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Die Deponie
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eBook782 Seiten10 Stunden

Die Deponie

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Über dieses E-Book

Die CHEMOG, ein Chemieunternehmen in Deutschland sitzt auf einer alten Giftmülldeponie zweifelhaften Ursprungs. Aktivitäten von Umweltschutzorganisationen zwingen sie, die Deponie zu entsorgen, - möglichst kostengünstig. Sie beauftragen ein Entsorgungsunternehmen, das den giftigen Müll durch ein griechisches Schifffahrtsunternehmen nach Afrika verschiffen lässt, - möglichst kostengünstig.

Robert Makinsen, ein Journalist aus Hamburg führt eine Recherche über die Praktiken der modernen Frachtschifffahrt durch. Um einen möglichst realistischen Eindruck zu bekommen, heuert er mit gefälschten Papieren auf einem Schiff an.

Robert ahnt nicht, welche Gefahren auf ihn lauern …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum21. Mai 2014
ISBN9783850286572
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    Buchvorschau

    Die Deponie - Otto Habla

    Otto Habla

    Die Deponie

    © Otto Habla

    Impressum:

    © Otto Habla

    1. Auflage 2014

    Autor: Otto Habla

    ISBN Printversion: 978-3-85028-656-5

    ISBN E-book Version: 978-3-85028-657-2

    Printed in Austria

    Umschlaggestaltung: Harald Kästner / MAIL BOXES ETC. beim Bahnhof Heiligenstadt

    Druck: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H., 3580 Horn, Wiener Straße 80

    Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendungen, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwendung, vorbehalten.

    Informationen zum Verlagsprogramm erhalten Sie unter: www.verlag-berger.at

    I. Die Entsorgung

    001

    „Meine Herren, die Situation ist verdammt kritisch."

    Die ungewohnte Heftigkeit in Turbans Stimme verriet seine innere Aufregung. Die Situation musste wirklich schlimm sein, dachte Kurt von Dahle, Aufsichtsratsvorsitzender der CHEMOG AG. In den vergangenen Jahren hatte er Peter Turban, den Generaldirektor der CHEMOG nie so aufgeregt gesehen. Dahle kannte Peter sehr gut. Sie waren eng miteinander befreundet und teilten sich die Führung des Unternehmens so kooperativ, dass sie in den Wirtschaftszeitungen nur als „das doppelte Lottchen" zitiert wurden. Auch wenn es über manche geschäftliche Dinge harte Auseinandersetzungen gab, sie hatten immer einen Konsens gefunden, von dem beide überzeugt waren. Und der Erfolg der Firma gab ihnen Recht.

    Die CHEMOG war eine Chemiefabrik, die sich auf die Herstellung hochwertiger Kunststoffe für den technischen Bereich, insbesondere die Luftfahrt-, Raum- und Rüstungsindustrie spezialisiert hatte. Im Vergleich mit den großen Chemiekonzernen fiel die CHEMOG zwar nicht ins Gewicht, ihre Produkte hatten jedoch einen guten Ruf. Von den Geschäftsmethoden der beiden Freunde Turban und Dahle wurde das weniger behauptet. Aber der Ertrag stimmte.

    Dem war nicht immer so gewesen.

    Die CHEMOG, gegründet von Dahles Urgroßvater gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts, war vor und während des Zweiten Weltkrieges ein renommiertes und wohl fundiertes Familienunternehmen. Die Aktien befanden sich fast ausschließlich im Familienbesitz, das Unternehmen wurde vom jeweiligen Familienoberhaupt autokratisch geführt. Aufgrund seiner geringen Größe geriet das Unternehmen nicht in die Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg, obwohl die CHEMOG in der Kriegsmaschinerie der Nationalsozialisten durchaus ihre Rolle gespielt und auch entsprechend verdient hatte.

    Die Krise kam in den Siebzigerjahren, als Dahles Vater versuchte im Zuge des Plastikbooms auf Massenproduktion umzusteigen und damit in direkte Konkurrenz zu den Giganten wie Dow Chemical, Bayer oder BASF geriet. Gegen diese Giganten hatte die CHEMOG von Anfang an keine Chance.

    Durch den guten Ruf des Unternehmens spiegelten die Aktienkurse lange Zeit ein besseres Bild über die CHEMOG als es der Wirklichkeit entsprach. Als Kurts Vater starb, steckte das Unternehmen bereits tief in der Krise, obwohl die Aktien noch einen guten Kurs an der Börse hatten. Und diejenigen, die hätten wissen müssen, wie es um das Unternehmen wirklich stand, hüteten sich, den Zustand aufzuzeigen.

    Kurt von Dahle war zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre alt und führte das Leben eines verwöhnten Playboys. Sehr zum Missfallen seines Vaters interessierte ihn weniger die Fabrik, mehr schnelle Autos, hübsche Mädchen und der Strand von Ibiza. In der Firma war er nominell zunächst Assistent der Geschäftsleitung, also der seines Vaters. Nachdem sein Vater alle Entscheidungen allein traf, wirkte seine geistige und oft auch körperliche Abwesenheit nicht besonders störend. Aufforderungen, sich doch endlich um das Geschäft, die Firma zu kümmern überging er mit fast schon bewundernswerter Ignoranz. Lautstarke Auseinandersetzungen trübten seinen Seelenfrieden kaum. Er führte sein Luxusleben und war mehr in den Gesellschaftsspalten, denn im Wirtschaftsteil der Presse zu finden.

    Als sein Vater starb übernahm Kurt den Vorsitz im Aufsichtsrat. Dies änderte nichts an seinem Lebensstil, der wurde eher exzessiver, nachdem der doch bremsende Einfluss des Vaters weggefallen war. Kurt verließ sich ganz auf den nunmehrigen Geschäftsführer, einen altgedienten Buchhalter aus der Ära des alten Herrn und die Aktienkurse schienen ihm recht zu geben, dass ein direktes Eingreifen in das Geschäft nicht notwendig war.

    Doch das Geschäft lief nicht so gut. Irgendwann ließen die Banken die ersten Wechsel platzen. Die Aktienkurse fielen ins Bodenlose. Kurt von Dahle musste feststellen, dass er pleite war.

    Kurt war eben dreißig Jahre alt geworden und er wäre kein von Dahle gewesen, wenn er in dieser Situation resigniert hätte.

    Er nahm seine fast wertlose Aktienmehrheit und zog nunmehr körperlich und geistig in die Fabrik ein. Er feuerte einen Großteil der bisherigen Führungskräfte, darunter auch etliche Männer, die bereits langjährig unter seinem Vater gedient hatten. Dass er sie mittels unfairer juristischer Tricks um die ihnen zustehende Rechte betrog, half ihm nicht nur finanziell, sondern brachte ihm auch einen guten Ruf als hartem Geschäftsmann ein.

    Eines Tages fiel ihm ein junger blasser Mann auf, gleichaltrig wie er, der altehrwürdigen Mitarbeitern Methoden der Produktionskalkulation erläuterte. Der junge Mann hieß Peter Turban, und einem spontanen Einfall folgend ernannte ihn Kurt mit sofortiger Wirkung zum Geschäftsführer.

    Mit dieser Entscheidung hatte er das große Los gezogen.

    Peter Turban, nachdem er sich vom Schock des plötzlichen Karrieresprungs erholt hatte, krempelte die Ärmel hoch und die Firma um. Gemeinsam gelang es von Dahle und Turban den drohenden Konkurs abzuwenden.

    Konkursspezialisten hatten sich bereits versammelt um aus dem Unternehmen die wertvollsten Stücke mit hohem Gewinn heraus zu filetieren. Sie mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen, noch ehe sie ihre segensreiche Tätigkeit begonnen hatten.

    Das Duo erwies sich als außerordentlich schlagkräftig. Die CHEMOG begann sich zu erholen und mancher Anlageberater durfte sich interessante Kommentare seiner Klienten anhören.

    Die frühzeitige Bearbeitung von Randmärkten brachten ausreichende finanzielle Erfolge. So wurde in den Achtzigerjahren der Irak mit Ausrüstungen für Chemiefabriken beliefert. Dabei gelang es den beiden immer wieder außerhalb des politischen Interesses zu bleiben. Selbst dem israelischen Geheimdienst schienen die Aktivitäten der CHEMOG nicht bedeutend genug, um nachhaltige Aktionen zu rechtfertigen. Interventionen wurden durch finanzielle Zuwendung für israelische Projekte zum Schweigen gebracht.

    Das zunehmende Interesse der Öffentlichkeit für Umweltschutzfragen brachte der CHEMOG einige Probleme. Turban und von Dahle analysierten die Thematik und sannen auf eine möglichst kostengünstige Lösung. Sie gedachten, keinen müden Heller in den Umweltschutz zu investieren, es musste einen anderen Ausweg geben. Die beiden fanden eine sparsame Lösung.

    Sie setzten einige medienwirksame Aktionen, führten Investitionen durch, die zwar nicht sehr teuer und daher auch nicht sehr wirksam waren, aber durch intensive Pressearbeit nach außen gute Wirksamkeit zeigten. Beamte, die Details hinterfragen wollten, wurden gekauft.

    „Einem Beamten den Lebensstandard zu verbessern, ist immer billiger, als seine Entscheidungen zu befolgen", sagte Dahle zu Turban. Die Aussage blieb immer unwidersprochen.

    Die CHEMOG galt bald als ein Vorreiter in Sachen Umweltschutz.

    002

    Die alte Frau hatte ein kleines Häuschen in der Nähe der CHEMOG. Die Straße, an der das Häuschen lag, führte an einem Lagerplatz vorbei, auf dem die CHEMOG lange Jahre Abfälle der Produktion gelagert hatte. Der Platz wurde kaum mehr benutzt, nur manchmal kamen noch LKWs, die blau gestrichene Fässer ablieferten. Eine hohe grüne Hecke grenzte das Terrain ein und da keine Geruchs- oder Lärmbelästigung zu bemerken war, wurde der Platz von niemandem als störend empfunden. Eine Anfrage von der Umweltschutzorganisation Greenworld konnte von der CHEMOG zufriedenstellend beantwortet werden.

    Wie jeden Morgen ging die alte Frau mit ihrem kleinen Hund, einer undefinierbaren Mischung von mindestens fünf Rassen die Straße entlang, um ihre Einkäufe zu besorgen. Sie war seit vielen Jahren Witwe und der Hund teilte ihre Einsamkeit. Ihre Kinder kamen sie nur mehr selten besuchen und so war der Hund ihr ein und alles. Der Hund lief niemals an der Leine, er war so an sein Frauchen gewöhnt, dass er sich nie allzu weit von ihr entfernte. Er kehrte in kurzen Abständen zurück, um zu kontrollieren, dass Frauchen noch da war. Wie üblich strich er an der Hecke des Lagerplatzes der CHEMOG entlang, verrichtete sein Geschäft und setzte seine Spuren. Hinter der Hecke befand sich ein dichter Maschenzaun, der weitergehende Expeditionen des Hundes verhinderte.

    An diesem Morgen fand er ein Loch im Zaun. Der Hund schlüpfte durch und begann das Gelände dahinter zu erforschen. Die alte Frau war nicht beunruhigt. Sie ging, wie gewohnt weiter. So dauerte es drei, vier Minuten, bis sie das Fehlen ihres Hundes bemerkte.

    „Strupps, Strupps, wo bist du?" rief sie mit dünner Stimme. Der Hund gab keine Meldung.

    „Strupps, Strupps?"

    Die alte Frau war nicht beunruhigt. Noch nicht. Doch auch weiteres Rufen half nichts. Keine Reaktion des Hundes. Mühsam ging die alte Frau zur Hecke und zwängte sich zwischen dem engen Gebüsch durch. Sie sah ihren Hund nicht. Sie drängte sich zum Gitterzaun und blickte durch die Maschen. Zunächst konnte sie nichts erkennen, doch dann sah sie Strupps. Er lag, zehn Meter vom Zaun entfernt, auf der Seite und wand sich sichtlich in Krämpfen.

    „Strupps, was ist denn los?"

    Die alte Frau geriet in Panik. Sie wand sich zwischen Hecke und Zaun durch, ohne dass sie Rücksicht auf ihren Mantel nahm. Das Loch war groß genug, um einen Menschen durchzulassen. Die alte Frau stellte nicht fest, dass das Loch ganz neu und mit einer Drahtschere gemacht worden war. Den Riss, den sie sich an einem scharfen Drahtstück in den Mantel machte, bemerkte sie auch nicht. Sie schlüpfte durch das Loch und lief auf ihren Hund zu, der erbärmlich jaulte,

    „Strupps, was ist mit dir?"

    Von links kam ein uniformierter Mann. Er war eine Autorität.

    „Was haben sie hier zu suchen, das ist Privatgelände, verlassen sie sofort den Platz."

    Die alte Frau erkannte den Ton und hätte ihm normalerweise sofort gehorcht. Doch der sich in Krämpfen windende Hund gab ihr Kraft, sich gegen die Autorität aufzulehnen.

    „Halten sie den Mund, helfen sie meinem Hund", bellte sie den Uniformierten an.

    Der Uniformierte wurde schwankend zwischen Autorität und seinen Gefühlen. Er hatte Verständnis für alte Frauen.

    Das Gefühl gewann die Oberhand.

    „Warten sie, ich hole Ihren Hund."

    „Greifen sie meinen Hund nicht an, ich hole ihn mir schon selbst", schnauzte die alte Frau zurück.

    Der Uniformierte nahm sein Funkgerät aus dem Halfter:

    „Position elf, ich habe ein kleines Problem."

    „Hier Zentrale, Position elf, was ist ihr Problem?"

    „Ich habe ein Loch im Zaun und einen Hund, der durchgelaufen ist und der Krämpfe hat und eine alte Dame, die ihn wiederhaben möchte."

    „Position elf, ich habe nicht verstanden."

    Der Uniformierte wiederholte seine Meldung, diesmal ausführlicher.

    „OK Position elf, ich schicke sofort einen Wagen, halten sie die Lady ruhig."

    Der Uniformierte begann beruhigend auf die alte Frau einzusprechen.

    „Es kommt sofort ein Wagen, der ihren Hund zum Tierarzt bringt."

    Dass der Uniformierte wirklich besorgt zu sein schien, half der alten Frau.

    Die Szene wurde von der gegenüberliegenden Straßenseite von einem jungen Mann mit Haarzopf beobachtet. Er hatte letzte Nacht das Loch in den Zaun geschnitten, um Proben von den gelagerten Abfällen zu nehmen. Die alte Frau passte nicht in sein Konzept. Er war Mitglied bei Greenworld und wollte Fabrikanten schrecken, nicht alte Frauen.

    Der Wagen der CHEMOG kam nach zehn Minuten.

    „Wir fahren gleich zum Tierarzt. Bitte steigen sie ein."

    Die Alte war wie von Sinnen,

    „Strupps, wie geht es dir?"

    Sie hielt ihren Liebling im Arm, der nur mehr konvulsive Zuckungen von sich gab.

    „Mein armer Hund. Ihr habt ihn umgebracht, ihr mit eurem Dreck, den ihr hier lagert. Dafür werde ich euch zur Rechenschaft ziehen. Ihr habt das Loch in den Zaun gemacht. Aber dafür werdet ihr mir büßen."

    „Kommen sie, steigen sie ein, wir fahren sofort los."

    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtete der junge Mann die Szene weiterhin mit gemischten Gefühlen. Einerseits tat ihm die alte Frau mit ihrem Hund leid, andrerseits hatte er das Gefühl, dass an der Sache mehr daran war.

    Er war schon seit einiger Zeit der Meinung, dass das Umweltschützerimage der CHEMOG nur ein gelungener Marketingtrick war. Darum hatte sich der junge Mann letzte Nacht, bewaffnet mit einer Drahtschere zum Zaun geschlichen und ein Loch geschnitten, das es ihm erlaubte durchzuschlüpfen. Er war vom Werksschutz unbemerkt geblieben und hatte von verschiedenen Stellen des Lagers Proben genommen. Die Proben waren zur Auswertung in einem Labor. Der Vorfall eben war eine ungewollte Bestätigung, dass der gelagerte Dreck nicht ungefährlich war.

    Der Uniformierte setzte wieder sein Funkgerät in Betrieb.

    „Hallo Zentrale, hier Position elf."

    Hallo Position elf, bitte kommen."

    „Hier Position elf. Ich glaube unser kleines Problem ist größer als bisher angenommen. Geben sie mir den Chef."

    Der Uniformierte berichtete von dem Vorfall, auch dass der Hund wahrscheinlich schon tot war.

    Die alte Frau stand noch immer vor dem Auto, das sie zum Tierarzt bringen sollte. Sie verfiel in ein hemmungsloses Schluchzen.

    „Strupps mein Strupps, was ist denn los mit dir? Das kannst Du mir doch nicht antun."

    Der Sicherheitsmann informierte Mike Heller, den Chef des Sicherheitsdienstes der CHEMOG. Heller erkannte sofort, dass es sich um ein größeres Problem handeln konnte. Ohne lange zu überlegen gab er Anweisungen.

    „Sie sprechen mit niemandem über den Vorfall. Wir kümmern uns um die Angelegenheit. Bringen sie die Frau nach Hause und bleiben sie bei ihr, bis ich ihnen jemand schicken kann. Ach ja und schauen sie, dass sie den Hund beiseite schaffen können. Er darf auf keinen Fall bei der Alten bleiben. Wenn ihnen etwas auffällt, erstatten sie sofort Meldung. Sie haben Priorität."

    Diese Durchsage hatte er leise gesprochen, doch die Frau war so mit ihrem toten Hund beschäftigt, dass sie ohnehin nichts hörte.

    „Verstanden Chef."

    Der Sicherheitsmann führte die weinende Frau zu seinem Auto, das vor der Einfahrt zum Lagerplatz stand. Sie hielt den toten Hund im Arm und streichelte den Kadaver, als ob er noch lebte. Willenlos ließ sie mit sich geschehen, dass sie in das Auto verfrachtet wurde. Der Sicherheitsmann fragte sie nach Ihrer Adresse. Jetzt erst schien die alte Frau aus ihrer Apathie aufzuwachen.

    „Wozu brauchen sie meine Adresse?"

    „Ich werde sie nach Hause bringen. Und mich um Ihren Hund kümmern. Zuerst fahren wir zum Tierarzt."

    Die alte Frau lehnte empört ab, doch der Sicherheitsmann konnte sie davon überzeugen, dass er ihr wirklich helfen wolle. Zum Tierarzt zu fahren war sie aber nicht zu bewegen. Ihr Strupps war tot und sie hatte Angst, dass der Tierarzt den Leichnam des Hundes behalten und entsorgen wollte. Sie wollte ihren Liebling im Garten hinter dem Haus begraben. Dass sie nach Hause gebracht wurde, akzeptierte sie.

    003

    Der junge Mann, er hieß Fred Dymo, beobachtete die Abfahrt des Wagens der CHEMOG. Es war nicht weit bis zum Häuschen. Dymo blieb an der gegenüberliegenden Straßenseite in einiger Entfernung stehen.

    Die Frau sperrte umständlich das Gartentor auf und ging hinein. Der uniformierte Sicherheitsmann wollte ihr folgen. Sie hielt ihn zurück.

    „Danke, dass sie mich nach Hause gebracht haben, aber ich komme jetzt schon allein zurecht. Ich will nur erst meinen Hund versorgen."

    Der Sicherheitsmann schaute misstrauisch. Sein Auftrag lautete, die Alte nicht allein zu lassen, er sah aber keine Möglichkeit, wie er zu ihr ins Haus kommen konnte. Es war ihr Haus und ihr Grund und er hatte keine Rechte. Er blieb an der Gartentüre stehen.

    Die Frau ging, den Hund im Arm, hinter das Haus. Nicht dass ihr der Sicherheitsbeamte unsympathisch gewesen wäre oder sie Angst vor ihm hatte, aber sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Hinter dem Haus stand eine kleine, hölzerne Gartenhütte, in der sie ihre Gartengeräte aufbewahrte. Umständlich sperrte sie das große Schloss auf und öffnete die quietschende Türe. Es war bis zum Eingang zu hören und der Sicherheitsmann war zufrieden. Sie legte den Hundekadaver vorsichtig auf den Tisch, nicht ohne vorher eine alte Decke untergebreitet zu haben. So als ob der Hund noch etwas spürte. Dann ging sie zurück zum Gartentor, zu dem wartenden Mann. Sie wollte ihn so rasch als möglich loswerden, sie wollte jetzt allein sein. Der Sicherheitsmann suchte noch immer nach einem Grund, dass er bleiben konnte, bis die Verstärkung von der CHEMOG eintraf. Es entwickelte sich eine Diskussion. Beide gaben nicht nach. Der CHEMOG Mann versuchte zu argumentieren, dass er sie nur unterstützen wolle und ihr helfen und es sei gar nicht wegen der Firma und sie solle doch sein Angebot annehmen. Sie setzte dagegen, dass sie jetzt am liebsten allein sein mochte und ihr niemand helfen könne, damit müsse sie allein fertig werden. Die gegenseitigen Argumente zogen sich eine Weile hin. Schließlich verlor die alte Frau die Nerven.

    „Gehen sie jetzt, aber rasch, ich will mit euch nichts zu tun haben. Ihr Schweine ... meinen Hund umgebracht ... Schuld ... Dreck auf der Deponie ... Presse ... mein armer Hund."

    Dymo auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatte das Fenster seines Autos heruntergekurbelt und konnte einzelne Wortfetzen verstehen. Dymo bekam Gewissensbisse. Sein Loch im Zaun war schuld am Kummer der alten Frau.

    In der Einsatzzentrale überlegte Heller. Der Hund war irgendwie auf das Lagergelände gelangt und hatte dort an irgendetwas geschnuppert oder irgendetwas gefressen und war daran eingegangen. Über den Inhalt der Deponie machte sich Heller keine Illusionen.

    Wenn die alte Oma Wirbel um den Tod des Hundes machte, konnte das schwerwiegende Folgen für die CHEMOG haben. Die Angelegenheit war heikel. Als Chef des Sicherheitsdienstes hatte er Turbans Privatnummer.

    „Hallo Peter, ich glaube, wir bekommen ein Problem."

    Er war mit Peter Turban seit Jahren per Du. Er informierte ihn kurz über das Geschehene.

    Turban teilte seine Einschätzung der Lage.

    „Pfeif die Marketingheinis herbei, die immer das Maul so weit aufreißen, sie sollen sich um die alte Lady kümmern. Schicke einen von deinen Leuten mit, der sie abschirmt, damit keiner von der Presse an sie herankommt. Um zehn machen wir eine Vorstandssitzung. Wir müssen das Problem mit der Deponie lösen."

    Heller mobilisierte seine Mitarbeiter. Er gab ihnen die Anweisungen, wie sie die alte Frau abschirmen und vor allem dafür sorgen sollten, dass kein Skandal daraus entstand. Sie sollten es mit gutem Zureden versuchen, ihr einen neuen Hund besorgen und wenn nötig auch Geld oder sonstige Unterstützung anbieten.

    „Wichtig ist die Alte davon zu überzeugen, dass es sich um einen Unglücksfall handelt und niemandem ein Verschulden zukommt. Sie müssen mit Feingefühl an die Sache rangehen, die Frau ist emotionell sehr erschüttert. Die Aufgabe erfordert viel Psychologie."

    Die Mitarbeiter gingen sofort an die Arbeit. Schon nach einer halben Stunde hielt ein weiterer Wagen vor dem Haus der alten Frau, eine jüngere blonde Marketingmitarbeiterin stieg aus. Der Sicherheitsmann, der sich letztendlich der Ablehnung gebeugt hatte, wartete auf dem Gehsteig. Er kannte die Blonde zwar nicht persönlich, hatte sie aber im Hauptgebäude der CHEMOG schon einige Male gesehen. Die beiden sprachen einige Minuten miteinander, dann ging sie zur Eingangstüre und läutete an. Die alte Frau öffnete. Die Blonde erklärte, warum sie gekommen sei.

    „Ich bin von der CHEMOG. Wir haben von dem bedauerlichen Vorfall gehört. Ich kann ihnen versichern, dass es sich um einen unglücklichen Unfall handeln muss. Ich möchte ihnen persönlich helfen, wo immer ich kann."

    Der Sicherheitsmann hatte gewartet, er war überzeugt gewesen, dass auch seine Kollegin bei der Alten keine Chance hatte. Er hatte nicht mithören können, was die beiden gesprochen hatten, aber er pfiff anerkennend durch die Zähne als die Alte die Mitarbeiterin in das kleine Häuschen einließ.

    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war Fred Dymo noch immer auf seinem Beobachtungsposten. Er wartete, bis der CHEMOG Mann weggefahren war, dann ging auch er nach Hause.

    Pünktlich um zehn trafen sich Turban, Dahle, Heller, Martens, der Chef der Öffentlichkeitsarbeit, sowie Dr. Rosar, Leiter der Rechtsabteilung im großen Konferenzraum der CHEMOG. Heller erstattete Bericht.

    „Soweit wir bis jetzt festgestellt haben, hat irgendjemand ein Loch in den Zaun von Standort 11 geschnitten. Standort 11 ist unser Lagerplatz an der Barmerstraße. Das Loch ist groß genug, um einen Menschen das Eindringen zu ermöglichen. Da Standort 11 nur eine Deponie ist, auf der sich außer Abfall nichts befindet, gibt es neben dem Zaun und der Sichtschutzhecke keine weiteren Sicherungsmaßnahmen. Der Sicherheitsdienst hat laut Sicherheitsplan die Deponie viermal täglich kontrolliert. Es war nichts Außergewöhnliches beobachtet worden. Wer das Loch geschnitten hat und wer in das Gelände eingedrungen ist, konnte bisher nicht festgestellt werden. Ich kann auch noch nicht mit Sicherheit sagen, wie lange das Loch schon vorhanden ist. Den Spuren nach zu schließen schaut es ziemlich neu aus. Vermutlich von heute in der Nacht."

    Heller machte eine kurze Pause.

    „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unsere Freunde von Greenworld versucht haben festzustellen, was wir auf der Deponie lagern."

    Heller machte nochmals eine kurze Pause, damit seine Vermutung besser wirke. Der eben ausgesprochene Verdacht ließ die Atmosphäre im Raum drückend werden. Alle Anwesenden konnten sich vorstellen, was auf der Deponie gelagert wurde. Heller setzte fort, nachdem ihn alle mit gespannter Erwartung anstarrten.

    „Die alte Frau hat den Hund, wie jeden Tag, zum Pinkeln ausgeführt und ging dabei die Hecke entlang, welche die Deponie begrenzt. Der Hund, der wie immer ohne Leine lief, ist durch das Loch in die Deponie gelangt. Dort muss er an einem giftigen Abfall geschnuppert oder etwas gefressen haben und bekam sofort krampfartige Anfälle. Als die Frau ihren Hund suchte, fand sie ebenfalls das Loch und ging aufs Gelände. Dabei wurde sie von unserem Sicherheitsdienst, der eben seine Runde machte, entdeckt. Unser Mann erstattete sofort Meldung und wir versuchten den Hund zu einem Tierarzt unseres Vertrauens zu bringen. Der Hund ist allerdings schon vorher gestorben und wir konnten uns den Weg zum Tierarzt sparen. Den Tierkadaver konnte unser Mann leider nicht in unsere Obhut bringen. Leider."

    „Scheiße. Was macht die alte Frau jetzt?" fragte Turban.

    „Sie ist zu Hause. Eine Mitarbeiterin unserer Öffentlichkeitsarbeit, Frau Monika Strahlhofer, ist bei ihr und kümmert sich um sie. Sie versucht, die alte Dame zu beruhigen, und hat ihr auch Entschädigung versprochen. Was im Moment noch nicht viel nützt. Die Alte ist sehr an ihrem Tier gehangen und lehnt derzeit einen anderen Hund oder eine finanzielle Entschädigung entschieden ab. Wenn sie nicht heult, droht sie uns mit der Presse und den Behörden. Aber ich glaube, dieses Problem werden wir in den Griff bekommen. Frau Strahlhofer hat auch den Auftrag sich um den Tierkadaver zu kümmern."

    Die Anwesenden hatten bemerkt, wie sehr Heller das Wort „dieses Problem" betont hatte.

    „Was heißt, dieses Problem", hakte Turban sofort ein.

    „Der Vorfall muss beobachtet worden sein. Und wenn ich mich nicht sehr irre, von jenem Freund, der auch das Loch in den Zaun geschnitten hat. Als unsere Mitarbeiterin vorhin bei der alten Lady war, läutete es an der Eingangstüre. Die Alte öffnete und ein junger Mann stand vor der Türe. Er habe den Vorfall beobachtet und ob er nicht helfen könne, sagte er zu der alten Frau. Als er unsere Frau Strahlhofer bemerkte, die still in den Flur getreten war, um besser hören zu können, murmelte er etwas von „Oh Verzeihung, sie haben Besuch, ich komme später wieder und verschwand. Frau Strahlhofer hat ihn nicht richtig gesehen und kann ihn daher nicht beschreiben. Ich habe einen Beobachtungsposten beim Haus der Alten installiert. Die Sache beginnt Kreise zu ziehen.

    Damit beendete Heller seinen Bericht. Für eine Minute herrschte Schweigen im Raum.

    „Meine Herren, die Situation ist verdammt kritisch", unterbrach Peter Turban das Schweigen. Es war bereits das vierte Mal, dass er diese Phrase verwendete. Ein Ausdruck seiner innerlichen Anspannung.

    „Das Letzte was wir derzeit brauchen können, ist Publizität mit unserer Deponie. Wenn die Sache in die Presse gerät ist es aus mit dem Wohlwollen der Behörden. Und das brauchen wir, wenn wir unsere Irak Geschäfte abwickeln wollen. Wenn sich jemand für unsere Deponie interessiert, dann kommt auch bald heraus, was wir dort wirklich lagern. Nämlich alles, was uns für eine Entsorgung zu kostspielig war."

    Alle Anwesenden in diesem hochrangigen Kreis der CHEMOG wussten, wie in der CHEMOG mit der Giftentsorgung umgegangen wurde.

    „Wenn uns die Behörden das Lager entsorgen lassen, entstehen Kosten, die sich die CHEMOG nicht leisten kann. Wir haben unser ganzes Geld in diversen Projekten stecken und ehe diese Projekte nicht zu greifen beginnen, ist unsere finanzielle Decke, nun sagen wir einmal, etwas angespannt."

    „Also müssen wir das Zeug unauffällig loswerden", schloss sich von Dahle an.

    „Unauffällig wird ein bisschen kompliziert werden", wand Heller ein.

    „Erstens handelt es sich nicht um ein paar alte Ölfässer, die ich klammheimlich in stockdunkler Nacht auf einen Transporter laden, wegführen und in den nächsten Fluss kippen kann und am nächsten Tag ist es keiner gewesen."

    Die Ironie in Hellers Stimme war unüberhörbar.

    „Zweitens handelt es sich meiner Schätzung nach um einige hundert LKW Ladungen voll. Um die zu beladen brauchen wir jede Menge schweres Gerät, Caterpillar, Gabelstapler und ... und ... und ... Das Ganze wird ein Höllenspektakel. Und wenn ich mich nicht irre, wird es notwendig sein, dass unsere Arbeiter Schutzanzüge tragen, bei all dem Zeug, das da herumliegt. Ich möchte nicht erleben, was passiert, wenn einer unserer Arbeiter plötzlich aus den Pantoffeln kippt und ohne ersichtlichen Grund tot umfällt."

    Er rauchte sich eine Zigarette an und schien es zu genießen, wie sich seine Zuhörer immer mehr auf ihn konzentrierten. An sich war bei Konferenzen Rauchverbot, doch es gab auch Ausnahmen.

    „Nächste Frage, wohin mit dem Zeug. Ich kann es ja nicht der öffentlichen Müllabfuhr unterjubeln. Nein, meine Herren, vergessen sie das unauffällig."

    „Und als Nächstes, setzte Martens von der Öffentlichkeitsarbeit fort, „als Nächstes stehen wir offensichtlich bereits unter Beobachtung. Wenn der junge Mann von heute Morgen das ist, was wir alle vermuten, nämlich ein Umweltaktivist, dann wird es schwerfallen, ihn lange ruhig zu halten. Wenn er in die Presse geht, kommen die Behörden unter Druck. Dann die Beamten auf unserer Seite zu halten ... so viel Geld gibt es gar nicht.

    Die Runde verfiel wieder in Schweigen. Man konnte förmlich spüren wie die grauen Zellen bei jedem arbeiteten.

    „Was machen wir, wenn unser junger Freund wieder auftaucht, versuchte Turban die Diskussion in Gang zu bringen. Haben unsere Juristen eine Idee?

    Dr. Rosar runzelte die Stirn.

    „Juristisch sehe ich wenige Möglichkeiten. Dass er das Loch in den Zaun geschnitten hat, können wir ihm nicht nachweisen. Sich um alte Damen zu kümmern ist nicht verboten. Natürlich können wir einen Schuss ins Blaue absetzen und ihm wegen des Lochs drohen. Doch wenn er wirklich Umweltschutzaktivist ist und zu einer Organisation gehört, wird ihn das nicht sehr schrecken. Nein, ich fürchte von unserer juristischen Seite ist nicht viel Hilfe zu erwarten."

    Von Dahle sagte nichts, aber es war ihm anzusehen, dass er eine unbefriedigende Antwort erwartet hatte. Es war immer dasselbe mit den Juristen. Wenigstens war es diesmal eine klare Antwort gewesen. Der Juristerei fiel nichts ein. Normalerweise bekam er auf seine Frage von den Juristen ein Gutachten, das er einem anderen Juristen zur Erläuterung geben musste.

    Die Tür des Konferenzzimmers öffnete sich. Alle verstummten. Was hier gesprochen wurde, war nur für den innersten Kreis bestimmt. Auf jeden der hier Anwesenden war hundertprozentig Verlass. Jeder wusste vom anderen so viel, dass ein Ausscheren einem wirtschaftlichen Selbstmord gleichkam.

    Eine langbeinige Sekretärin brachte Heller ein paar Schriftstücke und verließ sofort wieder den Raum. Heller überflog die Seiten rasch. Alle warteten bis Heller die Papiere durchgelesen hatte. Als er sie vor sich auf den Tisch legte, setzte von Dahle fort.

    „Fassen wir unser Problem zusammen: Erstens: Wir haben eine Deponie, voll mit hoch giftigem Chemiemüll. Zweitens: Den Müll offiziell wegschaffen zu lassen, können wir uns finanziell nicht leisten. Drittens: Heimlich können wir die Deponie nicht abtransportieren, dazu ist sie zu groß. Viertens: Wir müssen den Müll wegschaffen, ehe man sich näher um unsere Deponie kümmert. Greenworld hat Spur aufgenommen. Wenn das publik wird, dann siehe zweitens. Das ist unser ganzes Problem. „

    Es klang leicht resignierend. Turban griff den Faden von Dahle sofort auf.

    „Das heißt, wir müssen die Deponie möglichst rasch räumen lassen, ohne dass wer hinter den tatsächlichen Inhalt kommt. Nur wenn das geheim bleibt, können wir billig entsorgen. Wir müssen uns Greenworld und die Behörden solange vom Leib halten, bis der Dreck weg ist. Angriff ist die beste Verteidigung."

    Von Dahle nickte zustimmend.

    „Heller sie sichern die Deponie so ab, dass kein Unbefugter drankommt Schließen Sie die elektronische Sicherung an, setzten sie zusätzliche Streifen ein, was auch immer. Die Deponie muss abgesichert sein. Ohne dass die vermehrte Bewachung bemerkt wird. Dann kümmern Sie sich um diesen Umweltschützer. Finden sie heraus, wer er ist und dann überlegen sie sich mit Martens, wie wir ihn außer Gefecht setzen können. Lassen sie ihn eine Reise gewinnen, setzen sie ihn unter Druck, sorgen sie dafür, dass er sich zwei drei Wochen mit etwas anderem als unserer CHEMOG beschäftigt. Legen sie ihm eine falsche Spur, was auch immer. Martens, sie inszenieren ein Pressespektakel. Geben sie noch heute eine Pressemitteilung hinaus ... CHEMOG wieder Vorreiter in Sachen Umweltschutz ... trotz kürzlich erfolgter Verlängerung der Benutzungsbewilligung ... haben wir uns entschlossen, die Deponie zu räumen ... Verbundenheit der Industrie mit unserer Bevölkerung und ähnlichen Blabla. Sie wissen schon, wie man das macht. Zum Abtransport der ersten Fuhre laden wir dann das Fernsehen ein, den Bürgermeister usw. Vor Abfahrt lassen wir noch irgendeinen Unabhängigen eine Probe ziehen, der feststellt, dass das ganze Zeug nur schmutzig, aber völlig ungefährlich ist. Die Kosten für den Abtransport können wir dann dem Budget für Imagewerbung entnehmen."

    Martens konnte bei diesem Scherz nur gequält lachen.

    „Ich selbst werde mich sofort mit der GERAG in Verbindung setzen, um Konditionen und Arbeitsbeginn auszuhandeln. Heller, sie besorgen mir ein paar brauchbare Analysen, damit das ganze Zeug irgendwo ohne besondere Schutzmaßnahmen gelagert werden kann. Und sorgen sie dafür, dass auf der Deponie genügend Material dieser Art an den richtigen Stellen herumliegt, damit sich die GERAG Leute selbst von der Harmlosigkeit überzeugen können."

    Heller wusste sofort, was damit gemeint war. Er sollte genügend harmloses Material über den Dreck bringen, damit bei stichprobenweisen Entnahmen der wahre Inhalt verschleiert wurde. Heller hatte das schon öfter gemacht und bisher hatte es noch nie eine Panne gegeben.

    „Ich glaube das wäre im Moment alles. Wir treffen uns heute Abend um sechs wiederum hier zur Berichterstattung. In derselben Zusammensetzung Ich wünsche uns viel Erfolg."

    004

    Fred Dymo war von dem Vorfall an der Deponie tief betroffen. Das Leid der alten Frau ging ihm sehr nahe. Dabei hatte er nur das Beste gewollt. Er wollte nachweisen, dass es sich bei der CHEMOG Deponie nicht um eine ungefährliche Lagerstätte für altes Gerümpel handelte, sondern hier - mit Wissen der Behörden - gefährliche Materialien gelagert wurden. Oder die Behörden wurden wissentlich getäuscht.

    Umweltschutz war für Fred Dymo eine ernste Angelegenheit, ernster als sein Studium, - er studierte Betriebspsychologie - wichtiger als Mädchen oder andere Vergnügungen. Dymo hatte sich an mehreren Demonstrationen gegen die Atomenergie beteiligt und seit einigen Monaten war er eingeschriebenes Mitglied bei der Umweltschutzorganisation Greenworld. Da Dymo Dinge, für die er sich engagierte immer aktiv betrieb, begnügte er sich auch bei Greenworld nicht damit, passives Mitglied zu sein.

    Die Greenworldleute hatten ihn bei einigen kleineren Aktionen mitmachen lassen, doch sein Sinn stand nach mehr.

    Er wollte eine große Aktion, mit der er beweisen konnte, wie sehr Behörden und Firmen die Öffentlichkeit täuschten. Wie sehr die Umwelt gefährdet war, wenn nicht einmal die seiner Meinung nach ohnehin ungenügenden Bestimmungen und Gesetze eingehalten wurden. Er war ein Fanatiker.

    Seine Wohnung, besser seine Bude, lag in der Nähe der CHEMOG Deponie und Fred kam täglich daran vorbei, wenn er, mit dem Fahrrad, zur Uni oder, was häufiger geschah, zu Greenworld fuhr. Er hatte wohl ein altes Auto, doch das benutzte er nur, wenn er es unbedingt brauchte und wenn sein Fahrrad oder die öffentlichen Verkehrsmittel nicht ausreichten.

    Er war ein guter Beobachter. Es war ihm aufgefallen, dass die Deponie mehrmals täglich und auch während der Nacht bei Rundgängen des CHEMOG Werkschutzes kontrolliert und überwacht wurde.

    Das kam ihm eigenartig vor. Er umfuhr mit seinem Rad die Deponie, konnte aber nichts feststellen, was eine derartige Bewachung notwendig machte. Es befanden sich keinerlei Werks- oder Fabriksanlagen, Gebäude oder Maschinen auf dem Gelände. Sie enthielt nur Gerümpel und zahlreiche Schutthaufen.

    „Wer bewacht schon Gerümpel und Schutt? Noch dazu, wenn das Gelände durch einen Maschenzaun umschlossen und damit gegen den Zutritt Unbefugter gesichert ist", fragte er sich jedes Mal, wenn er vorbeifuhr.

    Dymo begann sich näher für die Deponie zu interessieren. Er beschaffte sich Zugang zu den behördlichen Bescheiden, wobei er die Quellen von Greenworld ausnutzte, studierte die Lokalpresse und fand - nichts. Die Bescheide lauteten auf Müllablagerungen, Klasse sowieso, also völlig ungefährlich. In der Presse war wohl gelegentlich über die Deponie berichtet worden, doch niemals wegen Gefährlichkeit, immer nur wegen Hässlichkeit.

    Und es fiel ihm auf, dass die CHEMOG in der Lokalpresse einen ausgezeichneten Ruf in Sachen Umweltschutz hatte. Die Sache stank. Mehr als die Deponie. Voller Begeisterung teilte er seinen Verdacht den Kollegen bei Greenworld mit.

    „Hier ist ein großes Ding vergraben. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wir sollten uns die CHEMOG mit ihren Lagerstätten einmal zu Gemüte führen und überprüfen."

    Seine mageren Wangen wurden rot vor Eifer, doch er erntete bei seinen Freunden von Greenworld nur Gelächter.

    „Wen hast Du dir ausgesucht. Die CHEMOG? Vergiss es. Die CHEMOG ist nicht angreifbar. Sie gilt in Umweltfragen als Musterunternehmen. Und sie ist es auch. Wir haben es überprüft. Verlorener Aufwand, hier zu recherchieren. Bringt uns in der Öffentlichkeit Null. Selbst wenn wir die eine oder andere Kleinigkeit fänden. Nein Fred, nicht böse sein, davon lassen wir die Finger. Es gibt lohnendere Objekte."

    Dass Greenworld auch massive finanzielle Zuwendungen von der CHEMOG erhielt, sagten sie ihm nicht.

    Die Enttäuschung war Dymo anzusehen. Seine Kollegen merkten es.

    „Die CHEMOG, das sind leere Kilometer. Nächste Woche stopfen wir bei der ..., er nannte den Namen eines bekannten Zellulosewerkes, einen Abwasserkanal. Dafür bist du fix vorgesehen.

    Karl Broder, der Leiter der örtlichen Greenworldorganisation schätzte das Engagement von Fred und wollte ihn nicht wegen einer Enttäuschung verlieren. Aber auch die Aussicht, endlich an einer größeren Aktion teilnehmen zu können, half Fred nicht über das Desinteresse von Greenworld hinweg. Er versuchte sich zu fassen und argumentierte mit Broder lange herum. Doch Broder blieb hartnäckig.

    Da es die Strategie der CHEMOG war alle Umweltschutzaktivitäten bereits im Vorfeld abzufangen, hielten sie mit den verschiedenen Organisationen einen intensiven Kontakt. Die Organisationen wurden mit ausreichendem Informationsmaterial versorgt und wurden immer wieder eingeladen, sich selbst und vor Ort zu überzeugen, wie in der CHEMOG vorbildlich gearbeitet wurde. Natürlich bekamen die Mitarbeiter von Greenworld nur das zu sehen, was ihnen die CHEMOG zeigen wollte, aber da Martens sehr viel in diese Zusammenarbeit investierte, war sie erfolgreich. Zumindest im Sinne der CHEMOG.

    Fred Dymo fuhr frustriert nach Hause. Er blätterte seine Recherchen durch, überprüfte seine Argumente. Fred konnte in seinen Schlussfolgerungen keinen Fehler finden.

    Die CHEMOG war nicht sauber und er würde es beweisen. Auch wenn Greenworld nicht mitmachte. Dann eben im Alleingang.

    Er verbracht einige Tage und Nächte damit, die Deponie genau zu beobachten, um den Rhythmus der Kontrollgänge festzustellen. Die Kontrollgänge fanden nicht in regelmäßigen Zeitabständen statt, der Abstand zwischen zwei Gängen betrug aber mindestens zwei Stunden. Manchmal vier oder sechs, manchmal drei, aber nie kürzer als zwei Stunden.

    Also schlich sich Fred mit mehreren Plastiksäckchen für Proben und einer kleinen Schaufel zur Probenentnahme Montagnacht zur Deponie. Er wartete einen Rundgang ab und nachdem sich der Wächter wieder entfernt hatte, schnitt er mit einer Drahtzange ungesehen ein Loch in den Maschendraht.

    Er schlich durch das Loch auf das Gelände und ging einmal kurz Auf und Ab. Dann verließ es sofort wieder und nahm auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen Beobachtungsposten ein. Hier wollte er eine Stunde warten und beobachten, ob das Loch im Zaun eine Reaktion hervorrief.

    Falls Zaun oder Gelände auch elektronisch gesichert wären, würde sein Loch einen Alarm auslösen, und der CHEMOG Werkschutz würde umgehend das Gelände inspizieren. Er rechnete zwar nicht damit, doch Fred wollte auf Nummer sicher gehen.

    Er war sich der Illegalität und Gefährlichkeit seines Vorgehens voll bewusst, insbesondere da die Aktion nicht im Rahmen von Greenworld ablief. Aktionen von Greenworld waren wohl in vielen Fällen vom Gesetz her illegal, doch blieben sie aufgrund der Publizität im Allgemeinen ohne Folgen. Bei einem Alleingang sah dies anders aus. Greenworld wollte sich, aus welchen Gründen auch immer, nicht mit der CHEMOG anlegen und würde ihm daher im Falle einer Entdeckung kaum Unterstützung bieten.

    Die Anlage war nicht elektronisch gesichert und das Loch blieb unbemerkt. Nach Ablauf der Stunde schlich er sich erneut auf das Gelände und nahm an verschiedenen Stellen Proben des gelagerten Materials. Die Proben wollte er in den Greenworld Labors, unter anderer Firmenbezeichnung untersuchen lassen, Er war überzeugt, er würde recht behalten. Die Proben würden beweisen, dass das Zeug hoch giftig war. Dann musste Greenworld agieren. Und er würde es allein entdeckt haben.

    Die Entnahme der Proben verlief ohne Probleme. Niemandem fiel etwas auf. Es dauerte kaum eine halbe Stunde, bis er seine Plastiksäckchen gefüllt hatte und unauffällig verschwinden konnte. Nachdem er das Gelände verlassen hatte, wartete er nochmals fünfzehn Minuten, dann schwang er sich auf sein Fahrrad und fuhr mit der Beute nach Hause. Früh am Morgen fuhr er wieder zur Deponie. Er wollte einen Rundgang des Werkschutzes beobachten, um festzustellen, ob das Loch im Zaun bemerkt werden würde.

    Und dann kam die alte Frau mit dem Hund. Er beobachtete sie. Lähmendes Entsetzen machte sich in ihm breit, als er die alte Frau schreien hörte. Er wollte schon hinlaufen, um zu schauen, ob er helfen konnte. Es musste etwas passiert sein. Er konnte einen vorbeikommenden Passanten spielen. Gerade als er sich entschlossen hatte, die Straße zu überqueren, tauchte der Wächter auf. Fred verharrte ruhig und beobachtete die Szene. Den Wächter, der ins Funkgerät sprach, das Eintreffen des CHEMOG Wagens, das Wegfahren und die Vorgänge vor dem Haus der alten Frau.

    Verzweifelt schlich er nach Hause. Nicht dass er sich Sorgen wegen der Entdeckung gemacht hätte. Er war nicht gesehen worden und keiner würde auf ihn kommen. Die CHEMOG Leute würden zwar eine Verbindung zur Greenworld vermuten, doch bestand diese nicht. Höchstens Broder konnte ihm Vorwürfe machen, da er den Zusammenhang zwischen dem Loch im Zaun und Dymo vermuten mochte, wenn er eine Anfrage von der CHEMOG erhielt.

    Das Schicksal der alten Frau beschäftigte Fred. Er hatte Gutes tun wollen und die Analyse der Proben würde beweisen, dass er mit seinem Verdacht recht gehabt hatte. Aber er hatte den Tod des Hundes verursacht. Der tote Hund war auch ein Beweis für seinen Verdacht, doch nicht verwendbar. Das würden die CHEMOG Leute schon regeln. Durch seine Schuld war ein Tier getötet worden und eine alte Frau litt.

    Fred ging ruhelos in seiner Wohnung herum. Er musste seine Schuld abtragen, versuchen wieder gut zu machen, zu helfen. Er wollte zur alten Frau gehen und schauen, wie er ihr helfen konnte.

    Eine Stunde später läutete Fred am Häuschen der alten Frau. Die Tür wurde geöffnet und sie selbst stand mit von Tränen geröteten Augen vor ihm.

    „Ich habe den Vorfall mit ihrem Hund beobachtet. Ich möchte ihnen helfen", stotterte Fred verlegen.

    Jetzt entdeckte er die zweite Frau, die leise ins Vorzimmer getreten war. Wer war das? Die Oma lebte doch allein und zurückgezogen und ihre Kinder waren nicht zu Besuch.

    Fred machte auf der Stelle kehrt und lief weg. Er irrte ziellos durch die Gegend. Die Anwesenheit der jungen Frau im Häuschen der Alten hatte ihn restlos verwirrt. Er vermutete sofort, dass dies im Zusammenhang mit dem Tod des Hundes und der CHEMOG stand. Daher wollte er nicht erkannt werden und auch nicht mit dem ganzen Vorfall in Verbindung gebracht werden.

    Er lief daher nicht zu seinem Fahrrad, das er gegenüber dem Haus abgestellt und mit einer dicken Kette an einem Verkehrszeichen festgemacht hatte. Das Schloss aufzusperren und die Kette zu verstauen hätte einige Zeit gedauert und in dieser Zeit war er vom Haus aus zu beobachten. Er lief stattdessen um die Ecke und bog in die nächste Seitengasse ein, weiter, bis er die nächste Quergasse erreicht hatte und bog dort nochmals ab. Erst dann verlangsamte er das Tempo. Er ging, mit nunmehr reduziertem Tempo noch zwei Gassen weiter, ehe er einen ersten Gedanken fassen konnte.

    Der von ihm verursachte Unfall auf der Deponie führte zu hektischen Reaktionen bei der CHEMOG. Seine Vermutungen, was die Deponie betraf, waren also nicht ganz unbegründet. Und die Hektik, die die CHEMOG an den Tag legte, zeigte, dass auch die CHEMOG wusste, was mit der Deponie los war. Fred konnte sich ausrechnen, dass die CHEMOG Leute das Loch im Zaun gefunden hatten und ihre Rückschlüsse zogen. Sie konnten aber keine Verbindung zu ihm herstellen, beruhigte er sich selbst.

    Fred Dymo irrte sich. Seine Reaktion, davonzulaufen, als er sah, dass die alte Frau nicht allein war, hatte nicht geholfen, unerkannt zu bleiben. Wie viele alte schrullige Frauen, von denen man annahm, dass sie keine Ahnung mehr hatten, was rund herum um sie vor sich ging, war sie über ihre nähere Umgebung bestens informiert. Sie kannte alle Leute, die im Umkreis von ein paar Gassen rund um ihr Häuschen wohnten und manch ein Mitbewohner wäre verwundert gewesen, welche Details die alte Lady über ihr Privatleben wusste.

    Von Fred Dymo kannte sie nicht nur den Namen und auch die Adresse wo er wohnte und den Vornamen seiner Freundin, sie wusste auch, dass er sich für die Umwelt engagierte. In den Augen der alten Frau ein hoffnungsloser Idealist, der keinerlei Lebenserfahrung hatte.

    „Dieser Fred Dymo wird wohl niemals erwachsen werden, das ist doch kein Benehmen", sagte sie halblaut vor sich hin, als sie den jungen Mann davonlaufen sah.

    Frau Strahlhofer, die Mitarbeiterin der CHEMOG hatte die alte Frau gehört und auch Fred weglaufen sehen. Sie konnte ihn schlecht verfolgen, da dies nicht zu ihrer Rolle passte. Sie fragte daher die alte Frau, was los war.

    „Wer war das? Kennen sie den jungen Mann?"

    Die alte Frau war nicht blöd. Die Anwesenheit dieser Mitarbeiterin von CHEMOG war ihr ohnehin unangenehm und sie war überhaupt misstrauisch, daher gedachte sie keine Sekunde lang irgendwelche, Informationen zu geben.

    „Ich habe keine Ahnung. Habe ihn niemals vorher gesehen. Wahrscheinlich ein Zeitschriftenvertreter oder sonst ein Keiler, der alten Frauen etwas anzudrehen versucht. Die kommen oft, wenn ich allein bin. Aber mit mir machen die kein Geschäft. So verkalkt bin ich noch nicht, dass ich mit denen nicht zurechtkomme."

    Sie plauderte scheinbar locker vor sich hin, um die junge Frau abzulenken. Sie würde später zu Fred Dymo gehen und ihn fragen, was er wollte. Und das ging diese CHEMOG Lady nichts an.

    Wenn die junge Frau ihren ersten Überraschungsausruf nicht gehört hätte, wäre ihre Aussage durchaus glaubwürdig gewesen.

    Monika, die schon die ganze Zeit gespürt hatte, dass sie hier so erwünscht war wie eine seltene Hautkrankheit, merkte nun endgültig, dass ein weiterer Aufenthalt bei der alten Dame nichts mehr brachte. Die Alte erzählte nichts, und wenn sich etwas ereignete, versuchte sie noch das Ganze zu verschleiern. Monika musste einmal telefonieren, um die Meldung vom Besuch dieses jungen Mannes an Heller weiter zu geben. Sie wollte es aber nicht hier tun, wo ihr die alte Frau zuhören konnte. Ihr Mobiltelefon hatte sie bei sich, fand es aber kindisch, damit aufs Klo zu gehen, um ungestört telefonieren zu können.

    „Ich werde einmal ein paar Besorgungen machen, sagte sie zur alten Frau, „soll ich ihnen etwas mitbringen, Milch vielleicht und etwas zu essen?

    Sie stand auf und nahm ihre Handtasche.

    „Danke, danke, das ist zu liebenswürdig, aber ich brauche nichts, ich habe alles im Haus", sagte die alte Frau mit ausdruckslosem Gesicht ohne ein Anzeichen von Dankbarkeit.

    „Bei der Gelegenheit, Frau ..., wie war doch der Name, ach ist auch egal, junge Frau, mit wäre es eigentlich angenehmer, wenn sie mich überhaupt wieder allein ließen. Ich bin es gewohnt, allein zu leben. Ich weiß, ihre Bemühungen zu schätzen, mir zu helfen, aber ich komm schon allein darüber hinweg."

    Sie schätzt meine Bemühungen überhaupt nicht, dachte sich Monika, hier können wir keinen Blumentopf mehr gewinnen. Die Alte bestätigte ihre Gedanken sofort.

    „Ach und versuchen sie bitte nicht mir Geld für meinen Hund anzubieten. Der ist nicht zu bezahlen. Wenn sie schon Geld ausgeben wollen, dann stiften sie es doch dem Tierschutzheim oder noch besser, schauen sie, dass Ihre Firma nicht solchen Dreck produziert. Nochmals vielen Dank."

    Die Alte stand von ihrem Stuhl auf, um Monika zur Tür zu bringen. Monika wusste, dass in diesem Moment jedes weitere Wort überflüssig war. Hier konnte sie nichts mehr ausrichten, hier konnte niemand etwas tun. Sie öffnete die Eingangstüre und drehte sich noch einmal um. Sie reichte ihr Hand und sah ihr in die Augen. Die Frau hielt dem Blick stand. Monika senkte den Blick.

    „Trotzdem, ich hoffe, sie kommen darüber hinweg und ich möchte ihnen persönlich alles Gute wünschen. Wenn sie irgendetwas brauchen, dann rufen sie mich bitte an. Ich möchte ihnen wirklich helfen. Das hat nichts mit meiner Firma zu tun."

    „Ist schon gut, mein Kind. Es ist ja nicht Ihre Schuld. Sie machen nur Ihre Arbeit. Wie alle anderen auch."

    Monika war in den Vorgarten getreten und die alte Frau hatte sofort die Eingangstüre hinter ihr geschlossen. Die Verabschiedung hatte Monika ganz schön den Nerv gezogen. Auf diese Art von Auftrag war sie nicht vorbereitet gewesen. Bereits die drei Stunden, die sie, als ungebetener Gast in dem Haus verbracht hatte, waren ihr an die Nieren gegangen. Der Hinauswurf hatte ihr den Rest gegeben. Sie begann den Auftrag mit anderen Augen zu sehen.

    Sie ging zu ihrem Auto, sperrte es auf und setzte sich auf den Fahrersitz. Dort verharrte sie eine Weile und versank in tiefe Gedanken. Es dauerte fast fünf Minuten bis sie sich zusammenriss und das Telefon aus ihrer Handtasche kramte. Sie rief Heller an und informierte ihn über den Hinauswurf.

    „Hm, unangenehm", meinte Heller.

    „Glauben sie, dass uns die alte Lady Schwierigkeiten machen wird? So mit Presse und Ähnlichem. Wenn da die Presse oder das Fernsehen dahinter kommt ist das doch ein gefundenes Fressen für die Klatschkolumnisten."

    „Das mag schon stimmen, gab Monika recht, „ich glaube aber nicht, dass die alte Frau da mitspielen würde. Die hält von dieser Art der Öffentlichkeit überhaupt nichts. Wir dürfen ihr nur nicht penetrant kommen. Chef, um die alte Lady kümmere ich mich, und zwar nur ich. Vielleicht gelingt es mir, bei etwas dezenterem Auftreten ein gewisses Vertrauen zu gewinnen. Ein wenig Geld brauche ich auch dafür, aber wichtiger ist noch, dass sonst keiner von der CHEMOG bei der Alten in Erscheinung tritt. Sonst könnte sie wirklich die Presse zu Hilfe holen.

    Heller dachte einen kurzen Augenblick nach. Er kannte Monika als selbstständige und entscheidungsfreudige Mitarbeiterin, die bisher schon in verschiedenen kritischen Situationen die Lage richtig beurteilt hatte.

    „Ist in Ordnung, Frau Strahlhofer, sie haben völlig freie Hand. Auch was das Geld betrifft, können sie ausgeben, soviel wie sie für richtig halten. Jetzt kommen sie aber zuerst einmal ins Büro zurück, wir haben um sechs eine Sitzung und ich möchte, dass sie der Bande direkt Bericht erstatten."

    „Danke Herr Heller:"

    Monika wusste zu schätzen, dass sie zur Sitzung im engsten Kreis eingeladen wurde.

    „Übrigens, Herr Heller, da ist noch eine Kleinigkeit, die sie vor der Sitzung wissen sollten. Ich glaube es ist wichtig."

    „Schießen sie los."

    Sie erzählte Heller die Geschichte vom missglückten Besuch von Fred Dymo. Heller war sehr interessiert.

    „Konnten sie erkennen, wer da versucht hat, die alte Dame, diese Frau zu besuchen?"

    „Ich habe ihn nur ganz kurz gesehen und weiß nicht, ob ich ihn wieder erkennen würde. Die alte Frau muss ihn gekannt haben. Sie hat in ihrer ersten Überraschung, wie sie ihn weglaufen sah, einen Namen genannt. Fred Dymo oder so ähnlich."

    Sie sprach Dymo wie Deimo aus.

    „Wie man den Namen genau schreibt, weiß ich natürlich nicht. Das wird sich aber wohl einfach feststellen lassen. Er dürfte hier in der Gegend wohnen."

    „Gut gemacht, Frau Strahlhofer, den Namen finden wir schon heraus. Kommen sie ins Büro."

    Monika Strahlhofer schaltete ihr Handy aus, startete den Wagen und fuhr los.

    In dem kleinen Häuschen zog die alte Frau die Vorhänge zurecht. Sie hatte vom Fenster ihres Vorzimmers aus den Abgang von Monika beobachtet. Sie hatte gesehen, dass Monika im Auto längere Zeit telefonierte und machte sich ihren eigenen Reim.

    005

    Heller hatte sich Monikas Informationen auf einem Notizblock, der immer griffbereit auf dem Schreibtisch lag, aufgeschrieben. Den Namen Deimo malte er in großen Blockbuchstaben hin und rahmte ihn dick ein. Darunter hatte er noch während des Telefonates verschiedene Schreibweisen ausprobiert. Als er mit dem Telefonieren fertig war, sagte er die verschiedenen Varianten halblaut vor sich hin. Er klopfte mit dem Bleistift auf den Block und dachte nach.

    Der junge Mann hat etwas mit dem Loch im Zaun zu tun. Damit war er mitschuldig am Tod des Hundes. Nicht dass Heller vorhatte, die Schuld oder Mitschuld einzufordern, aber vielleicht konnte man dieses Wissen einsetzen, wenn es darum ging, jemanden mundtot zu machen. Es kam ihm vor, als ob er den Namen schon mal gelesen oder gehört hätte, konnte aber keine Verbindung herstellen.

    Heller stand von seinem Schreibtisch auf und ging zum Wandschrank hinter dem Tisch. Er öffnete eine mahagoniverkleidete Tür. Dahinter verbarg sich ein Stahlschrank. Heller nahm aus seiner Hosentasche einen Spezialschlüssel und sperrte den Stahlschrank auf. Im obersten Fach lag eine dünne, grüne Mappe, die Heller herausnahm und auf den Schreibtisch legte. Die Mappe enthielt die Daten und Namen von Mitgliedern und Mitarbeitern aller örtlichen Umweltschutzorganisationen.

    Hellers Auffassung von seinem Job als Sicherheitschef ging davon aus, dass vorbeugende Sicherheit billiger und effektiver war, als zu warten bis ein Problem aufgetreten war. Es war zwar manchmal schwer, die dafür benötigten Budgets zu bekommen, da bei nicht eingetretenen Schadensfällen ein Erfolgsnachweis schwer zu führen war. Niemand konnte nachweisen, dass etwas nicht eingetreten war. Da Heller das Vertrauen von Turban und von Dahle hatte, gelang es ihm meistens seine Vorstellungen zu erklären und auch die dafür benötigten Gelder zu bekommen.

    Aktionen von Greenworld gehörten zu den potenziellen Sicherheitsgefährdungen jedes chemischen Unternehmens. Greenworldaktionen brachten nicht nur ein negatives Image in der Öffentlichkeit, auch die finanziellen Auswirkungen konnten Größenordnungen erreichen, die jedem Unternehmen wehtaten. Erdölkonzerne wussten ein Lied davon zu singen. Dies galt auch für ein, international gesehen, kleines Unternehmen wie die CHEMOG.

    Auch wenn die CHEMOG dank der Arbeit von Martens PR Abteilung einen ausgezeichneten Kontakt zu den Greenworldleuten hatte, bedeutete das nicht, dass die CHEMOG vor Aktionen von Greenworld sicher war. Die Greenworld Leute waren kaum bestechlich.

    Heller hatte einen jungen Mann als Aktivisten bei Greenworld eingeschleust. Der versorgte ihn mit Unterlagen und Informationen über die Aktivitäten von Greenworld. Heller wusste dadurch, was Greenworld bei der CHEMOG und auch bei der Konkurrenz der CHEMOG planten. Greenworld war über die Produktionsmethoden der chemischen Industrie hervorragend informiert. Über diese Quelle hatte Heller auch schon brauchbare Informationen über Pläne der Konkurrenz erhalten.

    Von diesem Spion bei Greenworld wussten in der ganzen CHEMOG außer Heller nur noch Turban und von Dahle. Nicht einmal die engsten Mitarbeiter von Heller waren informiert. Heller hatte auch noch andere, halblegale Arbeitsmethoden, von denen in der CHEMOG niemand wusste.

    Die vor Heller liegende Mitgliederliste entstammte dieser Quelle. Er schlug die Mappe auf. Schon auf der ersten Seite wurde er fündig. Er fuhr mit dem Finger die Namensspalte entlang. Bei DYMO, Fred blieb der Finger halten.

    Das musste der Name sein. Er versuchte nochmals, halblaut, verschieden Sprechweisen, alle passten zu dem Namen, den er in der Liste gefunden hatte. Der Vollständigkeit halber ging er noch den Rest der Liste, die ungefähr 150 Eintragungen enthielt, durch. Er fand keinen weiteren Namen, der nur im Entferntesten eine phonetische Ähnlichkeit aufwies. Befriedigt klappte Heller die Mappe zu. Seine Intuition hatte ihm schnell die gewünschte Information gebracht und aufwendige Recherchen in den verschiedenen Telefonbüchern und sonstigen Registern erspart.

    Er setzte sich wieder an den Schreibtisch und holte sich das direkte Telefon heran, das nicht an die Firmentelefonanlage angeschlossen war. Hellers Büro hatte sowohl einen direktes Telefon als auch einen direkten Faxanschluss. Auch ins Internet konnte er, ohne das Firmennetzwerk benutzen zu müssen. Er hatte zwei Personal Computer, einer war mit dem firmeninternen Netzwerk verbunden, dazu gab es noch ein tragbares Notebook, das Heller unabhängig vom Firmencomputer verwenden konnte.

    Aus dem Stahlschrank holte er sein privates, geheimes Telefonbuch und suchte die Nummer seines Mitarbeiters bei Greenworld heraus. Heller hatte Glück. Bereits beim zweiten Läuten meldete sich die Heller wohlvertraute Stimme. Heller gab sich gleich zu erkennen.

    „Heller, guten Tag. Können wir ungestört sprechen?"

    „Kein Problem, ich bin ein allein zu Hause. Was kann ich für sie tun?"

    „Sagt ihnen der Name Fred Dymo etwas?"

    „Na klar doch. Fred der Spinner. Ist bei Greenworld. Was wollen sie wissen?"

    „Alles. In der Kürze aber nur das Wichtigste. Bis morgen früh würde ich dann einen vollständigen schriftlichen Bericht brauchen. Lässt sich das Machen? Sie können mir den Bericht auf dem üblichen Weg zukommen lassen."

    „Kein Problem, wird gemacht. Bis morgen früh haben sie die gewünschten Informationen. Ich mache mich gleich darüber. Was wollen sie sofort wissen?"

    „Was für ein Typ er ist und ob er oder Greenworld irgendetwas gegen die CHEMOG geplant oder möglicherweise schon durchgeführt hat."

    „Kenne mich aus. Also Fred heißt nicht umsonst der Spinner. Er ist ein wirklichkeitsfremder Idealist, der am liebsten jede Technik verbieten würde und die Menschen mit Bärenfellen bekleidet in die Höhlen zurückschicken würde. Er hat nur das Problem, dass er nicht weiß wie er zu Bärenfellen kommt ohne dabei die Bären umzubringen. Spaß beiseite. Für ihn ist die gesamte Industrie in Umweltangelegenheiten kriminell und alle Methoden, die gegen die Industrie gerichtet sind, sind zulässig. In seiner Art ist er ein militanter Pazifist oder ein pazifistischer Militarist. Er ist seit zwei Jahren bei Greenworld. Greenworld ist ihm an sich zu wenig radikal, aber er hat bisher nichts Besseres gefunden. Fred hat jede Menge Ideen für Aktivitäten, die meisten sind wegen ihrer Radikalität nicht durchführbar. Es gab immer wieder endlose Diskussionen mit Karl Broder, dem Leiter unserer Niederlassung hier."

    Heller fiel auf, dass er von „unserer Niederlassung" über Greenworld sprach. Er machte sich eine Notiz auf seinem Block. Wenn die Angelegenheit vorbei war, musste er sich überzeugen, dass der Mann noch loyal zu ihm stand.

    „Broder hätte Dymo am liebsten von Greenworld ausgeschlossen. Er hat mit uns öfter darüber gesprochen."

    „Warum hat er es nicht getan?"

    „Weil er befürchtet hat, dass Fred dann allein losmarschieren würde, um irgendeine seiner wirren Ideen auszuführen. Und wenn so eine Aktion schief ging, wäre sie sicher auf Greenworld zurückgefallen. Da war es besser ihn bei Greenworld und damit unter einer gewissen Kontrolle zu behalten."

    „Hat dieser Fred Dymo jemals eine Soloaktion durchgeführt oder war bekannt, dass er eine plante?"

    „Ob er eine Soloaktion durchgeführt hat, weiß ich nicht. Herausgekommen ist jedenfalls nie etwas. Geplant hat er Aktionen in jedem Fall, aber Broder hat ihm derartiges ausdrücklich und mehrmals untersagt. Nach den Statuten von Greenworld, die jeder beim Beitritt verbindlich unterschreiben muss, sind Einzelaktionen ohne Wissen oder Zustimmung der Organisation grundsätzlich verboten. Fred erhielt von Broder zusätzlich ein persönliches Verbot. Soweit bekannt ist, hat er seine Pläne immer mit Broder und der Organisation abgesprochen."

    „Verstehe. Und hat er jemals eine Aktion gegen die CHEMOG vorgeschlagen?"

    „Klar doch. Mehrmals sogar, sie wurden aber immer als nicht zielführend abgelehnt und nicht in die Planung aufgenommen. Ich habe sie in meinen Berichten erwähnt."

    Jetzt fiel Heller wieder ein, wo er den Namen Dymo schon gelesen hatte. Natürlich. In den Berichten seines Informanten war der Name einige Male vorgekommen. Die Ideen waren so verrückt gewesen, dass auch Heller keinerlei Gefahr gesehen hatte und sie daher nicht ernst nahm. Das war der Grund gewesen, dass er den Namen Dymo sofort wieder vergessen hatte. Jetzt fiel ihm ein, dass er einmal etwas über die Deponie gelesen hatte. Heller wusste genug.

    Fred Dymo war der Mann, den er suchte. Dymo war für den Vorfall auf der Deponie verantwortlich. Der Knabe konnte was erleben. Es war Zeit, zur Konferenz zu gehen. Er beendete das Gespräch mit dem Informanten.

    „Danke, das genügt. Den Rest schreiben sie mir bitte. Und bitte hören sie sich unauffällig um, ob sie im

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