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Flusenflug: Die Bekenntnisse eines Firmenjägers
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eBook527 Seiten6 Stunden

Flusenflug: Die Bekenntnisse eines Firmenjägers

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Über dieses E-Book

Bis in die frühen 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts war das Konzept der "Mergers & Acquisitions" eigentlich nur in den USA bekannt. Einen Restrukturierungsmarkt, den sich Peter Maria Löw seitdem als erster weltweit erschloss und der heute etwas ganz Selbstverständliches darstellt, gab es damals noch nicht. Was im Frühjahr 1993 in einem Biergarten in München als flüchtiger Gedanke entstand, sollte in der Folge eine wahre Revolution auslösen. In die Rolle des Vorreiters wurde Löw jedoch eher durch die Umstände als durch echtes Kalkül gedrängt. Die Entscheidung, keine Bankkredite in Anspruch zu nehmen, und der unbeugsame Wille, dennoch die teuersten und riskantesten Investitions­güter der Welt, nämlich Unternehmen, zu kaufen, zwang ihn förmlich dazu, sich auf die Übernahme und Restrukturierung unprofitabler oder leistungsschwacher Unternehmen zu beschränken. Im Endeffekt beruhte Löws Erfolg zu einem großen Teil auf den Unzulänglichkeiten der verkaufenden Konzerne und zu einem anderen großen Teil auf dem menschlichen Versagen der Manager vor Ort. Löw gibt mit seinen detaillierten Schilderungen den Blick frei auf eine Welt, die wir in ihrer Unvollkommenheit so nicht erwartet hätten. Mit jedem Kapitel des Buches verlieren wir ein wenig mehr die Hochachtung vor den angeblichen Autoritäten, den übermächtigen Konzernen, vor den Besserwissern, die schon immer zu wissen glaubten, wie man es richtig macht, es aber selbst nie hinbekommen haben. Das Buch liest sich in weiten Teilen wie ein Abenteuerroman – in der Welt der Wirtschaft.
SpracheDeutsch
HerausgeberOsburg Verlag
Erscheinungsdatum1. Okt. 2020
ISBN9783955102395
Flusenflug: Die Bekenntnisse eines Firmenjägers

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    Eine sehr gelungene Darstellung eines Lebenswerks. Irgendwie auch: ein deutscher Warren Buffett. Wirklich stark!

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Flusenflug - Peter Maria Löw

Teil 1

Das 1. Abenteuer

Im Niemandsland (Ostwestfalen)

Inzwischen waren mehr als sechs Monate vergangen. Martin hatte tatsächlich bei seiner Firma gekündigt und streifte seitdem wie ein einsamer Wolf durch die Lande, immer auf der Suche nach Beute. Natürlich ging er dabei nicht planlos vor, sondern hatte jene kleine, feine und geheime Liste aus seiner alten Firma mitgenommen, eine Liste von Unternehmen, die möglicherweise zum Verkauf standen. Diese hatte er in seiner Zeit als Akquisiteur bei der IMM für sich erstellt, mit Firmen, die nicht unbedingt in das Beuteschema der IMM fielen, jedoch uns als kleine Einsteiger durchaus interessant erschienen. Und natürlich waren alle diese Unternehmen Büromaschinenhändler, denn mit nichts anderem hatte Martin sich im vergangenen Jahr beschäftigt. Seine Frau war natürlich ob dieser Entwicklung nicht sehr glücklich. Bereits seit einigen Monaten schwanger¹² war es für sie alles andere als eine Traumvorstellung, dass ihr Mann den wohldotierten und langfristig garantierten Job verließ, um ohne konkrete Aussicht auf ein gesichertes Einkommen und ohne festen Arbeitsplatz rastlos umherzuziehen, bei wildfremden Firmen anzuklopfen und nur noch selten zu Hause zu sein. Doch derart kleinkrämerische Gedanken ließen wir nicht gelten.

Ich zahlte Martin, wie vereinbart, die Hälfte meines McKinsey-Gehalts und Martin fuhr mit dem klapprigen und ausrangierten Mercedes seines Vaters, der bestimmt seine fünfzehn, zwanzig Jahre auf dem Buckel hatte, in die Welt hinaus. Ich selbst hatte dabei zugegebenermaßen den weitaus angenehmeren Job. Ich blieb auf meiner tollen Position bei McKinsey, genoss weiterhin die Erste-Klasse-Flüge und die 5-Sterne-Hotels. Zweimal umkreiste ich auf diese kommode Art den gesamten Erdball, von München nach Boston, über Denver nach Los Angeles, von Hawaii (natürlich) nach Japan, nach Hongkong und nach München zurück, um als doch reichlich unerfahrener Berater den großen, internationalen Consultant zu mimen.

Ende 1992 war es dann so weit. Nach vielen Absagen durch potentielle Verkäufer, aber auch nach vielen Absagen durch uns nach Analyse der Firmenzahlen, hatte Martin scheinbar das ideale Unternehmen gefunden. Geld hatten wir ja keines und so war ich doch ein wenig überrascht, als Martin mir mit strahlenden Augen unseren ersten Deal präsentierte. Ein kleiner Büromaschinenhändler in Espelkamp mit gerade einmal DM 7,9 Mio. Umsatz sollte es sein. Er werde von zwei älteren Herren geführt, die aus Altersgründen die Firma verkaufen wollten, sich aber bereit erklärt hätten für ein, zwei weitere Jahre als Geschäftsführer in der Firma zu verbleiben. Der Kaufpreis sollte »nur« DM 7 Mio. betragen und entsprach damit fast einmal dem Umsatz. Einen in Relation zum Umsatz derart hohen Kaufpreis würden wir in der Zukunft übrigens nie mehr zahlen, aber noch waren wir die Unerfahrenen. Martin schwärmte von den Vorzügen dieser Firma. Die A + L Bürocenter GmbH¹³ sei der Platzhirsch und habe mit Minolta einen zuverlässigen Lieferanten. Allerlei stille Reserven hatte Martin außerdem in den Jahresabschlüssen ausgemacht, die nach seiner Meinung innerhalb kürzester Zeit gehoben werden könnten und damit unweigerlich zu einer raschen Rückführung des gesamten Kaufpreises führen müssten. Das hörte sich doch ganz gut an.

Die A + L Bürocenter GmbH war ein Büromaschinenhändler, der auf mehreren Geschäftsfeldern aktiv war. Die Gesellschaft verkaufte mit 27 Mitarbeitern nicht nur Kopiergeräte und andere Büromaschinen, sie unterhielt auch einen eigenen Leasingdienst, der Kopiergeräte an Endkunden, meist gewerbliche oder industrielle, verleaste, außerdem einen Wartungs- und Reparaturdienst. Alleine in der Werkstatt arbeiteten circa 11 Mann und nicht zuletzt gab es auch noch eine Abteilung für Büromöbel. Die Gesellschaft hatte ihren Sitz in Espelkamp, einem Städtchen oder besser einem ehemaligen Munitionslager der Nazis, das nach dem Krieg mit Aussiedlern aus dem Osten erst zu einem Städtchen aufgepäppelt worden war. Nördlich des Wiehengebirges gelegen, also dort wo jede Zivilisation aufhört, umgaben das große Torfmoor, das Niedermoor und das Freimoor das Stadtgebiet. Alle schienen dort lutheranisch oder so was zu sein, jedenfalls waren sie nicht sehr redselig und meistens schlecht gelaunt. Die nächste größere Stadt war ca. 40 Kilometer entfernt und das war dann ausgerechnet auch noch Bielefeld!

Der Markt war wegen relativ geringer Eintrittsbarrieren und einer weit gestreuten Lieferantenschar, die fast identische Artikel zu fast identischen Preisen lieferte, heiß umkämpft. Es gab nur eine geringe Markentreue unter den Abnehmern. Ob ein Kopiergerät von Canon, Ricoh oder Minolta kam, war letztlich relativ egal. Was dem Kunden jedoch nicht gleichgültig war, waren die Reaktionszeiten, falls es einmal zu einem Papierstau bei einem Kopiergerät gekommen war. Im schlimmsten Fall konnte so ein ganzer Geschäftsbetrieb lahmgelegt werden. Daher definierten gerade diese Reaktionszeiten, nämlich die Entfernung und damit die Fahrzeiten der Reparaturteams vom Firmenstandort zum Kunden, in welchem Umkreis Kunden bedient werden konnten. Und tatsächlich besaß die A + L, ähnlich einem militärischen Gefechtsstand, eine operative Einsatzzentrale, die die verschiedenen Reparaturfahrzeuge zentral steuerte und so die kürzesten Reaktionszeiten erzielte.

Am 31. Dezember, also am Silvesterabend des Jahres 1992, unterzeichneten wir mit den Verkäufern Herrn Landmeier¹⁴ und Herrn Althaus¹⁵ den Kaufvertrag. Der Kaufpreis sollte mit Fertigstellung der geprüften Jahresabschlüsse geleistet werden. Dann wären wir stolze Eigentümer unserer ersten Firma, hafteten aber auch persönlich für die gesamte Finanzierung. Mit circa DM 7 Mio. belastet, aber um ein Unternehmen reicher, begannen wir nunmehr unsere Karriere als Firmenkäufer.

An diesem denkwürdigen Silvesterabend kehrten wir in Martins alter Kutsche erschöpft, aber doch befriedigt und ehrlicherweise auch ein wenig besorgt nach München zurück. Wir hatten alles auf eine Karte gesetzt. Die im Haus von Martin Vorderwülbecke angesetzte Silvesterfeier war bei unserer Ankunft gegen zwei Uhr so gut wie vorbei, die Stimmung bei ihm zu Hause natürlich aufgrund der zu späten Stunde und der uns dämmernden Haftungslage ein wenig angespannt. So endete dieser Abend bzw. begann dieser Neujahrsmorgen doch etwas lautstärker, nicht wegen der noch vereinzelten Böller, sondern wegen des offenbar aussichtslosen Versuchs von Martin, seiner lieben Frau die Situation zu schildern. Irgendwann ging eine Tür zu Bruch. Da beschloss ich, doch besser zu gehen. Wie schwer fällt es manchmal, die großen Taten waghalsiger Männer angemessen zu würdigen im Angesicht des täglichen, hochkomplexen Mikrokosmos eines Haushalts.

Nun waren wir ja von Hause aus nicht mit unbegrenzten Geldmengen gesegnet. Eigentlich hatte ich mir durch meine Arbeit bei McKinsey lediglich ein Polster von rund DM 150 000¹⁶ zurücklegen können. Ähnlich war es bei Martin. Der Kaufpreis sollte jedoch ebendie geforderten DM 7 Mio. betragen. Es bestand also noch eine gewisse Differenz. Fröhlich und naiv wie ich damals war, ging ich als Erstes zu meiner Hausbank in München und fragte an, ob diese nicht einfach die fehlenden DM 3,35 Mio. auf meinen hälftigen Anteil finanzieren könnte. Ich pries die zu kaufende Firma in den höchsten Tönen, konnte positive Bilanzen der letzten Jahre vorweisen, es gelang mir sogar, den Bankbetreuer auf meine Seite zu ziehen, der natürlich zunächst nur seine Provision im Auge hatte. Jedoch kamen aus dem Kreditausschuss ernüchternde Nachrichten. Man wolle aus München heraus nicht eine Firma im entfernten Espelkamp – Wo liegt das eigentlich? Gibt es das überhaupt? – finanzieren. Die Firma sei im Übrigen viel zu klein und damit unterkritisch¹⁷ für ein solches Investment. Schließlich hätte ich keinerlei Track Record¹⁸ und könnte auch sonst nicht nachweisen, dass ich überhaupt in der Lage sei, eine solche Firma operativ zu managen. Aber weil sie ja einen so guten Eindruck von mir hätten und ich schließlich ja bei McKinsey arbeiten würde, hätten sie sich im Gremium dafür entschieden, mir doch in gewisser Weise unter die Arme zu greifen. Unter Verpfändung meines McKinsey-Einkommens bis ans Lebensende wären sie gerne bereit, mir DM 200 000 zu leihen.

Das waren andererseits auch keine völlig schlechten Nachrichten. Immerhin hatte ich jetzt erkannt, dass meine Position bei McKinsey anscheinend einen gewissen monetären Wert besaß. Daher bedankte ich mich freundlich für die Zusage, strich die DM 200 000 ein und setzte, ausgestattet mit jetzt insgesamt DM 350 000, meine Finanzierungsreise fort. Bei der nächsten Bank erging es mir ähnlich, nur dass ich meine Geschichte in der Zwischenzeit ein wenig adaptiert hatte. Nunmehr konnte ich auf DM 350 000 »Eigenmittel« zurückgreifen. Mir fehlte also nur noch die kleine Differenz von DM 3,15 Mio. und wieder bekam ich eine Zusage über einige Hunderttausend DM »wegen McKinsey«, sodass sich die Finanzierungslücke langsam zu schließen begann. So zog ich munter weiter durch die Finanzwelt und ergatterte hier und da noch einige Mittel, um schließlich mit fast einer Million im Säckel bei der örtlichen Sparkasse in Rahden vorzusprechen, die seit Jahren die Hausbank der A + L gewesen war. Auch Martin war ähnlich weit gekommen.

Jetzt standen wir also gemeinsam vor Herrn Direktor Gollup. Herr Gollup, inzwischen an die sechzig, war das, was man sich unter dem Direktor einer ländlichen Sparkasse vorstellte. Mit einem kleinen Wohlstandsbauch ausgestattet, stets in grauem Anzug mit Weste und einer eigenwilligen Krawatte, die ich nie in Erwägung ziehen würde, strahlte er die Würde und Bedeutung seines Amtes aus. Mit der Bitte uns, als wichtige Investoren, eine gewisse Brückenfinanzierung für die Akquisition der für den Landkreis so bedeutenden Firma A + L zur Verfügung zu stellen, stießen wir endlich auf offene Ohren. Der Bankdirektor, von unserer offensichtlichen Finanzkraft und unserem bestimmenden Auftreten beeindruckt, erklärte sich bereit, unter Verpfändung der Anteile der Gesellschaft und nach Abgabe jeweils einer gesamt- und selbstschuldnerischen, persönlichen Bürgschaft unter Verzicht auf jedwede Einrede (übrigens wie bei allen anderen Banken vorher auch) das fehlende Quäntchen zu finanzieren.

Dass eine solche »Kaskadenfinanzierung« natürlich nicht den üblichen Standards einer soliden und seriösen Finanzierung entsprach, dass insbesondere mein McKinsey-Gehalt durch die Mehrfachverpfändungen deutlich strapaziert war, dass dies alles heute natürlich gar nicht mehr möglich wäre, das war mir damals nur ansatzweise bewusst. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

Zwei Monate später lagen die Jahresabschlüsse vor und wurden beim Notar hinterlegt. Die Fälligkeitsvoraussetzungen für die Auszahlung der Bankdarlehen waren damit eingetreten. Die tatsächliche Abwicklung des Kaufvertrages sollte jedoch bereits in dieser frühen Phase einen leichten Schatten auf unser erstes gemeinsames Projekt werfen. Über den Kaufpreis hinaus hatten wir nämlich mit der Bank vereinbart, dass diese uns einen weiteren Working Capital¹⁹-Kredit²⁰ über DM 200 000 zur Verfügung stellte. Die Idee war, mögliche Schwankungen im Cashflow der A + L, die man nicht voraussehen konnte, auszugleichen. Wir hatten also auf unserem Konto nach Auszahlung aller Darlehensvaluta DM 7,2 Mio.

Im Rahmen einer kleinen Übergabezeremonie hatten wir uns alle in den Räumen der Gesellschaft versammelt. Anwesend waren die Herren Landhaus und Altmeier, der Herr Bankdirektor aus Rahden, Martin Vorderwülbecke und ich. Mit feierlicher Geste nahm Martin ein Scheckformular zur Hand und im Beisein aller füllte er dieses Scheckformular mit dem Kaufpreis aus und übergab es ebenso feierlich den beiden Verkäufern. Was Martin jedoch in der Aufregung dieses Augenblicks übersehen hatte, er hatte anstatt des Kaufpreises von DM 7 Mio. einen Betrag von DM 7,2 Mio., also den gesamten Valutabetrag des Darlehens, eingetragen. Dies bemerkten wir erst wenige Tage später, als die Valuta von unserem Konto in dieser überkompletten Höhe von den beiden Verkäufern abgebucht worden war. Natürlich stand im Kaufvertrag eine andere Summe und natürlich hatten die Herren auch keinerlei Anspruch auf den erhöhten Betrag. Wir fragten also an, ob sie den Betrag erhalten hätten und wenn ja, wann sie uns den versehentlich zu viel geleisteten Teil wieder zurücküberweisen würden. Die Antwort war kurz und bündig. Ein ostwestfälisches »Nö« schallte uns entgegen. Es sei eine alte Regel, dass das, was gezahlt worden sei, bezahlt sei und immer so verbliebe. Das sei hier so! Wir waren nun in einem gewissen Dilemma, denn einerseits sollten besagte Herren die Firma unter unserer Ägide ja weiterführen, und wir wollten es uns nicht gleich am Anfang mit ihnen verderben, andererseits handelte es sich nicht gerade um einen geringen Betrag, jedenfalls nicht für uns, die sich den gesamten Kaufpreis überhaupt erst hatten leihen müssen.

Um einem Streit gleich zu Beginn der Beziehung aus dem Wege zu gehen, schalteten wir den Bankdirektor aus Rahden ein, der die beiden Herren ja aus der Vergangenheit gut kannte. Da lernten wir den ruhigen und souveränen Herrn Gollup dann von einer ganz anderen Seite kennen. Mit einer diesem Körper kaum zuzutrauenden Lautstärke machte er den beiden Herren in klaren ostwestfälischen Worten deutlich, dass, wenn sie diesen Betrag nicht unverzüglich zurückzahlen würden, er sie nicht nur pfänden werde, sondern darüber hinaus auch ein strafrechtliches Verfahren bei dem mit ihm befreundeten Staatsanwalt mit allen daraus entstehenden Konsequenzen einleiten würde. Ich lernte hier, dass Höflichkeit und Freundlichkeit nicht immer der beste Weg sind, denn diese Ansage schien wohl deutlich mehr Eindruck zu hinterlassen als unsere nett vorgetragene Bitte. Bereits am Nachmittag desselben Tages waren die überschüssigen DM 200 000 wieder unserem Konto gutgeschrieben, ostwestfälisches Landrecht hin oder her.

Mich jedenfalls hatte dieses Geschäftsgebaren bei meinem ersten Deal doch ein wenig nachdenklich gestimmt. Aber nun schienen ja alle Hindernisse aus dem Weg geräumt und endlich konnte unser Expeditionsboot Fahrt aufnehmen – hinaus auf den blauen Ozean der unbegrenzten Möglichkeiten.

12Im Oktober kam dann Sebastian zur Welt.

13Firmenname geändert.

14Name geändert.

15Name geändert.

16Ausweislich des notariell beglaubigten Status über mein Vermögen vom 3. März 1993. Die Beglaubigung erfolgte übrigens durch einen mit Martin befreundeten Notar, der uns »der Einfachheit halber« den Notarstempel für ein paar Stunden zum freien Stempeln überließ.

17Unterkritisch bezeichnet eigentlich den Zustand in einem Kernreaktor, wenn dessen Neutronenvermehrungsrate unter dem Wert von 1 liegt und dadurch keine Kernspaltungs-Kettenreaktion mehr aufrechterhalten werden kann; hier (Branchenjagon): der Zustand, wenn eine Gesellschaft derart wenig Umsatz erzielt, dass sie selbst bei starken Kostenreduktionen nicht langfristig profitabel wirtschaften kann.

18Track record (engl.): Erfolgs- und Erfahrungsgeschichte einer Person, einer Beteiligungsgesellschaft bzw. eines Unternehmens und dessen Managements (Wikipedia).

19Working capital (engl.): Umlaufvermögen abzüglich kurzfristiger Verbindlichkeiten.

20Synonym für Betriebsmittelkredit.

Das 2. Abenteuer

Krieg in Espelkamp

Nachdem wir nunmehr ein kleines Portfolio mit unserem ersten Unternehmen eröffnet hatten, konnte es planmäßig weitergehen. Denn es sollte ja nicht bei diesem einen Unternehmen bleiben. Tatsächlich wollten wir eine Unternehmensgruppe, einen Konzern, ein ganzes Firmenimperium kurz vor der Weltherrschaft aufbauen. Unsere etwas blauäugige Idee war es, mit unseren überschaubaren Mitteln, einem überschaubaren persönlichen Einsatz und in überschaubarer Zeit zu einem unüberschaubaren Reichtum zu gelangen. Wir entwickelten also ein Modell, das akademischen Ansprüchen sicher gerecht geworden wäre, das dann aber doch erhebliche Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung bereitete.

Unser Plan sah nämlich Folgendes vor: Wir wollten zunächst ein erstes Unternehmen erwerben – das hatten wir nun bereits getan – und dabei das alte, erfahrene und in der Vergangenheit erprobte Management auf seinem Posten belassen. Mit diesem Management wollten wir für das jeweilige Wirtschaftsjahr ein Budget vereinbaren, das am Ende des Jahres zu einem kalkulierten Gewinn führte. Und mit diesem budgetierten Gewinn wollten wir zum einen teilweise unsere Darlehensverbindlichkeiten aus der Akquisition zurückzahlen, zum anderen den verbleibenden Rest wieder reinvestieren, das hieß weitere Unternehmen kaufen. Dieses Modell wollten wir also skalieren, d. h. ein zweites, ein drittes, ein viertes Unternehmen usw. erwerben, sodass wir uns irgendwann als Herren eines mächtigen Firmenimperiums wähnten, das unglaublich hohe Gewinne erwirtschaften und uns nach einigen Jahren, wenn wir dieses Imperium dann verkauften, eine gewaltige Summe Geldes einspielen sollte. Bei diesem Plan, so schön er sich in der Theorie anhörte und wie sehr er auch die persönlichen Fantasien anregte, zeigte es sich jedoch schon bald, dass er zum völligen Scheitern verurteilt war. Was am Universitäts- oder später am Biertisch ceteris paribus²¹ wunderschön konstruiert war, sollte in der realen Welt leider ohne ceteris paribus, sondern mit all seinen unbekannten Einflüssen, nicht umsetzbar sein.

Martin jedenfalls zog zunächst schon wieder durch die Gegend auf der Suche nach einem zweiten Unternehmen und ich genoss noch meine Beraterposition bei McKinsey und das damit verbundene Prestige. Da ereilten mich aus Espelkamp besorgniserregende Nachrichten. Der Cashflow stimme nicht, teilte mir Martin mit, es seien einfach zu wenig Gelder auf den Geschäftskonten. Die Umsätze wären zwar planmäßig, aber irgendwie komme das Geld nicht bei uns an. Besorgt trafen Martin und ich uns am folgenden Wochenende konspirativ in der Firma, also außerhalb der Geschäftszeiten und ohne es dem Management vorher mitzuteilen. In einer Nacht- und Nebelaktion durchforsteten wir die noch nicht digitalisierte Buchhaltung, was bedeutete, wir wälzten Verkaufsstatistiken, Verträge und Bankkonten. Das war aus technischen Gründen nicht ganz so einfach, denn die Akten befanden sich in einem unzugänglichen Keller. Und dieser war, welch ein Zufall, erst vor kurzem, durch wen auch immer, unter Wasser gesetzt worden. Alle Unterlagen waren nicht nur völlig durchnässt, sondern auch von dicken Schlammschichten überzogen. Das hieß, vor dem Prüfen musste jedes Blatt erst einmal gereinigt werden. Gott sei Dank hatten wir unseren braven Mitarbeiter Stiwo Wirstle dabei, der nicht nur Steuerberater war, sondern auch echte »Hands on«-Qualitäten besaß.

Zusammen mussten wir nach Auswertung der »gereinigten« und bereinigten Zahlen feststellen, dass sich einer der beiden Geschäftsführer, Herr Landmeier (das L von A + L), offenbar entschlossen hatte, die Geschäfte so zu führen, wie er es vor unserer Übernahme gewohnt war, nämlich, indem er sämtliche freie Liquidität von den Bankkonten der Gesellschaft einfach auf seine eigenen überwies. Dass dies nicht nur eine nette alte Gewohnheit oder rein reflexartig geschehen war, war uns allen klar. Auch die Verschlammungsaktion der Akten erschien nun in einem neuen Licht. Nach den Erfahrungen mit der Überzahlung des Kaufpreises war das Vertrauen in Herrn Landmeier nun derart erschüttert, dass wir uns entschlossen, ihn wegen Untreue fristlos zu entlassen. Auch diesmal wirkte die lautstarke Drohung mit dem Staatsanwalt, ich hatte vom Bankdirektor gelernt. Die Beweislage war so eindeutig, dass Herr Landmeier sich gezwungen sah, auch diesen ihm nicht zustehenden Betrag unverzüglich zurückzuüberweisen und die Kündigung klaglos zu akzeptieren. Da war es nur noch einer …

Nachdem wir uns so bereits intensiv in die Buchhaltung eingearbeitet hatten, war uns en passant aufgefallen, dass selbst bei Korrektur des »Landmeier-Effekts« die Buchhaltung irgendwie immer noch nicht aufging. Es fehlten immer noch Beträge in nicht unerheblicher Höhe. Wir entschlossen uns daher, einen Privatdetektiv zu engagieren, der das Geschäftsverhalten des anderen Geschäftsführers, Herrn Althaus, unter die Lupe nehmen sollte, natürlich diskret und ohne, dass er dies merkte. Tatsächlich meldete sich besagter Privatdetektiv nach einer Woche wieder. Er hatte eine Reihe von Käufen von gebrauchten Maschinen direkt bei Herrn Althaus durchgeführt. Diese Gebrauchtmaschinen waren in der Regel Kopierer, bei denen der Leasingvertrag ausgelaufen war. Er wies uns nach, dass diese Geräte eben nicht in das Lager der Gesellschaft zur Aufarbeitung und zur Neuvermietung zurückgegangen und, wie es korrekterweise hätte erfolgen müssen, diesem Lager auch nicht zugebucht worden waren. In Wahrheit, und das hatte der fleißige Detektiv herausgefunden, hatte Herr Althaus die Geräte zwar in Empfang genommen, diese jedoch unter der Hand, ohne Rechnung und natürlich nur gegen bar zugunsten seines privaten Geldbeutels verkauft. Drei solcher Fälle konnten wir Herrn Althaus nachweisen und auch hier war die Reaktion unsererseits eindeutig: fristlose Kündigung und Wiedergutmachung des angerichteten Schadens. Im Gegenzug zogen wir in Erwägung, Herrn Althaus trotz der eindeutigen Untreue nicht der Staatsanwaltschaft zu übergeben.

Somit sah nach wenigen Monaten unserer strahlenden Unternehmertätigkeit die Situation wie folgt aus: Wir besaßen eine Gesellschaft ohne Geschäftsführung, wir selbst hatten ungefähr DM 7 Mio. Schulden und wir beide, Martin und ich, verfügten zu allem Übel über keinerlei Erfahrung, wie man eine solche kleine Firma irgendwo in Ostwestfalen überhaupt leitete. Dies war für mich in dieser zweifelsfrei sehr existenzbedrohenden Situation der Zeitpunkt, an dem ich ich mich entschloss, mein sehr bequemes McKinsey-Leben im oberen Luxusbereich aufzugeben und mich höchstpersönlich um meine Firma zu kümmern. Ich kündigte also mein Anstellungsverhältnis bei McKinsey und zog aus meinem 5-Sterne-Hotel, das sicherlich viele Hundert DM am Tag kostete, in ein kleines möbliertes Zimmer in einem Bauernhof in der Nähe von Preußisch Oldendorf, das nur mit DM 17 pro Tag zu Buche schlug und preisentsprechend ausgestattet war. Von nun an war ich also der Herr Geschäftsführer.

Was zunächst wie eine Katastrophe anmutete, sollte sich für meine Unternehmerkarriere zu einem wahren Segen entwickeln. Denn in dieser existentiellen Situation war ich zum einen gezwungen, das Handwerk der Firmenführung von der Pike auf zu erlernen. Zum anderen brachte die Entlassung der beiden alten Geschäftsführer ein ganz beachtliches Trostpflaster mit sich. Beide hatten sich als Geschäftswagen teure, auf die Firma zugelassene Luxusgefährte gegönnt, die nunmehr disponibel waren. Sicherlich hätte man, um den Cashflow zu stärken, an einen Verkauf denken können, aber so waren wir nun einmal nicht. Ich für meinen Teil interpretierte dies eher als einen Wink des Schicksals. So erhielt Martin als junger Familienvater die nagelneue Mercedes 500 SEL Limousine und konnte endlich die alte Kiste seines Vaters abmelden. Für mich fiel ein schickes Mercedes Cabrio 500 SL in dunkelblau metallic mit schwarzen Ledersitzen und allen erdenklichen Extras ab, ein Fahrzeug, das man sich als 32-jähriger selten aus eigener Kraft leisten kann. Entsprechend fiel das Urteil in meinem Freundeskreis aus. Entweder wurden mir illegale Geschäfte im Bereich der Drogenkriminalität oder des Menschenhandels unterstellt oder man ging einfach davon aus, dass ich mich in offensichtlichem Größenwahn übernommen hätte. Ganz anders war der Effekt bei der Damenwelt, die offenbar sehr schnell vom Auto auf den Halter schloss. Jedenfalls öffnete mir dieser Wagen sehr viele Türen.

Derweil häuften sich die Probleme in unserer Gesellschaft. Sie besaß nur eine händische Einnahmenüberschussrechnung und keine moderne Buchhaltung. Wir installierten somit erstmalig ein einfaches EDV-System und »hackten« alle Buchungsdaten höchstpersönlich in mehreren Wochenendsitzungen in die Computer. Doch das alleine reichte nicht. Da wir eigentlich kein Geld übrig hatten, andererseits eine moderne EDV-Infrastruktur aus unserer Sicht unverzichtbar war, mussten wir also eine günstige Lösung finden. Unser Technikleiter in Espelkamp hatte von einem jungen Mann in Rahden gehört, der sich mit diesem neumodischen Kram auskennen würde. Wenn ich von jungem »Mann« spreche, so war das ein wenig übertrieben. Herr Lars Windhorst war damals gerade erst 15 Jahre alt geworden und eigentlich noch Schüler. Er hatte in der Garage bzw. im Hobbyraum seines Vaters eine Art Computerwerkstatt eingerichtet. Dort versuchte er, neben dem Schulunterricht Computernetzwerke für die Handwerker der Region zusammenzuschrauben. Es handelte sich tatsächlich um jenen Lars Windhorst, der später als »Wunderkind« mit Bundeskanzler Helmut Kohl auf Chinareise ging und anfing, Wolkenkratzer in Fernost zu bauen, bis er ein-, zweimal doch kräftig auf die Nase fiel, auch einen Flugzeugabsturz überlebte, um heutzutage wieder als sehr erfolgreicher Investor im Corporate Bereich weltweit von sich reden zu machen. Als solcher ist er vor kurzem bei Hertha BSC mit einem vielfachen Millionenbetrag eingestiegen.

Jener junge Herr Windhorst war genau unser Mann. Bei Stundenlöhnen im Taschengeldbereich, aber einer sehr guten Expertise, wo man die günstigsten Komponenten bekommen konnte, waren wir uns sehr schnell handelseinig. Herr Windhorst errichtete uns für kleines Geld eine umfängliche Computerinfrastruktur, er arbeitete sogar samstags und sonntags, dann aber nur gegen Extrazulage. Wir mussten ihn kostenlos mit Pizza und Coca Cola versorgen. Sein Geschäft schien auch sonst an Fahrt aufzunehmen. Kam er anfangs noch mit einem Mofa nebst kleinem Anhänger aus dem drei Kilometer entfernten Rahden angebraust, so fuhr er ein halbes Jahr später bereits mit eigenem Kfz vor. Natürlich nicht er selbst, sondern er setzte damals einen älteren Schulfreund, der schon den Führerschein hatte, als Fahrer und Chauffeur ein, eine Marotte, die er bis heute beibehalten hat. Im Verlaufe der Wochenendsitzungen löste sich dann der Coca-Cola-Konsum mit steigender Uhrzeit mit dem Konsum des einen oder anderen Glases Wein ab, was zu fröhlichen Gelagen bis in die späten Abendstunden führte.

Dabei fragte er uns neugierig, wie man das mit dem Firmenkauf eigentlich so mache, auch wenn man kein Geld besäße, auf welche Dinge man achten müsse und welche Fehler zu vermeiden seien. Ich griff bei meinen Antworten auf meinen noch überschaubaren Erfahrungsschatz zurück und zitierte den Ratschlag meines Vaters, dass man am besten ganz unten anfangen solle und sich dann Stufe für Stufe im Leben hocharbeiten müsse. Diese Weisheit, so mein Tipp, dürfe man auf keinen Fall berücksichtigen, sonst würde man weit unter seinen Möglichkeiten enden. Wir hätten uns so auch entschlossen, nicht etwa als Lehrling, sondern gleich als Firmenbesitzer, also oben, einzusteigen. Rotwein, insbesondere der von der Tankstelle, löst bekanntlich die Zunge und so war dieser doch etwas großspurige Vortrag von mir vielleicht nicht vollständig durchdacht, jedoch unser Herr Windhorst schien gerade diesen Aspekt besonders beherzigen zu wollen. Und so stieg er später offensichtlich ganz oben ein, um dann aber auch ziemlich tief zu fallen. Wer einen solchen Sturz überlebt, der kann es wirklich zu etwas bringen. Herr Windhorst scheint es ganz eindeutig heute geschafft zu haben. Ich habe ihn jedenfalls noch das ein oder andere Mal getroffen und die Erinnerungen an diese alten Zeiten waren für beide Seiten, so glaube ich, ganz erquicklich.

Zurück zu den Problemen bei A + L. Es gab auch keinen richtigen Vertrieb. Die einzigen Vertriebspersonen waren die »Herren« Althaus und Landmeier selbst gewesen. Die gab es nicht mehr. Wir mussten also den Vertrieb neu aufbauen und das in einem wettbewerbsintensiven Umfeld. Hier kam mir eine gewisse Kreativität, aber auch ein gesundes Maß an Frechheit zugute. Wie konnte ich es schaffen, gutes Vertriebspersonal von den etablierten Wettbewerbern in unsere doch etwas klapprige Firma zu bekommen? Denn gute Vertriebsleute sind wie scheue Rehe. Sie kennen weder Loyalität, noch haben sie große Skrupel und sind beim ersten Sturm weg. Also dachte ich mir Folgendes aus: Die neuen Vertriebsmitarbeiter sollten ein extrem niedriges Grundgehalt von DM 1000 pro Monat erhalten, jedoch, und das war die Chance gegenüber den Wettbewerbern, das Doppelte an Provision gezahlt bekommen. Dies sollte dazu führen, dass der schlechte Vertriebsmitarbeiter bereits nach kurzer Zeit die Firma wieder verließ, da er mangels Provision und zu niedrigem Grundgehalt nichts verdiente. Der gute Vertriebsmitarbeiter jedoch würde durch die verdoppelten Provisionen überproportional stark verdienen und war dadurch besonders motiviert.

Und ein zweites Element hatte ich mir ausgedacht. Bei allen Wettbewerbsunternehmen erhielten die Vertriebsmitarbeiter immer einen Opel Astra. Dies schien wohl das typische Branchenauto zu sein. Ich hatte mir über das Wesen des Vertriebsmitarbeiters, insbesondere über seine narzisstische Natur, Gedanken gemacht. Ein guter Vertriebsmitarbeiter war ein extrovertierter Mensch, der sich an seinen Erfolgen nicht nur selbst erfreute, sondern seine Umwelt daran teilhaben lassen wollte. Mit anderen Worten, das Social standing war für ihn etwas sehr Wichtiges und das Prestige bildet sich, jedenfalls in Deutschland, vor allen Dingen im Auto ab. So hatte ich mir einen perfiden Plan einfallen lassen. Die Vertriebsmitarbeiter sollten nicht etwa einen von uns vorgegebenen Vertriebswagen erhalten, sondern ihnen würde eine feste Leasingrate für ein Leasingfahrzeug als Firmenwagen zur Verfügung gestellt werden. In der konkreten Auswahl des Wagens wären sie jedoch völlig frei.

Tatsächlich ging dieses Konzept unerwartet gut auf. Potentielle Vertriebsmitarbeiter rechneten sich anhand der Leasingrate schon einmal aus, welchen größtmöglichen Wagen sie mit der an sich niedrigen Leasingrate finanziert bekommen würden. So sammelte sich auf dem Parkplatz für Mitarbeiter schon bald eine farbenprächtige Palette von BMW 635 CSi, Porsche 911 oder große Mercedes-Benz-Schlitten, alle im Schnitt mehr als sechs Jahre alt. Fuhr der Vertriebsmitarbeiter nun mit seinem Wagen nach Hause und stellte ihn vor seine Garage, so konnte jeder der Nachbarn deutlich erkennen, welchen sozialen Aufstieg er vermeintlich genommen hatte und wie erfolgreich er war. Und daraus ergab sich auch schon der zweite Vorteil meiner Strategie. Der Vertriebsmitarbeiter konnte nicht mehr zu seiner alten Firma zurückwechseln, denn welcher soziale Abstieg wäre damit verbunden gewesen, wenn er aus seinem großen BMW wieder in den verhassten kleinen Opel Astra hätte steigen müssen? Diesen sozialen Abstieg hätte er nie und nimmer verkraftet. So war das Autoprogramm nicht nur eine Maßnahme, gute Mitarbeiter anzulocken, sondern auch ein Mittel, um sie an die Firma zu binden.

Das Entlohnungspaket war ein voller Erfolg. Es führte u. a. dazu, dass die besten Vertriebsmitarbeiter deutlich mehr verdienten als ich selbst mit meinem monatlichen Geschäftsführergehalt von DM 12 000. Ich freute mich sogar über jede Mark, die ein Vertriebsmitarbeiter mehr als ich verdiente, da die Firma von diesen Erfolgen überproportional profitierte.

Mit der Zeit entwickelte sich unser kleiner Büromaschinenhändler zum Magneten für alle guten Vertriebsleute der Region, selbst aus anderen Branchen. Die Umsätze der Firma legten stark zu, sodass wir unsere Zinsraten pünktlich bedienen konnten. Dennoch blieb es ein waghalsiger Ritt auf Messers Schneide. Die diversen Bankdirektoren, bei denen wir unsere Akquisitionsgelder geliehen hatten, gaben sich die Klinke in die Hand und stellten sich fast immer mit dem gleichen Satz vor: »Lieber Herr Dr. Löw, wie konnte es passieren, dass es Ihnen erst nach geraumer Zeit aufgefallen ist, dass Ihre Geschäftsführer Gelder von den Bankkonten entwendet haben, und war es wirklich Ihr Plan, dass Sie innerhalb kürzester Zeit kein Management mehr haben? Haben Sie überhaupt schon mal selber eine Firma geführt?« Diese Floskeln waren ja noch zu ertragen. Als viel schlimmer stellte es sich heraus, dass besagte Bankdirektoren nunmehr anfingen, ein jeweils eigenes Controlling einzurichten, das hieß, dass sie von uns im Wochen- oder Tagesrhythmus diverse unsinnige Statistiken und Aufstellungen verlangten, um für den möglichen Fall einer Insolvenz ausreichend dokumentieren zu können, wie intensiv sie sich doch um die Firma gekümmert hätten. Jedenfalls kann ich im Nachhinein sagen, dass ich in dieser Zeit ziemlich schlecht geschlafen habe, auch wenn die Aufgabe an sich höchst interessant und unterhaltsam war. Denn mit Gesamtschulden in Höhe von ca. DM 7 Mio. ist eine beginnende Existenz schon oft im Keim erstickt worden.

Nach einem Jahr Geschäftsführertätigkeit vor Ort hatte sich der Umsatz um fast 50 Prozent auf über DM 10 Mio. erhöht. Die Beschäftigung war von 27 auf 41 Mitarbeiter gestiegen. Auch die Profitabilität des Unternehmens hatte sich deutlich verbessert. In der Branche war man auf uns aufmerksam geworden. Wir erhielten Angebote zur Übernahme der Gesellschaft von diversen Wettbewerbern, akzeptierten aber im Endeffekt doch das beste Angebot von den beiden untreuen Herren Landmeier und Althaus, denen es im Pensionärsstand offensichtlich langweilig geworden war, und die damit wohl auch weitere Ermittlungen der Behörden verhindern wollten. Und die beiden Herren bestanden – aus nachvollziehbaren Gründen – nicht wie alle anderen darauf, dass wir noch ein, zwei Jahre als Geschäftsführer im Unternehmen bleiben sollten, auch ein Vorteil.

Wir verkauften also das Unternehmen nach circa 13 Monaten im Februar 1994 mit einem Gewinn von DM 1 Mio., also zu einem Kaufpreis von DM 8 Mio. Damit konnten wir alle unsere Schulden bezahlen. Zusätzlich hatten wir jeweils ein Geschäftsführergehalt von ca. DM 140 000 bezogen. Wir behielten unsere schicken Dienstwagen – nunmehr im Privateigentum – und machten darüber hinaus immer noch einen unternehmerischen Gewinn von DM 1 Mio., zu zweit natürlich und vor Steuern, aber für eine Tätigkeit von etwas mehr als einem Jahr war dies doch ein respektables Ergebnis.

Wir bestanden bei den Herren natürlich auf Bezahlung durch offiziellen Bankscheck. Ein Bankscheck hat die gleiche Bedeutung wie Bargeld. Wenn er verloren geht, kann man das Geld nicht noch einmal erhalten. Ich kann mich noch erinnern, wie Martin und ich taktisch planten, wie wir diesen wertvollen Scheck in Höhe von DM 8 Mio. von der Übergabe beim Notar bis zur Abgabe in der Bank sicher beförderten. Als alter Fallschirmjäger konnte ich Überfallsund Diebstahlsfantasien weitgehend ausräumen, aber ein Unfall? Ein Meteorit? Eine Sintflut? Wer konnte das schon wissen? Irgendwie erreichten wir dann aber doch sicher die Bank und zahlten ein. Ein schönes Gefühl.

21Ceteris paribus (lat.): unter sonst gleichen Bedingungen; in der betriebswirtschaftlichen Modellentwicklung versteht man darunter, dass Regelhaftigkeiten ermittelt werden sollen, indem man in der Modellanordnung zahlreiche andere Einflussgrößen, die in der wahren Welt sehr wohl vorkommen können, dadurch zu eliminieren versucht, dass man sie ignoriert.

Das 3. Abenteuer

Ab nach Kassel

Seit Mitte 1993 hatten wir zur Bündelung unserer zukünftigen Kopieraktivitäten eine Dachgesellschaft gegründet, die System Kopie AG. Mit der Rechtsform AG wollten wir Größe und Seriosität nach außen vermitteln und die Bezeichnung »Vorstand« hatte zudem einen etwas wichtigeren Klang. Diesem Image diente auch die Wahl des Firmensitzes. Wir mieteten uns in einer sehr repräsentativen Villa aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts im Münchner Nobelviertel Bogenhausen ein. Dort, in der Cuvilliesstraße, mussten wir dennoch ein paar Zugeständnisse an unseren Geldbeutel machen. Wir leisteten uns einen komplett getäfelten Raum im Erdgeschoss mit bestimmt 30 qm und dazu nur noch ein winziges Büro von vielleicht 10 qm daneben, mehr ging nicht. Firmenbesucher wurden also stets über den repräsentativen Eingangsbereich der Villa in unser getäfeltes Büro geführt, das wir inzwischen mit zeitgenössischer Kunst und allerlei Schnickschnack »gepimpt« hatten. Der Durchgang zu unseren »weiteren« Büroräumen war dann natürlich für Gäste tabu. Dieses Potemkinsche Büro sollte aber seinen Zweck erfüllen.

Noch vor dem Verkauf der A + L Bürocenter hatte Martin Anfang Oktober 1993 eine weitere Firma identifiziert. Ich fuhr also mit meiner hübschen, französischen Oktoberfestbekanntschaft vom Vortag im Zuge der Völkerversöhnung flugs nach Kassel. Bei der Firma handelte es sich um den Büromaschinenhändler »brw Bürosysteme Vertriebsgesellschaft mbH« in Kassel, der dem Konzern Bührmann-Tetterode gehörte. Die Firma erwirtschaftete jährlich bei einem Umsatz von DM 8 Mio. einen sagenhaften Verlust von DM 5 Mio. und das Ganze bei einem schuldenfreien Bestand von 4000 Kopiergeräten, die an Kunden verleast worden waren. Nachdem ich mich ja bereits intensiv in das Geschäft des Büromaschinenhändlers eingearbeitet hatte, erschienen mir diese Zahlen völlig unerklärlich. Allein anhand der bestehenden Leasingverträge musste jeden Monat ein erheblicher Cashflow generiert werden und, wenn man dann für das Handling dieser Verträge ohne Neugeschäft nur einen reduzierten Personalstamm zugrunde legte, musste die Gesellschaft eigentlich einen erheblichen Gewinn erwirtschaften. Mit dieser Überzeugung im Tornister zogen wir also in die Schlacht. Bührmann-Tetterode war heilfroh, die Gesellschaft irgendwie loszuwerden, da die Verluste das Gesamtergebnis in der Konzernbilanz doch deutlich verhagelten. So gelang es uns, die Gesellschaft im Oktober 1993 für einen symbolischen Kaufpreis von DM 1 schuldenfrei zu übernehmen.

Unmittelbar nach dem zeitgleichen Signing und Closing stürmten wir in die Gesellschaft und entließen als erste Amtshandlung die beiden Geschäftsführer. Ähnlich wie bei A + L hatte der Konzern von diesen die Firma brw erworben und die beiden »Herren« im Amt belassen (was für ein blöder Anfängerfehler!). Gerade einmal zwei Stunden nach Entlassung der Geschäftsführer ereilte uns der Anruf von deren Anwalt. Man könne doch über alles reden und vielleicht einen Deal machen. Jedenfalls solle man nichts überstürzen. Diese sehr defensiven Aussagen ließen uns aufhorchen. Das Studium des Aktenmaterials im Geschäftsführerzimmer zeigte uns dann sehr schnell, dass die überraschend friedliche Kontaktaufnahme nicht ganz uneigennützig war. Wir stellten bald fest, dass nicht unerhebliche Beträge – Millionenbeträge – von der Gesellschaft für die privaten Bauvorhaben der beiden Herren Geschäftsführer zweckentfremdet worden waren. So etwas Ähnliches hatten wir doch schon einmal erlebt! Ein Teil der Belegschaft war offensichtlich zur Abwicklung dieser Bauvorhaben eingesetzt und ebenfalls großzügig »mitverprovisioniert« worden. Doch wussten wir nicht, wer alles mit den untreuen Geschäftsführern unter einer Decke steckte. Was war

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