. Zudem waren in ihrer Zeit die beiden Heroen umwimmelt von Hunderten supereifriger Schreiber, von denen viele dem großen Publikum mehr bedeuteten als die später als unsere beiden Dichterfürsten Gefeierten. Da hätten also andere Dichter Anspruch auf den Bronzeguss gehabt. Ende des 18. Jahrhunderts, in der großen Zeit Goethes und Schillers, sollen in deutschen Landen gut 10.000 Menschen schriftstellerisch tätig gewesen sein. Mehr als ein Viertel von ihnen arbeitete in der Romanproduktion, ein Großteil auch fürs Theater.

    Da kratzten die Federn, da spritzte die Tinte in großen und kleinen Ortschaften, dass es eine einzige Freude war für die Leseratten. Die bekanntesten Romanschreiber hießen damals Gottlob Cramer, Heinrich Spieß, August Heinrich Julius Lafontaine, Karl Friedrich August Grosse und Heinrich Zschokke. Nie von gehört? Das glaube ich Ihnen. Daneben standen als die erfolgreichsten Bühnenautoren Friedrich Ludwig Schröder, Friedrich Justin Bertuch, August Wilhelm Iffland und August Friedrich Ferdinand von Kotzebue. Allein Iffland hat mehr als 70 Dramen auf die diversen Bühnen in deutschen Landen gebracht. Nur übertroffen von Kotzebue, der rund 230 Stücke auf die Bretter, die damals die Welt bedeuteten, gehievt hat. Daneben stand die beliebte Sparte der Reisebeschreibungen, in der sich vor allem Sophie von La Roche hervortat. Nicht zuletzt sei auch der Autor von begeistert aufgenommenen Reisebüchern genannt, der Vorläufer des amerikanischen Herumtreibers Mark Twain, nämlich der Edel-Herumtreiber Fürst Hermann von Pückler-Muskau. Alle längst weg vom Fenster, fast alle vergessen. Nicht so der sie alle überragende Bestsellerautor mit dem Namen C. A. V., erster Anwärter auf eine Bronzestatue in Lebensgröße. – Aber von diesem Autor soll erst später die Rede sein.

    Zunächst einmal zu der Frage, wie es dazu gekommen war, zu dieser Massenschreiberei für den Tag und für den erwünschten Nachruhm – und fürs Vergessenwerden. Was sollte das? Mir scheint, das war so etwas wie die deutsche Gegenaufklärung. Die Nüchternheit der Aufklärung, die im 18. Jahrhundert den Leuten was fürs Leben zu geben versuchte, indem sie das Volk mündig machte, sie hatte den gegenteiligen Effekt gehabt. Die klugen und engagierten Aufklärer hatten mit ihren alles hinterfragenden Schriften zwar recht gehabt, dabei aber dem Leben allen bunten Putz heruntergerissen. Was Denker wie Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn und Immanuel Kant, um nur drei von vielen zu nennen, den Leuten zugemutet hatten, nämlich selbstbewusst nachdenklich und immer nur rational zu sein, das war im Alltag kaum auszuhalten. Die Leute fühlten sich durch diese radikale Aufklärung nackt und ausgeraubt. Sie brauchten dringend neue Kleider und für die Tagesbewältigung eine neue Farbpalette. War der Arbeitsalltag doch schon hart und kahl und grau genug. Die Menschen, die die Aufklärung erlitten hatten, sie sehnten sich nach aufregenden Erlebnissen und nach Helden, mit denen sie mitzittern und mitjubeln konnten, heute würden wir sagen: mit denen sie sich identifizieren konnten.

    Und genau das servierten dem lesefreudigen Publikum die meisten der 10.000 Schreiber, die für den Geschichtenbedarf der Leute arbeiteten. Was sie alles an buntem Treiben geschehen ließen, nicht nur in Fortsetzungsromanen von Zeitungen, sondern auch in gebundenen Büchern, in Kalendarien und anderen Geschichtensammlungen, in den gängigen und kuriosesten Periodika sowie in Erbauungsschriften, Flugblättern und Liedern, das brachte wieder Leben in den tristen Alltag ihrer Mitmenschen. Und manche von den vielen Schreibern hatten damit mehr Erfolg als die beiden Denkmalgrößen Goethe und Schiller zusammen. Weil sie dem Geschmack der einfachen Leute mehr entgegenkamen als die beiden.

    Dabei ließen sich die neuen Schilderer des bunten Lebens von den großen Vorbildern anregen und sogar zu neuen Themen verführen. Schillers erste Veröffentlichung »Die Räuber« und Goethes erste Veröffentlichung »Götz von Berlichingen« hatten gezeigt, dass man mit ungewöhnlichen Stoffen und Figuren auf ein breites Interesse stößt. Dabei hatten beide Autoren ihre Stücke auf eigene Kosten drucken lassen müssen, weil die Verleger das Neue daran nicht erkannt hatten. Sowohl die »Räuber« als auch der »Götz« waren für ihre Gebärer zunächst Sorgenkinder. Doch hatten etliche Schreiber für den Alltagsbedarf, anders als die Verleger, das Neue und Besondere an diesen beiden Dramen sofort erkannt und es phantasievoll auf die Spitze getrieben. Raub und Totschlag, so hieß für sie nach Schiller und Goethe die Zauberformel zum Erfolg.

    Damit erzielten einige dieser Schreiber für den Massengeschmack prompt höhere Auflagen als die beiden Großautoren, hatten mehr Aufführungen in den Theatern, wurden mehr übersetzt und erhielten mehr Literaturpreise sowie allerlei Gunsterweise von den zahlreichen Fürsten und Fürstchen, die in deutschen Landen regierten und für ihr Prestige gerne Künstler förderten. Plötzlich waren da Leute als die neuen Lieblingsautoren – ohne Goethe und Schiller danken zu müssen – landauf und landab im Gespräch.

    Schon kurios, dass ausgerechnet das den ernsthaften Dichtern Schiller und Goethe abgeguckte Räuber- und Rittermilieu zum Familiensilber der Unterhaltungsliteratur wurde. Aber trotz dieser edlen Herkunft ihrer Themen sind heute all diese Wimmelautoren rund um Goethe und Schiller total vergessen. Selbst für die Literaturwissenschaft spielen sie keine Rolle, sind einfach abgetan als Produzenten von Trivialliteratur.

    Die Menschen, die in Weimar neben den beiden in Bronze verewigten First-Class-Dichtern gelebt und geschrieben haben, in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts und der ersten Hälfte des folgenden, lieber Bewunderer, du wirst sie nirgendwo liegen sehen. Denn sie sind unter dem Boden versteckt, über den du schlenderst. Nicht mehr auffindbar. Und ihre Namen sind von Wind und Wolken weggewischt worden, als wären sie ohne Gewicht und Bedeutung. Was berechtigt ist, haben Namen doch ohnehin Gewicht und Bedeutung vor allem für einen selbst, nur ausnahmsweise auch mal für andere.

    Natürlich war auch schon zu diesen längst verwitterten Zeiten der Name das Wichtigste, das die Menschen hatten, und das nicht nur in Weimar. Vor allem die, die nichts sonst besaßen, also die Nicht-Adligen, bemühten sich um ein bisschen Goldglanz für ihren Namen. Nicht verwunderlich deshalb, dass manch einer den Namen der Familie, den seine Eltern noch mit Stolz getragen hatten, für zu einfach ansah und ihn zu veredeln suchte. Den Namen in die Gelehrtensprache Latein zu übersetzen, das war eine der gängigen Methoden, die sich dafür anbot, wenn man nicht die Chance hatte, in den Adelsstand aufgenommen zu werden. Was ja auch Goethe und Schiller erst mit großer Verspätung feiern konnten.

    Zumindest ein Name müsste neben den Namen Goethe und Schiller in den erstaunten Augen der Betrachter des Denkmals vor dem Weimarer Staatstheater aufleuchten: Vulpius. Ob mit einem männlichen Vornamen oder mit einem weiblichen, ist Geschmackssache.

    Stelle man sich nur einmal vor, nicht Schiller stünde dort neben Goethe, sondern eine Frau, nämlich Christiane Vulpius. Jeder ist ersetzbar, werter Friedrich Schiller. Also komm herunter vom hohen Sockel. Lass die Vulpius aufs Podest. Dass der lateinisch klingende Name der Frau etwas mit dem deutschen Wort Fuchs zu tun hat, irgendwie schlecht übersetzt, ist naheliegend, aber unwichtig. Der Fuchs stand damals in einem schlechten Ruf. Fuchsen hieß so viel wie herumhuren. Deshalb die Latinisierung? Das war vielleicht das Problem eines ihrer Vorfahren, mit dem die Christiane sich aber nicht beschäftigt haben wird. Hatte sie doch nichts von einer Füchsin, nichts Gerissenes, nichts Überschlaues, auch nichts Schlechtes. Wenn überhaupt mit einer anderen Kreatur zu vergleichen, dann war diese denkmalwürdige Christiane eher eine Kreuzung aus Schmusekatze und Schlachtross. So eine Frau gehörte selbstverständlich nicht zur hochnäsig feinen Gesellschaft der Residenzstadt Weimar, und sie als Goethes Muse zu bezeichnen, wäre nur ein liebevolles Missverständnis. Also gab es keine Chance für Christiane, in Bronze gegossen zu werden.

    Und doch wurde Christiane Vulpius die Ehefrau des Großdichters Johann Wolfgang von Goethe. Dabei stießen zwei Familien zusammen, besser gesagt: zwei Familien gerieten in den Clinch, die schon vor wie erst recht nach dieser disparaten Verlinkung im Streit lebten. Was bei der verehrten Institution »Sacra Familia« ja nichts Ungewöhnliches ist. Die Familie Vulpius war, was man alteingesessen nennt. Dagegen war Goethe in Weimar nur zugezogen und schon deshalb bei vielen Weimarern nicht gern gesehen, hatte also die schlechteren Karten. Womit nun die beiden Familien, die in den Jahrzehnten rund um das Jahr 1800 in einem sehr ungewöhnlichen Kleinkrieg aufeinandertrafen, in Stellung gebracht worden sind: Goethe gegen Vulpius. Familie war nur auf der einen Seite, Goethe war allein. Einer gegen vier, und das durch drei Generationen. Das war ein Wettkampf, der in seiner Subtilität und manchmal auch Intensität unvergleichlich war. Weswegen er wohl immer gern übersehen und verschwiegen worden ist. Dabei gibt diese Auseinandersetzung die kräftigsten Farben an das Bild, das Goethe – unabsichtlich – von sich gemalt hat. Und nicht nur das. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass Goethes Lebenswerk, und damit die deutsche Hochkultur, durch diesen Wettkampf bereichert worden ist. Wie die alte Kaufmannsregel weiß: Konkurrenz belebt das Geschäft.

    Vorausgegangen war dem großen Gerangel ein Kampf Glück gegen Pech, so könnte man sagen. Beides so unverdient wie unvermeidbar. Konnte man doch nur den Kopf schütteln über die Ungerechtigkeit

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